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Entertainment 4.0: Mit Seichtigkeit zum Erfolg

Heute sind BiBi & Co. sind die neuen Lebensberater einer Jugend, der die Digitalisierung mit allen Vor- und Nachteilen förmlich unter die Muttermilch gerührt wurde.

BibisBeauty erreicht über ihren YouTube Channel schon mehr als 3,5 Millionen Abonnenten. Seichtigkeit ist der Schlüssel zum Erfolg.

Wow! BiBi hat auf YouTube 3.501.284 Abonnenten. Das ist beeindruckend und dafür gab es zu Recht von Mama Glückwünsche via WhatsApp. Die hat BiBi gleich mit allen Followern auf Twitter geteilt und damit fast 3500 Herzchen eingesammelt.

Tja. So kann es gehen. Selbst ein Veteran wie LeFloid, der seit 2007 auf YouTube werkelt, hat “nur” bescheidene 2.951.639 Abonnenten. Seine 476.429.755 Video-Aufrufe sind auf den ersten Blick zwar eine harte Ansage. Aber auch hier ist BiBi, die im realen Leben Bianca Heinicke heißt und vor rund fünf Jahren auf YouTube auftauchte, meilenweit voraus: 878.090.239 Aufrufe. Doch immerhin durfte LeFloid 2015 die Bundeskanzlerin interviewen.



Besonders kritisch war der Talk mit Angela Merkel zwar nicht, aber wenn man sich den abgeflachten TV-Plausch von Sandra Maischberger oder Anne Will anschaut, ist das auch nicht nötig. Geboten wird hier wie dort viel leichte Kosten, selbst wenn die Themen schwer im Magen liegen.

Beitragsbild - Neue Debatte - 31072016 - Eintertainment 4.0 - 9EkieraM1 - Eigenes Werk - CC BY-SA 3.0
Bianca „Bibi“ Heinicke ist die erfolgreichste YouTube-Bloggerin Deutschlands.

Das Merkel-Vid von LeFloid verzeichnet aktuell übrigens 4.908.696 Aufrufe. Nicht schlecht. Dazu kommen noch die ganzen Zuschauer, die einen oder mehrere der x-fach übernommenen Ausschnitte des Gesprächs auf anderen Channels und in anderen Videos gesehen haben. Man könnte versucht sein zu glauben, die würden sich alle für das politische Geschehen interessieren. Das wäre ein sensationeller Erfolg.

Doch zurück zu BiBi. Die hat neben den 3,5 Millionen YouTube-Abonnenten jetzt schon über 1.490.000 Follower auf Twitter und softe 1.337.000 Liker auf Facebook. Dazu kommen noch bummelig 398.000 Fans beim Live-Webcast-Service YouNow.

Ein Ende des Wachstums, um das vielleicht beliebteste Wort der Politik zu bemühen, ist bei BiBi nicht in Sicht. Sie ist in der Medienwelt 4.0 auf der Erfolgspur, weil sie den Nerv einer vor allem sehr jugendlichen Zielgruppe trifft. Wie macht sie das?

Nicht der Brexit, der die Europäische Union wie ein Erdbeben durchschüttel, nicht die ungelöste Flüchtlingskrise, der Bürgerkrieg in Syrien oder die schlimme Arbeitslosigkeit in Deutschland, die im Juli offiziell mit rund 2,66 Millionen beziffert wird – wobei DIE LINKE 882.000 Arbeitslose in der Statistik vermisst -, bewegt das jugendliche Gemüt.

Nein. Das Alltägliche und das (vermeintlich) Banale begeistert die jungen Menschen, weil es für sie Wichtigkeit besitzt. Wie werden Pickel entfernt? Welche Tönung bringt die schönste Farbe ins Haar? Sollen Freund oder Freundin per SMS abserviert werden oder lieber doch nicht? Ist Küssen schon beim ersten Date o.k.? Beauty, Fashion und Lifestyle sind die Themen, die schon jede Generation bewegt haben. Doch etwas hat sich verändert: Der Abspruch an den Unterhaltungswert. Zuschauen soll schließlich Spaß bringen und keine Belastung darstellen.

Alles in Butter. Alles super.

Sorgloses Entertainment zieht sich nicht nur die Generation Z gerne rein. Die Jugendserien und Heimatfilme der 1960er und 1970er Jahre zogen auch ein Publikum an, dass eine schöne und heile Welt sehen wollte, und vielleicht die eine oder andere lösung für ihre Alltagsproblemchen. Eine Welt, wo es sich um die kleinen Dingen dreht, etwas Abenteur und viel Träumerei. Allerdings mit einer Unterdosis an künstlicher Optik und Konsum.

Was macht BiBi? Nix anderes. Mit Begeisterung und von Werbeprofis unterstützt, geht sie ans Werk. Sie ist fröhlich, versprüht leichte Naivität, lässt praktisch keine Ecken und Kanten erkennen und wirkt durch und durch sympathisch. Alles ist in ihrer Welt irgendwie in Butter und wird super toll. Sie erinnert an die unschlagbare und clevere Pippi Langstrumpf, die für jede Schwierigkeit eine Lösung fand: Und war sie auch noch so ausgefallen.

Product-Placement und Shitstrom

Heute sind BiBi & Co. die neuen Lebensberater einer Jugend, der die Digitalisierung mit allen Vor- und Nachteilen förmlich unter die Muttermilch gerührt wurde. Diese Kids gehören jetzt und in Zukunft zu den wichtigsten Konsumenten für viel nützliches und noch viel, viel mehr unnützes Zeug. Die dafür nötigen Konsumbotschaften werden als Product-Placement in die Episoden eingebaut. Die Zielgruppe wird behandelt wie ein rohes Ei und gleichzeitig mit Werbung bombardiert. Davon leben ganze Branchen. Auch BiBi.

Das bringt Kritiker auf den Plan. Das Hauptargument liefert das sogenannte Influencer-Marketing, dass sich an junge Menschen wendet, die noch keine ausreichende Medienkompetenz besitzen würden. Die Werbeabsichten derartiger Videos seien für sie daher nicht erkennbar, wodurch das Vertrauensverhältnis zwischen den Leitfiguren und ihrem jugendlichen Massenpublikum ausgenutzt würde. Das scheint möglich zu sein, aber auch nicht die ganze Wahrheit.

Eine gemeinsame Verkaufsaktion mit der Telekom brachte BiBi im Herbst 2015 einen Shitstorm in den sozialen Netzwerken. Ihrer Popularität tat das offensichtlich keinen Abbruch, wenn man sich die wachsende Fangemeinde anschaut.

Wohlfühlen bei Domian

Was machen die Oldies? Das Talkradio gehört zu den aussterbenden Dinosauriern des TV. Die Sendung “Domian” liefert härtere Kost und mehr Nähe zur Realität für ein nicht minder unterhaltungssüchtiges Publikum. Seit 1995 gab es etwa 3400 Episoden. Das Format ist natürlich ganz anders gestrickt, hat keine Werbung im Programm, ist aber auch auf YouTube vertreten.



Menschen können im Studio anrufen und dem Moderator ihre Probleme schildern. Jürgen Domian spielt Kummerkasten und Ratgeber in Personalunion. Allerdings redet er nicht wie der typische Videoblogger ohne Punkt und Komma in eine Kamera und auf die Menschen ein, sondern spricht mit ihnen über Telefon und lässt vor allem sie sprechen. Oft genug werden die großen persönlichen Probleme des Anrufers erörtert.

Die Zuschauer verfolgen das Gespräch am Fernsehgerät und werden so zu Ohrenzeugen von ungewöhnlichen Lebensläufen, aberwitzigen Verhaltensstörungen, merkwürdigen Erlebnissen oder überraschenden Begebenheiten. Unterhaltsam ist es allemal. Das haben zumindest einige Untersuchungen in den 1990er Jahren ergeben. Bemerkenswert ist, dass sich beim Gespräch mit Domian 88 Prozent der Anrufer ernst genommen fühlten. Noch. Das Format soll Ende 2016 Jahres eingestellt werden.

Entertainment 4.0

Und bei BiBi? Da findet wenig Kommunikation statt. Das ist auch nicht nötig. Fragesteller,  Antwortgeber, Moderator, Klassenclown: beim Entertainment 4.0 verschmelzen alle Komponenten in einer Person.

Es ist ein Entwicklungschritt, den man kritisch beurteilen kann, aber nicht muss. Vielleicht liegt in den neuen Unterhaltungsformaten sogar eine Chance, um zum Beispiel die politische Debatte über die Jugendarbeitslosigkeit, das veraltete Schulsystem oder die Beteiligung der jungen Menschen an der politischen Willensbildung in Deutschland zu beleben. Dafür müsste BiBi nur das Genre wechseln. Dann würde es ernst werden und die Seichtigkeit wäre vorbei.


Fotos: Annca (Pixabay.com) – CC0 Public Domain und 9EkieraM1 (Bianca „Bibi“ Heinicke von „BibisBeautyPalace“) – CC BY-SA 3.0.

Gunther Sosna studierte Psychologie, Soziologie und Sportwissenschaften in Kiel und Hamburg. Er war als Handballtrainer tätig, arbeitete dann als Journalist für Tageszeitungen und Magazine und später im Bereich Kommunikation und Werbung. Er lebte hauptsächlich im europäischen Ausland und war international in der Pressearbeit und im Marketing tätig. Sosna ist Initiator von Neue Debatte und weiterer Projekte aus den Bereichen Medien, Bildung, Diplomatie und Zukunftsfragen. Regelmäßig schreibt er über soziologische Themen, Militarisierung und gesellschaftlichen Wandel. Außerdem führt er Interviews mit Aktivisten, Politikern, Querdenkern und kreativen Köpfen aus allen Milieus und sozialen Schichten zu aktuellen Fragestellungen. Gunther Sosna ist Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens und tritt für die freie Potenzialentfaltung ein, die die Talente, Fähigkeiten und die Persönlichkeit des Menschen in den Mittelpunkt stellt, ohne sie den Zwängen der Verwertungsgesellschaft unterzuordnen. Im Umbau der Unternehmen zu gemeinnützigen und ausschließlich dem Gemeinwohl verpflichteten sowie genossenschaftlich und basisdemokratisch organisierten Betrieben sieht er einen Ausweg aus dem gesellschaftlichen Niedergang, der vorangetrieben wird durch eine auf privaten Profit ausgerichtete Wirtschaft, Überproduktion, Kapitalanhäufung und Bullshit Jobs, die keinerlei Sinn mehr haben.

Von Gunther Sosna

Gunther Sosna studierte Psychologie, Soziologie und Sportwissenschaften in Kiel und Hamburg. Er war als Handballtrainer tätig, arbeitete dann als Journalist für Tageszeitungen und Magazine und später im Bereich Kommunikation und Werbung. Er lebte hauptsächlich im europäischen Ausland und war international in der Pressearbeit und im Marketing tätig. Sosna ist Initiator von Neue Debatte und weiterer Projekte aus den Bereichen Medien, Bildung, Diplomatie und Zukunftsfragen. Regelmäßig schreibt er über soziologische Themen, Militarisierung und gesellschaftlichen Wandel. Außerdem führt er Interviews mit Aktivisten, Politikern, Querdenkern und kreativen Köpfen aus allen Milieus und sozialen Schichten zu aktuellen Fragestellungen. Gunther Sosna ist Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens und tritt für die freie Potenzialentfaltung ein, die die Talente, Fähigkeiten und die Persönlichkeit des Menschen in den Mittelpunkt stellt, ohne sie den Zwängen der Verwertungsgesellschaft unterzuordnen. Im Umbau der Unternehmen zu gemeinnützigen und ausschließlich dem Gemeinwohl verpflichteten sowie genossenschaftlich und basisdemokratisch organisierten Betrieben sieht er einen Ausweg aus dem gesellschaftlichen Niedergang, der vorangetrieben wird durch eine auf privaten Profit ausgerichtete Wirtschaft, Überproduktion, Kapitalanhäufung und Bullshit Jobs, die keinerlei Sinn mehr haben.