Alle Spanier sind vor dem Gesetz gleich, steht in Artikel 14 der spanischen Verfassung. Wie weit Theorie und Praxis auseinanderliegen, zeigt der Fall Nóos. In Madrid gingen die Menschen auf die Straße und forderten eine unabhängige Justiz.
In Spanien fand vor wenigen Tagen der Fall Nóos, der für mehr öffentliche Aufmerksamkeit sorgte als es dem Königshaus und den Eliten des Landes lieb gewesen sein dürfte, mit der Urteilsverkündung sein verläufiges Ende. Zurück bleibt ein demokratisches Desaster.
Angeklagt waren unter anderem die Schwester des spanischen Königs Felipe VI., Cristina de Borbón und ihr Ehemann Iñaki Urdangarín. Es ging um Betrug, Veruntreuung und Steuervergehen in Millionenhöhe.
Der ehemalige Profihandballer Urdangarín, sein Geschäftspartner Diego Torres und weitere Mitangeklagte sollen mithilfe eines Firmengeflechts die vermeintlich gemeinnützige Stiftung Noós in eine Art private Einnahmequelle verwandelt haben. Öffentliche Gelder sind versickert, die Staatskasse wurde geschädigt.

Cristina de Borbón wurde vom Gericht in Palma de Mallorca vom Vorwurf der Beihilfe zum Steuerbetrug freigesprochen. Sie war Teilhaberin einer der involvierten Firmen, hat sich aber um die Geschäfte nie gekümmert. Trotzdem soll sie 265.000 Euro Strafe zahlen, weil sie von den Machenschaften ihres Mannes zumindest profitiert haben soll.
Dass sich ihr Bruder von ihr distanzierte und ihr den Titel Herzogin von Palma aberkannte, ist lediglich eine Randnotiz für Beobachter der High Society. Es geht um viel mehr. Es geht um das Vertrauen in die Justiz. Doch das scheint nun ebenso erschüttert, wie es die von Korruptionsskandalen durchzogene Politik ist.
Urdangarín, der im Fall Nóos als treibende Kraft gilt, wurde als Drahtzieher zu einer Haftstrafe von 6 Jahren und 3 Monaten verurteilt. Zusätzlich muss er eine Strafe von 512.000 Euro zahlen. Die Staatsanwaltschaft hatte 19 Jahre und sechs Monate Haft gefordert.
Urdangarín bleibt auf freiem Fuß
Normalerweise werden in Spanien Haftstrafen von über 5 Jahren aufgrund der Fluchtgefahr nicht zur Bewährung ausgesetzt. Bei Urdangarín wurde diese Regelung über Bord geworfen – er bleibt bis zum Berufungsverfahren auf freiem Fuß. Der Schwager des Königs muss auch keine Kaution hinterlegen. Er darf das Land verlassen und kann zu seiner Familie nach Genf reisen. Urdangarín muss sich lediglich in regelmäßigen Abständen bei den Behörden melden und darf Europa nicht verlassen.
Diese Bevorzugung führt den Artikel 14 der spanischen Verfassung ad absurdum. Darin heißt es:
Alle Spanier sind vor dem Gesetz gleich, und niemand darf wegen seiner Abstammung, seiner Rasse, seines Geschlechtes, seiner Religion, seiner Anschauungen oder jedweder anderer persönlicher oder sozialer Umstände benachteiligt oder bevorzugt werden.
Viele Spanier sind mit ihrer Geduld am Ende. Sie haben das Gefühl, dass die Justiz alles andere als unabhängig ist. Am Freitag versammelte sich auf einem zentralen Platz in Madrid zahlreiche Menschen und forderten neben Meinungsfreiheit auch eine unabhängige Justiz. Es dürfte nicht die letzte Protestkundgebung gewesen sein.
Stellvertretend für die negative Stimmung im Land steht ein Kommentar des bekannten Journalisten Iñaki Gabilondo. Er sagte in einem Beitrag auf dem YouTube Channel von Candena SER:
Endlich haben wir es geschafft! Man kann nun sagen, dass es uns gelungen ist, einen der Pfeiler, auf denen das demokratische Zusammenleben beruht, zerstört zu haben. Die Misstrauenserklärung an den Rechtsstaat. Nach langem Politisierens der Justiz, nach langem Justifizierens der Politik, nach langem Versuchens, die Organe der Richter zu übernehmen, um sie parteipolitisch zu besetzen, nach ständigem Anrufen des Verfassungsgerichts, um es so in eine dritte Kammer zu verwandeln, die es somit erlaubt, die Probleme zu lösen, die nicht in den anderen zwei Kammern gelöst wurden (Anm.: Parlament und Senat).
Nach langem Bejubelns nachteiliger Entscheidungen und Kritisierens vorteilhafter Entscheidungen und vielem mehr. Nach vielen Jahren des Insistierens ist es uns gelungen, dass das Vertrauen zerbrochen ist, dass die Annahme der Unparteilichkeit sich verflüchtigt hat und wir uns jetzt in einem Zustand befinden, in dem niemand weder der Justiz noch der Politik traut. Man kann sagen, dass der Zünder dafür der Fall Urdangarín gewesen ist.
Dieses Komplement ist, wenn man den Fall Urdangarín hinzuzieht, das Ergebnis einer langjährigen Erosion durch die Einflussnahme auf die Staatsanwälte. Für meinen Geschmack ein wahres demokratisches Desaster. Das Schlimmste aber ist, dass wir noch nicht am Endpunkt angelangt sind, wir können das Kapitel noch nicht schließen, weil wir noch den Fall Rato und Blesa und direkt danach den Fall Griñan und Chavez vor uns haben.
Egal wie die Fälle ausgehen, man wird den Fall Urdangarín immer als positives oder negatives Beispiel hinzuziehen, in jedem Fall wird man sie mit Misstrauen beäugen.
Mir erscheint es wie eine wahre Tragödie, aber es ist ein Ergebnis von vielen Jahren des Wahnsinns, der Blindheit und Parteilichkeit und letztendlich ein verdientes Ergebnis.
Wir haben es endlich geschafft.
Die von Iñaki Gabilondo genannten Fälle drehen sich ebenfalls um Korruption. Darin verstrickt sind die Ex-Banker Rodrigo Rato und Miguél Blesa. Die Verhandlung gegen Rato, der sich wegen Korruption, Geldwäsche, Bestechlichkeit und Steuerhinterziehung verantworten muss, ist besonders brisant.
Bei ihm handelt es sich um den ehemaligen Vizeministerpräsidenten Spaniens unter José María Aznar (PP/Volkspartei). Außerdem war Rato von 2004 bis 2007 Geschäftsführer des Internationalen Währungsfonds (IWF). Danach führte er zwischen 2010 und 2012 die Finanzgruppe Bankia.
Miguél Blesa, ehemaliger Chef der Caja Madrid (Landessparkasse), steht wegen Korruption und Dokumentenfälschung vor Gericht.
Wegen Korruption werden zudem zwei ehemalige Ministerpräsidenten der autonomen Region Andalusien angeklagt: Manuel Chaves und José Antonio Griñán. Beide sind Mitglieder der sozialistischen Arbeiterpartei PSOE.
Frank Feldmeier schrieb in der Mallorca Zeitung zum Prozessauftakt im Fall Nóos: “Der Prozess steht stellvertretend für die Abrechnung mit der politischen Korruption in Spanien.” Und die dürfte noch nicht einmal richtig begonnen haben.
Fotos: withquietintentions (Titelbild / flickr.com) – CC BY-NC 2.0 und Antonio Zugaldia (Iñaki Urdangarín via Wikipedia) – CC BY 2.0.
Seit 1967 lebt der im spanischen Granada geborene Bernardo Jairo Gomez Garcia in Deutschland. Sein Vater stammt aus Kolumbien, seine Mutter aus Spanien. Schon vor seinen Ausbildungen zum Trockenbaumonteur und Kfz-Lackierer entdeckte Gomez seine Leidenschaft für die Kunst. Er studierte an einer privaten Kunsthochschule Airbrushdesign und wechselte aus der Fabrikhalle ans Lehrerpult. Rund 14 Jahre war Gomez als Spanischlehrer in der Erwachsenenbildung tätig. Seine Interessen gelten der Politik, Geschichte, Literatur und Malerei. Für Neue Debatte schreibt Jairo Gomez über die politischen Entwicklungen in Spanien und Lateinamerika und wirft einen kritischen Blick auf die gesellschaftlichen Veränderungen in Deutschland und Europa.