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Gesellschaft

Leben mit Mindestsicherung: Tag 23 – Helfen und reden

Michael Wögerer hat Alexander Mühlhauser getroffen, der das Sozial Café “Start Up – dein Start in ein neues Leben” gegründet hat. In ihrem Gespräch geht es um soziale Bindungen, die Würde des Menschen und Promis, die sich als Charity-Engerl aufspielen.

1. Mai, 10.30 Uhr, Hernalser Hauptstraße 116 – Gespannt betrete ich das “Sozial-Cafe” vom Verein START UP – Dein Start in ein neues Leben.

Draußen herrscht bereits geschäftiges Treiben. Kistenweise Lebensmittel werden aus einem weißen Transporter geladen.

Drinnen begrüßt mich Alexander Mühlhauser, Obmann des “Vereins zur Unterstützung hilfsbedürftiger Menschen”, den er vor rund 3 Jahren gegründet hat.

Nach seiner Scheidung inklusive Rosenkrieg musste sich Alexander damals selbst aus einem psychischen und finanziellen Tief herausholen. Gemeinsam mit Freunden begann er im Keller Lebensmittel zu sammeln, die anderswo im Müll gelandet wären und verteilte sie weiter.

Diese Idee sprach sich herum, der Verein wurde größer und bekannter bis schließlich im 17. Bezirk der Foodpoint – Dein Sozialmarkt eröffnet werden konnte.

Waren es anfangs 10 Spar-Filialen, wo abgelaufene Lebensmittel abgeholt wurden, gibt es mittlerweile ein Netzwerk von rund 150 Märkten (Hofer, Spar u.a.), wo die Lebensmittelrettung Österreich aktiv ist.

Sozial Cafe Michael Wögerer
Ein Menü um 2,50 Euro und täglich gratis Gebäck im “Sozial-Cafe” des Vereins Start Up (Foto: Michael Wögerer)

Abgelaufene, aber einwandfrei genießbare Waren mit höchstens 7 Tagen überfälligem Verfallsdatum werden von ehrenamtlichen MitarbeiterInnen sortiert und an die fast 6.000 Vereinsmitglieder für wenig oder gar kein Geld abgegeben.

“Jeder, der zu uns kommt, muss etwas beitragen”, erzählt mir Alexander. Entweder durch Mithilfe oder ein paar Cent für die Lebensmittel. Damit wird der Verein aufrechterhalten.

Mitgliedsbeiträge gibt es für jene, die ihre soziale Bedürftigkeit nachweisen können, keine. Wer will, kann den Verein mit Spenden unterstützen. Inzwischen gibt es eine Zweigstelle in Wiener Neustadt (NÖ) und einen mobilen Sozialmarkt, der künftig durch die großen Gemeindebauten tourt.

“Alle zusammen auf einen Tisch”, beschreibt Alexander den Grundgedanken des Vereins. Der Aufbau sozialer Bindungen und die Würde des Menschen steht im Mittelpunkt, egal aus welchen Gründen oder woher jemand kommt.

Im Gegensatz zu den strengen Regeln anderer Sozialmärkte in Wien, bei denen ausschließlich MindestsicherungsbezieherInnen einkaufen können, sind bei Start up alle Menschen mit geringem Einkommen oder in akuten Notsituationen berechtigt Mitglied zu werden.

Bei einem Tee um 1 Euro erzählt mir Alexander viel über seine Arbeit, allerlei Hindernisse, die er und sein Team zu überwinden hatten; über Promis, die sich zuerst als Charity-Engerl aufspielen und von denen man dann nichts mehr hört und sieht.

Er kritisiert auch, dass es unter den vielen karitativen Einrichtungen mehr Konkurrenz als Vernetzung gibt und unterstützt meine Idee, Informationen zu sammeln für Menschen, die mit wenig Geld in Wien auskommen müssen.

Für mein “Abschluss-Picknick” am Samstag am Südwind Straßenfest – 2017 will er mir ein paar Lebensmittel zur Verfügung stellen.

Die Zeit in Hernals vergeht wie im Flug. Ich fühle mich bereits wie ein Teil der Familie. Kurz vor 12 Uhr kommen die ersten Gäste und nehmen im Sozial-Cafe Platz. Die Menschen plaudern, niemand sitzt allein. Das Mittagsmenü um 2,50 Euro ist ein wichtiger, aber bestimmt nicht der einzige Grund, warum sich hier jedermensch wohlfühlt. Und für mich war es mit Sicherheit nicht das letzte Mal, dass ich hier hergekommen bin.

Für Tabak (6,70 Euro) und Lebensmittel (3,55 Euro) habe ich heute insgesamt 10,25 Euro ausgegeben. Für die restlichen 8 Tage bleiben mir 72,35 Euro.


Fragen, Anmerkungen, Lob und Tadel sowie Feedback zur Aktion, können als Kommentar unter dem Beitrag geschrieben oder an seine E-Mail michael.woegerer(at)gmail.com gesendet werden.


Die bisherigen Tagesnotizen:

31 Tage Mindestsicherung – Eine Annäherung (30.4.)

Tag 1 – Kein Spiel! (1.5.)

Tag 2 – Konsumgesellschaft (2.5.)

Tag 3 – Öffentlichkeit schaffen! (3.5.)

Tag 4 – Lebensrealitäten (4.5.)

Tag 5 – Freundschaft (5.5.)

Tag 6 – Netzwerke (6.5.)

Tag 7 – Kein Märchen (7.5.)

Tag 8 – Befreiung (8.5.)

Tag 9 – Nachhaltigkeit (9.5.)

Tag 10 – Durchatmen (10.5.)

Tag 11 – Lebenserwartung (11.5.)

Tag 12 – Exklusiv (12.5.)

Tag 13 – Soziale Hängematte (13.5.)

Tag 14 – Sigi, du fehlst! (14.5.)

Tag 15 – Halbzeit (15.5.)

Tag 16 – Beim Frisör (16.5.)

Tag 17 – Für Lisa (17.5.)

Tag 18 – Hunger auf Kultur (18.5.)

Tag 19 – Gratis-Essen für alle (19.5.)

Tag 20 – Wenn ich Sozialminister wäre (20.5.)

Tag 21 – Grundbedürfnisse (21.5.)

Tag 22 – Planung (22.5.)


Alle Fotos: Michael Wögerer (Unsere Zeitung).

Journalist bei Unsere Zeitung | Webseite

Michael Wögerer ist ein Journalist aus Wien. Er ist Mitbegründer und Redakteur von „Unsere Zeitung – Die Demokratische“, einem Kooperationspartner von Neue Debatte, war bei der Austria Presse Agentur und schreibt über Gewerkschaften, Soziales, Lateinamerika, Fußball und Liebe.

Von Michael Wögerer

Michael Wögerer ist ein Journalist aus Wien. Er ist Mitbegründer und Redakteur von „Unsere Zeitung – Die Demokratische“, einem Kooperationspartner von Neue Debatte, war bei der Austria Presse Agentur und schreibt über Gewerkschaften, Soziales, Lateinamerika, Fußball und Liebe.

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