Wie lebt man mit Mindestsicherung in Österreich? Michael Wögerer (Unsere Zeitung) will mit seinem Selbstversuch auf die Situation von Menschen aufmerksam machen, die von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen oder bedroht sind. Er schreibt ein Tagebuch und berichtet auch von Begegnungen, die Mut machen.
Sich selbst einzugestehen, dass man für wichtige Dinge des Lebens (im Moment) kein Geld hat, ist vermutlich einer der schwersten Schritte für Menschen, die eine finanzielle Krise durchleben. Der zweite – vielleicht noch schwierigere Schritt – ist es, andere um Hilfe zu bitten.
Stefan erzählte mir heute davon, dass er sich vor rund zwei Jahren ebenso in einer prekären Lage befand. Als 25-Jähriger hatte er in einem Call-Center gearbeitet und weniger als 1.000 Euro verdient – ohne Aussicht darauf irgendwann mehr zu bekommen.
Nachdem er den Job gekündigt hatte, war er ein halbes Jahr arbeitslos und bekam rund 800 Euro im Monat. Nach drei Monaten Arbeitslosigkeit wurde ihm langsam klar, dass er mit diesem Geld nach Abzug der Fixkosten (500 Euro) kaum über die Runden kommt.
“Als ein guter Freund von meiner finanziellen Lage erfuhr, hat er mich auf ein Mittagessen am Naschmarkt eingeladen und mir nach dem Essen 400 Euro zugesteckt”, erzählt Stefan.
Seine Worte waren: “Lass dir Zeit! Sobald du wieder Oberwasser hast, lädst du mich mal zum Essen ein und über alles Andere reden wir, wenn es soweit ist.”
Heute verdient Stefan wieder ganz gut und hat seinem Freund das Geld längst zurückgezahlt. Er rät allen, die finanzielle Probleme haben:
“Nehmt Hilfe an! Lasst euch von eurem Umfeld unterstützen und pfeift auf das Ego. Wenn euch jemand helfen möchte, dann nur weil er oder sie das wirklich will. Es kann auch gut sein, dass diese Person einmal selbst in einer Situation war, wo er/sie die Hilfe seiner/ihrer Freunde gebraucht hat und es ihm/ihr ebenso schwer gefallen ist, diese anzunehmen. Außerdem ist niemand davor gefeit in eine finanzielle Notlage zu schlittern, selbst wenn man momentan einen guten Job hat, gut verdient und abgesichert ist.”
Die letzten Tage haben auch mir gezeigt, wie wichtig und schön es ist, ein soziales Netzwerk zu haben, das einen unterstützt.
Nach der Ankündigung meines Selbstversuches, meldeten sich viele Menschen, die mich auf die eine oder andere Form unterstützen wollen. Mir ist bewusst, dass das für viele, die sich in der realen Situation befinden, nicht der Fall ist und ich habe deshalb in den meisten Fällen abgelehnt.
Außerdem erlauben es meine Regeln, sich höchstens ein Mal pro Woche auf ein Essen und mehrere Getränke einladen zu lassen. Und trotzdem zeigt das Beispiel von Stefan auch, dass man sich nicht schämen sollte, Freunde zu fragen, ob sie einem helfen können. Es erfordert bestimmt Mut und ist oft unangenehm, aber niemand schafft sein Leben alleine.
Nachdem ich heute das tolle Frühstück im Nazim Hikmet Kultur Cafe – Wien genossen hatte, und dafür 8 Euro bezahlt hab, hätte ich mich alleine zu Hause verkriechen müssen. Doch Stefan hat das nicht zugelassen. Wir machten uns einen schönen Abend in meiner kleinen Wohnung, feierten den Sieg unseres SK Rapid Wien und sitzen in diesen Minuten noch beisammen und horchen Musik aus aller Welt.
Noch 25 Tage um 201,61 Euro.
Die bisherigen Tagesnotizen:
31 Tage Mindestsicherung – Eine Annäherung (30.4.)
Tag 1 – Kein Spiel! (1.5.)
Tag 2 – Konsumgesellschaft (2.5.)
Tag 3 – Öffentlichkeit schaffen! (3.5.)
Tag 4 – Lebensrealitäten (4.5.)
Tag 5 – Freundschaft (5.5.)
Fragen, Anmerkungen, Lob und Tadel sowie Feedback zur Aktion, können als Kommentar unter dem Beitrag geschrieben oder an seine E-Mail michael.woegerer(at)gmail.com gesendet werden.
Titelbild: Geralt; pixabay.com; Creative Commons CC0.
Michael Wögerer ist ein Journalist aus Wien. Er ist Mitbegründer und Redakteur von „Unsere Zeitung – Die Demokratische“, einem Kooperationspartner von Neue Debatte, war bei der Austria Presse Agentur und schreibt über Gewerkschaften, Soziales, Lateinamerika, Fußball und Liebe.