Wie schön wäre eine Welt ohne Vorurteile. Doch so einfach ist das nicht. Der Mensch wäre handlungsunfähig und orientierungslos.
Der Begriff des “Vorurteils” ist erst einmal negativ konnotiert oder besetzt. Weiter ist einem Vorurteil inhärent, dass derjenige, der das Vorurteil hat, eine Sache oder einen Vorgang vor-ver-urteilt, also eine irreversible, statische negative Meinung darüber hat, anstatt sein Vorurteil als vorläufige Orientierungshilfe zu begreifen.
Denkt man genauer über den Begriff nach, kommt man zu anderen Ergebnissen. Denn wenn ein Vorurteil als ein vorläufiges Urteil begriffen werden kann, welches in einer weiteren Abwandlung des Begriffs zu “Bewertung” bezeichnet werden kann, stellt sich allmählich seine Unverzichtbarkeit heraus.
Denn ohne die einfachsten Bewertungen wäre der Mensch handlungsunfähig und orientierungslos.
Man kann auch sagen, der Mensch strukturiert sich die Welt durch Bewertungen und Kategorisierungen, um handlungsfähig zu sein und zu bleiben.
Einfachste Beispiele:
- Dies ist ein Tisch. Er hat die Funktion, dass man auf ihm etwas abstellen oder auch aufstellen kann.
- Dies ist ein Trinkgefäß. Es hat die Funktion, Flüssigkeiten zu fassen und zu halten, die ich meinem Körper zuführen kann.
- Dies ist ein Nahrungsmittel. Durch seinen Verzehr kann ich meinem Körper Energien zuführen, die er zum Leben braucht, es kulinarisch genießen, oder meine Gesundheit stärken.
Hiermit wird klar, dass wir Bewertungen als Handlungshintergründe benötigen, um uns in der Welt zurechtzufinden, sie zu strukturieren, ja, letztendlich, um zu überleben.
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Dr. Christian Ferch studierte Linguistik, Philosophie und Religionswissenschaft mit den Schwerpunkten Semantik, Kommunikationstheorie und Religionskritik. Er war Chefredakteur der Studentenzeitung „Die Spitze“ und schrieb seine Dissertation unter dem Titel „Elemente einer allgemeinen Kommunikationstheorie“ an der Freien Universität Berlin. Christian Ferch veröffentlicht zahlreiche philosophische Texte auf seiner Homepage. Im Podcast Philosophie Heros reflektiert er auf gesellschaftliche Aspekte aus dem Blickwinkel der Philosophie und der Kommunikation.