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Anti-Terrorismus-Richtlinie der EU: Das Einfallstor zum Überwachungsstaat?

Big Brother: Die neue Anti-Terrorismus-Richtlinie der EU macht ein Szenario aus totaler Kontrolle und Verfolgung möglich.

Die neue Anti-Terrorismus-Richtlinie der EU macht ein Szenario aus Kontrolle, Überwachung und Verfolgung möglich. Gerät bald jeder Bürger ins Fadenkreuz von Geheimdiensten und Polizei? Ein Beitrag von Christian Gielow und Co-Autor Horst Bernd.

Reisen Sie gerne in den Nahen Osten oder beteiligen Sie sich an Streiks oder Demonstrationen? Das sollten Sie sich gut überlegen. Denn durch unklare Definitionen in der neuen Anti-Terrorismus-Richtlinie der EU könnten theoretisch auch gegen Sie präventiv geheimdienstliche und polizeiliche Maßnahmen ergriffen werden.

Alarmierend ist die Eile mit der die Beratungen des EU-Parlamentsausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) vorangetrieben wurden. Dadurch blieben eklatante Ungenauigkeiten und Lücken in der neuen Anti-Terrorismus-Richtlinie bestehen. Im Zusammenspiel mit dem EU-Überwachungsprojekt INDECT wird die Richtlinie so zu einer Gefahr für die Demokratie.

Was verbirgt sich hinter der Richtlinie

Der LIBE-Ausschuss befasst sich seit Mai 2016 mit der Erstellung einer EU-Richtlinie zur Terrorabwehr, um gegen “terroristische Kämpfer aus Drittstaaten und auch innerhalb der EU vorgehen” zu können, wie es in einer Presseinformation von Cornelia Ernst, der netzpolitischen Sprecherin der Delegation DIE LINKE und Mitglied im Innenausschuss, heißt.

Die Richtlinie enthält zahlreiche schwammige Definitionen wie zum Beispiel über verdächtige “Reisen ins Ausland oder innerhalb der EU” und beinhaltet gleichzeitig eine Verschärfung der Rechtsfolgen solcher Reisen, aber auch zur Löschung von Inhalten im Internet und das grundsätzliche Blockieren von Webseiten.

Videoüberwachung und das Abhören und das Infiltrieren von Kommunikationsmitteln wie Mobilfunkgeräten und Computern mittels Staatstrojaner werden zwar nicht legalisiert, sind aber aufgrund der unklaren Definitionen zumindest stark vereinfacht.

Offen bleibt ebenfalls was “vorbereitende Handlungen” im Zusammenhang mit Terroranschlägen genau seien sollen, die als Straftatbestand gelten sollen. Die Verbreitung von Nachrichten, die Terrorismus glorifizieren, soll eine Strafbarkeit darstellen. Das ist nachvollziehbar. Doch was unter Glorifizierung verstanden wird, ist unklar.

Sinnvoll erscheint dagegen das Bestreben zu einer europaweiten Synchronisierung bei der Erfassung von Geldströmen, die der Finanzierung von Terrorismus dienen. Sie sollen schneller aufgespürt, überwacht und einfacher einzufrieren und auszutrocknen sein.

Keine klaren Begrifflichkeiten

Eine Erweiterung und Verschärfung der bisherigen Bestimmungen ist aber nicht notwendig. Die zur Abwehr von Terrorismus nötigen Werkzeuge liegen längst vor.

Cornelia Ernst schrieb beispielsweise über Auslandsreisen, die unter dem Verdacht stehen, terroristischen Motiven zu dienen, und die mit der Richtlinie nun unter Strafe gestellt werden sollen:

Das klingt auf den ersten Blick vielleicht vernünftig, doch braucht es diesen Straftatbestand de facto nicht, da die betreffende Person vor Antritt der Reise bereits auffällig geworden sein muss und wir das mit bisherigen Instrumenten auch hätten feststellen können. Eine potentielle Kriminalisierung bestimmter Reisen ist absolut nicht notwendig.

Ernst geht weiter in ihrer Kritik:

Ähnlich verhält es sich bei der Definition von “Terrorismus” und “radikalisierten Personen”: Es gibt keine trennscharfen Definitionen dieser Begriffe, im Gegenteil können die vagen Formulierungen auf jedwedes regierungskritische Verhalten innerhalb und außerhalb der EU umgedeutet werden, seien es kritische Proteste der Zivilgesellschaft, die Occupy Bewegung, Umstürze von Diktaturen oder schlicht die “radikale Linke” (radical left). Das widerspricht der EU-Grundrechtecharta, dem Recht auf Privatsphäre und dem Recht auf den Schutz personenbezogener Daten.

Die Dehnbarkeit der Formulierungen wurde vom LIBE-Ausschuss trotz berechtigter Einwände nicht korrigiert. Lücken haben weiterhin Bestand. Einige EU-Parlamentarier verließen daher aus Protest den Ausschuss.

Viel Spielraum für Missbrauch

Die vage Abfassung der Anti-Terror-Richtlinie öffnet dem Machtmissbrauch Tür und Tor, um kritischen Stimmen den Mund zu verbieten.

Das Vorgehen der rechtsgerichteten Regierung in Ungarn gegen unliebsame Medien und Journalisten hat bereits gezeigt, wie schnell Gesetze instrumentalisiert werden, um Opposition zu verhindern.

Nicht umsonst warnt Reporter ohne Grenzen in seinem Jahresbericht vor einer sich fortsetzenden und schon 2014 begonnenen “Erosion der europäischen Vorreiterrolle bei der Pressefreiheit”. Auch der Missbrauch von Gesetzen zur Terrorismusbekämpfung steht in der Kritik.

Gesetze gegen Terrorismus und Spionage wurden zur Einschränkung von Freiheitsrechten missbraucht, Gesetze zur massenhaften digitalen Überwachung verabschiedet.  Öffentliche sowie teils auch private Medien gerieten zunehmend unter Druck.

Schaut man sich den Skandal um die Lux Leaks an, kann man sich den Druck vorstellen. Ende 2014 wurden weit über 500 verbindliche Vorbescheide (Advance Tax Rulings) der Luxemburger Steuerbehörde öffentlich gemacht.

Die Lux Leaks belegten die Realisierung von Steuervermeidungsmodellen internationaler Konzerne, die ihre Steuer auf bis zu unter einem Prozent drückten. Was  passierte? In Luxemburg wurde gegen Enthüller und Whistleblower ein Strafverfahren eröffnet.

Kriminalisierung von Protest möglich

Die Rede von der Abwendung “wirtschaftlichen Schadens” oder zur Vorbeugung vermeintlicher Destabilisierung, die in den Richtlinien als Akt des Terrors beschrieben wird, lässt aufhorchen. Netzpolitik.org hat dies ebenfalls kritisch hinterfragt.

Streiks, die natürlich negative Auswirkungen auf die Wirtschaft haben, könnten demnach zu einem terrorähnlichen Akt erklärt werden, ohne das ein konkreter Tatbestand vorliegt. Dies steht im krassen Widerspruch zu einer demokratischen Kultur, zu der das Recht auf Protest und Streik gehört.

Schon nach dem Terroranschlag von Paris im November 2015, als Frankreich den Ausnahmezustand ausrief, kritisierte Patrice Spinosi, Anwalt der Liga der Menschenrechte, im Deutschlandfunk den Missbrauch von Notstandsgesetzen, die zu vage gehalten sind.

Dass es Auswüchse gibt, dass zum Beispiel in Streiksituationen die Gewerkschafter unter Hausarrest gestellt werden mit der Begründung: Gefahr für die öffentliche Ordnung, nur um die Streiks zu verhindern.

Der Ausnahmezustand wurde in Frankreich jüngst von Senat und Nationalversammlung bis Juli 2017 verlängert – zum fünften Mal.

Ein Fazit

Die Anti-Terrorismus-Richtlinie ist in ihrer jetzigen Version nicht geeignet als Gesetz in Kraft zu treten, und schon gar nicht, um die Demokratie zu schützen. Im Gegenteil: Sie ist unter Zeitdruck und unter Auslassung einer intensiven demokratischen Beratung zustande gekommen und lässt viel Spielraum für missbräuchliche Auslegungen.

Jan Philipp Albrecht, stellvertretender Vorsitzender des Innen- und Justizausschusses und innen- und justizpolitischer Sprecher der Grünen/EFA Fraktion im Europaparlament, schrieb dazu (Link: https://www.janalbrecht.eu/presse/pressemitteilungen/terrorismus.html):

Die Definition des Terrorismus ist zu weit gefasst und kann sogar Aktivitäten erfassen, die einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden anrichten können. Damit könnten selbst legitime politische Aktionen erfasst werden.

Durch ihre Schwammigkeit ist die Richtlinie also geeignet selbst Streiks und Demonstrationen wie gegen TTIP, CETA oder TISA zu kriminalisieren, Persönlichkeits- und Menschenrechte massiv einzuschränken und einzelne Personen unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung präventiv durch Geheimdienste und Polizei verfolgen zu lassen.

Damit wird die Glaubwürdigkeit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und des Rechtstaats erschüttert. Cornelia Ernst schrieb treffend:

Diese Richtlinie ist ein weiteres Puzzleteil auf dem Weg in Richtung eines Präventionsstaates, der die eigentliche Handlung nicht mehr voraussetzt, um eine Strafe auszusprechen.

Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen wie das Europäische Netzwerk gegen Rassismus, Human Rights Watch und die Internationale Juristenkommission halten die neue Richtlinie für mehr als problematisch.

Sie soll dennoch 2017 in ein Gesetz umgewandelt werden. Zur Abstimmung im Europaparlament über die EU-Terror-Richtlinie sind bisher offenbar keine parlamentarischen Beratungen vorgesehen.

Aufgaben für den Ausschuss

  • Es muss geprüft werden, ob geltendes Recht nicht bereits zur Terrorismusbekämpfung und – prävention genügt und dieses lediglich eine konsequente Anwendung finden muss.
  • Eine Folgenabschätzung ist vorzunehmen, um vor allem negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die persönliche Freiheit zu vermeiden.
  • Die Abgeordneten, die den Verhandlungstisch verlassen haben, sollen zurückzukehren, um sich vehement für die Beseitigung der Unschärfen in der Anti-Terrorismus-Richtlinie einzusetzen.
  • Es muss sichergestellt werden, dass die neue Richtlinie nicht als politische Waffe missbraucht werden kann, um gegen berechtigten Protest oder das Aufbegehren gegen Willkür vorzugehen.
  • Es es sicherzustellen, dass Grund- und Bürgerrechte nicht einer vermeintlichen Sicherheit geopfert werden, an deren Ende die Abschaffung selbiger Rechte steht. Damit hätten diejenigen gewonnen, die die freiheitlichen Werte und die westliche Lebensweise zerstören wollen.
  • Eine umfangreiche Beratung im Parlament und eine verbindliche Abstimmung sind zwingend, um die Glaubwürdigkeit der Demokratie nicht zu gefährden.
  • Wegen der Tragweite der Richtlinie, sollte die Einbeziehung der Menschen mittels Volksabstimmung zumindest besprochen werden.

Redaktioneller Hinweis: Der Bericht über den “Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI des Rates zur Terrorismusbekämpfung” ist hier abrufbar.


Foto: RiskPlayWin (pixabay.com) – Creative Commons CC0 (Bearbeitung: Christian Gielow) und privat (C. Gielow).

Grafikdesigner und Aktivist bei Homepage | Webseite

Christian Gielow ist Jahrgang 1974. Er lebt in Hamburg und arbeitet als selbstständiger Grafik-Designer. Christian Gielow setzt sich seit seiner Jugend lösungsorientiert mit Fragen der Politik und des Umweltschutzes auseinander. Er tritt für eine friedliche Welt ein, in der die Menschen gemeinsam die Vorteile der sozialen, politischen und technischen Errungenschaften nutzen. Die Ereignisse um den NSA-Skandal, die Spannungen zwischen der Europäischen Union und Russland sowie die Arbeitskämpfe in Frankreich und der zivilgesellschaftliche Widerstand der sozialen Bewegung Nuit Debout haben ihn motiviert, sich als Bürger öffentlich in die Politik einzumischen.

Bürgerjournalist

Horst Berndt ist Jahrgang 1955 und lebt in Berlin. Als Bürgerjournalist fühlt sich Horst Berndt dem Gemeinwohl und den Menschen verpflichtet und versucht in seinen Beiträgen dennoch eine möglichst neutrale Position einzunehmen. Ein Schwerpunkt seiner Berichterstattung liegt auf den EU-Richtlinien zur Terrorismusbekämpfung. Ehrenamtlich engagiert er sich in Berlin-Lichtenberg in der Flüchtlingshilfe. Er setzt sich für eine gerechtere Gesellschaft ein und wurde unter anderem inspiriert durch den Systemkritiker und Soziologen Jean Ziegler.

Eine Antwort auf „Anti-Terrorismus-Richtlinie der EU: Das Einfallstor zum Überwachungsstaat?“

Ich will erstmal bei Christian Gielow bedanken. Er hat mir schon Anfang Dezember Unterstützung gegeben, als die ganze Sache noch sehr unklar war. Die weitere Recherche hat uns dann dazu bewogen, dran zu bleiben.

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