Nach dem Bankrott der Großreederei Hanjin dümpeln mehr als 70 Containerschiffe wochenlang ziellos auf den Weltmeeren herum. Tomasz Konicz vom Konkret Magazin schreibt über Geisterschiffe und kapitalistische Binnenrationalität.
Es ist eine jener Absurditäten kapitalistischer Krisenentfaltung, die von der veröffentlichten Meinung inzwischen mit einem bloßen Schulterzucken zur Kenntnis genommen werden: Im September dümpelten wochenlang mehr als 70 Containerschiffe der bankrotten koreanischen Großreederei Hanjin auf den Weltmeeren.
Da sie nicht die Möglichkeit hatten, einen Hafen anzulaufen, konnte ihre Fracht, mehr als eine halbe Million Container, nicht gelöscht werden. Seine Besatzung sei dabei, aufgrund der Hitze “durchzudrehen”, berichtete der Kapitän eines gestrandeten Seelenverkäufers im Südchinesischen Meer, da er die Klimaanlage ausschalten musste, um Treibstoff zu sparen. Die Containerriesen, auf denen mitunter Wasser rationiert wurde, drohten, zu “Geisterschiffen” zu werden, warnten Gewerkschaftsvertreter.
Dabei hatte diese absurde Situation, die an B. Travens Roman Das Totenschiff erinnert, ihre kapitalistische Binnenrationalität. Die Häfen wollten die Schiffe der Pleitereederei nicht einlaufen lassen, weil nicht klar war, wer die anfallenden Kosten und Gebühren begleichen würde. Zudem hat das Management der Reederei die Kapitäne mitunter angewiesen, vor den Häfen zu ankern, um eine Beschlagnahmung der Schiffe durch Gläubiger – die Verbindlichkeiten Hanjins summieren sich auf 4,5 Milliarden Euro – zu verhindern.
Es ist die irre kapitalistische Binnenrationalität, bei der das eingesetzte Kapital unter allen Umständen verwertet werden muss, die in der Krise völlig wahnsinnige Ausmaße annimmt. Infolge der Auseinandersetzung darum, wer die Verluste der Großpleite der Reederei zu tragen hat, strandeten die Schiffsbesatzungen in einem marktwirtschaftlichen Nirgendwo. Sobald die geladenen Waren – wie auch die Ware Arbeitskraft der Seeleute – nicht mehr verwertet werden können, werden sie ausgesondert und treiben wertlos auf dem Meer.
Der öffentliche Gewöhnungseffekt resultiert aus der krisenbedingten Häufung solcher Phänomene. Es scheint normal, wenn nach einer geplatzten Immobilienblase die Obdachlosigkeit sprunghaft zunimmt, während im spekulativen Fieber erbaute Stadtviertel abgerissen werden, oder wenn in Europa und den USA rund die Hälfte der Lebensmittel weggeschmissen werden, während in den Hungergebieten der Peripherie keine zahlungskräftige Nachfrage nach Nahrung herrscht. Dabei werden immer mehr Menschen im marktwirtschaftlichen Nirgendwo stranden, denn tendenziell macht das Kapital in seiner letalen Krise die gesamte Menschheit ökonomisch überflüssig.
Redaktioneller Hinweis: Der Beitrag von Tomasz Konicz erschien erstmals im Konkret Magazin. Das Konkret Magazin wurde 1957 in Hamburg gegründet und ist die einzige linke Publikumszeitschrift Deutschlands. Sie erscheint seit 1974 monatlich und steht unter anderem für die Absage an Krieg, Militär, Rüstung, Ideologie, Ausbeutung, Kapitalismus und Faschismus. Herausgeber ist der frühere SPIEGEL Redakteur Hermann L. Gremliza. Mit Dank an das Konkret Magazin für die Zustimmung der Veröffentlichung des Beitrags von Tomasz Konicz auf NEUE DEBATTE.
Symbolfoto (Geisterschiff): Mystic Art Design (pixabay.com) – CC0 Public Domain
Tomasz Konicz ist Autor, freier Publizist und Journalist. Er studierte Geschichte und Philosophie in Hannover sowie Wirtschaftsgeschichte in Posen. Konicz schreibt regelmäßig zum Beispiel für Telepolis, Neues Deutschland, konkret sowie für Exit, Streifzüge, das Magazin Hintergrund und den Rubikon. Tomasz Konicz schrieb zahlreiche Bücher zur Ideologiekritik und Krisentheorie. Darunter Politik in der Krisenfalle (Telepolis): Kapitalismus am Scheideweg (2012), Heise; Krisenideologie. Wahn und Wirklichkeit spätkapitalistischer Krisenverarbeitung (2013) Heise und Kapitalkollaps. Die Finale Krise der Weltwirtschaft. Zahlreiche weitere Beiträge hat Tomasz Konicz auf seiner Webseite www.konicz.info veröffentlicht.