Die Welt der Parteien im Bundestag wird bunter – Schwarz, Grün, verwaschen Rot, soft Rot und nach dem Wahlsonntag kommen Gelb und Blau dazu. Blau? Ja, Blau. Wäre an dieser Stelle von einem satten Braun die Rede, so wie es eben leicht über die Lippen und in die Tastatur geht, entstünde der Eindruck, die Politeliten der großen Koalition seien nicht mitverantwortlich für aufkeimenden Nationalismus, völkische Ideen und Rassismus.
Braun erhält man, wenn man die Farben Rot, Gelb und Blau miteinander verrührt. Und genau das wird gerade für die nächste Parlamentsperiode angemischt. Ein kräftiger Schuss Schwarz fällt da nicht mehr auf.
Alle staatstragenden Parteien sind also verantwortlich und suchen in Erwartung der blauen Invasion für ihr politisches Versagen nach Absolution.
Im Zweifel wird die Schuld den Nichtwählern in die Schuhe geschoben werden, die durch ihre Verweigerung der Gefolgschaft den Einzug der Rechten in die Parlamente nicht verhindert hätten. Oder eben dem Wetter, dem Fußball oder was gerade greifbar ist. So oder so: Selbstkritik findet nicht mehr statt.
Keine politischen Gegensätze
Quo vadis Deutschland? Nein, diese Frage stellt sich nicht. Der Weg steht fest: Weiter wie gehabt, nur noch viel schlimmer.
Westeuropa konnte sich über 70 Jahre auf drei Säulen stützen: Die Nationalstaaten, das politische Konstrukt der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie und das Wirtschaftsmodell des Kapitalismus. Damit ist es vorbei. Die Nationalstaaten sind skelettiert, die Demokratien verblassen – sie befinden sich im Verdauungstrakt von Wirtschaft und Kapital.
Die Ausrichtung der Parteien und vor allem ihr Handeln, und daran wird die Bundestagswahl 2017 nichts ändern, war und ist erschreckend eindimensional. Durch Blau wird es noch menschenverachtender und Gelb wird sich bemühen, die Gräben der sozialen Ungleichheit zu vertiefen. Aber auch das ist nicht neu, sondern folgt einem Trend.
Denn trotz aller angeblichen politischen Gegensätze besteht in einer Sache erstaunliche Einigkeit: Das Wirtschaftsmodell und die Eigentumsverhältnisse werden nicht infrage gestellt. So wird die Formel “Weiter so” zur verbindlichen Philosophie aller Parteien. Als gebe es eine unlösbare Verbindung zwischen Kapitalismus und der Repräsentativen Demokratie.
Ansätze für ein neues Gesellschaftsmodell, das eine Abkehr vom unbedingten Gewinnstreben, vom gnadenlosen Wettbewerb jeder gegen jeden und von der zerstörerischen Wachstumslogik um jeden Preis und auf Kosten anderer Länder und Völker beinhaltet, verhungern innerhalb der Parteistrukturen oder verschimmeln in den Ideenschränken der Kleinparteien und der parteiunabhängigen Direktkandidaten.
Brennt ein Thema fürchterlich unter den Nägeln der potentiellen Wählerschaft, wird es schnell irgendwo ins Kleingedruckte des Parteiprogramms gekritzelt. Der moderne Politdiscounter hat somit alle Geschmackssorten im Sortiment: Hier etwas mehr Rente, da etwas mehr Kindergeld, dort natürlich Öko, da etwas Bildung, hier etwas weniger Hartz-IV, da mehr Hartz-IV und dort drüben Abschiebung und Grenzsicherung. Wo ist die Systemfrage? Fehlanzeige.
Es existiert kein Wettbewerb um ein gesellschaftspolitisches System und somit haben die Wähler auch keine Wahl.
Kein gesellschaftlicher Gegenentwurf
Die politische Gleichmacherei lässt jene Kräfte erblühen, die den Menschen die Mogelpackung des Nationalismus und des verachtenswerten Rassismus unter die Nase reiben. Das kommt den Etablierten vor allem bei CDU/CSU und SPD nicht ungelegen. Sie können mit dem Finger nach rechts zeigen, anklagen und sind nun plötzlich alle irgendwie links: Die Blauen wirken wie ein Waschmittel.
Zwar hat jeder eine ungefähre Vorstellung, was rechts ist, was aber politisch links sein soll, dass ist in Wahrheit nicht mehr zu erkennen. Die Verantwortlichen des “Weiter so” in CDU und CSU, die angepassten Ja-Sager und Dauerreformer bei SPD und Grünen, die das bestehende Modell trotz katastrophaler Mängel nicht anzweifeln, suchen lediglich ihre Chance, um Verantwortung für die gesellschaftliche Erosion auf die Radikalen und Rassisten aus dem Bürgertum abzuwälzen, die die abgehängten Schichten eingefangen haben.
An diese Schichten kommen die Etablierten nicht mehr ran, weil sie sich für die Belange der Schlacke des Kapitalismus gar nicht interessieren.
Die Linke im Bundestag nimmt die Rolle der traurigen Gestalt ein. Sie klagt an, kritisiert berechtigt und steckt doch im Morast des Systems fest. Die Fassade einer antikapitalistischen Alternative wird nur mit Mühe und Not aufrechterhalten. Dabei hat sich die Linke lediglich die alten Lumpen der untergehenden Sozialdemokratie übergestreift.
Wenn eine kämpferische Sahra Wagenknecht auf dem Linken-Parteitag in Hannover in die Reihen ruft, “Die Linke kann dieses Land aufmischen.” hört sich das gut an – mehr auch nicht. Es fehlt der gesellschaftliche Gegenentwurf, der radikal vertreten wird.
Man klagt personalisierend mit starken Sprüchen die Unfähigkeit von Merkel und Co. an, wenn es darum geht, klarzumachen, dass diese Figuren ihren Auftrag von den wirklich Herrschenden gut erfüllt haben. Im Sinne des Kapitals sind sie fähige Verteidiger der Ruhe und Ordnung im Land und haben ihren Job erledigt – da kann Sahra Wagenknecht noch so wüten.
Aber radikal ist eben ein böses Wort und gefährdet Privilegien. Genau an diesem Punkt scheitert jede linke Strömung, die das Land politisch aufmischen will. Sie trauen sich nicht, die Dinge öffentlich auf den konsequent antikapitalistischen Punkt zu bringen, sondern passen sich reformistisch eiernd an, sind somit Teil der Alternativlosigkeit und als solche ein linkes Feigenblatt für das politisch-ökonomische System der besitzenden Eliten.
Neue Ideen sind tabu
Während es der Kapitalismus verstand – trotz beständiger Kritik an seinen zerstörerischen Kräften -, sich als alternativloses, modernes Wirtschaftsmodell zu etablieren und wie eine Ersatzreligion in alle Winkel der Gesellschaft einzudringen, diente ein politisch-gesellschaftlicher Überbau von Nationalstaat und bürgerlicher Demokratie dazu, das Volk vor den Karren seiner kapitalistischen Ausbeuter zu spannen, ihm jeglichen Widerstandswillen auszutreiben und alle wirklichen Alternativen zu radikalen Spintisierereien zu erklären.
Das Kapital mischte beim Wettkampf seiner Knechte stets mit. Es nutzte seine Erfahrungen aus zwei Weltkriegen, fixte die Repräsentanten der Völker mit lukrativen Posten und die Parteien mit Spenden an. Die Demokratie wurde mithilfe einer Armee aus Lobbyisten und willigen Karrieristen nach den Vorstellungen des Kapitals modelliert. Man schaffte es, dass die Bevölkerung die politischen Statthalter des Kapitals sogar selber wählt und das für Mitbestimmung hält.
Alle Parteien bieten an, die eine oder andere Kante zu glätten, hier und dort Schrauben anzuziehen und verrostete Scharniere mit der politischen Ölkanne zu behandeln. Die Idee, eine neue Maschine anzuschaffen, weil die alte für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht mehr taugt, diese Idee ist tabu.
Der Wähler, in seiner Lebenswelt gefangen in der Doppelfunktion des Produzenten und Konsumenten von Gütern und Dienstleistungen, kann wählen, was er will – das Ergebnis wird im Sinne des bestehenden Wirtschaftsmodells sein.
Bakschisch für alle
Der die Nationalstaaten Mitteleuropas beseelende Geist kultureller und zivilisatorischer Überlegenheit, ausgedrückt als narzisstischer und auf den Eigenvorteil bedachter Nationalismus, wurde durch die Installation des Sozialstaats mit Krümeln vom Reichtumsteller gefüttert und so an die Kette gelegt, immer bereit, den Feind, der vornehmlich im Osten ausgemacht wurde – die gelbe asiatische oder rote Gefahr, den Iwan, den verhassten Kommunismus – zu attackieren.
Hin und wieder muckten Arbeiterschaft und Jugend auf. In Deutschland protestierten sie gegen den Krieg in Vietnam, das Morden im Kongo, später gegen Atomkraft, die Stationierung von Mittelstreckenraketen, für bessere Bildung und bessere Löhne. Widerstand war selbstverständlich und wurde geduldet, solange sich der Radikalismus im Rahmen des Bestehenden abspielte und die Bevölkerung sozialistische Ideale als Spinnerei oder DDR-gesteuert abhakte.
Der linke Student aus gutem Hause fühlte sich wie ein Freiheitskämpfer und in Gewerkschaftskreisen wurde noch in nostalgischen Anwandlungen die Internationale angestimmt. Alle kannten noch ihren Marx und viele hatten sich am “Kapital” versucht. Viele stellten sich die tabuisierte Systemfrage und jeder fand Vorbilder überall in der Welt – von China, Vietnam, Kuba, Albanien und sogar der DDR.
Das kapitalistische System verabreichte als Gegenmittel das “Wirtschaftswunder”. In den Aufbaujahren nach dem Tabula rasa des Weltkrieges, in denen es logischerweise nur aufwärts gehen konnte, fiel für die Bevölkerung Konsum und gesellschaftlich toleriertes Bakschisch ab:
Der Dispo für den schnellen Einkauf und den Urlaub auf Malle, die billigen Verbraucherkredite für Auto, Fernseher und Waschmaschine, und die Kultur der Ratenzahlung.
Gewinnbeteiligung für leitende Angestellte in den Firmen, Erfolgs- und Leistungsprämien, Zuschläge für Akkordarbeit. Betriebsrenten gab es für die hart schuftenden Arbeiter in den Werkshallen.
BAföG wurde gewährt, der zweite und dritte Bildungsweg war möglich, überbetriebliche Ausbildungszentren entstanden, und Studium war trotz mieser Noten oder gleich ohne Abitur eine Option. Die Aussicht auf eine berufliche Karriere lockte Studienabbrecher hinter dem Ofen vor.
Den Günstlingen des organisatorischen und politischen Überbaus in den Parteien, Gewerkschaften und Verbänden winkten üppige Pensionen, Ehrensold, Ruhegelder und noch ruhigere Posten, und für den einen oder anderen war sogar ein schwarzer Koffer drin.
Arbeiter und Kapitalist als Einheit
Praktisch bis zum Untergang der UdSSR und dem Fall der Mauer 1989 wurde das trügerische Gefühl von Balance, Stabilität und Gleichheit vermittelt, obgleich schon die Mentalität einer Soldateska die moralischen Maßstäbe setzte: Jeder nahm mit, was er konnte.
Begleitet vom Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland und dem Zerfall des Warschauer Pakts als militärischen Gegenpol zur NATO, endete in Europa der ideologische, politische und wirtschaftliche “Kampf der Systeme”. Der westliche monopolistische Kapitalismus hatte gesiegt und brauchte nun keine ideologischen Rücksichten mehr nehmen und Skrupel vorzutäuschen – der gesamte Osten wurde ökonomisch eingenordet.
Nach der Wende erlebten die neuen Bundesländer den Einfall der kapitalistischen Heuschrecken – u.a. Versicherungsvertreter, Immobilienhaie und Investmentjäger – aus dem Westen, die alles an sich rissen, was nicht niet- und nagelfest war.
Sie drehten den Menschen unsinnige Versicherungen und wertlosen Ramsch gegen harte D-Mark an, und plünderten die ehemalige DDR aus. Sie suchten sich die Rosinen heraus und überließen die Reste der Ostbevölkerung, die alles, nur keine Kohl‘schen blühenden Landschaften bekam.
Die Gier des kleinen Mannes
Am 18. November 1996 kamen die T-Aktien der Telekom erstmals in den Handel. Gefeiert und angepriesen als Volksaktie – ein Investement für alle, auch für jene, die keine Ahnung von Aktien hatten. Eine unglaubliche Aktienbegeisterung wurde ausgelöst. Ein Goldrausch, der über Nacht Angestellte und Lohnarbeiter in Kapitalisten verwandelte.
Die Kurse explodierten. Die Gier des kleinen Mannes war geweckt: Dax-Werte, Neuer Markt, Grauer Markt, Zertifikate, Optionsscheine, langfristig Denken, kurzfristig Handeln. Call, Put, Stop-Loss … Zukunftswerte, gigantische Gewinne, schnelles Geld, noch mehr Geld und noch schnellerer Handel durch Daytrading. Der Trick funktionierte bei vielen Menschen, die ein wenig Geld gespart hatten.
Ölverschmierte Mechaniker studierten in ihrer Mittagspause Börsenkurse, Putzfrauen warfen mit dem Fachvokabular der Investmentbanker um sich, Handwerker wurden weltmännisch zu Aktionärsversammlungen eingeladen – weil sie auf einmal zu den Besitzenden gehörten.
Der einst aufmüpfige Arbeiter, der in den 70er und 80er Jahren noch mit wilden Streiks und Werksbesetzungen gegen seine Ausbeutung ankämpfte, wurde in den Betrieben durch Beteiligungsprämien und Belegschaftsaktien Kapitalist über sich selber. Er beutete sich quasi selbst aus, um mehr Dividende von sich selbst zu kassieren. Ein perverses Spiel.
Das Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 ließ dem Goldrausch die Tristesse folgen: viele Kleinanleger in den Industriestaaten verloren ihre Vermögen. Der Kapitalismus fuhr die Ernte ein.
Europa und die Zersetzung der Demokratie
Die europäische Idee wurde in dieser Phase weiter vorangetrieben. Das große Bestreben war aber nie ein gesellschaftlich und kulturell vereinigtes Europa. Es ging ausschließlich um Blockbildung im Schlepptau der USA gegen die anderen globalen Wirtschaftsblöcke, sowie den Aufbau eines europäischen Marktes, der ausschließlich wirtschaftlichen Interessen dient, was sich holzschnittartig an der Entstehungsgeschichte der EU nachzeichnen lässt:
Auf die Gründung der Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl 1951, der Montanunion, durch die die ersten Handelshemmnisse beseitigt wurden, folgte 1957 die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Die wurde am 1. November 1993 in Europäische Gemeinschaft umbenannt, die ihrerseits mit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon am 1. Dezember 2009 von der Europäischen Union abgelöst wurde.
Wirtschaft und Kapital konnten sich in diesem Biotop entfalten. Sie höhlten im Zusammenspiel mit der Globalisierung, die grenzenlose Märkte schuf und die Kooperation der Arbeiter und Angestellten in den Produktionsketten internationalisierte, die Nationalstaaten aus. Durch die Verzahnung mit der Politik, wurden dem Kapital alle Fluchttüren geöffnet – es kennt keine Grenzen mehr.
Es gibt kein Wir
Zurück blieben leere Hüllen, in der Europäischen Union notdürftig zusammengehalten von einer kaum belastbaren Membran aus überdimensionierter Bürokratie, einem Dschungel aus Gesetzen und Verordnungen und dem trägen und veralteten Apparat aus Gewerkschaften, Verbänden und Parteien, deren Repräsentanten sich offen gegen die Interessen der Völker stellen, um die Gelüste ihrer Klientel zu befriedigen, damit persönliche Previlegien gesichert werden.
Der Kitt, der einem gesellschaftlichen System Stabilität verleiht, ist aber weder in Euro, Cent oder durch Posten und Pöstchen auszudrücken, sondern nur über die Menschen, die in dem System leben und die durch übergeordnete gemeinsame Ziele, Werte und Normen verbunden sind. Aber da ist nichts.
Es ist weder ein nationales Wir auszumachen, noch ein europäisches Wir, selbst wenn diese fast täglich beschworen werden.
Der nötige Kurswechsel
Trotz einer meterdicken politischen Camouflage, die die Gleichheit der Menschen betont und die angebliche Beteiligung von jedermann an demokratischen Entscheidungsprozessen als Errungenschaft verkauft, obgleich es eben keine Entscheidungsoptionen gibt, weil das System nicht zur Debatte steht, lassen sich die sozialen Gegensätze und Gefahren nicht mehr verbergen: Dauerarbeitslosigkeit, Kinder- und Altersarmut, Obdachlosigkeit, Jugendarbeitslosigkeit, soziale Verwahrlosung, Zerstörung der Umwelt, Kriege usw. – das ist alles sozialer Sprengstoff, der seinen Ursprung im System selbst hat.
Die meisten Menschen haben bereits Erfahrungen gemacht, die diese Sicht bestätigen, oder durch Beobachtung ihres sozialen Umfelds gesammelt. Ob sich der einzelne Mensch der Tragweite bewusst ist, ist eine andere Frage.
Probleme der Gesellschaft unter den Teppich zu kehren, bedeutet aber eben nicht, keine Probleme zu haben, sondern sie aufzutürmen. Und jetzt wird gewählt? Nein, der Verwalter des bestehenden Konstrukts wird bestimmt und will von der Bevölkerung, die seit Jahrzehnten abgezocket wird, Legitimation.
Ausblick
Die politische Aufgabe der kommenden Jahre wird darin bestehen, eine außerparlamentarische Kraft wie beispielsweise die spanische Frente Civico (Zivile Front) in Deutschland zu positionieren, die die Notwendigkeit eines Systemwechsels nicht nur in der Öffentlichkeit hervorhebt, sondern ein konkretes gesellschaftspolitsches und ökonomisches Gegenmodell, dass den Anforderungen des 21. Jahrunderts gerecht wird, mit der Öffentlichkeit erarbeitet und anbietet – damit in der Demokratie jeder wirklich eine Wahl hat.
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Gunther Sosna studierte Psychologie, Soziologie und Sportwissenschaften in Kiel und Hamburg. Er war als Handballtrainer tätig, arbeitete dann als Journalist für Tageszeitungen und Magazine und später im Bereich Kommunikation und Werbung. Er lebte hauptsächlich im europäischen Ausland und war international in der Pressearbeit und im Marketing tätig. Sosna ist Initiator von Neue Debatte und weiterer Projekte aus den Bereichen Medien, Bildung, Diplomatie und Zukunftsfragen. Regelmäßig schreibt er über soziologische Themen, Militarisierung und gesellschaftlichen Wandel. Außerdem führt er Interviews mit Aktivisten, Politikern, Querdenkern und kreativen Köpfen aus allen Milieus und sozialen Schichten zu aktuellen Fragestellungen. Gunther Sosna ist Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens und tritt für die freie Potenzialentfaltung ein, die die Talente, Fähigkeiten und die Persönlichkeit des Menschen in den Mittelpunkt stellt, ohne sie den Zwängen der Verwertungsgesellschaft unterzuordnen. Im Umbau der Unternehmen zu gemeinnützigen und ausschließlich dem Gemeinwohl verpflichteten sowie genossenschaftlich und basisdemokratisch organisierten Betrieben sieht er einen Ausweg aus dem gesellschaftlichen Niedergang, der vorangetrieben wird durch eine auf privaten Profit ausgerichtete Wirtschaft, Überproduktion, Kapitalanhäufung und Bullshit Jobs, die keinerlei Sinn mehr haben.
3 Antworten auf „Quo vadis Deutschland? Die Frage stellt sich nicht!“
Unter der Oberfläche gärt es inzwischen auch in Deutschland, denn die Mehrheit der Menschen glaubt, dass das aus den Säulen Kapitalismus, Parteiendemokratie und Nationalstaaten gebildete System nicht mehr funktioniert. Dem System unserer Parteien ist eine grundlegende Reform nicht zuzutrauen. Auch die sog. Protestparteien (Linke, AfD) sehe ich als gefangen im Systemdenken einer überholten Welt. Das Dilemma ist, dass sich zur Denk- und Handlungsunfähigkeit unseres Parteiensystems, die Abhängigkeit vom Finanzkapitalismus addiert. Europa – ist in seiner gegenwärtigen Form kein Weg für Reformen. Es ist zentralistisch und bürokratisch und schlimmer noch im finanzkapitalistischen Lobbyismus gefangen. Die sogenannte Liberalisierung der Finanzmärkte und CETA, TTIP etc. kommen eben nicht zufällig.
Ohne eine politische Reformperspektive werden wir die überholten kapitalistischen Formen nicht überwinden können, sondern wahrscheinlich im Chaos oder Krieg zerfallen.
Allerdings sehe ich nicht, dass grundlegende Reform primär eine theoretische Aufgabe sind. Eine Bewegung des Protestieren und Demonstrierens ist es schon längst nicht. Reine Kritik am politischen System nutzt nichts mehr, weil dieses System in alten Vorstellungen gefangen ist. Die neue Welt kann nur mit der Kraft der Zivilgesellschaft geschaffen werden. Dabei muss die Entwicklung grundlegender Reformen Hand in Hand gehen mit der Öffnung von Freiräumen, um die zivilgesellschaftlichen Kräfte handlungsfähig zu machen. .
Für mich wird eine außerparlamentarische Kraft deshalb nur dann zur Reformperspektive, wenn sie bewusst die Macht- und Legitimationsfrage stellt. (dazu unser Konzept in: http://www.: verfassung-vom-volk.de). Wir schlagen dafür den Weg über eine Verfassung vom Volk vor. Auch wenn dieser Ansatz ‚nur‘ ein erster Schritt (ein Türöffner) ist, werden immerhin die Weichen gestellt, um einer zivilgesellschaftlichen Perspektive Räume zu öffnen. Allerdings – das gestehe ich gerne zu – müssen parallel zu diesem Schritt zivilgesellschaftliche Strukturen geschaffen werden, innerhalb derer sich Bürgermeinung zur politischen Kraft entfalten kann.
Heinz Kruse, (www.verfassung-vom-volk.org)
Vielen Dank für den Kommentar. Der Autor vertritt ja eine ähnliche Position, wenn er schreibt: “Die politische Aufgabe der kommenden Jahre wird darin bestehen, eine außerparlamentarische Kraft […] in Deutschland zu positionieren, […] ein konkretes gesellschaftspolitsches und ökonomisches Gegenmodell, dass den Anforderungen des 21. Jahrunderts gerecht wird, mit der Öffentlichkeit erarbeitet und anbietet […]. Damit ist die Machtfrage unmittel gestellt, die den Weg einer “Verfassung vom Volk” nicht ausschließt, sondern zwingend beinhaltet. Könnten Sie ihre Konzeption ausführlich vorstellen bzw. schreiben Sie uns (https://neue-debatte.com/kontakt/) bitte, wenn Sie dies auf Neue Debatte möchten. Es lohnt sich sicher, dies in die öffentliche Diskussion zu tragen.
Gedanken- und Meinungsaustausch ist die Grundlage dafür, Notwendiges zu erkennen und das Mögliche zu finden, um den zielorientierten Weg vom Heute in ein besseres Morgen gehen zu können.
Der Kapitalismus mit seiner neoliberalen Ideologie wird abgeschafft, wenn die Obrigkeit nicht mehr so weitermachen kann wie bisher und die Unterdrückten nicht mehr so weiter machen wollen. Dazu muss es aber erst kommen, jegliches hat seine Zeit. Veränderungen in den gesellschaftlichen Verhältnissen lassen sich nicht willkürlich herbeiführen. Der Wille aufzubegehren entsteht per se.
Gegenwärtig ist die kapitalistische Wirtschaftsweise zwar im Verfall, aber noch nicht am Ende der Fahnenstange angelangt und die Machthaber agieren mit einem umfangreichen Potenzial von Machtinstrumenten. Damit die notwendigen Veränderungen letztendlich von den Unterdrückten erfolgreich durchgesetzt werden können, ist es wichtig, dass es Vorstellungen gibt, wie warum was verbessert werden muss und mit welchen Zielstellungen die Veränderungen erreicht werden können. Damit dafür eine erfolgreiche Strategie und die jeweilige Taktik erarbeitet werden kann, muss zunächst debattiert werden.
Wer sich heute auf den Weg in ein besseres Morgen begeben will, muss aus dem Gestern lernen und beginnen nach dem Notwendigen und dem jeweils Möglichen suchen, um zielorientiert dort anzukommen.
Es hängt vom Charakter der Gesellschaft ab, ob sich die Menschheit in Richtung sozialer Gerechtigkeit und zur Gestaltung harmonischer Wechselbeziehungen zwischen den ökologischen und wirtschaftlichen Kreisläufen bewegt, oder ob sie sich auf den Weg der Selbstzerstörung ihres Daseins und zum Untergang des Ökosystems Erde gemacht hat. Wie auch in der Frage Krieg oder Frieden ist der Umbruch offen für positiven oder negativen Wandel. Der Kapitalismus mit seiner neoliberalen Ideologie wird abgeschafft, wenn die Obrigkeit nicht mehr so weitermachen kann wie bisher und die Unterdrückten nicht mehr so weiter machen wollen. Dazu muss es aber erst kommen, jegliches hat seine Zeit. Damit die notwendigen Veränderungen letztendlich von den Unterdrückten erfolgreich durchgesetzt werden können, ist es wichtig, dass es Vorstellungen gibt, wie und warum denn was verbessert werden muss und mit welchen Zielstellungen die Veränderungen erreicht werden können. Damit dafür eine erfolgreiche Strategie und die jeweilige Taktik erarbeitet werden kann muss zunächst debattiert werden.