Audio
Yuriko Yuskimata beschreibt in ihrer Short Story eine futuristische Gesellschaft, in der Menschen wegen ihres Fußgeruchs ausgegrenzt werden. In Europa und in angloamerikanischen Staaten ist der Leidensdruck der Betroffenen besonders groß. Ein Life-Science-Konzern liefert ein rettendes Serum – mit ungeahnten Nebenwirkungen …
Bevor die Impfung allgemein angewandt wurde, hatte der Impfstoff umfassende Tests durchlaufen. Im Kongo war das Serum knapp zweitausend Freiwilligen verabreicht worden. Es hatte keinen einzigen ernsten Zwischenfall gegeben. Auch im Tierversuch kam es zu keinen bedenklichen Nebenwirkungen. Der Impferfolg betrug hingegen annähernd 100 Prozent.
Viral verursachter Fußgeruch würde bald der Vergangenheit angehören. Der Life-Science-Konzern, der das Serum entwickelt hatte, startete eine große Aufklärungskampagne. Für viele Menschen, die aufgrund ihres viral verursachten Fußgeruches Ausgrenzung erfuhren, waren dies die Tage der Erlösung.
Die Impfzahlen erreichten in vielen Ländern gerade unter jungen Menschen schnell 100 Prozent, insbesondere in Europa und in angloamerikanischen Staaten war der Leidensdruck vieler Jugendlicher hoch gewesen.
Auch Christiane von Tutlingen-Oberstein hatte sich sobald als möglich impfen lassen. In ihrer Familie reichte das Problem mit dem virologisch verursachten Fußgeruch bis in die Zeit des Kaisers Barbarossa zurück. Dabei hatten die von Tutlingen-Obersteins immer nur innerhalb des europäischen Hochadels geheiratet.
Die Wirkung der Impfung war beeindruckend. Ihre Füße hatten sich von einem Tag auf den anderen von käsig stinkenden Mauken in wohlriechende Damenfüßchen verwandelt. Lachend tänzelte die 17-jährige Adlige über den Fußboden und drehte sich in ihrem Ballkleid. Es waren nun schon elf Monate, elf Monate ohne Fußgeruch. Und heute Abend beim Großen Presseball würde sie mit dem Prinzen tanzen. Sein Stammbaum reichte zwar nicht soweit zurück, wie der derer von Tutlingen-Oberstein, aber dafür gehörte Prinz Othmar von Kufshiet zum absoluten hohen Hochadel.
Und der 19-jährige Prinz war wirklich süß.
Um 20.30 Uhr begann der Große Eröffnungstanz. Bis dahin waren es nur noch wenige Stunden. Sie hatte den ganzen Tag schon Hitze, sie war so aufgeregt. Teilweise ergriff sie richtig Schüttelfrost. Sie setzte sich kurz in einen der Sessel in der Halle des Hauses ihrer Familie, um auszuruhen. Die Lichter ließ sie gelöscht. Sie war ja mit allem fertig.
Als es klingelte, begriff sie, dass sie eingeschlafen sein musste. Es war keine Zeit mehr. Sie würde sich auf dem Ball schnell noch einmal frisch machen. Der Taxifahrer schaute kurz etwas irritiert, als sie durch die Tür trat, und verbarg aber dann seine Überraschung.
“Fräulein von Tutlingen-Oberstein?”
“Ja.”
Der Taxifahrer zuckte mit den Schultern.
“Gut.”
Im Taxi war leider kein Spiegel, in dem sie ihre Schminke nachziehen konnte. Es war alles zu dunkel. Der Taxifahrer schien immer noch leicht irritiert. Christiane schob das darauf, dass er nicht gewohnt war, mit dem Hochadel zu verkehren.
Vor dem Großen Stadtschloss öffnete er ihr die Wagentür. Sie lächelte ihm huldvoll zu. Da sah sie den Fürst von Dicktorf. Sie grüßte ihn, er sah sie aber nur starr und indigniert an und dann an ihr vorbei und begrüßte dann die Frau des Bürgermeisters. Sie entschloss sich, ihn ebenfalls zu ignorieren.
Am Eingang zum Ballsaal waren fast alle Augen auf sie gerichtet. Sie hatte nicht erwartet, einen solchen Eindruck zu machen. Das musste das neue Kleid sein. Als sie dem Pagen die Eintrittskarte gab, schaute der sie verwirrt an.
“Christiane von Tutlingen-Oberstein?”
Die Worte tropften vollständig ungläubig aus seinem Mund.
“Ja, wieso?”
Der Page verbeugte sich schnell. “Entschuldigen Sie, ich war unhöflich.”
Etwas irritiert betrat Christiane den Ballsaal. Sie erregte immer noch die Aufmerksamkeit aller Anwesenden. Aber inzwischen rissen sich die Betrachterinnen und Betrachter zusammen und schauten höflich weg, sobald Christianes Blick auf sie fiel. Sie dachte sich nichts weiter dabei und schlängelte sich durch zu den Seitengängen. Die Säulen waren hier ganz verspiegelt. Sie betrachtete noch mal versonnen ihr Kleid, aber …
Sie betrachtete das Kleid, aber …
Das konnte nicht sein. Sie hob ihren Arm. Die junge Frau im Spiegel, die ihr Kleid trug, hob auch ihren Arm. Sie schüttelte den Kopf, das Bild im Spiegel schüttelte auch den Kopf. Sie zog sich einen Handschuh aus und starrte ungläubig auf ihre Hand. Ihre Haut war dunkelbraun, fast schwarz, ihr Gesicht im Spiegel auch und auch ihre Brüste, soweit sie zu sehen waren. In ihrem Kopf begann sich alles zu drehen, immer wieder durchzuckte sie nur der eine Gedanke – “Ich bin eine Negerin” – die Frau, die ihr gegenüber im Spiegel stand, in ihrem Kleid, hatte eine dunkle Hautfarbe.
Sie musste eingeschlafen sein, träumen. Sie schlug mit der Faust gegen den Spiegel, das Glas zerbrach, sie blutete und es schmerzte, doch die Haut war immer noch schwarz.
In den nächsten Monaten veränderte sich die Hautfarbe aller Weißen, die sich hatten impfen lassen in unterschiedliche dunkelbraune bis schwarze Hauttöne. Fast alle Weißen unter 30, die in Europa und im angloamerikanischen Raum lebten, waren davon betroffen. Und es war eine durch das Serum ausgelöste erbliche Mutation, sie würden auch farbige Kinder bekommen.
Eine Gesundheitsgefahr bestand dadurch aber nicht.
Die Eltern von Christiane von Tutlingen-Oberstein hatten große Probleme, ihre Tochter so zu akzeptieren, vielen Eltern erging das ähnlich. In einem geheimen Biolabor ließen sie ein Virus entwickeln, das den mutagenen Effekt des Serums rückgängig machen sollte.
Dies schien auch zu funktionieren, nur geriet der Virus außer Kontrolle und nun wurden auch alle Farbigen weltweit eingeweißt.
Und dann zeigte sich auch noch, dass weder der mutagene Effekt des Serums noch der des Virus stabil waren. Es bildeten sich immer mehr Zwischentypen aus. Menschen mit karierten, punktierten oder gestreiften Farbmustern der Haut. Viele waren auch einfach mehrfarbig scheckig.
Christiane von Tutlingen-Oberstein bildete sich deshalb auf die rhombenförmige Schwarzweißmaserung ihrer Haut besonders viel ein, schließlich war sie eine von Tutlingen-Oberstein.
Und Othmar von Kufshiet hatte jetzt ganz süße Streifen.
Foto: Imani Clovis (Unsplash.com).
Yuriko Yushimata wurde als Distanzsetzung zur Realität entworfen. Es handelt sich um eine fiktionale und bewusst entfremdete Autorinnenposition, die über die Realität schreibt. Die SoFies (Social Fiction) zeigen in der Zuspitzung zukünftiger fiktiver sozialer Welten die Fragwürdigkeiten der Religionen und Ersatzreligionen unserer Zeit. Teilweise sind die Texte aber auch einfach nur witzig. Sie befindet sich im Archiv der HerausgeberInnengemeinschaft Paula & Karla Irrliche (www.irrliche.org). Spiegelung und Verbreitung der Texte sind ausdrücklich gewünscht!