Hart, härter, Donald Trump. Mit der Sprache der Gosse und großen Gesten verzückt der Immobilien-Tycoon bei den US-Vorwahlen seine Fans. Keiner kann ihn stoppen – scheinbar.
Als handlungsorientierter Charakter denkt er nicht lange über Worte nach, sondern stürmt los und startet ungezügelt seine Verbalattacken: „Grenzen dicht, Ausländer raus.“
Die Rolle des Anführers scheint ihm auf den Leib geschneidert. Und seine angebliche ökonomische Unabhängigkeit sorgt für einen Glaubwürdigkeitsbonus. Durch sein Vermögen kann er seine Interessen mühelos durchsetzen und wird als unabhängig wahrgenommen. Diese grenzenlose Macht imponiert. Donald Trump als Präsident der USA? Für viele Amerikaner vorstellbar.
Dabei präsentiert Trump nur sein Image als Macher, aber keine Lösungskonzepte. Er punktet auf dem Weg ins Weiße Haus mit simplen Formeln auf niederschwelligem Niveau. Die Forderung, eine Mauer an der amerikanisch-mexikanischen Grenze zu bauen, um illegale Einwanderung zu verhindern, ist eine seiner Perlen. Aber wieso reicht das den Menschen?
Weil sie nach Orientierung und Führung suchen. Und um sich von jeglicher Schuld zu befreien, die mit persönlicher Verantwortung einherginge. Das gilt für die kleinste Gruppe und die größte Volkswirtschaft.
Die Befreiung von der Schuld
Zwar verändern sich die Grundbedürfnisse, doch die Maslowsche Bedürfnishierarchie verliert nicht an Darstellungskraft. Essen und trinken will der Mensch. Sex und Schlaf sowieso. Sind die physiologischen Bedürfnisse gedeckt, stehen Stabilität und Sicherheit im Fokus. Erst dann folgen Zuneigung und Geborgenheit, und das Streben nach Freiheit und Selbstverwirklichung.
Welcher Anführer bietet, was der Mensch will? Wer begeistert uns? Wer trifft mutige Entscheidungen? Bei wem finden wir Sicherheit? Wer zeigt uns den Weg zum Glück?
Ein Anführer kann das alles erfüllen, wenn man ihm sein Märchen abnimmt. Denn niemand hat für jede Schwierigkeit die passende Lösung parat oder kann im Alleingang alle Hindernisse aus dem Weg räumen. Das gelingt vielleicht im Kleinen, niemals aber im komplexen Geflecht einer Gesellschaft.
Das leuchtet ein. Doch Emotionen und zwei angenehme Effekte lassen die Logik in den Hintergrund treten. Ein Anführer befreit vom Zwang zur eigenen Entscheidung und liefert das persönliche Alibi, sollte sein Handeln in einer Katastrophe enden. „Der Führer war schuld …“ Eine einfachere Ausrede gibt es nicht.
Hunger nach Macht
Bei dem Luxus, die Verantwortlichkeit abzulegen wie einen Anzug und Schuld für ein mögliches Scheitern auf andere schieben zu können, lässt man Führungspersönlichkeiten – oder denjenigen, die sich dafür halten – gerne freie Fahrt.
Die Alphatiere nehmen die Offerte an. Ihre Triebfeder ist der Hunger nach Macht: Den eigenen Visionen nachjagen, im Mittelpunkt stehen, sich über Regeln hinwegsetzen, bewundert werden, irgendwie göttlich sein.
Die Übertragung der Verantwortung und die Mechanik der Schuldzuweisung findet sich übrigens in allen Lebenslagen. Im Fußball ist der Trainer schuld, wenn ein Stürmer das Tor nicht trifft. Für miese Noten soll sich der Lehrer verantwortlich zeigen, selbst wenn die Kinder durch das Schulsystem überfordert sind. Die Verkäuferin an der Kasse ist per se schuld, wenn die Milch im Regal sauer ist. Das führt zu einem Gegeneinander statt zu einem Miteinander, löst aber kein Problem.
Besonders in Krisenzeiten waren und sind Anführer gefragte Leute. Sie sollen richten, was die Gemeinschaft vermeintlich nicht hinbekommt, oder verhindern, wovor sie Angst hat. Dafür werden moralische Verfehlungen wohlwollend übersehen und Rücksichtslosigkeit toleriert.
Überzeugungskraft ist alles
Wenn Donald Trump den Mexikanern pauschal unterstellt, sie würden Drogen, Kriminalität ins Land bringen und seien Vergewaltiger, jubeln ihm Menschen zu, statt die Respektlosigkeit gegenüber einer ganzen Nation zu kritisieren und die Sinnlosigkeit der Aussage zu erkennen.
Woher die Führungscharakter kommen und welche Fähigkeiten sie tatsächlich haben, spielt für die meisten Menschen scheinbar keine Rolle. Hauptsache sie haben Überzeugungskraft, sorgen für Zufriedenheit bei ihren Anhängern und wischen die Zweifel weg, die jeden plagen, wenn Ziele unerreichbar erscheinen. Das naive Vertrauen in große Worte und einfache Lösungsformeln rächt sich oft genug:
Die Revolution des gemeinen Mannes 1524 sollte die Macht von Klerus und Adel beschränken. Hätten sich die aufständischen Bauern in Thüringen allerdings bewusst gemacht, dass an ihrer Spitze mit Thomas Müntzer zwar ein wortgewandter Pfarrer steht, aber kein kriegserprobter Landsknecht, hätte sie vermutlich einen anderen Anführer bestimmt. In der Schlacht bei Frankenhausen wurde das Bauernheer im Mai 1525 vernichtet.
Superleadership – Führung zur Selbstführung
In neueren Führungskonzepten , die zu einem erheblichen Teil motiviert sind durch die globale Vernetzung von virtuellen Arbeitsteams und durch die Digitalisierung der Lebenswelt, wird der Schuldmechanismus zurückgedrängt und die Verantwortung geht wieder auf die Basis über.
Bei der Führung zur Selbstführung, dem Superleadership, liegt es im Bestreben der Führungskraft, die Gruppenmitglieder aktiv in die Gestaltung ihres Umfeldes einzubeziehen und die Verantwortung zu verteilen. Außerdem werden Eigeninitiative und Selbstständigkeit gefördert und gefordert. Dadurch entsteht eine hohe Identifikation mit dem Unternehmen und den gestellten Aufgaben, was sich im Idealfall in einem unverwechselbaren und echten Wir-Gefühl widerspiegelt.
Der Leader ist also mehr Mentor, aber nicht mehr Anführer im klassischen Sinne. Da die Führung je nach Situation zwischen den Gruppenmitgliedern wechseln kann, ist das System flexibel und kann sich leichter auf Veränderungen und neue Aufgaben einstellen.
Um diese Konstellation zu erreichen, sind Wertschätzung, Aufrichtigkeit, Respekt und Vertrauen zwischen den Gruppenmitgliedern wesentlich. Außerdem ist ein fortlaufender Lernprozess erforderlich. Die Führungsperson muss lernen, sich von der Verantwortung dauerhaft zu lösen und diese an die Mitarbeiter zu delegieren. Die Mitarbeiter müssen lernen mit dem neuen Verantwortungsspielraum umzugehen und bei Bedarf zumindest zeitweise die Führung der Gruppe zu übernehmen.
Die Evolution beginnt
Einem Dinosaurier wie Donald Trump dürfte schon beim Gedanken an diesen modernen Schnickschnack der kalte Schauer über den Rücken laufen. Denn die Botschaft ist klar: In der digitalisierten Welt wird es schon bald keinen Platz mehr geben für Alleinherrscher, Alphamännchen und Führer.
Es findet eine Evolution statt, die sie mit ihresgleichen in einen Verdrängungswettbewerb um immer weniger freie Plätze treten lässt. Der Starke wird von einem noch Stärkeren gefressen. Schauplatz des Gegeneinander sind die kaum durchschaubaren Konzernstrukturen. Es ist ein See, der langsam austrocknet und in dessen Mitte sich die Raubfische tummeln. In der globalen Wirtschaft drückt sich das Ergebnis in einer ungeahnten Machtkonzentration aus.
James Glattfelder, Stefano Battiston und Stefania Vitali von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich verdeutlichten in ihrem Aufsatz „The Network of Global Corporate Control“, dass lediglich rund 1300 Firmen, die meisten im Finanzsektor aktiv, den Löwenanteil der gesamten Weltwirtschaft kontrollieren. 147 davon sind durch Beteiligungen derartig vernetzt mit Tausenden von multinationalen Konzernen, dass ihr Einfluss bis in die kleinste Zelle wirkt. Sie bilden das absolute Machtzentrum. Da reicht es für ein Leichtgewicht wie Donald Trump höchstens zum Amt des US-Präsidenten.
Redaktioneller Hinweis: Der Beitrag erschien erstmals auf Transform Magazin. (Update: Beitrag am 24. Juni 2019 aktualisiert.)
Foto: Donald Trump in Las Vegas 2016 von Gage Skidmore (Peoria, USA) – CC BY-SA 2.0.
Gunther Sosna studierte Psychologie, Soziologie und Sportwissenschaften in Kiel und Hamburg. Er war als Handballtrainer tätig, arbeitete dann als Journalist für Tageszeitungen und Magazine und später im Bereich Kommunikation und Werbung. Er lebte hauptsächlich im europäischen Ausland und war international in der Pressearbeit und im Marketing tätig. Sosna ist Initiator von Neue Debatte und weiterer Projekte aus den Bereichen Medien, Bildung, Diplomatie und Zukunftsfragen. Regelmäßig schreibt er über soziologische Themen, Militarisierung und gesellschaftlichen Wandel. Außerdem führt er Interviews mit Aktivisten, Politikern, Querdenkern und kreativen Köpfen aus allen Milieus und sozialen Schichten zu aktuellen Fragestellungen. Gunther Sosna ist Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens und tritt für die freie Potenzialentfaltung ein, die die Talente, Fähigkeiten und die Persönlichkeit des Menschen in den Mittelpunkt stellt, ohne sie den Zwängen der Verwertungsgesellschaft unterzuordnen. Im Umbau der Unternehmen zu gemeinnützigen und ausschließlich dem Gemeinwohl verpflichteten sowie genossenschaftlich und basisdemokratisch organisierten Betrieben sieht er einen Ausweg aus dem gesellschaftlichen Niedergang, der vorangetrieben wird durch eine auf privaten Profit ausgerichtete Wirtschaft, Überproduktion, Kapitalanhäufung und Bullshit Jobs, die keinerlei Sinn mehr haben.