Olivier Turquet sprach mit Giovanna Martelli über das südamerikanische Land. Die italienische Abgeordnete ist besorgt und empört über die politische und juristische Entwicklung.
Olivier Turquet: Giovanna, wie siehst du die Entwicklung in Argentinien?
Giovanna Martelli: Ich bin besorgt und empört. Ich hatte gehofft, dass sich aufgrund internationalen Drucks sowie Stellungnahmen von zahlreichen Persönlichkeiten auch die Haltung der argentinischen Regierung ändern würde, die sie im Bezug auf soziale Aktivisten und Bewegungen sowie deren Bemühungen, eine Kultur des Respekts gegenüber Menschenrechten zu fördern, eingenommen hat.
Auf was beziehst du dich im Speziellen?
Nach der versuchten Inhaftierung der Präsidentin der Mütter der Plaza de Mayo, Hebe de Bonafini, der tatsächlichen Inhaftierung von elf Mitgliedern der Bürgerbewegung Tupac Amaru und der Tatsache, dass die Regierung weiterhin auf der Inhaftierung von Milagro Sala (Anm.: eine politische Aktivistin) besteht, ist nunmehr klar, dass es sich hier um den Versuch seitens der Regierung handelt, eine politische Angelegenheit auf die juristischen Ebene zu verschieben.
Die Autonomie der Justiz ist Garantie für das Gleichgewicht eines demokratischen Staates.
In jeder etablierten Demokratie ist die Judikative unabhängig und muss es auch bleiben. Die Justiz hat die Aufgabe, Gesetzesbrüche zu ahnden und zu bestrafen und in diesen Sinne müssen auch die Ermittlungen geführt werden. Die Autonomie der Justiz ist Garantie für das Gleichgewicht eines demokratischen Staates.
Meine Sorge rührt daher, dass offensichtlich in Argentinien der juristische Weg dazu benutzt wird, ohne jeglichen demokratischen Dialog eine Hegemonie neoliberaler und autoritärer Politik einzuführen, wie wir es auch schon in der Vergangenheit gesehen haben.
Ich sehe nicht die geringste Ausrede für das Schweigen der Institutionen und der Politik bezüglich dieser schweren Rückfälle in die Vergangenheit.
Diese Sorge wächst umso mehr, wenn wir den Blickwinkel auf die Situation in ganz Lateinamerika erweitern, ich denke da an Brasilien und Venezuela. Der Eindruck drängt sich auf, dass hier nach den Jahren der progressiven Regierungen gerade ein Akt politischer Destabilisierung im Gange ist.
Hier bei uns herrscht weiterhin Schweigen dazu …
Ich sehe nicht die geringste Ausrede für das Schweigen der Institutionen und der Politik bezüglich dieser schweren Rückfälle in die Vergangenheit. Ich werde nach der Sommerpause eine Anfrage an die Regierung im Parlament einbringen mit den Ziel, alle Kollegen und Kolleginnen zu informieren und die italienische Regierung zu einer Stellungnahmen zu diesen mutmaßlichen und schweren Menschenrechtsverletzungen zu bewegen.
Frauen scheinen das bevorzugte Ziel der repressiven Welle in Argentinien zu sein …
Ich bin empört über diesen Angriff auf Frauen, von denen jede einzelne und jede auf ihre Weise einen signifikanten Beitrag zum sozialen und materiellen Fortschritt in diesem Land geleistet hat.
Frauen haben immens zur Sache der Menschenrechte beigetragen.
Sie haben immens zur Sache der Menschenrechte beigetragen, jene Rechte, die manchmal als Vorwand dienen, um in Länder einzumarschieren und die aber ignoriert werden, wenn die Länder, die sie verletzen befreundete Länder sind. Wahre Freundschaft im Bezug auf eine Nation wie Argentinien ist es, ihre positiven Helden zu schätzen und nicht zu ruhen, bis die Schatten der Vergangenheit nicht mehr zurückkehren.
Als Komitee zur Befreiung von Milagro Sala haben wir um einen Termin beim argentinischen Botschafter gebeten, dem auch ich beiwohnen werde und bei dem wir unsere Bedenken darlegen werden, damit er diese der argentinischen Regierung unterbreiten kann.
Übersetzung aus dem Italienischen von Evelyn Rottengatter.
Zur Person: Giovanna Martelli ist eine italienische Politikerin die seit Anfang 2016 der linksgerichteten und ökologischen Partei Sinistra Ecologia Libertà (deutsch: Linke Ökologie Freiheit) angehört, die Ideen des Demokratischen Sozialismus verfolgt. Sie ist engagiert im Komitee zur Befreiung von Milagro Sala, einer südamerikanischen Aktivistin der Bürgerbewegung Tupac Amaru, die willkürlich inhaftiert wurde. Das Interview von Olivier Turquet erschien erstmals bei unserem Kooperationspartner Pressenza.com.
Fotos: Brigitte Werner (Pixabay.com) – CC0 Public Domain und Giovanna Martelli (privat).
Olivier Turquet schreibt seit 40 Jahren, um die Realität zu erzählen. Er hat mit Printmedien, Radio und elektronischen Medien zusammengearbeitet, darunter Frigidaire, Radio Montebeni, L'Umanista, Contrasti, PeaceLink, Barricate, Oask!, Radio Blue, Azione Nonviolenta, Mamma!. Er gründete die humanistische elektronische Nachrichtenagentur Buone Nuove sowie die Lokalzeitung Le Bagnese Times und war Pressesprecher verschiedener Veranstaltungen wie The International Humanist, Firenze Gioca und dem Weltweiten Marsch für Frieden und Gewaltfreiheit. Zur Zeit koordiniert er die italienische Redaktion von Pressenza.