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Meinung

Schluss mit dem Blabla … sonst nehmen sie irgendwann den Adolf!

Politischer Streit ist nicht mehr das Thema. Es geht um die Spaltung der Gesellschaft in oben und unten.

Der Kabarettist Christoph Sieber ist ein moderner Till Eulenspiegel. Er zeigt Missstände und gesellschaftliche Fehlentwicklungen mit einem brutalen Sprachwitz auf, der einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Kommt Adolf zurück?

In seinem aktuellen Video auf Facebook hielt Sieber eine Ausgabe der Bild am Sonntag in die Kamera. Auf dem Titel war zu lesen:

Nach dem Trump-Schock – Schluss mit dem Blabla!

Die Politik ist gemeint. Sie soll ihr Blabla beenden und sich endlich um die Abgehängten in der Gesellschaft kümmern. Wie bitte?! Für einen Schalk wie Sieber ein gefundenes Fressen. Ausgerechnet die Bild am Sonntag bringt so einen Artikel.

Dabei sind es doch die Macher des Boulevardblatts die seit Jahren Hartz-IV-Empfänger und die perspektivlosen Milieus an den Pranger stellen. Jetzt folgt der billige Versuch, sich ihnen anzubiedern.

Die Schuld für Trump, für den erstarkenden Neofaschismus und alles andere, die soll also bei den Politikern liegen?! Natürlich. Läuft etwas falsch sind sie der willkommene Buhmann, an dem der Bürger seinen angestauten Frust abreagieren kann. Doch so einfach ist es nicht. Das System ist das Problem.

Der Traum vom Wachstum

Gehen wir ein paar Schritte zurück in die Vergangenheit und werfen einen Blick auf die Anfänge der Bundesrepublik. Nach dem 2. Weltkrieg lag Deutschland in Trümmern und war wirtschaftlich am Boden. Von dort konnte es nur aufwärtsgehen.

Die US-Regierung warb in Europa mit Plakaten für den Marshallplan.
Die US-Regierung warb in Europa mit Plakaten für den Marshallplan. (Foto: Wiki/Gemeinfrei)

Und es ging aufwärts. Geschafft wurde dieser Kraftakt durch Motivation, Fleiß und vor allem durch das 1948 eingeleitete Wiederaufbauprogramm der USA für Europa: Der Marshallplan.

Verbesserte Beziehungen zu den vormals unterjochten Nachbarn, allen voran Frankreich, die Reduzierung der Handelsbeschränkungen und schließlich die Gründung der Montanunion, dem Vorläufer der Europäischen Gemeinschaft in den 1950er-Jahren, hatte ein kaum erwartetes Wirtschaftswachstum zur Folge. Es gab nur eine Richtung: nach oben!

Offenbar nistete sich in der Periode des Wirtschaftswunders, in der Mann und Maus am Arbeitsmarkt gebraucht wurden und sich somit selbst Sonderschüler berufliche Perspektiven ausmalen konnten, in den Köpfen die Idee fest, Wachstum könne ewig währen.

Das ist zwar genauso unmöglich wie die Tatsache, dass ein Baum nicht ewig wachsen kann, weil es die Naturgesetze nicht zu lassen. Dennoch wurde wirtschaftliches Wachstum in der westlichen Welt zur Religion erhoben. Der Glaube verankerte sich über die Jahrzehnte in allen politischen Lagern und führte zu dem Gebot: Wachstum ist das Rezept für jedes Problem.

Der Beginn des Niedergangs

Selbst als sich Anfang der 1980er abzeichnete, dass hohe Arbeitslosigkeit zum Dauerzustand werden könnte, auch wenn der Wirtschaftsmotor brummt, wurde die Religion nicht laut hinterfragt, sondern verbissen verteidigt. Man schleppte sich so von Verlegenheit zu Verlegenheit und von Krise zu Krise.

Unrühmlicher Höhepunkt war die von SPD und Bündnis90/Die Grünen umgesetzte Agenda 2010. Hartz-IV pervertierte zur Knute der Erniedrigung und der Ausbau des Niedriglohnsektors brachte Millionen Menschen trotz Arbeit an den Rand des Bettelstabs. Die für Veränderung resistente Wachstumslogik steckt heute in einer Sackgasse.

Das Ende der Fahnenstange ist erreicht. Und sollte eine Studie mit vielen Zahlen und noch mehr Statistik das Gegenteil beweisen, so ist der menschliche Instinkt nicht domestiziert genug, um nicht die Umweltzerstörungen, das plötzliche Verschwinden unzähliger Tierarten, die Überfischung der Meere und die immer aggressiveren Auseinandersetzungen um Bodenschätze als Signale zu erkennen.

Die Verleugnung der Wahrheit

Der Status Quo, in dem wir uns wähnten, ist nicht mehr zu halten. Aber die Angst, sich dieser Wahrheit zu stellen ist groß. Die regierende Politik tut es zumindest nicht und spielt lieber die Platte von einem Deutschland, dem es so gut geht wie nie. Auf dem Papier mag das stimmten, die gesellschaftliche Realität sieht anders aus.

Die irreale Verleugnung der gesellschaftlichen Spaltung ist nachvollziehbar, hat sich die Politik doch im Zuge der Globalisierung immer deutlicher in den Dienst der Finanzwelt, der Märkte und der Konzerne gestellt. Hin und wieder gibt sie sogar offen zu, dass andere die erste Geige spielen.

Erwin Pelzig, ein Kabarettist wie Christoph Sieber, entlockte in einer seiner Sendungen dem bayrischen Ministerpräsidenten eine bemerkenswerte Aussage. Pelzig sprach Horst Seehofer auf die immer größer werdende Macht von Konzernen und Banken über die Politik an. Der antwortete: “Es ist so, wie sie sagen. Diejenigen, die entscheiden, sind nicht gewählt und diejenigen, die gewählt werden, haben nichts zu entscheiden.”

Das Publikum reagiert mit einer Sekunde Friedhofsruhe. Verständlich, schließlich lässt der Kern der Aussage nicht nur überzeugten Demokraten das Lachen im Hals stecken bleiben. Seehofer bestätigte also indirekt, was Sieber heute anprangert.

Der Zerfall des Systems

Die neoliberalistische Strategie hat die Gesellschaft entsolidarisiert und die Macher von Medien wie der Bild und der Bild am Sonntag haben ihren Teil dazu beigetragen. Die Politik bietet keine Alternativen mehr und ignoriert beharrlich die abgehängten Schichten und deren Nöte und Sorgen. Rechtsextremistische und ultraneoliberale Kräfte nutzen die Situation hemmungslos aus und gaukeln einer frustrierten und enttäuschten Menschenmasse vor, sie seien ihre Fürsprecher.

Schuldige für die Misere des seit Jahrzehnten zerfallenden Systems sind schnell gefunden. Es sind die Menschen, die vor den Folgen einer neokolonialen Politik und vor Kriegen aus ihren Heimatländern flüchten und in Europa nach neuen Perspektiven zu suchen.

Doch statt sich mit diesen Heimatvertriebenen zu solidarisieren und gemeinsam für ein anderes System einzutreten, das Menschenrechte, Freiheit und den sozialen Gedanken im Kern vereint, lässt man sich Herz und Hirn von den Hetzern vergiften. Und die etablierte Politik schaut hilflos zu …

Die Schwäche der politischen Linken

Auf die wirklichen Missstände machen uns Kabarettisten wie Christoph Sieber aufmerksam – und auch auf die Folgen. Ja, die Gefahr, dass der Faschismus in neuen Kleidern wiederkommt, ist gegeben. In vielen Ländern Europas wartet er auf seine Stunde.

Der Faschismus sucht Lücken, um ins politische System einzudringen.

Wer will ihm die Stirn bieten? Etwa die paar Anhänger von Karl Marx? Oder die in der politischen Einheitsbrühe schwimmenden Sozialdemokraten, die längst das Knie vor dem Kapital gebeugt haben? Vielleicht die Light-Version der Sozialisten?

Das ist unwahrscheinlich. Linke politische Gruppierungen zerfleischen sich lieber in ideologischen Grabenkämpfen oder schlagen die Menschen, die dringend ihre Hilfe bräuchten, mit ihren oberlehrerhaften intellektuellen Vorträgen und verklausulierten Parolen in die Flucht.

Was bleibt übrig? Widerstand kann nur durch die Menschen selbst herbeigeführt werden – und zwar parteiübergreifend. Mögen sich noch so viele dagegen sträuben: Es geht schon lange nicht mehr um links oder rechts.

… sonst kommt Adolf!

Der politische Streit ist nur ein Knochen, der der hungrigen Meute hingeworfen wurde, um sie von den fetten Würsten abzulenken, die an ihnen vorbeischmuggelt werden. Es geht ausschließlich um die Spaltung der Gesellschaft in oben und unten. Das hat Christoph Sieber richtig erkannt. Es geht um die eklatante soziale Ungleichheit.

Um einen Systemwechsel herbeizuführen, der diesen gefährlichen Virus beseitigt, ist eine Strategie der Vernunft erforderlich. Es spielt dabei keine Rolle, welche Farben vertreten sind: Rot, schwarz, dunkelrot, grün, gelb oder sogar blau. Ideologische Befindlichkeiten haben keinen Platz mehr. Der Fokus muss auf den Bedürfnissen der Menschen liegen.

An anderer Stelle habe ich es schon ein Mal geschrieben: Nicht Mercedes, Bayer oder die Deutsche Bank und auch nicht BMW, E.O.N. oder RWE machen das Land aus, sondern alle Menschen, die in Deutschland leben. Das muss uns bewusst werden. Sonst behält Sieber recht und irgendwann nehmen sie wirklich den Adolf.


Fotos: Brian Merrill (Titel) und Andrew Martin (beide pixabay.com) – Creative Commons Zero sowie Wikipedia (gemeinfrei).

Seit 1967 lebt der im spanischen Granada geborene Bernardo Jairo Gomez Garcia in Deutschland. Sein Vater stammt aus Kolumbien, seine Mutter aus Spanien. Schon vor seinen Ausbildungen zum Trockenbaumonteur und Kfz-Lackierer entdeckte Gomez seine Leidenschaft für die Kunst. Er studierte an einer privaten Kunsthochschule Airbrushdesign und wechselte aus der Fabrikhalle ans Lehrerpult. Rund 14 Jahre war Gomez als Spanischlehrer in der Erwachsenenbildung tätig. Seine Interessen gelten der Politik, Geschichte, Literatur und Malerei. Für Neue Debatte schreibt Jairo Gomez über die politischen Entwicklungen in Spanien und Lateinamerika und wirft einen kritischen Blick auf die gesellschaftlichen Veränderungen in Deutschland und Europa.

Von Bernardo Jairo Gomez Garcia

Seit 1967 lebt der im spanischen Granada geborene Bernardo Jairo Gomez Garcia in Deutschland. Sein Vater stammt aus Kolumbien, seine Mutter aus Spanien. Schon vor seinen Ausbildungen zum Trockenbaumonteur und Kfz-Lackierer entdeckte Gomez seine Leidenschaft für die Kunst. Er studierte an einer privaten Kunsthochschule Airbrushdesign und wechselte aus der Fabrikhalle ans Lehrerpult. Rund 14 Jahre war Gomez als Spanischlehrer in der Erwachsenenbildung tätig. Seine Interessen gelten der Politik, Geschichte, Literatur und Malerei. Für Neue Debatte schreibt Jairo Gomez über die politischen Entwicklungen in Spanien und Lateinamerika und wirft einen kritischen Blick auf die gesellschaftlichen Veränderungen in Deutschland und Europa.

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