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Denken & Bildung

Schluss mit Pauken und Noten! – Teil 3: Äste statt (Schul-)Fächer

Gerhard Kugler skizziert im dritten Teil seiner Beitragsserie „Schluss mit Pauken und Noten!“ eine Möglichkeit, die Eindimensionalität der Benotung im Bildungssystem durch eine Orientierung an den Fähigkeiten des lernenden Menschen aufzuheben.

In Absetzung von den traditionellen (Schul-)Fächern wird im Folgenden von Ästen gesprochen. Dabei dient das Bild des Baumes als Anhaltspunkt ihres Bezugs zueinander. In der Grundschule wird sozusagen der Stamm vermittelt, grundlegende Fähigkeiten, die unsere Kultur heute erfordert. Am Ende der Grundschule sollte lediglich eingeschätzt werden, ob die Grundlage für das Weitere genügt. Also auch hier werden keine Noten benötigt.

Äste statt Fächer. (Grafik: Gerhard Kugler)
Äste statt Fächer. (Grafik: Gerhard Kugler)

Die Hauptäste sind nicht eindimensional bewertend zu betrachten. Sie entsprechen also keiner Einteilung in höhere oder mittlere Zweige. Wenn sich weiterführende Schulen spezialisieren, sollten sie das über Schwerpunktsetzungen, etwa handwerksbezogen, naturwissenschaftlich oder kulturwissenschaftlich. Sie brauchen das aber nicht, können breite Ressourcen haben, um alles zu vermitteln.

Äste sind breite oder schmale Fähigkeitsbereiche, die meistens wieder Voraussetzungen für weitere Spezialisierungen vermitteln (verzweigende Äste). Breite Äste sind zum Beispiel grundlegende Mathematik, Biologie, Sozialwesen oder Organisation. Schmalere, darauf setzende Äste sind Statistik, Geld, Kulturpflanzen, Kommunikation (einschließlich Streiten), „Getting Things Done (GTD)”[1] oder Veranstaltungsplanung. Inhalte sozialer Äste werden teilweise indirekt vermittelt, wenn etwa Projekte mittels Auseinandersetzungen (Streiten) vorankommen.

Projekte mit gemischter Äste-Bearbeitung

Es muss nicht immer der Fall sein, dass alle Teilnehmer eines Projekts am selben Ast oder denselben Ästen arbeiten. Oft gehen in Projekte verschiedene Fähigkeiten ein bzw. werden darin verschiedene Fähigkeiten gefördert. So können die Teilnehmer an unterschiedlichen Ästen arbeiten, wenn sie zum Gelingen des Projekts beitragen. Manche bearbeiten in ein und demselben Projekt mehr als einen Ast. So können dann am selben Projekt auch Schüler sehr unterschiedlichen Voraussetzungen und unterschiedlichen Alters beteiligt sein.

Die Beiträge werden nach Abschluss des Projekts entsprechend unterschiedlich erfragt; „geprüft“.

Die Präsentation von Projektergebnissen ist im Rahmen der Schule in der Regel öffentlich und kann mit der Prüfung der Leistungen zusammenfallen. Wenn bisher nicht beteiligte Schüler an der Präsentation teilnehmen, regt das bei ihnen vermutlich Ideen zu weiteren Projekten an. So entwickeln sich Projekte ungleich vielfältiger als traditionelle Fächer, die von oben festgelegt werden.

Projekte müssen sich nicht zwingend zeitlich über ein Schuljahr erstrecken. Typischer könnte sein, dass sie ein Halbjahr dauern. Aber auch kürzere Zeiträume sind denkbar, vor allem für jüngere Schüler. Der organisatorische Aufwand steigt dann allerdings.

Im Schulalltag würden die Schüler wohl kaum durchgängig während der traditionellen Unterrichtszeiten gefordert sein, zumal sie im Grunde selbst bestimmen könnten, wie viele Projekte sie sich übers Jahr zumuten. Sie würden also Zeiten in der Cafeteria verbringen, Zaungäste bei Projekten sein, in der Bücherei lesen oder surfen oder einfach Unterhaltung mit anderen suchen. Das ist meines Erachtens den heutigen Zwangsveranstaltungen vorzuziehen.

Im Dienste der Projekte werden Angebote in Form von Kursen nötig sein, in denen Grundlagen erklärt und geübt werden müssen. Sie ähneln traditionellen Fächer-Stunden. Auch wenn die Lehrer zur Teilnahme raten, soll die Teilnahme freiwillig sein – und am Ende soll nichts geprüft werden. Die Prüfung besteht für den Schüler darin, dass er seine Aufgabe(n) in einem Projekt erfüllen kann. Manche Schüler werden sie durch Selbststudium oder Kleingruppenarbeit ersetzen.

Im nächsten Teil der Serie steht die Frage im Mittelpunkt, wie eine Leistungsmessung erfolgen kann, die keine Noten kennt und an ihre Stelle individuelle Fähigkeitsprofile rücken lässt.


Weitere Teile der Serie „Schluss mit Pauken und Noten!“

Teil 1: Der gegenwärtige Zustand des Bildungssystems

Teil 2: Grundsätzliches zu einer Alternative

Teil 4: Kriteriumsorientierte Leistungsmessung

Teil 5: Aufgaben der Lehrer


Quellen und Anmerkungen

[1] Getting Things Done (GTD) ist eine Selbstmanagement-Methode von David Allen, die ihren Nutzern effizientes und belastungsfreies Arbeiten ermöglichen soll. Sie strebt an, den gesamten Alltag einer Person u. a. mit kontextbezogenen Aufgabenlisten zu erfassen.


Fotos/Grafiken: Rob Mulally (Unsplash.com) und Gerhard Kugler.

Psychologischer Psychotherapeut

Gerhard Kugler (Jahrgang 1946) war Psychologischer Psychotherapeut im Ruhestand. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT) und der Gesellschaft für kontextuelle Verhaltenswissenschaften (DGKV), deren Therapieansatz die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) ist.

Von Gerhard Kugler

Gerhard Kugler (Jahrgang 1946) war Psychologischer Psychotherapeut im Ruhestand. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT) und der Gesellschaft für kontextuelle Verhaltenswissenschaften (DGKV), deren Therapieansatz die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) ist.

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