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Denunziation erwünscht: Der Überwachungsstaat YouTube

Wer viel petzt und regelmäßig denunziert, der wird von YouTube belohnt. Das YouTube Heroes System pusht das Videoportal auf das Level Nordkoreas.

Wer viel petzt und regelmäßig denunziert, der wird von YouTube belohnt. Das YouTube Heroes System pusht das Videoportal auf das Level Nordkoreas.

Wenn Erich Mielke das noch erleben dürfte. Der Designer des Überwachungs- und Unterdrückungssystems der DDR würde wegen der rasanten Fortschritte bei der Bespitzelung und Denunziation im Netz vor Begeisterung vermutlich ein Fläschchen Schampanskoje öffnen.

YouTube will Hasskommentare, verbotene Inhalte und alles, was irgendwie verdächtig erscheint, mit Hilfe seiner Nutzer aufspüren und von dem Portal tilgen. Als Motivationshilfe wurde das YouTube Heroes System in Position gebracht, das als globale Community der YouTube-Nutzer angepriesen wird, die “bei der Optimierung von YouTube aktiv mithelfen“.

Erwünscht sei das Melden unangemessener Inhalte, das Hinzufügen von Untertiteln zu Videos und das Weitergeben von Wissen an andere Nutzer im YouTube-Forum. Wer beim Heroes System mitmacht, der bekommt für sein Engagement Punkte und kann in einem Ranking aufsteigen. Als Gegenleistung verspricht YouTube “tolle Vorteile wie den Zugriff auf exklusive Workshops”.

Stufenweiser Machtzuwachs

Das klingt im ersten Moment harmlos. Doch die Einbeziehung der “unangemessenen Inhalte” in das YouTube Heroes System ist katastrophal für die Meinungsfreiheit und vor allem für das menschliche Miteinander.

Wer im Heroes-Programm die Stufe 3 erreicht, scheint schon weitreichende Machtbefugnisse in der virtuellen Welt zu erhalten:

  • Beleidigende Inhalte in großem Umfang melden
  • Beim Moderieren von Community-Inhalten helfen

Der Versuch einer Selbstreinigung, schon getrübt durch die offensichtliche Abschöpfung der kostenlosen Arbeitskraft der Community-Nutzer, öffnet einer privaten Inquisition aus Deutungshoheit, Vermutungen, Unterstellungen, politischem, sexuellen und sonstigem inhaltlichen Geschmack eine Tür, die sonst nur dem Betreiber des Videoportals in seiner Funktion als Hausherr, seinen Mitarbeitern und in kritischen Fällen der Justiz zugänglich sein dürfte.

Wo sind die Grenzen?

So einfach ist es ja nicht mit den unangemessenen Inhalten, dem Hatespeech und den vermeintlichen oder tatsächlichen Hasskommentaren. In Deutschland bedarf es einer juristischen Prüfung, um zu beurteilen, ob es sich bei einer Äußerung tatsächlich um einen Straftatbestand wie zum Beispiel Volksverhetzung oder Verleumdung handelt. Da darf für selbstherrliche Beurteilung kein Platz sein.

Im YouTube Heroes System werden Punkte vergeben und man kann in einem Ranking aufsteigen.
Mit 100 Punkten erreicht man die 3 Hero-Stufe. (Foto: Screenshot/Ranking)

Wo fängt beispielsweise Beleidigung an und wo hört sie auf? Die Causa Böhmermann und dessen Schmähkritik auf den türkischen Staatspräsidenten Erdogan hat gezeigt, wie kompliziert das Recht sein kann und wie unterschiedlich das Rechtsempfinden ist.

Unterdrückung von Meinung und Mensch

Welches Werk wird durch die Kunstfreiheit gedeckt? Was ist pornografisch, was sexistisch? Werden Inhalte als unangemessen oder beleidigend eingestuft, die eine Performance der Künstlerin Milo Moiré zeigen, die sich im Namen der Kunst von wildfremden Menschen wahlweise an die Brüste oder zwischen die Beine greifen lässt?

Nein. Der Hebel der privaten Kontrolle ist völlig ungeeignet, um Hatespeech und der Flut an Obszönitäten zu begegnen, die sich im Biotop YouTube sammeln. Das Heroes System fördert lediglich das Gefühl der Überlegenheit einzelner Nutzer, beflügelt deren Lust an der Denunziation und schafft die Basis, um ausnahmslos jede unliebsame Meinung und jeden Inhalt zu unterdrücken – und somit auch den Menschen, der diesen erschaffen hat.


Foto: Freestocks.org (pexels.com) – Creative Commons Zero.

Gunther Sosna studierte Psychologie, Soziologie und Sportwissenschaften in Kiel und Hamburg. Er war als Handballtrainer tätig, arbeitete dann als Journalist für Tageszeitungen und Magazine und später im Bereich Kommunikation und Werbung. Er lebte hauptsächlich im europäischen Ausland und war international in der Pressearbeit und im Marketing tätig. Sosna ist Initiator von Neue Debatte und weiterer Projekte aus den Bereichen Medien, Bildung, Diplomatie und Zukunftsfragen. Regelmäßig schreibt er über soziologische Themen, Militarisierung und gesellschaftlichen Wandel. Außerdem führt er Interviews mit Aktivisten, Politikern, Querdenkern und kreativen Köpfen aus allen Milieus und sozialen Schichten zu aktuellen Fragestellungen. Gunther Sosna ist Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens und tritt für die freie Potenzialentfaltung ein, die die Talente, Fähigkeiten und die Persönlichkeit des Menschen in den Mittelpunkt stellt, ohne sie den Zwängen der Verwertungsgesellschaft unterzuordnen. Im Umbau der Unternehmen zu gemeinnützigen und ausschließlich dem Gemeinwohl verpflichteten sowie genossenschaftlich und basisdemokratisch organisierten Betrieben sieht er einen Ausweg aus dem gesellschaftlichen Niedergang, der vorangetrieben wird durch eine auf privaten Profit ausgerichtete Wirtschaft, Überproduktion, Kapitalanhäufung und Bullshit Jobs, die keinerlei Sinn mehr haben.

Von Gunther Sosna

Gunther Sosna studierte Psychologie, Soziologie und Sportwissenschaften in Kiel und Hamburg. Er war als Handballtrainer tätig, arbeitete dann als Journalist für Tageszeitungen und Magazine und später im Bereich Kommunikation und Werbung. Er lebte hauptsächlich im europäischen Ausland und war international in der Pressearbeit und im Marketing tätig. Sosna ist Initiator von Neue Debatte und weiterer Projekte aus den Bereichen Medien, Bildung, Diplomatie und Zukunftsfragen. Regelmäßig schreibt er über soziologische Themen, Militarisierung und gesellschaftlichen Wandel. Außerdem führt er Interviews mit Aktivisten, Politikern, Querdenkern und kreativen Köpfen aus allen Milieus und sozialen Schichten zu aktuellen Fragestellungen. Gunther Sosna ist Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens und tritt für die freie Potenzialentfaltung ein, die die Talente, Fähigkeiten und die Persönlichkeit des Menschen in den Mittelpunkt stellt, ohne sie den Zwängen der Verwertungsgesellschaft unterzuordnen. Im Umbau der Unternehmen zu gemeinnützigen und ausschließlich dem Gemeinwohl verpflichteten sowie genossenschaftlich und basisdemokratisch organisierten Betrieben sieht er einen Ausweg aus dem gesellschaftlichen Niedergang, der vorangetrieben wird durch eine auf privaten Profit ausgerichtete Wirtschaft, Überproduktion, Kapitalanhäufung und Bullshit Jobs, die keinerlei Sinn mehr haben.

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