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Realität und Perspektive (Teil 2) – Was ist der moderne Staat?

Der Begriff „Demokratie“, also „Volksherrschaft“, ist ein Widerspruch in sich. Solange ein Volk von oben ausgebeutet und beherrscht wird, kann es nicht selbst herrschen. Und über wen sollte es herrschen, wenn es keine Ausbeutung und keine benachteiligten Klassen mehr gibt?

In seinem Beitrag „Die Wahrheit über die Demokratie“ schreibt Prof. Rainer Mausfeld: „Die repräsentative Demokratie ist für den modernen Staat gemachte Demokratie.“ Sie sei erfunden worden, um „das Volk von der Politik fernzuhalten“. Aber was ist der „moderne Staat“?

Ist er durch die amerikanischen Gründerväter und die Aufklärer des 18. Jahrhunderts „erfunden“ worden, wie Mausfeld angibt?

Das aufklärerische Bildungsbürgertum hat damals viel Papier beschrieben, aber die repräsentative Demokratie ist nicht erfunden worden, sondern bildete sich über Jahrhunderte härtester Klassenauseinandersetzungen eines bürgerlichen Dritten Standes in der spätmittelalterlichen Ständegesellschaft heraus.

Oliver Cromwell (1599 - 1658) war während der republikanischen Periode der englischen Geschichte Lordprotektor von England, Schottland und Irland.
Oliver Cromwell (1599 – 1658) war während der kurzen republikanischen Periode der englischen Geschichte Lordprotektor von England, Schottland und Irland. (Foto: Gemeinfrei)

Dieser Dritte Stand wiederum entstammte der Bürgerschaft mittelalterlicher Städte, als diese sich in ein reiches, gehobenes Patriziat und die Masse der armen städtischen Unterschichten aufspalteten. Als Protagonisten von gewerblicher Wirtschaft, Märkten und Handel sowie vor allem der Geldwirtschaft erkämpfte sich diese Bourgeoisie den Weg nach oben in die herrschenden Kasten von Adel und Klerus. Das war ein harter, oft gewalttätiger, revolutionärer Kampf um die Beteiligung an der Macht.

Es begann mit dem religiösen Aufbegehren des bürgerlichen Protestantismus. Die niederländischen Generalstaaten erkämpften sich die Unabhängigkeit als Republik mit einem Zweikammersystem gegen Ende des 16. Jahrhunderts.

In England erkämpfte man Mitte des 17. Jahrhunderts in einem Bürgerkrieg unter Oliver Cromwell für kurze Zeit eine bürgerliche Republik.

Schließlich erkämpften sich in einem kolonialen Unabhängigkeitskrieg 13 nordamerikanische Kolonialprovinzen ihren eigenen bürgerlichen Staat, die USA. Und endlich erfolgte der entscheidende Durchbruch der Bourgeoisie gegen die alten herrschenden Klassen in der großen Französischen Revolution in den 90er-Jahren des 18. Jahrhunderts.

Die Bourgeoisie war, wie der Adel und Klerus, selbst nur eine zahlenmäßig kleine gesellschaftliche Schicht. Sie konnte ihren Aufstieg nur mithilfe der einfachen Volksmassen erringen, die es zu gewinnen galt, damit diese für sie auf den Barrikaden kämpften. Dazu benötigte man eine Ideologie der Einheit, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die das aufklärerische Bildungsbürgertum lieferte.

In den USA wurde das kapitalistische Eigentum heiliggesprochen und die repräsentative republikanische Staatsform umgesetzt, die gewährleistete, wie Mausfeld schreibt, eine „besitzende Oligarchie mit der Unterstützung der Masse der Bevölkerung über Wahlen an der Macht zu halten.“

Im revolutionären Frankreich zu Beginn der 1790er-Jahre tobte der politische Machtkampf zwischen einer direkten Demokratie der einfachen Leute der Pariser Stadtkommune (Sansculottes, Enragés und bras nus)[1] und der repräsentativen Demokratiemethode der Bourgeoisie, bei der dem Volk das Recht abgesprochen wurde, die Souveränität und politische Macht, die angeblich bei ihm lag, selber auszuüben.

Die Parvenüs. Karikatur von J. Forain (gemeinfrei).
Die Parvenüs. Karikatur von J. Forain (gemeinfrei).

Das Volk durfte sie nur an bürgerliche Repräsentanten der damals entstehenden politischen Parteien „delegieren“. Spätestens 1795 hatte der besitzbürgerliche repräsentative Staat in der Form einer Direktorialverfassung über das revolutionäre Volk gesiegt.

Nie ging es den bourgeoisen Parvenüs[2] ernsthaft um die Rechte des Volkes und um die Freiheit aller Menschen, saßen sie doch selbst als besitzende Geschäftemacher und reiche Unternehmer dem einfachen Volk im Nacken und hatte ihre eigenen Interessen. In der Lebenswirklichkeit geriet das arbeitende und produzierende Volk bei diesem gesellschaftlichen Pferdewechsel an der Spitze der Gesellschaft also vom Regen in die Traufe.

Ideologisch zuckersüß propagierte man in der amerikanischen „Declaration of Independence“ von 1776 und in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1789 in Frankreich allgemeine Menschenrechte und Volkssouveränität. Sowie die bürgerlichen Kreise halbwegs sicher im Sattel saßen, ging es nur noch darum, das Volk wieder zu entwaffnen und im Rahmen einer neuen Staatsordnung des Besitzbürgertums es auf bürgerlich Art zu unterdrücken und auszubeuten.
Für die heutige Zeit stellt Rainer Mausfeld heraus, dass Demokratie so umdefiniert wurde, dass sie den Status herrschender Machteliten nicht gefährdete, das heißt, dass alle relevanten Entscheidungsprozesse bei den Eliten verblieben. Mausfeld bezeichnet das treffend mit dem Begriffsmonster »Demokratie ohne Demokratie«.

Repräsentative Demokratie: ‚Demokratie ohne Demokratie‘

Man kann jedoch nicht mit Rainer Mausfeld sagen, die „repräsentative Demokratie“ sei die Staatsform des modernen kapitalistischen Staates. Als Überbauinstitution wurde er immer wieder den jeweiligen historischen Situationen angepasst, um seine Schutzrolle des Kapitalismus optimal zu erfüllen.

Natürlich ist für die herrschenden Klassen immer die Staatsform die angenehmste, in der das Volk willig dem Blendwerk der ideologischen Manipulation folgt:

  • Wenn also das Volk den Herrscher für einen Gott hielt;
  • wenn gläubige christliche Massen an ihre Erbschuld glaubten und sich demütig den Herrschern „von Gottes Gnaden“ unterwarfen, um ins Paradies zu kommen;
  • wenn es glaubt, es sei „God’s own country“;
  • wenn es sich einreden lässt, dass jeder seines Glückes Schmied ist und nur fleißig in seinem demokratischen Staat mitarbeiten muss;
  • wenn es glaubt, „WIR“ seien eine überlegene Nation und es sogar für seinen Nationalstaat, sein Vaterland, seine Heimat, sein christliches Abendland und wofür auch immer marschiert und andere Völker massakriert;
  • wenn es an die Volkssouveränität glaubt und dem Verfassungsspruch „alle Macht geht vom Volke aus“ auf den Leim geht, obwohl es eigentlich längst weiß, dass „alle Macht vom Kapital ausgeht“;
  • wenn es glaubt, seine Wahlstimmen hätten in der repräsentativen Demokratie irgendeine Bedeutung, außer dass es sich wichtig vorkommen soll;
  • wenn es enttäuscht von „seinen Volksvertretern“ im Parlament ist, obwohl die nur ihren Job für die herrschende Klasse in dieser Institution des Klassenstaates tun.

Solange das alles klappt, gibt es für die besitzende Oberschicht keine bessere Staatsform als die repräsentative, parlamentarische Demokratie.

Faschismus als Methode kapitalistischer Klassenherrschaft

Aber es gab auch historische Situationen, in denen „Schluss mit lustig“ war, weil das alte Demokratie- und Wahlspektakel nicht mehr zog und die abhängigen und ausgenutzten Menschen begannen, den Volksbetrug zu begreifen und massiv Widerstand zu leisten. Dann wurde und wird die Maske fallen gelassen und brutal und gnadenlos auf das Volk losgegangen.

Donald Trump. (Foto von Gage Skidmore; Creative Commons Licenses by-sa 2.0)
US-Präsident Donald Trump. (Foto: Gage Skidmore; CC BY-SA 2.0)

Der Faschismus gehört genauso zu den Methoden der kapitalistischen Klassenherrschaft wie die westliche Parlamentsdemokratie. Der Übergang auf ein polizeistaatliches autoritäres Regime wie momentan in der Türkei kann für das kapitalistische Besitzbürgertum sinnvoll sein, genauso wie eine reaktionäre, provokative, direkte, politische Postenübernahme der Milliardärskreise wie in der Trump-USA oder der Übergang zu reaktionären Nationalstaaten mit Abbau der Gewaltenteilung wie in Polen und Ungarn.

Aber auch die Organisierung von Militärputschen und Diktaturen durch die Agenten des CIA ist eine Option, wenn es ernst wird. Das Monopolkapital herrscht aber auch in der Verpackung von strenggläubigen, stramm patriarchalischen, islamischen Ölemiraten und Königreichen oder korrupter, scheindemokratischer Herrschaft einer früheren Nomenklatura und heutiger Oligarchenkaste wie in Russland.

Oder das herrschende Monopol- und Finanzkapital befindet sich in seiner Entwicklung noch irgendwo zwischen der gescheiterten östlich-sozialistischen Zentralabschöpfungswirtschaft und dem Übergang zur westlich-kapitalistischen Individualausbeutungswirtschaft wie in China.

Die Absurdität der Diktatur des Proletariats durch Parteieliten

Wir haben oben gesehen, dass ein Staat immer als Herrschaftsinstrument und zur Ausbeutungssicherung der besitzenden Klassen zur Niederhaltung der unteren Klassen fungierte, und dem jeweiligen Stand der Klassenauseinandersetzungen angepasst wurde. Es gibt und gab deshalb in der Geschichte keinen demokratischen Staat und man kann ihn auch nicht erkämpfen.

Bundesarchiv Bild 183-1986-0417-414, Berlin, XI. SED-Parteitag, Eröffnung
Eröffnung des XI. SED Parteitages 1986 im Palast der Republik. (Foto: Bundesarchiv; CC BY-SA 3.0 DE)

Selbst der Begriff „Demokratie“, also „Volksherrschaft“, ist ein Widerspruch in sich, ein Unding. Solange ein Volk von oben ausgebeutet und beherrscht wird, kann es nicht selbst herrschen. Und über wen soll ein befreites Volk in einer Gesellschaft, in der es keine Ausbeutung und keine unter- und übergeordneten, ökonomisch privilegierten und benachteiligten Klassen mehr gibt, herrschen?

Das Gleiche gilt für die viel bemühte »Diktatur des Proletariats« mit »Demokratischem Zentralismus« aus dem Arsenal des Marxismus-Leninismus, die in der Theorie nach der revolutionären Machteroberung und Abschaffung der Ausbeutung die Übergangphase einer staatlich-sozialistischen Gesellschaft kennzeichnete.

In einer ausbeutungsfreien Gesellschaft gibt es kein um den Mehrwert der Arbeit betrogenes Proletariat mehr. Die Diktatur müsste also von anderen Kräften ausgeübt werden. Dafür hatte man ein eigenes repräsentatives Demokratiemodell entwickelt: den Demokratischen Zentralismus mit der Kaderpartei des – nicht mehr existierenden – Proletariats als Zentrale.

Zu einer freien, klassenlosen, kommunistischen Gesellschaft jedoch mit der ausgeprägtesten Form von Herrschaft, einer Diktatur, gelangen zu wollen, ist absurd. Eine Macht und Gewalt ausübende, konzentrierte Herrschaft einer Parteielite und hierarchischen Politkaste wird niemals von allein absterben und in einer herrschafts- und gewaltfreien Gesellschaftsart aufgehen.

Das Schicksal der Länder des ehemaligen Ostblocks hat das anschaulich bestätigt. In Wahrheit hat sich deren Elitenherrschaft als eine moderne, an die alte Zentralabschöpfungswirtschaft anknüpfende, ordinäre Erscheinung der Epoche der Klassengesellschaft herausgestellt.

Solche Diskussionen über eine zukünftige kommunistische Gesellschaft freier Menschen wurden schon immer in den sozialistischen, marxistischen und anarchistischen Bewegungen geführt. Sie hatten einen utopistischen, irgendwie irrealen Charakter und wenig mit den wirklichen Lebenswelten der Menschen in den kapitalistischen und zentral abschöpfenden östlichen Ländern zu tun. Das lässt sich heute ändern.

Eine Bestandsaufnahme über die gesamte historische Epoche der Klassengesellschaften zeigt zweierlei:

Permanenter Klassenkampf in der Epoche der Klassengesellschaften

Scheiss auf die Wahlen - Plakat in Wien 2016. Foto von Christian Michelides, CC-BY-SA 4.0
Scheiss auf die Wahlen. Ein Plakat in Wien 2016. (Foto: Christian Michelides, CC-BY-SA 4.0)

Erstens: Immer und durchgehend überall auf dem Globus wurde die Welt der Ausbeutung und Klassenherrschaft infrage gestellt und herausgefordert. Das kulminierte oft in massivem und blutigem Widerstand durch Befreiungsbewegungen, Volksaufstände, Ketzerbewegungen, und generierte mitunter sogar befreiten Regionen, in denen es Versuche gab, Inseln im Meer der Klassenherrschaft zumindest herrschaftsarm zu gestalten.

Ich spreche u. a. von Sklavenaufständen, von mittelalterlichen Bauernrepubliken, von Piratenstützpunkten in der Karibik, von organisierten Widerstandsnestern, die von den Herrschenden als Räuberbanden bezeichnet, aber vom Volk als Sozialrevolutionäre vom Typ Robin Hood verehrt wurden, oder von sozialutopischen Kommunen wie die des englischen Unternehmers und Frühsozialisten Robert Owen.

Es geht aber ebenfalls um die zweieinhalb Monate wirklich demokratischer Regierung der Pariser Kommune von 1871.

Zu erinnern ist ebenfalls an anarchistische Selbstorganisationen in der spanischen Provinz in den 1930er-Jahren, an die revolutionären Selbstverwaltungsorgane im zaristischen Russland (Sowjets) oder an die Arbeiter-und Soldatenräte 1918/19 in Kiel, Hamburg, Bremen, Berlin, im Ruhrgebiet und an die Räterepublik in München 1919, ebenso wie an Räterepubliken in Ungarn und der Slowakei im selben Jahr.

In diesen permanenten Klassenkämpfen gibt es viele Versuche, Ansätze und Erfahrungen mit direkter, herrschaftsfreier Demokratie von unten und der Schaffung von Gegengesellschaften.

Das Fazit aus 5000 Jahren Klassenkampf: durchgehend Niederlagen

Zweitens: Das Fazit aus 5000 Jahren Widerstand, Klassenkampf und Gegengesellschaften aber ist ernüchternd. Alle Versuche und Ansätze endeten für die unteren Klassen in Niederlagen und wurden letztlich zu Demonstrationen der Macht der Herrschenden und der Ohnmacht der Unterdrückten.

Oft scheiterten die Versuche an der weit überlegenen militärischen Stärke und der Kampferfahrung der aristokratischen Krieger und Militärs. Heute bauen sich vor dem Volk scheinbar unüberwindliche militärische und polizeilich-staatliche Gewaltapparate auf.

Die Erfahrung aus der Geschichte aber lehrt auch, dass kämpferisch erfolgreiche Gegengesellschaften von innen verraten und die Führungen politisch korrumpiert wurden. Den ideologischen und religiösen Parteigängern der Herrschenden und den psychologischen und politischen Einsatzkräften der bestehenden Ausbeuterordnung sind bisher die arbeitenden oder gesellschaftlich kaltgestellten übergroßen Mehrheiten der Bevölkerungen nicht gewachsen.

Diese kollektiven Erfahrungen sind im kollektiven Gedächtnis der Weltbevölkerung gespeichert. Von daher erklären sich die heutige weitverbreitete Resignation, die Mut- und Ziellosigkeit der von berechtigter Zukunftsangst erfassten Menschen und ihr Mistrauen gegen jede Art von Weltanschauungen und Patentlösungen.

Das alles sitzt auch der linken Bewegung in den Knochen und macht sie empfänglich für überholte, reformistische Konzepte und für das Schmoren im eigenen schal gewordenen Traditionssaft.

Parteien wie „Die Linke“ und linksintellektuelle Kreise schaffen es nicht, über den historischen Tellerrand in einen üblen Abgrund zu schauen. Diesen Blick meidet auch Rainer Mausfeld. Doch er muss gewagt werden, um Perspektiven zu erkennen.


Alle weiteren Teile der Serie auf Neue Debatte:

Realität und Perspektive (Intro) – Staat, Demokratie und Zukunft der Menschheit

Realität und Perspektive (Teil 1) – Die Epoche der Klassengesellschaften

Realität und Perspektive (Teil 3) – Das Ende einer Menschheitsepoche

Realität und Perspektive (Teil 4) – Es ginge auch anders


Quellen und Anmerkungen

[1] Literaturempfehlung des Autors: Daniel Guérin, Klassenkampf in Frankreich. Bourgeois et »bras nus« 1793–1795, (übers. v. Jürgen Hoch), Frankfurt/M. 1979

[2] Ein Parvenü (von franz.: parvenir „zu etwas gelangen“) oder Emporkömmling ist eine in der ersten Generation zu Reichtum gekommene oder gesellschaftlich aufgestiegene Person, der die Unfähigkeit unterstellt wird, sich an die Umgangsformen und Konventionen sogenannter besserer Milieus anzupassen.


Fotos: Karikatur von J. Forain und Portrait von Oliver Cromwell (beide gemeinfrei); Bundesarchiv (Bild 183-1986-0417-414 / Franke, Klaus / CC-BY-SA 3.0 de) sowie Jonathan Simcoe (Unsplash.com/Titelbild), Gage Skidmore (Aufnahme von Donald Trump); CC BY-SA 2.0 und Christian Michelides, CC-BY-SA 4.0.

Historiker

Reinhard Paulsen studierte in den Jahren 1967-1974 Geschichte an der Universität in Kiel und schloss das Studium mit dem Grad eines Magister Artium ab. Danach verließ er das akademische Intellektuellenmilieu und absolvierte eine Schlosserlehre.

Reinhard Paulsen arbeitete als Betriebsschlosser in einer Aluminiumhütte und wechselte 1977 zu einem weltweit tätigen Konzern der Chemischen Industrie, in dem er 35 Jahre bis zu seinem Ruhestand 2012 angestellt war. Seine Arbeit umfasste Schlosser-, Techniker- und Ingenieursarbeit und Tätigkeiten in der Qualitätssicherung und im Reklamationswesen. In all diesen Jahren war Paulsen basisgewerkschaftlich engagiert: sei es als Vertrauensmann, als Betriebsrat oder in der gewerkschaftlichen Erwachsenenbildung, wobei er persönlich kritische Distanz zum Gewerkschaftsmanagement hielt.

2002 kehrte er nach 28 Jahren und parallel zu seiner beruflichen Tätigkeit an die Universität zurück. Er arbeitete ab 2006 an der Universität Hamburg (Fakultät für Geisteswissenschaften) an einem Promotionsprojekt zu hamburgischer und europäischer Schifffahrt im Mittelalter sowie deutscher Forschungsvergangenheit, das er 2014 mit dem Grad eines Dr. phil. in mittelalterlicher Geschichte abschloss. 2013 und 2014 nahm er Lehraufträge in mittelalterlicher Geschichte an der Universität Hamburg wahr.

Von Reinhard Paulsen

Reinhard Paulsen studierte in den Jahren 1967-1974 Geschichte an der Universität in Kiel und schloss das Studium mit dem Grad eines Magister Artium ab. Danach verließ er das akademische Intellektuellenmilieu und absolvierte eine Schlosserlehre.

Reinhard Paulsen arbeitete als Betriebsschlosser in einer Aluminiumhütte und wechselte 1977 zu einem weltweit tätigen Konzern der Chemischen Industrie, in dem er 35 Jahre bis zu seinem Ruhestand 2012 angestellt war. Seine Arbeit umfasste Schlosser-, Techniker- und Ingenieursarbeit und Tätigkeiten in der Qualitätssicherung und im Reklamationswesen. In all diesen Jahren war Paulsen basisgewerkschaftlich engagiert: sei es als Vertrauensmann, als Betriebsrat oder in der gewerkschaftlichen Erwachsenenbildung, wobei er persönlich kritische Distanz zum Gewerkschaftsmanagement hielt.

2002 kehrte er nach 28 Jahren und parallel zu seiner beruflichen Tätigkeit an die Universität zurück. Er arbeitete ab 2006 an der Universität Hamburg (Fakultät für Geisteswissenschaften) an einem Promotionsprojekt zu hamburgischer und europäischer Schifffahrt im Mittelalter sowie deutscher Forschungsvergangenheit, das er 2014 mit dem Grad eines Dr. phil. in mittelalterlicher Geschichte abschloss. 2013 und 2014 nahm er Lehraufträge in mittelalterlicher Geschichte an der Universität Hamburg wahr.

2 Antworten auf „Realität und Perspektive (Teil 2) – Was ist der moderne Staat?“

Meine Gedanken zum Beitrag von Reinhard Paulsen in der „Neuen Debatte“: “… Was ist der moderne Staat”

Die soziale Lage der Menschen auf der ganzen Welt ist erschreckend, das Ökosystem Erde hoch gefährdet und zahlreiche internationale Konflikte bedrohen den Weltfrieden:

Günter Söder stellt in seiner Schrift „Macht oder Ohnmacht der Politik“ Überlegungen zur Begründung des Rechts der Menschen auf Leben an. „Zwar machen die Menschen ihre Geschichte keineswegs unter frei gewählten Umständen, sondern unter vorgefundenen, ihr Handeln bedingenden, objektiven Verhältnissen, aber sie selbst machen ihre Geschichte und nichts und niemand sonst. Um aber Geschichte machen zu können, müssen sie vor allem erst einmal physisch existieren und aktionsfähig sein.“
Die Sicherung der physischen Existenz sei zwar nicht die einzige, aber doch die Grundvoraussetzung dafür, dass der Mensch geschichtsbildend sein kann. Das sei auch der Ausgangspunkt des Verständnisses für die Rolle der Politik in der Gesellschaft. „Um sein eigenes individuelles Leben und das der Gattung Mensch reproduzieren zu können, muss der Mensch naturnotwendig Bedürfnisse befriedigen, ohne deren Befriedigung er aufgrund seiner Beschaffenheit nicht in der Lage ist, zu existieren“.
Und in dem Buch „Deutsche Ideologie“ bemerkt Söder, dass Marx und Engels aus der eben geschilderten Tatsache schlussfolgern: „Die erste geschichtliche Tat ist also die Erzeugung von Mitteln zur Befriedigung dieser Bedürfnisse, die Produktion des materiellen Lebens selbst, und zwar ist dies eine geschichtliche Tat, eine Grundbedingung aller Geschichte, die heute, wie vor Jahrtausenden täglich erfüllt werden muss, um die Menschen nur am Leben zu erhalten.“
Die materielle Produktionstätigkeit stelle jedoch nicht nur historisch und logisch in Bezug auf die gesamte Tätigkeit des Menschen die erste geschichtliche Tat des Menschen dar, stellt Söder nun fest und weiter, „denn die materielle Produktionstätigkeit ist nicht nur die entscheidende Existenzbedingung der Menschen, sie bestimmt auch alle anderen menschlichen Lebensäußerungen“, sie präge diese entsprechend ihren Erfordernissen, passe sich diese an.
„Anders gesagt“, so der marxistische Professor, „wie die Menschen produzieren, so leben sie überhaupt; was allerdings nicht bedeutet, dass die materielle Produktion und das Dasein des Menschen identisch wären, wie folglich auch Produktionsweise und Lebensweise keinesfalls identisch sind.“ Aber die Art und Weise der Menschen zu produzieren, bestimme entscheidend ihre Lebensäußerungen auf sozialem, politischem und geistig-kulturellem Gebiet. (Günter Söder- „Macht oder Ohnmacht der Politik“ Verlag der Wissenschaften Berlin 1881)

Heute gilt es für uns alle mehr denn je mit- und füreinander da zu sein, indem wir mittels unserer Erkenntnisse, unserer kreativen Begabungen und entsprechend aller unserer Kulturen ein besseres Morgen heute zu beginnen:

Worum geht es in unserer Gegenwart, da unsere Welt immer mehr von der allgemeinen Krise der kapitalistischen Wirtschaftsweise geprägt wird, die sich dadurch äußert, dass sie in kurzer Zeit aufeinanderfolgend in vielen Varianten erscheint, wie Wirtschafts- und Finanzkrisen, Staatskrisen, Strukturkrisen, humanitäre Krisen, Terrorkrisen, Flüchtlingskrisen, auch der Corona-Krise und so weiter.
Das auf Sand gebaute Kartenhaus der neoliberalen Global-Player fällt zusammen und wir alle müssen uns darauf einstellen, dass aggressives Gegeneinander um geostrategische Einflusssphären, um Rohstoffe, Energiequellen, Absatzmärkte und billige Arbeitskräfte fast immer mit Zerstörung und Krieg endet.
Mehr Demokratie bedeutet vor allem Entscheidungsfindungen durch das Zusammenführen der Kompetenz der Betroffenen und der Macher zu fundieren. Nur so können notwendige Veränderungen in der Gesellschaft richtig erkannt und zielorientiert durchgesetzt werden. Da es in der Politik immer um die Durchsetzung von Interessen oder deren Ausgleich geht, muss es in jedem Fall, um wahrhaftiger Gerechtigkeit möglichst nahe zu kommen, darum gehen, ob durch die jeweils zu beschließenden Entscheidungen ein von allen Beteiligten anerkannter Nutzen stimuliert werden kann.

Der Kapitalismus ist sein eigener Totengräber, der in seine selbst ausgegrabene Grube geworfen wird, wenn die Obrigkeit nicht mehr so weitermachen kann und die Unterdrückten nicht mehr so weiter machen wollen wie bisher. Dazu muss es aber erst kommen, jegliches hat seine Zeit. Veränderungen in den gesellschaftlichen Verhältnissen lassen sich nicht willkürlich herbeiführen:

Durch die Globalisierung des kapitalistischen Wirtschaftens sind wir alle an das rasant steigende Wirtschaftswachstum gebunden. So bestimmt gegenwärtig der alle globalen Wirtschaftskreisläufe und das gesamte Ökosystem Erde beeinflussende Geldfluss diktatorisch die Art und Weise unseres Zusammenleben. Diese Diktatur muss im gemeinsamen und demokratisch geführtem Diskurs aller hinterfragt werden, um so die Demokratie des mitmenschlichen Füreinander errichten zu können und für uns alle soziale Gerechtigkeit im Zusammenwirken auf einem von uns allen gestalteten, schönen Wohnsitz auf unserem Heimatplaneten zu ermöglichen.
Ob dieser Kampf im Bewahren der Wirklichkeit oder in deren Beenden mündet hängt im wesentlichen davon ab, wie weit sich dabei das menschliche Selbstbewusstsein entwickeln kann, so dass es Konfrontation in konstruktives Miteinander wandelt, Nützlichkeit statt Profitmaximierung als Triebkraft erkennt, verantwortungsbewusste Eigentümer zu gewinnbringendem Wettbewerb motiviert.

In seinem Beitrag „Die Wahrheit über die Demokratie“ schreibt Prof. Rainer Mausfeld: „Die repräsentative Demokratie ist für den modernen Staat gemachte Demokratie.“ Sie sei erfunden worden, um „das Volk von der Politik fernzuhalten“. Aber was ist der „moderne Staat“?
Dazu hier meine Gedanken:

Durch das gemeinsame Suchen nach Antworten auf Prof. Rainer Mausfelds Überlegungen wird gemeinsames Handeln ermöglicht. So lange die gesellschaftlichen Strukturen, entsprechend der von profitgierigen Finanzoligarchen und deren scheinheiligen Machtmarionetten initiierten Scheindemokratien funktionieren, haben Wahlen, Volksentscheide und so weiter eine Gemeinsamkeit: Sie werden kaum etwas oder gar nichts zum Besseren hin verändern. Aber sie bieten die Möglichkeit Alternativen und Aktivisten ins Gespräch zu bringen, die diese gemeinsam mit der Mehrheit der Bevölkerung aufgreifen und jene unter den notwendigen gesellschaftlichen Bedingungen zielorientiert etablieren könnten.

Damit die notwendigen Veränderungen erfolgreich durchgesetzt werden können, ist es notwendig, dass es Vorstellungen gibt, wie denn was verbessert werden müsste und mit welchen Zielstellungen die Veränderungen auf demokratischen Weg erreicht werden können. Um diejenigen die von gesellschaftlichen Missständen betroffen sind zu motivieren, sich am Widerstand gegen Missstände und an der Neugestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu beteiligen, sollte man sie zuerst fragen, was brauchst du um gut leben zu können, warum willst du es so und wie kannst du es erreichen?

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