Psychologie könnte ein Fach zur Erkenntnisgewinnung für jeden Menschen sein, findet Community-Autorin Marie, aber auf keinen Fall ein Mechanismus zur Meinungsherrschaft. Sie schreibt über die Inszenierung von Bildern und die Macht der Whistleblower.
Im März 2017 schrieb ich spontan einen Beitrag, weil ich mich freute, dass die von mir geschätzte Neue Gesellschaft für Psychologie sich zu einem Kongress versammelte.
Neben der Kunst ist die Psychologie ein Allgemeingut, dass meiner Meinung nach völlig zu unrecht von Politik und Medien wie ein Stiefkind behandelt wird, dem kaum Beachtung geschenkt wird.
Doch die Menschen, die genau dafür sensibilisiert sind, spüren dies genauso wie ein erschöpfter Mensch, der keinen Schlaf zur Erholung finden kann. Existenziell, auch wenn nicht materialisiert als Brot, Wasser, Wohnung und alle individuellen Basisanforderungen, die das Leben (nicht nur die pure Existenz des “überleben können”), das Lebensgefühl ausmachen.
Der Kongress fand unter der Überschrift “Gesellschaftliche Spaltungen – Erfahrung von Ungleichheit und Ungerechtigkeit” statt.
Video: Ken Jebsen im Gespräch über den Kongress “Gesellschaftliche Spaltungen – Erfahrung von Ungleichheit und Ungerechtigkeit” mit Prof. Klaus-Jürgen Bruder, dem Vorsitzenden der Neuen Gesellschaft für Psychologie. (Quelle: KenFM YouTube Channel)
Und da wird es wieder individuell: Die Erfahrungen, die sich in der Gesamtheit der einzelnen Menschen zu etwas Kollektiven zusammenruckeln und jedem seinen Platz geben – manche fast zerquetscht und einige komfortabel oben, doch mit der Gefahr des Absturzes bei zu heftigen Bewegungen …
Spannend wäre eine öffentliche Auswertung dieses Kongresses, doch die kenne ich noch nicht, deshalb bleiben bei mir vor allem Fragen offen:
- Wir sind Menschen (und keine Melonen auf einem Laster), die ihren Platz suchen oder gefunden haben, doch wie (freiwillig) geht dies vor sich?
- Wieweit können wir dabei unseren eigenen Impulsen (Talenten u. a.) folgen?
- Wo werden wir unbewusst zum Teil einer großen Inszenierung, die unsere Impulse (gegen unsere Interessen) steuert?
Die überzeugendere Interpretation
Beim Trauermarsch für die Opfer des Anschlags auf einen Supermarkt für koschere Waren und auf die französische Satirezeitung Charlie Hebdo,[1] an dem sich am 11. Januar 2015 in Paris 1,5 Millionen Menschen beteiligten und der angeblich angeführt wurde von Staats- und Regierungschefs, wurde dies ganz schnell offensichtlich.
Die Medien inszenierten sich gegenüber der Masse – mittels Fotoausschnitten – als Vertreter des angeblich Geschehenen und Politiker ließen sich mithilfe der Medien – und mittels Fotoausschnitten – als “Anführer” einer Massen-Protest-Bewegung für die Meinungsfreiheit inszenieren, noch bevor durch Beobachter des gesamten wirklichen Geschehens eine zweite Interpretation der gleichen Bilder ermöglicht wurde; denn meistens wissen wir ja nichts von dem, was uns als Reiz (durch die Medien) einseitig vorgesetzt wird, weil wir ja gar nicht vor Ort sein können …
Etwas verzögert verbreiteten sich in den sozialen Netzwerken Fotos, die zeigten, dass sich Spitzenpolitiker zwar in einer Seitenstraße offenbar zum Termin und wohl symbolisch versammelt hatten, aber eben nicht, um mit der Masse zu marschieren, und schon gar nicht an deren Spitze (siehe Link: https://twitter.com/borzou/status/554605138426736640/photo/1).
Jedoch bleibt jedem der Interpretationsspielraum, an dem die Haltung des reagierenden Menschen Rückschlüsse auf dessen Befindlichkeiten ermöglichen: Ein Punk wird eine Ratte als Kuscheltier ansehen, die “hysterische Hausfrau” das gleiche “Reizobjekt” als Monster …
Und es entsteht ein Kampf um die überzeugendere Interpretation, die jedoch nichts mit einem Kampf um die “Wahrheit” zu tun hat, so wie wir es bei 9/11 nun schon jahrelang verfolgen können, wie zum Beispiel bei den Spekulationen um den Einsturz des World Trade Center 7.[2]
Natürlich sind alle Autoren, die Interpretationen aufbereiten, Teil der Propaganda. Dabei ist es völlig egal, ob sie dem Mainstream angehören oder sich als Alternative dazu verstehen – sie lenken einen gesetzten Reiz (durch ihre zwischengeschaltete und individuelle Interpretation) in Reaktionen um beziehungsweise versuchen dies aktiv zu betreiben.
Die Whistleblower

Mögen sie es auch “Information” oder “Aufklärung” nennen – sie bedienen den Mechanismus der (Deutungs-)Macht, der nur zu unterlaufen ist, wenn man ihn erkennt und versteht, und sich wie Chelsea Manning oder Edward Snowden – wenn auch unter Lebensgefahr – nicht vor der Wahrheit auf die Flucht begibt.
Es ist dieses bestimmte Niveau an praktizierter Zivilcourage, von der einen Seite sprachlich herabgesetzt als Verräter, von der anderen erhöht als Aufklärer, durch den der psychologische Mißbrauch aufgedeckt und seine sich manifestierenden Schäden behoben werden.
Dem stehen jene gegenüber, die ihr psychologisches “Profiwissen” im kapitalistischen Sinne verwandelt haben. Die Psychologen und Wissenschaftler, die die Ethik über Bord warfen und sich dem pervertierten Kapitalismus verschrieben. Diejenigen, die in den vergangenen 20 bis 30 Jahren wahlweise für Geheimdienste, den militärisch-industriellen Komplex, die Werbeindustrie, für PR-Unternehmen, Regierungen und vor allem für eine neoliberal getriebene Globalisierung tätig gewesen sind oder noch sind, deren Götter sich Profit und Geld nennen.
Dabei sollte die Psychologie, die in alle Lehrpläne aufgenommen werden sollte, eben nicht ein Werkzeug sein zur Beherrschung der Meinungen und zur Meinungsherrschaft, sondern allen Menschen zur Meisterung des Lebens dienen – ein Allgemeingut eben.
Kritische Stimmen sind gefragt
Ziel des Interviews mit Prof. Klaus-Jürgen Bruder ist es auch, möglichst viele Menschen ohne psychologische Vorkenntnisse für den Kongress zu begeistern. Bildung ist der Schlüssel!
Psychologische Bildung ist gewissermaßen der “Universalschlüssel” und darf nicht weiter als elitäres Herrschaftswissen dienen. Wie dies jedoch zu erreichen ist, bleibt unklar.
Jedenfalls ist dieser Kongress ein Schritt in die richtige Richtung und lässt endlich wieder Psychologen und Psychiater, die sich kritisch äußern, zu Wort kommen.
Ich hoffe sehr, dass diese Worte die jüngere Generation erreichen werden und auch die vor Krieg geflüchteten Menschen, welche ja wahrhaftig die lebensbedrohenden Reize an eigener Haut erlebt haben und ihre lebensnahe Interpretation nicht für Rache, sondern für Aufklärung nutzen …
Der Vergleich entlarvt die Tendenz
Ich weiß nicht, ob der am 22. April auf Rubikon.news erschienene Artikel “Psychologische Kriegsvorbereitung” schon, als eine erste Auswertung des Kongresses zu lesen ist. Alarmierend ist er auf jeden Fall – als rückblickende Analyse auf die Entwicklung der letzten Jahrzehnte in Deutschland und der Beteiligung an Kriegen:
Seit 1999 befindet sich Deutschland im Krieg – allerdings ohne die Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung. Wie die Bevölkerung bearbeitet wird, um ihre Zustimmung zu gewinnen, können wir seitdem Schritt für Schritt beobachten, protokollieren. […] Es ist das alte Thema: den anderen, in diesem Fall die Bevölkerung, dazu zu bringen, was sie nicht von sich aus will. Und: nicht mit Gewalt – jedenfalls nicht mit sichtbarer Gewaltausübung. Man könnte dieses Projekt auch als das bezeichnen, was Marcuse (1967) “Produktion (neuer) Bedürfnisse” nannte.
Prof. Klaus-Jürgen Bruder geht sehr datailliert auf die Frage des Machens und die der Macht ein, die sich in letzter Konsequenz über den Willen der Menschen hinwegsetzt und diesen somit unterdrückt:
Macht kommt von „machen“ – diese parterre anmutende Behauptung einer Definition scheint hier ihre Gültigkeit zu belegen. Die „Macher“ der Machthandlungen setzen sich über den Willen der Bevölkerung hinweg. Sie machen einfach. Das gilt für jedes Projekt der letzten Zeit: wie der Stuttgarter Hauptbahnhof im Kleinen, der trotz und gegen alle Proteste und Expertenwidersprüche und Gutachten gebaut wird, so wird im Großen – unter der falschen Flagge des Freihandels das TTIP-Abkommen durchgewunken (werden). Der Protest 2015 war von der größten Demonstration seit Jahren getragen worden. […]
Prof. Bruder betont außerdem, dass nur der Vergleich die Tendenz entlarven kann. Er schreibt:
In jedem Zeigen liegt ein Verstecken: Zeigen bedeutet zugleich immer eine Auswahl, aber diese ist “tendenziös”, einer Tendenz folgend – man kann das nur erkennen, wenn man zwei Mediendarstellungen miteinander vergleicht – vorausgesetzt, sie sind unabhängig voneinander („Feindsender hören“ – das stand bei den Nazis unter Todesstrafe). […]
Und er beschreibt die semantische Enteignung der Perspektive und kommt in seinem Artikel zu der Bewertung, dass das Wort Verantwortung eine Umdeutung erfährt, und immer weniger mit der eigentlichen Wortbedeutung zu tun hat.
Tatsächliche Verantwortungsübernahme würde bedeuten, Ausbeutung und Ausraubung rückgängig zu machen und das zu Unrecht Angeeignete zurückzugeben, wo das noch geht. Diese Perspektive wird “entkontextualisiert” und “semantisch enteignet”, wodurch das Wort Verantwortung in seiner Bedeutung zunehmend in sein Gegenteil verkehrt wird.
Beenden möchte ich meinen Text mit einem Post von Glenn Greenwald[3] über den Whistleblower Edward Snowden, der alles auf den Punkt bringt, wenn eine Antwort gesucht wird – hier ist sie:
Meine größte Hoffnung und tatsächlich meine Überzeugung ist es, dass die beständigste Konsequenz der unglaublich tapferen und noblen Entscheidung und des gewissenhaften Handelns von Edward Snowden nicht unbedingt mit der Enthüllung der Geschichte selbst und nicht unbedingt mit den Dokumenten, die im Speziellen enthüllt wurden, zusammenhängt, sondern mit der Art und Weise, in der er uns lehrt, egal wie sehr man ohne Privilegien, Stellung und Macht dasteht, egal wie unbedeutend man zu sein glaubt, egal wie machtlos man sich im Angesicht von Ungerechtigkeiten fühlt, dass jedes Individuum in sich selbst die Macht trägt, sich sogar gegen die gewaltigsten Institutionen zu wehren.
(Quelle: www.actvism.org)

Quellen und Anmerkungen
[1] Der Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo fand am 7. Januar 2015 in Paris statt. Zwei maskierte Täter drangen in die Redaktionsräume der Zeitschrift ein und töteten elf Menschen. Weitere wurden verletzten. Die Täter töteten auf ihrer Flucht einen Polizisten. Zwei Tage nach dem Anschlag, am 9. Januar 2015, wurden die beiden Täter selbst von Sicherheitskräften erschossen. Beim Überfall auf einen Supermarkt für koschere Waren am 9, Januar 2015, tötete der Angreifer, der einen Tag vorher bereits eine Polizistin erschossen hatte, vier Menschen und nahm weitere als Geiseln. Die Polizei stürmte den Markt und tötete den Geiselnehmer. ↩
[2] Die Anschläge vom 11. September 2001, waren vier Flugzeugentführungen mit anschließenden Selbstmordattentaten auf militärische und zivile Gebäude in den USA. Diese Ereignisse werden verkürzt als 11. September, Nine-Eleven oder 9/11 bezeichnet. In New York City schlug Flug AA 11 in das World Trade Center 1 (Nordturm) ein und der Flug UA 175 in das WTC 2 (Südturm). Nach dem Einsturz der Wolkenkratzer wurde spekuliert, ob das beschädigte WTC 7 ebenfalls einstürzen würde. Eine Journalistin berichtete frühzeitig davon, dass das Gebäude 7 bereits eingestürzt sei, obwohl es zum Zeitpunkt der Berichterstattung noch stand und erst um 17:20 Uhr einstürzte. Die Welt schrieb später in einem Artikel über die Ereignisse, dass es sich um einen Versprecher gehandelt haben könnte, der eventuell darauf zurückzuführen sei, dass die Journalistin die Spekulationen über einen möglichen Einsturz “wahrscheinlich im Kopf” hatte, und sich deshalb “vor laufender Kamera versprach”. ↩
[3] Glenn Greenwald ist ein US-amerikanischer Journalist, Blogger, Schriftsteller und Rechtsanwalt. Er erlangte weltweite Bekanntheit, als er die vom Whistleblower und ehemaligen CIA-Mitarbeiter Edward Joseph Snowden im Jahr 2013 übermittelten Dokumente zum streng geheimen NSA-Überwachungsprogramm PRISM aufbereitete und diese im Juni 2013 zusammen mit einem Interview Snowdens in der britischen Tageszeitung “The Guardian” veröffentlichte. ↩
Fotos: Thierry Ehrmann (flickr.com) – CC BY 2.0; Edward Joseph Snowden (Aufnahme von Nordiske Mediedager (flickr.com) – CC BY-SA 2.0 und Titelfoto “Anything to say – Monument to courage” von Davide Dormino – CC BY-SA 4.0.
Community-Autorin Marie verknüpft schon seit ihrer Kindheit bis ins Heute all ihre Erlebnisse und Erfahrungen wie kluge Wegbegleiter für die Zukunftsgestaltung mit gegenwärtigen Ereignissen, zu einem Kompass, dessen Richtungsanzeige sie ab und zu veröffentlicht. Jeder "Navigator" mit Aufklärungsinteresse, bei der Suche nach dem "Wohin die Reise geht", ist dazu herzlich begrüßt an Bord, in dem Boot, in dem wir alle sitzen. Marie kommt aus Berlin und schreibt über Kunst, Kultur und reflektiert auf das Leben in der DDR.
3 Antworten auf „Über Psychologie, Interpretation und die Macht der Whistleblower“
eine aktuelle ergänzung zu meinem artikel:
“Was jedoch übersehen wird ist der Einsatz von WMD Massen-Verwirrungswaffen gegen die Öffentlichkeit des Westens. Die Desorientierung von kritischem Denken, Emotionen und moralischen Standards wird eingesetzt, um leichter einen öffentlichen Konsens für das kriminelle Unternehmen der westlichen Regierungen für einen Regimewechsel in Syrien herzustellen.
Direkt vor unseren Augen spielt sich ein bodenloses Schmierentheater ab. Eine Schmierenkomödie, in der die angeblich „moralischen“, gesetzestreuen“ und „demokratischen“ westlichen Regierungen gemeinsame Sache mit den bösartigsten Terrorgruppen machen und die bösartigsten Mittel aus Täuschung und Mord benutzen. Warum diese einfache und grelle Wahrheit in der westlichen Öffentlichkeit nicht breiter erkannt wird? Weil ihre eigenen Regierungen mit ihren pflichtbewussten Massenmedien, die sich als „Nachrichtensender“ ausgeben, Massen-Verwirrungswaffen einsetzen.”
https://www.theblogcat.de/übersetzungen/die-massen-verwirrungswaffen-des-westens/
ps: ich nehme mir die freiheit dieser psychologischen interpretation zu folgen, da sie mir – im gegensatz zu den völlig unaufgeklärten und widersprüchlichen darstellungen der ör-medienquellen – plausibel erscheint. natürlich kann jeder, der andere tatsachen behauptet, dies als unwiderlegbaren beweis vorlegen. solange dies jedoch nicht geschieht und sich alles im glaubens- und interpretationsbereich befindet, bin ich nicht bereit, meinen gesunden menschenverstand für glaubenswirrwarr zu opfern.