Dass die Zentralregierung in Madrid, die Spanien in seiner Gesamtheit als Nation erhalten will, als auch die Autonomieregierung in Katalonien, die die Unabhängigkeit von Spanien anstrebt, auf ihren Standpunkten beharren und sich gegenseitig die Verantwortung für die Geschehnisse am 1. Oktober zuschieben, bei denen durch Polizeigewalt weit über 800 Menschen teilweise schwer verletzt wurden, war zu erwarten.
Doch die Regierungserklärung von Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy und die Ansprache des spanischen Königs Felipe VI an die Nation zeigen, dass die Fronten im Katalonien-Konflikt nicht nur politisch verhärtet sind, sondern die rücksichtlose Gewalt des Staates gegen friedliche Menschen verkauft werden soll als legitimes Mittel einer Demokratie.
Felipe, seit Juni 2014 König von Spanien, fand in seiner Ansprache keine vermittelnden Worte, sondern beschränkte sich auf einseitige Anschuldigungen gegen die Regierung in Katalonien. Sie würde die Einheit Spaniens gefährden. Trost für die Opfer der exzessiven Polizeigewalt oder gar Ansätze, um eine Versöhnung einzuleiten, dafür fand Felipe keine staatsmännischen Sätze.
Der Monarch äußerte sich also nicht unparteiisch, sondern schlug ähnliche Töne an wie schon zuvor Mariano Rajoy. Der hatte nicht nur gesagt, dass ein Referendum in Katalonien nicht stattgefunden hätte, sondern dankte der Polizei, die die Öffnung der Wahllokale und somit das Unabhängigkeitsreferendum unterbinden sollte, für ihren Einsatz. Der war gegen Menschen mit Wahlzetteln und Nelken in den Händen geführt worden mit Gummiknüppeln und Gummigeschossen.
Aber das könnte erst die Spitze des Eisbergs gewesen sein, sofern Katalonien seine Unabhängigkeitsbestrebungen nicht aufgibt, da Artikel 155 der spanischen Verfassung auch den Einsatz des Militärs erlaubt. Mindestens aber könnte die Autonomie von Katalonien außer Kraft gesetzt werden.
In der Verfassung steht:
Art. 155. (1) Wenn eine Autonome Gemeinschaft die ihr von der Verfassung oder anderen Gesetzen auferlegten Verpflichtungen nicht erfüllt oder so handelt, daß ihr Verhalten einen schweren Verstoß gegen die allgemeinen Interessen Spaniens darstellt, so kann die Regierung nach vorheriger Aufforderung an den Präsidenten der Autonomen Gemeinschaft und, im Falle von deren Nichtbefolgung, mit der Billigung der absoluten Mehrheit des Senats die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die Gemeinschaft zur zwangsweisen Erfüllung dieser Verpflichtungen anzuhalten oder um das erwähnte Interesse der Allgemeinheit zu schützen.
(2) Zur Durchführung der in Absatz 1 vorgesehenen Maßnahmen kann die Regierung allen Behörden der Autonomen Gemeinschaften Weisungen erteilen.
Die Haltung von König Felipe, aber insbesondere der Versuch von Mariano Rajoy die staatliche Gewalt gegen friedliche Menschen rechtlich zu begründen und somit moralisch heiligzusprechen, zeigt, wie weit sich die Regierenden von den Bürgern entfernt haben. Sie spielen in den Überlegungen der Mächtigen nur noch eine Nebenrolle.
Das erkennt auch Ada Colau. Die Bürgermeisterin Barcelonas will die Demokratie retten. Sie wendete sich über die sozialen Netzwerke an die Menschen innerhalb und außerhalb Kataloniens.
Post von Ada Colau auf Facebook:
Die Regierung der PP beharrt auf ihrer große Lüge, sie leugnen weiter, was für die internationale Presse und für jeden, der die Bilder am 1. Oktober der polizeilichen Eingriffe in Katalonien gesehen hat, offensichtlich ist. Es gab Gewalt, Brutalität und Wut.
Seit langem zeichnet die spanische Rechte ein falsches Bild von dem, was in Katalonien passiert. Man spricht von Totalitarismus, von zerstörtem Zusammenleben, von einer verängstigten Bevölkerung durch gewalttätige „Separatisten“.
Nicht einmal die Worte, die gebraucht werden, sind neutral. „Aufrührer“, „Separatisten“, sind keine beschreibenden Begriffe, sondern mit einer imaginären Perversion geladen. Man beginnt damit den anderen mittels Worte zu entmenschlichen und endet mit dem Befehl alte Frauen an Schuleingängen niederzuknüppeln. Das wird dann als „professionell“ und „verhältnismäßig“ und „Schutz der Demokratie“ bezeichnet.
Wenn es zwei so unterschiedliche Versionen gibt, um die Realität zu erklären, dann ist es das Beste, die Geschehnisse zu analysieren.
Es ist ein Fakt, dass es am 1. Oktober 844 verletzte Personen gab, eine von ihnen hat ihr Auge verloren … verhältnismäßig? Was steht im Verhältnis zu einem Auge? Alte Frauen an den Haaren zu ziehen? Die Angst die Kinder empfinden, wenn sie ihre demolierten Schulen sehen?
Ich bin keine Anhängerin der Unabhängigkeit, ich teile nicht den einseitigen Weg. Ich habe es oft gesagt und wiederhole es. Ich stehe der Regierung von Puigdemont sehr kritisch gegenüber und es gefällt mir nicht, wie man die Dinge angefasst hat. Es gibt aber etwas, das über unseren unterschiedlichen Meinungen steht und das uns alle einen sollte die Rechte, Freiheiten und die Demokratie zu verteidigen: Die Anwendung von Staatsgewalt gegen eine friedliche Bevölkerung ist unzulässig.
Heute hat der Regierungssprecher die Katalanen die gegen die Polizeigewalt demonstriert haben als „Nazis“ bezeichnet. Erneut die Worte … „Nazi“? Ist Herr Hernando sich bewusst, was die Nazis taten? Haben sie etwa jahrelang friedlich für ihr Recht zu wählen demonstriert? Haben die Nazifamilien die Schulen verteidigt während Hunderte Polizisten auf sie einschlugen? Im Ernst, sind die Tausende Alten, Frauen, Männer und Kinder, die die Straßen füllen und singen: „Wir sind Leute des Friedens.“ Nazis? Das Wort Nazi mit dieser Frivolität zu benutzen ist eine Beleidigung der Opfer des Nazismus, und er müsste sich schämen.
Wenn es gelingt, dass das was ich schreibe, die Informationsbarrieren überwindet, wenn alle außerhalb von Katalonien das lesen, die wissen wollen was dort passiert, dann bitte ich Euch, dass ihr versucht, diesen Konflikt ohne Vorurteile zu analysieren, dass Ihr Euch traut das infrage zu stellen, was uns die Regierungssprecher sagen, was sie leugnen oder noch schlimmer, was sie rechtfertigen.
Wir befinden uns in einer beispiellosen Staatskrise, ich bin über die totale Blockade in den Beziehungen zwischen der spanischen und katalanischen Regierung sehr besorgt. Was aber das Traurigste wäre, wenn die Bande der Brüderlichkeit und Zuneigung die uns, die Menschen unten, zerreißen würden. Wir dürfen das nicht erlauben.
Man hat uns geschlagen, man hat uns Schmerz zugefügt. Es ist nicht leicht das zu vergessen, wir brauchen Eure Unterstützung.
Was geschehen ist, hat fundamentale Rechte und Freiheiten aller verletzt: Katalanen, Spanier, Europäer … heute ist es Katalonien, morgen kann es irgendwo anders sein, wenn wir es normalisieren und es ungestraft bleibt, wenn wir es rechtfertigen, sind wir verloren, verlieren wir alle, verliert die Demokratie. Unsere Väter, unsere Mütter, Großväter und Großmütter, die dafür kämpften, sie zu erobern, würden es uns nicht verzeihen.
Lasst uns für sie und für ihr Vermächtnis vereinen und die Demokratie retten, jene verjagen, die diesen Unsinn angeordnet haben und unfähig sind eine politische und friedliche Lösung zu finden. Wer staatliche Verantwortung trägt, muss zuhören, die Bevölkerung respektieren, positive Vorschläge unterbreiten und Alternativen anbieten. Aber niemals eine wehrlose Bevölkerung unterdrücken.
(Anm.: Übersetzung von Jairo Gomez).
Foto: Marc Lozano (Flickr.com); CC BY 2.0.
Seit 1967 lebt der im spanischen Granada geborene Bernardo Jairo Gomez Garcia in Deutschland. Sein Vater stammt aus Kolumbien, seine Mutter aus Spanien. Schon vor seinen Ausbildungen zum Trockenbaumonteur und Kfz-Lackierer entdeckte Gomez seine Leidenschaft für die Kunst. Er studierte an einer privaten Kunsthochschule Airbrushdesign und wechselte aus der Fabrikhalle ans Lehrerpult. Rund 14 Jahre war Gomez als Spanischlehrer in der Erwachsenenbildung tätig. Seine Interessen gelten der Politik, Geschichte, Literatur und Malerei. Für Neue Debatte schreibt Jairo Gomez über die politischen Entwicklungen in Spanien und Lateinamerika und wirft einen kritischen Blick auf die gesellschaftlichen Veränderungen in Deutschland und Europa.
4 Antworten auf „Katalonien-Konflikt: Ada Colau versucht die Demokratie zu retten“
Ich wünsche und hoffe mir für das spanische Volk, das es zu einer friedlichen Lösung dieses Konfliktes kommt.
Danke Jairo Gomez für deine Wörter, viel Erfolg für euer wichtiges Vorhaben !
Vielen Dank Eleni
Ich hoffe, dass die jeweiligen Parteien zur Besinnung kommen und zu einer Sprache zurückfinden, die es zulässt, miteinander angemessen zu reden. Gewalt darf nicht das Mittel der Wahl sein. Weder in Taten aber auch nicht in Worten. Die Sprache ist uns Menschen gegebeben, um solche Konflikte zu vermeiden, nicht um sie zu schüren.
Hoffnung vs. Willen
Wenn ich so die Ereignisse in Spanien betrachte, muss ich feststellen, dass diese für alle Europäer möglicherweise nachhaltige Folgen nach sich tragen. Was da vor sich geht, kann in weiterer Folge durchaus noch sehr dramatisch werden. Müssen wir bei all dem, was sogenannte „Mächtige“ veranstalten, hilflos zusehen? Ich bin zur Überzeugung gekommen, dass das nicht so sein muss.
Was kann nun der Einzelne beitragen? Da eine direkte Möglichkeit fehlt, die Dinge zu beeinflussen, besteht jedoch immerhin jene, mittels einer geeigneten Vorstellung in Gedanken eine gewisse Kraft entstehen zu lassen, die wiederum auf solche Ereignisse in der weiten Welt auch durchaus wirken kann. Ein Einzelner wohl vielleicht nur gering, wenn jedoch eine große Anzahl von Menschen aktiv wird, schon viel mehr.
Eine konkrete Vorstellung, wie die Situation in einer so konfliktbeladenen Region künftig aussehen kann, damit alle Menschen dort in einer friedlichen, sozial gerechten Gesellschaft leben können, wäre ein Ansatzpunkt. So eine Vorstellung im Gedanken, immer wieder in Erinnerung gerufen, wird sich verstärken und eine gewisse Wirkung ausüben.
Wie ein Handwerker, z.B. ein Tischler, eine ganz konkrete Vorstellung von dem zu gestaltenden Produkt wird haben müssen, sollte es gelingen, kann jeder Mensch eine gestaltbildende Vorstellung ausüben, egal, um welchen Bereich es sich handelt.
Seit meiner Kindheit bin ich Optimist, auch wenn’s oft schwerfällt. Auch baute ich vielfach auf das Prinzip der “Hoffnung”, was mich jedoch schon seit Jahren zweifeln lässt, ob eine solche ausreichend ist, um künftige Anforderungen zu bewältigen.
Vor einiger fand ich einen recht interessanten Ausspruch des kürzlich verstorbenen Sängers Leonhard Cohen:
“Hoffnung ist viel zu passiv. Wir brauchen Willen.”
Ein konkretes Wollen übertrifft ein Hoffnungsprinzip meinem Empfinden nach wesentlich, da ersteres die individuellen, oft unentdeckten Fähigkeiten des Menschen in den Vordergrund stellt.
Liebe Grüße
Franz Furtlehner