Noah Krügl von “Unsere Zeitung” schreibt im sechsten und letzten Teil seiner Serie über die beliebteste Monarchie der Welt, wie die Fans den Fußballsport von der totalen Kommerzialisierung retten können. Es geht um die Strategien des Widerstands.
In den vergangenen Tagen durfte ich die Geschichte des Massenphänomens Fußballs und die ihn seit seiner Entstehung begleitende Fankultur ein wenig beleuchten. Von den ballesteren Wurzeln und Ursprüngen der Schausteller in China und dem rituellen Brauchtum in Lateinamerika, wo mittels Menschenopfer um die Gunst und das Wohlwollen der Gottheiten gebeten wurde, über die gewaltvollen und blutigen Volksfeste in Frankreich und England im Mittelalter hin zur Vereinnahmung des Sports durch die Bourgeoisie in den elitären Kreisen der privat finanzierten Public Schools im England des frühen 19. Jahrhunderts.
Ich versuchte aufzuzeigen, welche Einflüsse die Arbeiterbewegung und ihr Kampf für bessere Arbeitsbedingungen zur Zeit der industriellen Revolution auf den Fußball hatten, wie sich das Proletariat durch die Erkämpfung kürzerer Arbeitszeiten und die Organisierung von Werksmannschaften rund um die Minen Nordenglands oder die Manufakturen Londons den Fußball wieder aneignete, und ihn so zum “Proletensport” werden ließ.
Am Beispiel Österreich wurde vermittelt, wie sich die Gräben zwischen amateurhaftem Arbeitersport und bürgerlichem Professionalismus verschärften und welche Einflüsse diese Ideologien auf die Verbandsentwicklungen quer durch Europa hatten.
Welchen Einfluss Österreich mittels Hugo Meisl und der Etablierung des Mitropapokals auf die Internationalisierung des Profifußballs nahm und wie der Faschismus des 20. Jahrhunderts den Fußball zuerst als solidarisierendes Moment der Arbeiterklasse bekämpfte, um ihn später im Dienste der Kriegsdiplomatie für die nationalsozialistische Propaganda zu missbrauchen.
Es wurde beleuchtet, welche Entwicklungen der Fußball in den Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs der Nachkriegszeit nahm und welchen Einfluss die Arbeitskämpfe der autonomia-Bewegung in Italien oder die Privatisierung der staatlichen Industrie und der daraus resultierenden Massenarbeitslosigkeit in England zu Zeiten Margaret Thatchers auf den Fußball hatten.
An den Beispielen AFC Wimbledon und Austria Salzburg wurde aufgezeigt, wie profitorientierte Interessen von Konzernen oder einzelnen Apologeten des Kapitals die Seele des Fußballs – Identifikation und leidenschaftliche Freizeitgestaltung – zu ökonomisieren versuchen und wie sich der Widerstand von unten dagegen formieren kann.
Und letztlich wurde auch aufgezeigt, warum weder UEFA noch FIFA im Interesse des Fußballs, sondern der Gewinnmaximierung operieren und warum TV-Senderechte und All-Seater-Stadien nur auf den ersten Blick zum Wohlwollen der Fußballfans sind, diese Kommerzialisierung in weiterer Folge aber den Stimmungstod in den Stadien vorantreibt und sich so selbst einen Bärendienst erweist.
So sorgt die immer ausführlichere Berichterstattung im TV mit Zeitlupen, Wiederholungen und Rahmenprogramm dafür, den Fußball zwar immer ausgefeilter zu inszenieren, ihn aber letztlich zur immer sterileren und immer passiver wahrgenommenen Konsumware, frei von tatsächlicher Anteilnahme und Hingabe, verkommen zu lassen.
Demonstration der Macht
Infolgedessen hat sich auch der Diskurs hinsichtlich der Wahrnehmung von Fanaktivität verändert. Was früher als leidenschaftlicher Fanatismus galt, wird mittlerweile zum kriminellen Vandalismus degradiert; waren bengalische Feuer noch vor wenigen Jahren eine Bereicherung für das Stadionflair – wie sie es auch heute noch bei zahlreichen Veranstaltungen wie beispielsweise dem Skiweltcup sind –, gilt Pyrotechnik seit einigen Jahren als von den Verbänden “unerwünscht” und wird so im Umkehrschluss von den Fans als Zeichen des Widerstands gegen die Kommerzialisierung hochstilisiert.
Diese Diskursverschiebung ist vermutlich auch der immer steigenderen Law&Order-Dogmatik in der Gesellschaft geschuldet, anhand welcher die herrschende Klasse ihre Macht demonstriert und absichert.
Der Fußball reflektierte und reproduzierte zu jeder Zeit die ökonomischen Entwicklungen wie auch die gesellschaftlichen Machtverhältnisse der jeweiligen Epoche und gilt daher nicht von ungefähr als Spiegel der Gesellschaft.
Die herrschende Klasse versuchte seit jeher, den widerständigen, solidarisierenden und proletarischen Charakter, welcher spätestens seit dem 11. Jahrhundert das Wesen des Fußballs in Europa auszeichnet, zu bekämpfen oder ihn für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.
Auf dem Altar der Vermarktung
Wie sehr der Fußball mittlerweile im Interesse des Kapitals verhaftet ist, zeigt unter anderem der getroffene Beschluss der FIFA, hinkünftig auf die Torlinientechnik zu setzen.
Unter der Argumentation, Fußball solle in allen Ländern und allen Ligen weltweit absolut gleich gespielt werden können, sprach sich der Weltverband jahrzehntelang (zurecht) gegen jegliche Technologisierung im Fußball aus.
Fußball muss in der siebten österreichischen Liga gleich gespielt werden können wie in der Premier League, war dabei die berechtigte Direktive.
Da ein einziges Tor in manchen Bewerben aber mittlerweile über Millionensummen entscheiden kann, gab die FIFA den Bestrebungen der finanzkräftigsten Ligen nach und beschloss somit endgültig, dass die Interessen des Kapitals wichtiger zu sein scheinen als jene der Fußballvereine, die sich eine derartige Technik nicht leisten können oder wollen.
Diese werden somit de facto von einigen Bewerben ausgeschlossen oder zu einer Investition gezwungen, die den Fußball weder authentischer noch interessanter macht.
Geschichten und Legenden, die der Fußball schreibt und ihm eine Aura des Märchenhaften verleihen – wie beispielsweise der Wembley-Fluch – werden so auf dem Altar der kapitalistischen Vermarktung geopfert.
Zwei Gegenstrategien
Doch was sind die Gegenstrategien, die Fußballfans entwickeln können? Was können Menschen tun, die den Sport mit Leben, Enthusiasmus und Leidenschaft und nicht mit Kapital, Dividenden und Exklusivrechten ausfüllen?
Hier sind zwei Strategien möglich, wobei diese, den tatsächlichen Kräfteverhältnissen geschuldet, in ihrer Taktik zu unterscheiden sind.
Eine mögliche Strategie ist die Aneignung der Vereinsstrukturen.
Hierfür muss der Verein allerdings mitgliedsgetragen sein, was bei einem Verein der als Aktiengesellschaft firmiert schwierig bis unmöglich scheint.
Einflussnahme kann hier nur zu einem hohen Preis erkauft werden und kann daher nicht im Interesse der Fußballbegeisterten sein. Mitgliedsgetragene Vereine, die ein Mitspracherecht ermöglichen, gibt es zwar, der Einfluss auf die Vereinsführung beschränkt sich dabei aber meist auf Ratschläge und Wünsche, nicht aber auf die Entscheidungsfindung selbst.
Die Strategie der Aneignung funktioniert daher vorrangig bei kleineren Klubs aus den unteren Ligen, deren wichtigstes Kapital nicht Sponsoren- und TV-Verträge, sondern die Fans selbst sind.
Hier müssen Fans die Vereinsführung in die Pflicht nehmen, um leistbare Tickets, fanfreundliche Anstoßzeiten und dergleichen einzufordern.
Eine andere Strategie ist der Aufbau von Vereinen durch die Fans selbst.
Beispiele dafür gibt es zahlreiche: Austria Salzburg, Dynamo Wien, Roter Stern Leipzig u. v. m. Hierbei wird die Kommerzialisierung des Sports zwar nicht verhindert, im Rahmen des Möglichen aber umgangen.
Der Sport – und nicht dessen profitorientierte Vermarktung – steht hier im Vordergrund. Nicht das Ergebnis zählt – das Erlebnis zählt.
Diese selbstverwalteten Strukturen, die in einem antagonistischen Verhältnis zur Fußballindustrie stehen, gilt es zu unterstützen, sieht man Fußball vorrangig als das, was er ist:
- Ein Sport, der Begeisterung, Solidarität und Leidenschaft fördern soll und nicht den Interessen des Kapitals geopfert werden sollte.
- Ein Sport, den die Arbeiterklasse mehrmals gegenüber der Vereinnahmung der Herrschenden verteidigen musste.
- Ein Sport, der für jede und jeden zugänglich sein muss und nicht an eine gewisse Einkommensschicht gebunden ist.
- Ein Sport, der den Menschen Freud und Leid beschert. Ein Sport der Emotionen zulässt und diese nicht verbietet.
- Ein Sport, der eine kostengünstige Freizeitbeschäftigung bietet und nicht zum Schaulauf eines elitären “Who is Who” verkommt.
Oder um es in den Worten der Fans zu sagen: Football is for you and me – not for the fuckin’ industry! Für die Proletarisierung des Fußballs!
Hier geht es zum Intro der Serie von Noah Krügl.
Hier geht es zum ersten Teil der Serie: Fußball als Massenphänomen
Hier geht es zum zweiten Teil der Serie: Die Rolle Österreichs im internationalen Fußball
Hier geht es zum dritten Teil der Serie: Fußball in der Zeit des Faschismus
Hier geht es zum vierten Teil der Serie: Fußball, das Kapital und der Widerstand der Fans
Hier geht es zum fünften Teil der Serie: Ultras – Mehr als nur Fußballfans
Redaktioneller Hinweis: Teil 6 der Serie erschien erstmals auf Unsere Zeitung – Die Demokratische.
Foto: Tookapic (pexels.com) – Creative Commons Zero (CC0).
Noah Krügl ist politischer Aktivist, Fußballfan und Gründungsmitglied einer linken Ultragruppierung in Österreich. Er ist Autor von „Unsere Zeitung – Die Demokratische“, einem Kooperationspartner von Neue Debatte. Noah Krügl schreibt über Fußball, Politik und Fankultur.