Bis jetzt war Rot die Farbe, die man mit rebellischen oder revolutionären Bestrebungen assoziierte. Rote Fahnen sind das Symbol von großen Umwälzungen der Weltgeschichte in den letzten 100 Jahren gewesen.
Gelb war vornehmlich die Farbe des Papstes, des Omeletts und der „Crème brulée“. Aber dank Katalonien ist jetzt das unschuldige Gelb angeblich zu einem gefährlichen, subversiven Farbton mutiert. Und wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, lesen, warum das so ist, bitte lachen Sie nicht – dies wäre gewiss die erste normale Reaktion. Es ist durchaus eine ernste Sache.
Als Zeichen des Protests gegen die willkürliche Inhaftierung von acht katalanischen Landesministern und zwei pazifistischen Aktivisten tragen jetzt viele Katalanen eine gelbe Schleife am Revers. In Barcelona und in anderen katalanischen Orten ist sogar das entsprechende gelbe Band in den Geschäften ausverkauft. Das ärgert ungemein die spanischen Statthalter in Katalonien.
Folgerichtig hat die spanische zentrale Nationale Wahlkommission, die auch für die Wahlen in Katalonien am 21. Dezember zuständig ist (die katalanische Wahlkommission wurde aufgelöst), den designierten Mitgliedern der Wahllokale verboten, dass sie am Wahltag eine gelbe Schleife tragen, weil die Kommission es nicht als Protest gegen die Inhaftierungen ansieht, sondern als Propaganda für die „Separatisten“.
Außerdem (und das ist wirklich eine Lachnummer) hat ein Sprecher der anti-katalanischen Partei Ciudadanos sogar angeregt, dass in den farbigen Fontänen auf Barcelonas Messegelände kein Gelb verwendet werden soll, weil das auch eine solche Propaganda wäre. (NACHTRAG: … und die zentrale Wahlkommission hat zugestimmt.)
Zu Lachen gibt es aber in diesem Zusammenhang wirklich nichts. Die erwähnte spanische Wahlkommission hat auch den katalanischen Rundfunk- und Fernsehanstalten verboten, dass, wenn sie über die katalanischen Politiker in Belgien berichten, sie den Ausdruck „Präsident im Exil“ beziehungsweise „Minister im Exil“ verwenden. Dies sehen die Katalanen als eine Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung an.
Diese spanische zentrale Wahlkommission ist ausschließlich von Mitgliedern gebildet, die von den zentralspanischen Parteien nominiert wurden, und die in diesem Zusammenhang alles andere als unparteiisch sind. Das nährt auch die Befürchtungen vieler Katalanen, dass die Ergebnisse der Wahlen am 21. Dezember – auf welche Art auch immer – gefälscht werden könnten, wenn, wie es erwartet wird, die Unabhängigkeitsbefürworter eine klare Mehrheit bekommen würden.
Die spanische Regierung hat immer darauf gepocht, dass das Referendum vom 1. Oktober illegal war, unter anderem, weil es nicht die notwendigen Garantien bot (woran niemand anderes als die spanische Regierung Schuld trägt). Aber welche Garantien bieten diese nächsten von Madrid angeordneten Wahlen?
Ich habe schon in einem anderen Artikel den hervorragenden katalanischen Journalisten Vicent Partal zitiert, und werde es heute wieder tun. In seinem Leitartikel im „Vilaweb“ vom 28.11.2017 schreibt er (wobei ich daran erinnern darf, dass „Generalitat“ der Überbegriff für Regierung und Parlament ist):
„Welche Garantien bieten Wahlen mit der Hälfte der Regierung im Gefängnis und die andere Hälfte im Exil? Welche Garantien bieten Wahlen mit der Generalitat politisch interveniert, ausgebeutet, und in den Händen der Partei, die laut Umfragen die wenigsten Stimmen bekommen wird? Welche Garantien bieten Wahlen mit Polizisten und ultrarechten Rowdys, die aggressiv sind, ohne bestraft zu werden, frei spazieren und Bürger attackieren? Welche Garantien bieten Wahlen, bei denen der Staat an die ihm zugeneigte Presse von der Polizei konfiszierte Dokumente zukommen lässt, um den Unabhängigkeitspolitikern zu schaden zu versuchen? Welche Garantien bieten Wahlen, wenn man dir sagt, dass, wenn du nicht die wählst, die sie wünschen, werden sie dann das Parlament wieder auflösen? Welche Garantien bieten Wahlen, bei denen der mögliche Gewinner ohne Prozess inhaftiert werden kann, obwohl er von den Bürgern gewählt worden ist? Welche Garantien bieten Wahlen, bei denen die Lüge und die Wahrheitsverdrehung ständig benutzt werden, und die Äußerungen der Unabhängigkeitskandidaten geändert werden, indem man sie Sachen sagen lässt, die sie nicht gesagt haben?“
Diese Neuwahlen wurden von Madrid mit der Hoffnung angesetzt, dass die Unabhängigkeitsbefürworter nicht zu den Urnen gehen werden, um dann eine für Madrid genehme Regierung in Barcelona einsetzen zu können. Die Rechnung geht aber nicht auf.
Man versucht auch deswegen, die Wähler mit manipulierten Umfragen zu verunsichern, die sich am Wahltag als die groben Manöver entpuppen werden, die sie sind: weil die meisten Katalanen „Gelb“ wählen werden. Es bleibt nur zu hoffen, dass auch diesmal genügend internationale Beobachter präsent sein werden, um das Risiko der Wahlfälschung minimieren zu können.
Zum Hintergrund:
Beim Referendum am 1. Oktober 2017 stimmten die Katalanen darüber ab, ob die Unabhängigkeit von Spanien erklärt werden soll. Die Abstimmung wurde von der Zentralregierung in Madrid mit Verweis auf die spanische Verfassung (insbesondere die Artikel 2 und 155) für illegal erklärt. Spanische Polizei ging gewaltsam gegen die Bevölkerung vor. Rund 900 Menschen wurden teils schwer verletzt. 43 Prozent der Wahlberechtigten nahmen dennoch an der Abstimmung teil. 90 Prozent stimmten für eine Unabhängigkeit Kataloniens.
Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau, selbst keine Befürworterin der Unabhängigkeit, informierte in einem Rundbrief Amtskollegen in der EU über die Lage in Katalonien. Sie betonte, dass die katalanische Frage nicht mehr als eine bloße innere Angelegenheit Spaniens betrachtet werden könne, sondern die europäische Dimension berücksichtigt werden muss.
Die autonome Region wurde Ende Oktober von Madrid unter Zwangsverwaltung gestellt, die Regionalregierung abgesetzt und zahlreiche katalanische Politiker verhaftet. Inhaftiert sind zudem die Vorsitzenden der größten Bürgerinitiativen, die sich für die Unabhängigkeit Kataloniens einsetzen: Jordi Cuixart (Omnium Cultural) und Jordi Sanchez (Assemblea Nacional Catalana). Ihnen wird Aufruhr vorgeworfen. Josep Lluis Trapero, Chef der Regionalpolizei Mossos d’Esquadra, sieht sich mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert.
Carles Puigdemont, Regionalpräsident von Katalonien, setzte sich nach Belgien ab. Er wird unter anderem der Auflehnung gegen die Staatsgewalt und der Rebellion beschuldigt. Neuwahlen wurden für den 21. Dezember angesetzt.
Foto: Neue Debatte
Pere Grau stammt aus Barcelona. Er wurde 1930 geboren und erlebte die Franco-Diktatur. Er arbeitete als Büroangestellter und beschäftigte sich autodidaktisch mit Kunst und Literatur und schrieb Gedichte. Anfang der 1960er-Jahre emigrierte Pere Grau nach Deutschland. Er veröffentlicht auf seinem Blog regelmäßig Berichte über Katalonien und die dortigen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen.