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Europa taumelt und die Welt gerät aus den Fugen: Was ist jetzt zu tun?

Ein politischer Essay über die historisch gefährliche Lage der Welt und die Zukunftsperspektiven der Menschheit von Reinhard Paulsen.

“Mein lieber Yanis …” ist ein politischer Essay über die historisch gefährliche Lage der Welt und die Zukunftsperspektiven der Menschheit in Form eines Offenen Briefes an den Frontmann der Democracy in Europe Movement 2025 (DIEM25), den Ex-Finanzminister Griechenlands und Professor der Ökonomie Yanis Varoufakis.

DIEM25, diese “Democracy In Europe Movement 2025” wurde im Februar 2016 von einer Initiatorengruppe um den früheren griechischen Finanzminister und Wirtschaftsprofessor Yanis Varoufakis als vielversprechende, pan-europäische Demokratiebewegung ins Leben gerufen.

Yanis Varoufakis. Ehemaliger Finanzminister von Griechenland. Foto von Valerij Ledenev. flickr.com. CC BY-SA 2.0
Yanis Varoufakis ist Ex-Finanzminister von Griechenland und einer der wichtigsten Initiatoren der pan-europäischen Bewegung Democracy in Europe Movement 2025. (Foto: Valerij Ledenev, flickr.com, CC BY-SA 2.0)

Mit anfänglicher Bewunderung für Yanis aufrechten Stand gegen das EU-Establishment und Begeisterung für die Idee europaweiter Organisierung schloss ich mich wie viele andere an. Als ich mich allerdings eingehender mit den Grundlagen, der Strategie und den Zielen der Organisation beschäftigte, hat sich meine Begeisterung in Enttäuschung und Besorgnis verwandelt.

Wie die Vergangenheit zeigt, enden solche Ansätze leicht als politische Strohfeuer, wenn sich ihre politische Grundlinie als illusorisch erweist. Sie stagnieren zu unbedeutenden, unabhängigen, politischen Gruppen; oder endeten – und das ist dann wirklich tragisch – in erschreckenden sozialen Sackgassen.

Ich denke dabei an den Arabischen Frühling, die Orange Revolution in der Ukraine und auch an Syriza in Griechenland. Es führte deshalb kein Weg daran vorbei, die Grundlagen von DIEM25 auf den Prüfstand zu stellen, um sich nicht politisch zu verrennen.

Ich selbst bin eine Art Veteran der sozialen Auseinandersetzungen (Alter: 69), promovierter Historiker mit 35 Jahren praktischer und technischer Berufserfahrung in einem Großbetrieb und kann als solcher möglicherweise Substantielles zur heutigen Lage und den politischen Notwendigkeiten beitragen. Der vorliegende Artikel ist die Zusammenfassung des “Testberichtes” eines nun in Buchform vorliegenden “Essay über Linke Strategie”.

Staaten und Demokratie

Man kann die Regierungsform “Demokratie” nur im historischen Zusammenhang mit den zentralen Aufgaben von Staaten in den Klassenauseinandersetzungen verstehen. Der Amerikaner Noam Chomsky hat recht, wenn er klarstellt:

Es kann keine kapitalistische Demokratie geben!

Beides ist nicht miteinander vereinbar. Die größte historische Lüge kapitalistischer Nationalstaaten lautet: “Alle Macht geht vom Volke aus!” In Wahrheit “geht alle Macht vom Kapital aus!”

Alle westlichen repräsentativen Demokratien sind im Kern als parlamentarische Systeme getarnte plutokratische Oligarchien. Volksherrschaft, wirkliche Demokratie kann unmöglich längere Zeit unbehelligt existieren, weil man Kapital nicht durch Mehrheiten abwählen und so die Gesellschaft aus seinem Griff befreien kann.

Nationen und Nationalismus

Greve - Streik - Foto - Romerito Pontes - flickr.com - CC BY 2.0
Greve! Greve! Greve! (Foto: Romerito Pontes – flickr.com – CC BY 2.0)

Nationen sind aus ideologischen Gründen konstruierte Gebilde. Mit Hilfe der imaginierten Nation steckten traditionelle Kapitalgruppen die Grenzen ihres heimischen Marktes und die Reichweite ihres politischen und staatlichen Einflussbereiches ab.

Denken in Nationen und überheblicher Nationalismus entmündigen die Völker und machen die unteren Klassen zu Modelliermasse in den Händen der wirtschaftlichen und politischen Elite.

Der Mehrheit wird immer wieder ein engstirniges, kollektives, nationales „WIR“ eingeredet (WIR Briten, WIR Deutschen, WIR Franzosen, WIR Polen, Italiener, Spanier, Dänen, usw.).

Das verlogene nationalstaatliche “Wir” täuscht Einheit unter Gleichen vor. Es kann aber keine nationale Einheit zwischen kapitalistischen Arbeitgebern und den abhängigen Arbeitnehmern, zwischen Finanzeliten und der besitzlosen Bevölkerung, zwischen Überschüsse verprassenden Oberklassen und diese Werte erarbeitenden Arbeitnehmern geben.

“WIR” Arbeitenden aller Länder, “WIR” von den global operierenden Konzernbossen länderübergreifend ausgebeuteten Arbeitskräfte, “WIR” von der gleichen Atomlobby grenzüberschreitend bedrohten Bevölkerungen, “WIR” unter den Umwelt- und Klimaschädigungen einer kleinen Finanz- und Monopolbande und ihren Politlakaien leidenden Weltbevölkerung – WIR gehören zusammen und stehen unabhängig von Nation, Erdteil und Staat auf der gleichen Seite der Barrikaden.

Europäischer Kapitalismus in der Krise

Weit entfernt von solcher Realität propagiert Yanis Varoufakis ununterbrochen sein zentrales ökonomisches Ziel, “den europäischen Kapitalismus vor sich selber zu retten”. Kapitalismus zu stabilisieren und zu reparieren, ihn zu kontrollieren und zu regulieren.

Es ist eines dieser sattsam bekannten, gewöhnlichen, sozialdemokratischen Reformprogramme. Yanis Varoufakis, Stuart Holland und James K. Galbraith verkaufen ihr Grundsatzpaper “Bescheidener Vorschlag zur Lösung der Eurokrise” als ein Programm zur Stabilisierung des europäischen Kapitalismus.

Diese Vorschläge zur Staatsschuldenkrise, Bankenkrise und Investitionskrise entpuppen sich als eine typische professorale Politikberatung, als ein Patentrezept, das tatsächlich nichts und niemanden vor sich selber retten wird.

Strategie und Taktik von DIEM25

DIEM25 unterscheidet zwischen Sofortmaßnahmen, mittelfristigen Vorhaben und langfristigen Zielen:

Sofortige Forderung nach Transparenz in Brüssel, stabilisierende, ökonomische Antikrisenpolitik und eine europäische Verfassung, um Europa bis 2025 in eine voll ausgebildete Demokratie zu überführen.

In meinen Augen sind diese Pläne Kopfgeburten intellektueller Pläneschmieder ohne sinnvolle, realistische Ziele für die geplagten europäischen Völker. DIEM25 ist keine “Demokratie in Europa Bewegung”. Sie jagt dem Hirngespinst nach, Europa in einen durchdemokratisierten Kontinent bestehend aus kapitalistisch gesundeten souveränen Nationalstaaten zu überführen.

Eine “Demokratiebewegung zur Rettung des Kapitalismus und der Nationalstaaten in Europa” ist ein emanzipatorischer Fake, ist politische Hochstapelei. Man muss die Krisen, die politischen und ökonomischen Gefahren in Europa in viel größeren Zusammenhängen sehen.

Der Untergang des globalen Finanzkapitalismus

Wissenschaftliche Nachweise und eindringliche Warnungen wurden durch humanitäre, Kriegs- und Naturkatastrophen rund um den Globus bestätigt. Der Kapitalismus geht nicht langsam in die Knie, sondern erstickt geradezu an seiner eigenen unzügelbaren Dynamik.

Global operierende, monopolistische Weltkonzerne, finanzkapitalistische Netzwerke und weltweite IT-Monsterunternehmen haben ehemalige nationale Zugehörigkeiten abgeschüttelt oder haben sich von vornherein außerhalb und oberhalb von einzelstaatlichen Korsetts entfaltet.

Staaten verlieren mehr und mehr ihre Entscheidungsmacht. Sie sind historische Auslaufmodelle und werden von den neuen globalen Machtzentren instrumentalisiert und ausgehebelt, die nicht mehr zwischen einheimisch und ausländisch, zwischen nationalen “Wir’s” und “den Anderen” unterscheiden.

Es tobt bereits ein ökonomischer Weltkrieg im globalen Mächtespiel. Die Warlords aus Finanzen und Wirtschaft haben ausschließlich den Anstieg ihrer eigenen Zahlen und Bilanzen im Blick. Ihre Großmacht- und Hegemonialpolitik hinterlässt verbrannte Erde in Bezug auf die Welternährung, das Weltklima, die planetare Ökologie und Abermillionen von Kriegs-, Armuts- und Klimaflüchtlingen.

Sie werden auf diese Weise den endgültigen Kollaps der Weltwirtschaft herbeiführen und dabei den Zusammenbruch der planetaren ökologischen, humanitären, geologischen und klimatischen Systeme provozieren.

Sie werden durch die Logik des Wirtschaftssystems gezwungen, die Menschheit und ihre planetare Lebenswelt immer weiter an den Rand des Abgrundes zu lavieren – wenn die Völker der Welt ihnen nicht in den Arm fallen und sie und ihr perverses Wirtschaftssystem entmachten.

Eine Vision auf realistischer Grundlage

Die moderne westliche Zivilisation wird von zwei Säulen getragen: Erstens von Nationalstaaten und mit demokratischen Illusionen vermischtem Nationalismus; zweitens durch die absolute Geltung des Privateigentums mit uneingeschränkter Verfügungsgewalt über sämtliche Produktionsmittel und entsprechender Befehlsgewalt über die damit verbundenen Arbeitsplätze und die von diesen abhängigen Menschen.

Wir können nicht damit rechnen, den Zug der Weltfinanzen und des monopolistischen Kapitalismus in den Abgrund aufzuhalten, indem wir ihn – wie Varoufakis und DIEM25 – im Rahmen seiner inneren Spielregeln zu reparieren, reformieren oder stabilisieren suchen.

Wir müssen einen Gordischen Knoten zerschlagen, indem wir die nationalen “WIR’s” bekämpfen und an der Schaffung einer vereinigten Weltfront gegen einen weltweiten Finanzkapitalismus mitarbeiten.

Das Allerheiligste ihrer kapitalistischen Welt muss radikal außer Kraft gesetzt werden: das Recht, kraft eines rein juristisch garantierten Privatbesitzes zu herrschen und zu kommandieren.

Die alle Vorstellungen sprengende Schere zwischen Arm und Reich und das traurige Schicksal der meisten Völker ist nicht Gott gegeben, sondern das Ergebnis gesellschaftlicher, menschengemachter abänderbarer, kapitalistischer Machtstrukturen.

Einen Gordischen Knoten zu durchschlagen bedeutet, die weltweit zurückgehaltenen, vagabundierenden, ungeheuren Finanzmittel zu enteignen und sie zum Nutzen der Weltbevölkerung und für die Rettung des misshandelten Planeten Erde einzusetzen.

Alle, vor allem auch linke Politik, Bewegungen und Aktivitäten sind verpflichtet, immer diese zentrale Aufgabe vor Augen zu haben. Lassen wir uns nicht von einer winzigen, sich Besitz und Macht anmaßenden Minderheit in den Abgrund zerren.

Die strategischen Hauptziele in den G7 und G20 Staaten

Für uns in den Zentren des Weltkapitalismus stellen sich zwei strategische Hauptziele:

(1) In dem weltweiten Überlebenskampf, zu dem sich das laufende Jahrhundert zuspitzen wird, müssen wir vorrangig den sinn- und nutzlosen Überbau des Finanzkapitalismus bekämpfen. Unser Beitrag in den westlichen Ländern, unsere Richtschnur muss sein:

FINANZKAPITALISMUS UND FIATGELD ABSCHAFFEN!

(2) Wir schulden den Völkern der Welt eine weitere Hilfe. Wir können und müssen die Produktion und den Export von Waffen in jeden Winkel der Erde “unserer” herrschenden Klassen abschaffen und unmöglich machen. Die eigentlichen globalen Brandstifter und Kriegstreiber sitzen nämlich vor allem bei uns in den G7 Staaten:

DIE WAFFEN- UND KRIEGSINDUSTRIE ABSCHAFFEN!

Schlussbemerkung

Auf dem politischen Prüfstand ist DIEM25 bei allen Tests durchgefallen. Dieser kurze Artikel kann nur eine grobe Übersicht über das gesamte Fragen- und Diskussionsspektrum geben. Der ausführliche “Testbericht” liefert eine durchgehende und konsistente Argumentationslinie.


Buchcover Mein lieber Yanis ... Ein Essay über Linke Strategie. Autor Reinhard Paulsen.

Mein lieber Yanis … Ein Essay über Linke Strategie.
Und ein längerer Offener Brief an Yanis Varoufakis

Erschienen im Verlag tredition

Autor: Reinhard Paulsen
Seiten: 116
ISBN: 978-3-7345-8323-0 (e-book)
ISBN: 978-3-7345-8321-6 (Paperback)


Fotos: Romerito Pontes und Valerij Ledenev (beide flickr.com) – CC BY 2.0.

Historiker

Reinhard Paulsen studierte in den Jahren 1967-1974 Geschichte an der Universität in Kiel und schloss das Studium mit dem Grad eines Magister Artium ab. Danach verließ er das akademische Intellektuellenmilieu und absolvierte eine Schlosserlehre.

Reinhard Paulsen arbeitete als Betriebsschlosser in einer Aluminiumhütte und wechselte 1977 zu einem weltweit tätigen Konzern der Chemischen Industrie, in dem er 35 Jahre bis zu seinem Ruhestand 2012 angestellt war. Seine Arbeit umfasste Schlosser-, Techniker- und Ingenieursarbeit und Tätigkeiten in der Qualitätssicherung und im Reklamationswesen. In all diesen Jahren war Paulsen basisgewerkschaftlich engagiert: sei es als Vertrauensmann, als Betriebsrat oder in der gewerkschaftlichen Erwachsenenbildung, wobei er persönlich kritische Distanz zum Gewerkschaftsmanagement hielt.

2002 kehrte er nach 28 Jahren und parallel zu seiner beruflichen Tätigkeit an die Universität zurück. Er arbeitete ab 2006 an der Universität Hamburg (Fakultät für Geisteswissenschaften) an einem Promotionsprojekt zu hamburgischer und europäischer Schifffahrt im Mittelalter sowie deutscher Forschungsvergangenheit, das er 2014 mit dem Grad eines Dr. phil. in mittelalterlicher Geschichte abschloss. 2013 und 2014 nahm er Lehraufträge in mittelalterlicher Geschichte an der Universität Hamburg wahr.

Von Reinhard Paulsen

Reinhard Paulsen studierte in den Jahren 1967-1974 Geschichte an der Universität in Kiel und schloss das Studium mit dem Grad eines Magister Artium ab. Danach verließ er das akademische Intellektuellenmilieu und absolvierte eine Schlosserlehre.

Reinhard Paulsen arbeitete als Betriebsschlosser in einer Aluminiumhütte und wechselte 1977 zu einem weltweit tätigen Konzern der Chemischen Industrie, in dem er 35 Jahre bis zu seinem Ruhestand 2012 angestellt war. Seine Arbeit umfasste Schlosser-, Techniker- und Ingenieursarbeit und Tätigkeiten in der Qualitätssicherung und im Reklamationswesen. In all diesen Jahren war Paulsen basisgewerkschaftlich engagiert: sei es als Vertrauensmann, als Betriebsrat oder in der gewerkschaftlichen Erwachsenenbildung, wobei er persönlich kritische Distanz zum Gewerkschaftsmanagement hielt.

2002 kehrte er nach 28 Jahren und parallel zu seiner beruflichen Tätigkeit an die Universität zurück. Er arbeitete ab 2006 an der Universität Hamburg (Fakultät für Geisteswissenschaften) an einem Promotionsprojekt zu hamburgischer und europäischer Schifffahrt im Mittelalter sowie deutscher Forschungsvergangenheit, das er 2014 mit dem Grad eines Dr. phil. in mittelalterlicher Geschichte abschloss. 2013 und 2014 nahm er Lehraufträge in mittelalterlicher Geschichte an der Universität Hamburg wahr.

7 Antworten auf „Europa taumelt und die Welt gerät aus den Fugen: Was ist jetzt zu tun?“

“Der Kapitalismus geht nicht langsam in die Knie, sondern erstickt geradezu an seiner eigenen unzügelbaren Dynamik.”

Das muss aber eine seltsame abstrakte Entität sein, bei der Teil-Aspekte obsiegen – und zwar per definitonem gegen etwas, was nicht so sehr Kapitalismus ist – und diese Dynamik dann das unzügelbare System erstickt. Ist eher eine seltsame Projektion Linksbewegter, dass “der Kapitalismus” doch bitte die eigenen Schwächen annehmen solle, damit man sich mehr davor gruseln kann. Aber Interpassivität ist ein Bedürfnis, das bedient werden muss. Weitermachen!

Wenn ich mir als relativ unpolitischer Mensch das Agenda Setting in der politischen Blogosphäre anschaue, dann scheint jeden Tag Weltuntergang angesagt: Brennen, Tod, Verrat, Ende sind beliebte Vokabeln und abgesehen vom Erregungspotenzial, das ihnen innewohnt, meines Erachtens nach gute Indikatoren dafür, was die Autoren umtreibt: Auf geradezu kathartische Art und Weise scheint ein Übel in einem großen Anderen verortet zu werden, das man aufgrund der extremen Kontrastierung (Kinderfresser, Weltvernichter) nicht zu sein braucht, an dessen Alterität man aber beinahe zu genesen gewillt scheint.
Interpassivität ist eben dieses Delegieren von Wohl und Wehe auf etwas Anderes, das Verwechseln der Landkarte mit dem Gelände, das in den antikapitalistischen Diskurs so sehr verwoben ist, dass dem Adepten die Selbstverortung in einem großteils fiktiven intellektuellen Superraum anfangs schwerfällt. Später weiß er/sie freilich, dass “das System” versucht, geistiger und materieller Hegemon zu sein, weswegen der Rückgriff auf romantische und märchenhafte Narrative weniger Verteidigung als vielmehr Angriff ist.

Liebe/er pornoadorno,
Vielen Dank für deine Ausführungen, denen ich – ich gebe es zu – nur schwer folgen kann, denn du abstrahierst und verallgemeinerst in eine Sphäre hinein, in der ich mein Thema kaum mehr wiederfinde. Dieses Thema ist Europa, die politischen Vorschläge von Yannis Varoufakis, ‚Demokratie‘ und ‚Nation‘ als Ideologien zur Beherrschung der Völker, der Stand der ökonomische Entwicklung einer zerstörerischen Weltwirtschaft auf einem endlichen Planeten. Ich gebe zu, dass die Fragen relativ plakativ angesprochen worden sind, denn der Artikel versteht sich als ein Teaser für einen in Buchform vorliegenden „Ein Essay über LINKE STRATEGIE“ [bzw. die englische Fassung „An Essay on LEFT STRATEGY“ (zum Herunterladen unter „print“ in der oberen Registerleiste)]. Der Essay geht natürlich wesentlich detaillierter auf alle Fragen ein.
Ich versuche einmal Antworten auf Kritikpunkte, die ich deinen Kommentaren zu entnehmen meine. Zu deinem ersten Kommentar: das mit der „seltsam abstrakten Entität, bei der Teilaspekte per definitionem obsiegen“, sprich, die „nicht so sehr Kapitalismus seiende Dynamik“ über „das unzügelbare System“ obsiegt, und das als „eine seltsame Projektion Linksbewegter“, die etwas zum Gruseln brauchen: Tut mir leid, selbst nach dem zehnten Durchlesen verstehe ich das nicht.
Das System kapitalistischen Wirtschaftens lebt von Wachstum um jeden Preis, das aus Konkurrenzgründen den Prozess der Kapitalmaximierung beherrscht. Das ist nicht „Linksbewegtes“, sondern schlichtes ökonomisches Grundwissen. Dieser Wachstumszwang treibt z.B. zu einer immer hemmungsloseren Ausbeutung der endlichen Rohstoffe des Planeten. Dieser Zwang ist heute ganz offensichtlich weder durch Einsicht, Haushalten und gerechter Verteilung zu überwinden, ist nicht zu zügeln, denn jeder beteiligte Konzern muss vor allem seine Profite erhöhen. Man wird die Regenwälder abholzen, bis sie weg sind, die Erde fracken, bis alles verseucht ist, die Atomwirtschaft weitertreiben (selbst in Japan) und die Atomabfälle herumliegen lassen. Ich möchte bei dem Punkt an die Weissagung der Cree-Indianer erinnern:
„Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet Ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.“
Das ist „die unzügelbare Dynamik“ kapitalistischen Wirtschaftens, die heute auf der ganzen Linie an Grenzen stößt, an denen es heißt: Aufhören, anders wirtschaften oder unter- und kaputtgehen.
Und nun bitte ich dich, mir das k o n k r e t zu widerlegen und zu erklären, wie das so weitergehen kann auf der Welt. Bitte erkläre mir
k o n k r e t, in welcher Weise ich „umtreibende, beliebte Weltuntergangsvokabeln mit Erregungspotential“ verwende. Wir sind auch nicht bei der Beichte oder beim Ausleben von linken Psychoproblemen zwecks „Genesung“ („karthartisch“). Ich sehe auch nicht, wo ich mir einen „großenteils fiktiven intellektuellen Superraum“ zurechtbastele in dem ich dann „romantische und märchenhafte Narrative“ in einem „antikapitalistischen Diskurs“ von mir gebe.
Entschuldige bitte, aber bei mir kommt an, dass du, wenn auch abstrakt verklausuliert, ziemlich heftige Angriffe fährst, gegen die man sich kaum wehren kann, weil du nicht konkret und fassbar argumentierst, sondern Eindrücke, Vermutungen und, zumindest was mich betrifft, Unterstellungen heraushaust.
Ich glaube dir nicht, wenn du sagst, du seist ein „relativ unpolitischer Mensch“. Du bist sehr politisch, nur du argumentierst nicht real, konkret und politisch, und ich habe den Eindruck, du rückst mit deinen politischen Anschauungen nicht offen heraus, was ich sehr schade finde, denn du hast sicher Substantielles zu den alle Menschen heute umtreibenden Problemen beizutragen.
Reinhard

Nun hat aber das Kapital beschlossen, grenzenlos zu agieren und die politisch in Nationen verfassten Völker im Sinne dieses grenzenlosen Verwertungszwangs zuzurichten. Das heißt: alle kulturellen, ethnischen, religiösen und sonstigen Unterschiede werden eingeebnet zugunsten grenzenlos verwertbarer Kapitalien. Nationalstaatlich organisierte Gesellschaften setzen diesem Verwertungsfuror objektive Grenzen. Also: Entweder man spielt das große globale Spiel mit – dann muß die Nation als politische Verfassung aufgegeben werden, mit allen daraus resultieren schlimmen Konsequenzen und Verwerfungen. Oder man spielt das Spiel nicht mit und sagt: Nationen sind gut funktionierende Einheiten – denn sie sind eben nicht nur imaginäre und aus ideologischen Gründen konstruierte Gebilde, sondern vor jeder politischen Verfassung bereits existierende, sprachlich, kulturell und religiös geprägte und in dieser Prägung sich unterscheidende Räume. Nur so konnten Nationen entstehen, und nur so konnten sie ihre Differenzen ausbilden. Es kein Zufall, dass sich die angelsächsische, französische und deutsche Spielart des Kapitalismus einmal so grundsätzlich voneinander unterschieden haben, wovon uns der Rheinische Kapitalismus noch einmal ein spätes Beispiel gab, bis er (v.a. auf angelsächsische Banken-Initiative hin) qua Deregulierung und Promotion des globalen Finanzkapitals Anfang der 90er Jahre ad acta gelegt wurde. (Seltsamerweise mit kräftigster Unterstützung durch Sozialdemokraten und Grüne.)
Wenn Sie “den nutzlosen Überbau des Finanzkapitalismus bekämpfen wollen”, dann müßten Sie zuallererst verhindern, dass die letzten Grenzen fallen, dass Nationen sich auflösen und die Menschen dem Zugriff einer Wirtschaft ausgeliefert werden, für die Grenzen und Nationen nur Hindernisse im globalen Verwertungsprozess sind.

Staaten sind Konstruktionen, deren Grenzen sich aus purer Gewalt ableiten; mit Ausnahme eventuell einiger weniger Inselkulturen wie Island oder Japan, die ihre Isolation gepflegt haben und sich kulturell einweckten wie saure Gurken. Nationen sind durch die Sieger kriegerischer Handlungen bestimmt worden – soweit das Schwert eben reicht – oder es wurde schlicht behauptet, Landesteil XY oder Stadt ABC gehöre nun zu dieser oder jener Nation. Die Staatskonstruktionen in Afrika oder dem Nahen Osten sind dafür Paradebeispiele. Am deutlichsten wird dieser Umstand in den Grenzgebieten, wo Mehrsprachigkeit, kulturelle, religiöse, gesellschaftliche Überschneidungen usw. völlig normal sind. Die Grenze könnte von jetzt auf gleich verschoben werden, ohnen das es auffällt – außer auf der Landkarte. Gilt auch für Deutschland und z.B. das Grenzgebiet zu Dänemark. Genauso normal ist es, dass das Kapital keine nationalen Grenzen kennt, sondern sich dort verwertet, wo es am meisten Profit machen kann. Neu ist lediglich, dass die Nationen noch nicht einmal mehr dafür ein Hindernis darstellen, weil der organisatorische Überbau als Teil des Kapitals verstanden werden muss, der die Aufgabe erfüllt, dem Kapital eine freie Bahn zu ebnen, wie sich unschwer aus “Maßnahmen” wie der Privatisierung von Staatseigentum ablesen lässt. Dies ist ein Baustein des Marktfundamentalismus, in dessen Fahrwasser der Staat komplett entkernt wird und nur noch auf dem Papier existiert. Die Aufgabe, Völker, und hier insbesondere die arbeitende und konsumierende Bevölkerung, ohne die es keine Märkte und Profite geben kann, in Nationen “einzusperren” entfällt in Europa durch Personenfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit ohnehin.

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