Die Franzosen nehmen den Laizismus sehr ernst. Religion und Staat sind streng voneinander getrennt. Das wird an den Weihnachtstagen besonders deutlich. Rainer Kahni schreibt über Noël en France und das große Fressen.
Den Heiligen Abend kennen wir in Frankreich nicht! Es gibt einen Tag im Jahr, an dem die Christen Frankreichs ihr Weihnachten feiern, das ist der 25. Dezember.
Da der Staat Frankreich seit der Französischen Revolution ein durch und durch laizistisches Land ist, das im Laufe seiner Geschichte Menschen aus Kulturen aller Herren Länder aufgenommen hat, kennt es keine Religionen und keine Kirchen. Wir sind Franzosen. Punkt! Aus! Basta!
Am 26. Dezember wird wieder gearbeitet.
Religion ist Privatsache. Und so sind religiöse Feiertage eben auch Privatsache in diesem gottlosen Land. Weder christliche, muslemische noch jüdische Feiertage führen hier zu besonderen Verrenkungen im Fernsehen, bei den Ladenöffnungszeiten oder im Verhalten der Franzosen.
Am 26. Dezember wird wieder gearbeitet. Da wir auch kein Ladenschlussgesetz kennen, sind auch an Weihnachten die Restaurants, Discos und Geschäfte geöffnet. Kein Franzose lässt sich von einer Kirche vorschreiben, wann er zu feiern, wann er einzukaufen, wann er in die Disco zu gehen hat, was er im Fernsehen sehen will. Die Religionsgemeinschaften haben nicht den geringsten Einfluss auf das öffentliche Leben, auf das TV-Programm oder gar auf die Politik.
Heute an Weihnachten ist unter den französischen Christen “La grande bouffe” (Das große Fressen) angesagt. Die Großfamilien werden eingeladen oder laden sich einfach selbst ein. Es wird gut gegessen und noch mehr getrunken. Wenn dann noch die Sonne scheint und es 18° warm ist wie heute, dann findet das Spektakel im freien statt! Laut und fröhlich!
Wir sind ein gottloses Volk.
Wenn die Stühle für die ganze bucklige Verwandtschaft nicht ausreichen, werden sie bei den Nachbarn “ausgeliehen”. Und wenn dann alle blau und vollgefressen sind, werden die Stühle in den Pool geworfen.
Ja, ich gestehe es: Keine Kirche, keine Christmetten, kein Papst im Fernsehen, keine geheuchelte Bigotterie, keine Trauerstimmung – nichts ist uns heilig, denn wir sind ein gottloses Volk.
Und wenn dann la grande bouffe vorbei ist und die letzte Flasche Wein die Gurgel hinuntergespült wurde, dann schnappt man sich sein liebstes Haustier und macht ein Erinnerungsfoto! Das ist Weihnachten in Frankreich! Bonnes fêtes!
Foto: Gratisography – Creative Commons Zero (CC0)
Rainer Kahni wuchs am Bodensee auf und lebte viele Jahre in Paris. Er ist Autor von zahlreichen Romanen, Polit- und Justizthrillern. Seine Sachbücher, Romane und Kolumnen erreichen eine breite internationale Leserschaft. Er ist Mitglied von Reporters sans frontières, berichtete als Journalist aus Krisengebieten und veröffentlichte Reportagen und zeitgeschichtliche Dokumentationen. Rainer Kahni, auch bekannt als "Monsieur Rainer", lebt heute in Südfrankreich und publiziert immer wieder kritische Artikel zur Entwicklung der Demokratie und der Politik in Deutschland und Europa.