Gutes Leben von 7,50 Euro am Tag?! Nein, das ist Armut und die wird auch in Österreich nicht durch Statistiken, Mindestsicherung oder schöne Worte aus der Politik abgeschafft. Deshalb gehört nicht das Ertragen von Armut in die öffentliche Diskussion, sondern der Kampf zur Überwindung einer Gesellschaft, die Armut schafft.
In Österreich gibt es eine “goldene Regel”: Über Geld spricht man nicht, Geld hat man – oder eben auch nicht. Viel zu selten wird mit und über jene gesprochen, die zu wenig Geld zu Verfügung haben, um ein gutes Leben führen zu können.
Laut Statistik Austria waren im Jahr 2015 rund 18 Prozent der österreichischen Bevölkerung von Armut oder Ausgrenzung gefährdet, das sind über 1,5 Millionen Menschen.
Die Zahlen sind großteils bekannt. Die Schere zwischen Arm und Reich geht auseinander. Die reichsten 5 Prozent der Bevölkerung besitzen 45 Prozent des gesamten Bruttovermögens, Mittel- und Oberschicht teilen sich weitere 51 Prozent des Reichtums, während die gesamte untere Hälfte der Haushalte über lediglich 4 Prozent verfügt. Doch Zahlen sind geduldig, ihnen knurrt nicht der Magen und sie müssen deinen Kindern nicht erklären, warum für neue Kleidung einfach kein Geld da ist.
Was es bedeutet in Österreich arm oder armutsgefährdet zu sein, kann nur jemand nachvollziehen, den es tatsächlich betrifft. Kein Top-Manager, der am Tag mehr verdient, als andere im Monat, kein Minister mit über 17.000 Euro Gehalt, kein engagierter Politiker oder finanziell abgesicherter Journalist, auch wenn er sich noch so sehr in die Thematik eingelesen hat, kann begreifen wie es ist, Tag für Tag von den Krümeln leben zu müssen, die vom großen Kuchen abfallen.
Ein Monat von 7,50 Euro pro Tag – Eine Annährung
Um ein wenig zu verstehen, wie es jenen Menschen in Österreich geht, die mit dem Mindesten auskommen müssen, das ihnen das mittlerweile löchrig gewordene soziale Netz zur Verfügung stellt, habe ich mich entschlossen ab dem 1. Mai ein Monat von 7,50 Euro am Tag zu leben. Das ist ein Durchschnittswert und entspricht etwa so viel, wovon man abzüglich der Fixkosten (Wohnung, Strom, Telefon, …), bei Bezug von Mindestsicherung leben muss (vgl. Joachim Kovacs im März 2016).
In diesen 31 Tagen, in denen ich für Lebensmittel, Freizeit, Tabak und Dinge des persönlichen Bedarfs insgesamt nur 232,50 Euro ausgeben darf, werde ich nicht nur über meine Erfahrungen berichten, sondern es sollen in der Zeit vor allem jene zu Wort kommen, für die diese Situation nicht nur ein Monat bittere Realität ist.
Neben regelmäßigen Postings über den Selbstversuch auf meinem öffentlichen Facebook-Profil sollen parallel dazu auf Unsere Zeitung Interviews mit (ehemaligen) MindestsicherungsbezieherInnen und von Armut betroffenen Menschen sowie Hintergrundinformationen und Reportagen zum Thema erscheinen.
Regeln
In der Zeit von 1. bis 31. Mai werde ich weiter meiner Teilzeit-Arbeit in der Austria Presse Agentur nachgehen und meine 34-Quadratmeter-Wohnung beziehen.
Hinzu kommen ein paar Regeln für den Selbstversuch:
- Auch wenn es Freundinnen und Freunde gut mit mir meinen, werde ich im Mai maximal 1x pro Woche Einladungen zum Essen oder auf mehr als ein Getränk annehmen.
- Es ist nur erlaubt Lebensmittel oder sonstige Vergünstigungen anzunehmen, die auch einem größeren Kreis zur Verfügung stehen (Food-Sharing, Comida Popular, Gratis-Flohmärkte, etc.).
- Gestartet wird (morgen) mit dem, was ich derzeit in meinem Haushalt zur Verfügung habe. Zu Beginn der Aktion wird der Bestand dokumentiert.
Zigaretten dürfen geschnorrt werden. Da ich selbst jederzeit bereitwillig meine Rauchwaren anderen anbiete, nehme ich das auch für mich in Anspruch.
Ziel dieser Aktion ist es auf Armut und Reichtum in Österreich aufmerksam zu machen. Mir ist bewusst, dass ich auch nach diesem Selbstversuch nur annähernd verstehen werde können, was es bedeutet jahrelang von Mindestsicherung leben zu müssen.
Denn für mich ist es nicht sonderlich tragisch, wenn in diesem Monat meine Waschmaschine kaputt wird oder teurere Reparaturen anfallen, da ich das ja auf Juni verschieben kann. Mir wird es auch leichter fallen lediglich für ein Monat auf Konzerte, Fußballspiele oder Kinobesuche zu verzichten, während dies für viele ein Dauerzustand ist.
Armut abschaffen!
Ich maße mir nicht an, meine temporäre Situation auch nur ansatzweise mit der von tatsächlich Betroffenen zu vergleichen, aber ich will in diesem Monat ein Sprachrohr jener sein, die in Politik und Medien zu wenig gehört werden.
Und dafür nehme ich jede Kritik und Watschen für meine Aktion gern in Kauf (Feedback: michael.woegerer(at)gmail.com).
Zu guter Letzt geht es mir nicht darum Mitleid für arme Menschen einzufordern, sondern Perspektiven aufzuzeigen, wie wir Armut abschaffen können.
Der Selbstversuch, die Hintergrundartikel und Interviews sollen Mut machen. Nicht für das Ertragen von Armut, sondern für den Kampf zur Überwindung einer Gesellschaft, die Armut schafft.
Wien, Tag der Arbeitslosen (30.4.2017)
Foto: Screenshot / Unsere Zeitung
Michael Wögerer ist ein Journalist aus Wien. Er ist Mitbegründer und Redakteur von „Unsere Zeitung – Die Demokratische“, einem Kooperationspartner von Neue Debatte, war bei der Austria Presse Agentur und schreibt über Gewerkschaften, Soziales, Lateinamerika, Fußball und Liebe.
4 Antworten auf „31 Tage Mindestsicherung – Eine Annäherung“
mir fällt nix kluges zu diesem beitrag ein – ich bin in der ddr aufgewachsen und da gab es ein staatlich garantiertes recht für wohnung und arbeit und jede menge subventionen für gesellschaftliche teilhabe: grundnahrungsmittel (5 pfennig für ein brötchen) und kultur (50 pfennig für kinokarte, bezahlbare theatervostellungen und bücher), 100% kostenlose medizinische versorgung (auch brillen und medikamente) sowie flächendeckender öffentlicher nahverkehr (20 pfennig für eine fahrt) … und noch einiges mehr … aber dies alles hatte auch andere seiten, die allgemein bekannt sind … und doch habe ich dort freiwillig gelebt: in einer materiellen mangelgesellschaft mit der option auf den kampf für geistige und ethische werte, die mir höher erschienen – sowie der hoffnung, dass die “alten männer” in unserer regierung nicht ewig leben werden … dann kamen “gorbi” und der mauerfall … und die geistig-kulturelle armut, der militärische “reichtum” und die immer schrägere soziale schieflage, die bei vielen zum völligen absturz und zu zukunftslosigkeit (depression) führten …
mich hat eine relative bescheidenheit gerettet: wieviel hunger und krankheit in vielen (anderen!!!) ländern der welt: nein KEIN grund zur duldsamkeit für die armut im “reichsten land der welt” – aber das erkennen von anderen werten: zeit + geist ohne materiellen konsum und verstrickungen in kapitalistische “system-karrieeren” … also aus einer kritischen position heraus nicht NUR für geld-geld-geld zu kämpfen, sondern für voraussetzungen eines glücklichen lebens für alle.
doch solange “geld” der fetisch und der regierende göttergedanke ist, kann ich diesem weg nicht mitgehen … der ist mir zu ausgetreten und trifft nicht das wesentliche … es ist für mich ein irrweg, der irgendwann in eine sackgasse führt – doch ich möchte lieber ganz neue wege betreten … und die entscheidung dazu fängt im kopf an …
Liebe Marie, ganz im Gegenteil! Das ist ein ausgesprochen kluger Beitrag! Vielen Dank!
hier habe ich noch einen artikel gefunden, in dem der autor die politische forderung nach der 20-stunden-woche stellt. natürlich mit einem teilhabefähigen stundenlohn, der armut verhindert und gleichzeitig sehr humane sinnvolle argumente dafür liefert.
https://www.freitag.de/autoren/iden-wagner/recht-auf-faulheit#1493650229123965
Vielen Dank für den Hinweis auf den Artikel, der lesenswert ist und wichtige Punkte anspricht, in der Diskussion über die Veränderung der Arbeitswelt und der Gesellschaft. In dem Zusammenhang wird die Neue Debatte zeitnah die Frage nach der Verteilung der Wertschöpfung aufwerfen. Denn aus der Verteilung wird deutlich, warum die vom Autor kritisch angeführte “protestantische Arbeitsethik” nicht über Bord geworfen und die Muße als Laster verunglimpft wird.