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Spaniens absurde Steuerschraube in Katalonien

Die spanische Regierung hat an der Steuerschraube gedreht. Sie fordert in Katalonien nachträglich Millionenbeträge von Kultureinrichtungen und dem unbequemen Sender TV3 ein. Ein Kommentar von Pere Grau.

Viele deutsche Politiker und Journalisten behaupten weiterhin, dass Spanien eine bewährte Demokratie sei, die keine europäischen Werte und Prinzipien verletzt, auch wenn die Zentralregierung etwas mehr Flexibilität im Katalonien-Konflikt zeigen sollte.

Diese Position ist selbstverständlich sehr bequem und vermeidet tunlichst unliebsame Fakten ins Auge nehmen zu müssen. Während dessen trifft aber die spanische Regierung immer wieder neue Entscheidungen, die dieses ideale Bild einer lupenreinen Demokratie in den Bereich des Absurden bringt – wie der letzte Handstreich in diesem südeuropäischen Absurdistan jetzt zeigt.

Es ist eine unbestrittene Norm in allen demokratischen Ländern, dass eine Steuererhöhung keine rückwirkende Geltung haben darf, sonst würde jede wirtschaftliche und kaufmännische Planung mit Sicherheit unmöglich gemacht. Das schert aber die spanische Regierung (mit Verlaub) einen feuchten Dreck. Finanzminister Cristóbal Montoro hat die Kriterien für die Anwendung der Mehrwertsteuer auf Kulturleistungen geändert – auch rückwirkend für die letzten drei Jahre.

Einer der Hauptgründe für diesen Husarenstreich ist es gewesen, den katalanischen Fernsehsender TV3 ins Mark zu treffen. Aufgrund des neuen Gesetzes hat das spanische Finanzministerium an TV3 eine Forderung über 168 Millionen Euro, wovon 30 Millionen gleich zu entrichten sind. Das stellt die Kontinuität des Senders infrage.

TV3, dessen Qualität in den europäischen Fachkreisen hochgelobt wird, ist seit eh und je ein Dorn im Auge der spanischen Machthaber, weil der anders als die wichtigsten spanischen TV-Sender seine Unabhängigkeit bewahrt hat und sich nicht als bloßer und williger Verkünder von alldem was die spanische Regierung verbreiten will – sei es richtig oder falsch – benutzen lässt.

Das Gesetz trifft aber nicht nur das unliebsame katalanische Fernsehen. Festivals, Theater und Museen haben auch ihr Fett bekommen. Die drei wichtigsten Museen in Barcelona müssen zum Beispiel insgesamt mehr als 3 Millionen Euro nachbezahlen. Und jeder weiß, wie knapp die Finanzen solcher Häuser bemessen sind.

Die Begründungen der spanischen Behörden sind alles andere als überzeugend, zum Beispiel, wenn es darum geht, warum diese Forderungen bei manchen erhoben und bei anderen nicht erhoben werden.

Es ist auch nicht zu verstehen, warum Fernsehen, Theater, Museen, etc. höher besteuert werden, während für die Stierkämpfe die Mehrwertsteuer von 21  auf 10 % gemäßigt wird. Und es ist auch keine Überraschung, dass sich die Steuerprüfungen für die letzten 5 Jahre auffällig überwiegend auf die Gebiete konzentrieren, die als „aufmüpfig“ gelten: Katalonien und neuerdings auch Valencia.

Und während Finanzminister Montoro europäische eherne Regeln ignoriert, verkündet sein Kollege Wirtschaftsminister Luis de Guindos wieder die ökonomische Apokalypse für Katalonien – und muss sich anhören, dass er dabei dilettantisch Jahres- und Quartalszahlen verwechselt hat, und auch dazu noch von falschen Daten ausgegangen ist. Einfach toll.

Minister de Guindos hatte gleich nach Neujahr verkündet, dass die ganze politische Unsicherheit Katalonien im letzten Quartal eine Milliarde Euro gekostet habe. Die Generaldirektorin für ökonomische Analyse im katalanischen Wirtschaftsministerium, Natàlia Mas Guix, hat das umgehend berichtigt.

Die Rechnung war begründet auf ein Wirtschaftswachstum von nur 0,4 %, aber für das ganze Jahr, nicht für das letzte Quartal, sodass die Kosten dann nur ein Viertel von denen sein würden, die Minister de Guindos genannt hat. Aber sogar das kann man bezweifeln.

Es gibt eine Behörde in Madrid, die den Auftrag hat, die Zweckmäßigkeit der Ausgaben der autonomen Regionen zu kontrollieren und ihre wirtschaftliche Entwicklung fachlich zu studieren. Die AIReF (span.: La Autoridad Independiente de Responsabilidad Fiscal; deut.: Unabhängige Autorität für Fiskalische Verantwortung) hat aber für Katalonien und das letzte Quartal 2017 ein Wachstum von 0,7 % und für 2018 von 0,8 % errechnet, unabhängig von der politischen Entwicklung. Damit sind die vollmundigen Worte des Ministers Makulatur. Aber in Deutschland finden sie weiter Verbreitung.

Auch was die angebliche “massenhafte Firmenflucht” aus Katalonien betrifft, gibt es einen ungeklärten Zahlentanz. Madrid spricht von über 3000 Firmen, die ihren Sozialsitz aus Katalonien verlagert haben sollen. Demgegenüber lautet die Stellungnahme der zuständigen Abteilung im katalanischen Wirtschaftsministerium, dass bei ihnen nur 332 entsprechende Änderungen aktenkundig sind.

Vieles von dem, was sich spanische Minister leisten, würde sie in Deutschland, Dänemark oder den Niederlanden (nur um ein paar Beispiele zu nennen) vermutlich den Posten kosten. Aber was soll man von einem Personal erwarten, gegen dessen Chef, den Ministerpräsidenten, eine jahrelang verschleppte Anklage läuft, weil er von den illegalen Spendengeldern für seine Partei persönlich profitiert haben soll durch jährliche “Boni” für seine Parteiarbeit?

Gerhard Schröder muss heute noch Spott ertragen, weil er Putin mal als “lupenreinen Demokraten” bezeichnet hat. Alle diejenigen, die das spanische Absurdistan immer noch als eine „bewährte europäische Demokratie“ loben, werden eines Tages auch mit ähnlichen Spott rechnen müssen.


Foto: Elena Cordery (Unsplash.com).

Blogger bei Pere Grau | Webseite

Pere Grau stammt aus Barcelona. Er wurde 1930 geboren und erlebte die Franco-Diktatur. Er arbeitete als Büroangestellter und beschäftigte sich autodidaktisch mit Kunst und Literatur und schrieb Gedichte. Anfang der 1960er-Jahre emigrierte Pere Grau nach Deutschland. Er veröffentlicht auf seinem Blog regelmäßig Berichte über Katalonien und die dortigen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen.

Von Pere Grau

Pere Grau stammt aus Barcelona. Er wurde 1930 geboren und erlebte die Franco-Diktatur. Er arbeitete als Büroangestellter und beschäftigte sich autodidaktisch mit Kunst und Literatur und schrieb Gedichte. Anfang der 1960er-Jahre emigrierte Pere Grau nach Deutschland. Er veröffentlicht auf seinem Blog regelmäßig Berichte über Katalonien und die dortigen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen.

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