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Gesellschaft

Der soziale Vergleich

Das Prinzip des sozialen Vergleichs greift nicht nur in nahezu allen Lebensbereichen, sondern funktioniert selbst im Schattenreich weiter. Wer nichts auf den ganzen Zirkus gibt, der geht unter wie der Betonsockel im sizilianischen Kanal.

Freunde der Verklausulierung nennen es den sozialen Vergleich. Es ist das Bedürfnis, die eigenen Verhältnisse mit denen der Mitmenschen zu vergleichen. Glaubt man Organisationspsychologen, so wirkt das Prinzip des sozialen Vergleichs nahezu überall. In der Familie, in der sozialen Klasse, bei der Arbeit und im Verein.

Die Frage, um die sich beim sozialen Vergleich alles dreht, ist die nach der eigenen Validität des Betrachtenden. Oder anders ausgedrückt: Wie geht es mir im Vergleich zu den anderen?

Das fängt in der Familie mit der Portionierung von Liebe und Zuneigung an, geht nahezu in dieselbe Richtung in den folgenden Bildungsinstitutionen, wobei dort noch der Status hinzukommt, der durch eigene Leistung erworben wird, und geht weiter ins Arbeitsleben.

Flaniert man über Friedhöfe, so wird selbst dort deutlich, dass der soziale Vergleich selbst im Schattenreich weiter funktioniert. Sowohl für die, die bereits mit dem Fährmann übergesetzt haben als auch für die, die noch ein paar Stunden im hiesigen Diesseits haben, um zu zeigen, was sie sind.

Der Ort, wo die Wettbewerber im sozialen Vergleich am besten beobachtet werden können, ist die Arbeit. Da gibt es genug davon, zu manchen hat man gar keine emotionale Beziehung und vieles betrifft einen selbst nicht. So kann munter studiert werden, was alles zählt im Kampf um die Bedeutung. Und da tut sich eine Welt auf, die so brutal schlicht und primitiv ist, dass man es kaum glauben mag. Da geht es um den Zugang zu Parkdecks, um monetäre Zulagen, um Essen mit dem Chef, um den Platz am Konferenztisch, um den Dienstwagen, um die Mitgliedschaft in einem Klub und den Zugang zu sozialen Einrichtungen.

Im Verhalten der einzelnen Konkurrenten tun sich Rezepturen auf, die nach frühkindlicher Phase schmecken und über deren Wirkungskraft angesichts der schulischen, technischen und akademischen Qualifizierungsgrade niemand im Traum auch nur nachzudenken wagte. Da regiert der Missmut in der Überdimension, da regieren der Futterneid, der Argwohn und die pure Zerstörungswut.

Kein Primat, dem das Zoodasein in den Hospitalismus getrieben hat, käme auf die Ideen, die sich identifizieren lassen, wenn es um die negativen Energien geht, die sich mit dem sozialen Vergleich in Verbindung bringen lassen. Und wehe dem, der nichts auf den ganzen Zirkus gibt, der geht unter wie der Betonsockel im sizilianischen Kanal.

Nein, selbst bei sehr genauer Analyse kommt man nicht zu dem Ergebnis, dass diese, nicht menschliche, aber den Menschen eigene Verhaltensweise nicht nur in bestimmten Formen der Organisation zu vermelden wäre. Nein, der soziale Vergleich wütet überall. In den Organisationen, die sich ihm besonders widmen wie in jenen, die sich darüber keine großen Gedanken machen.

Am schlimmsten wirkt die Feststellung vielleicht dort, wo der Zweck der Organisation das Gegenteil verkündet: sowohl in sozialen wie karitativen Organisationen als auch in denen, die sich die soziale Revolution auf das Banner geschrieben haben. Selbst dort, wo die klassenlose Gesellschaft propagiert wird, schaut man dem Nachbarn auf den Teller, um zu sehen und zu kommentieren, was er dort hat.

Die Freiheit vom Futterneid scheint nur denen beschieden zu sein, die sich auf das Gelingen und Gestalten konzentrieren und ihre Erfüllung genau dort suchen. Sie sind der Gegenentwurf zur Konkurrenz um des elenden Status willen.


Foto: Valeria Almaraz (Unsplash.com).

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

3 Antworten auf „Der soziale Vergleich“

Klasse, über neue-debatte so eine verwandte Sicht mitzubekommen! So denke ich von meinem Fach aus: http://www.erlebnisoffen.de/wiki/doku.php?id=selbst
Halt von der Psycho-Fachsprache geprägt. Ich gehe von einem Mehr oder Weniger aus, von einer “Polarität”. Wenn man denkt, man ist auf einem guten Weg, kommt auch leicht der Vergleich mit anderen ins Spiel. Aber wichtig ist der Schwerpunkt. In meinem Beitrag “Schluss mit Pauken und Noten” hier auf neue-debatte war mir so wichtig, dass sich Schüler auf zu Gestaltendes konzentrieren, nicht auf Noten.
G.K.

Die “Freiheit vom Futterneid” wäre als “Befreiung vom Futterneid” ein gutes Argument für die Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens, damit die Erwachsenen vielleicht mal von der Wettbewerbspalme steigen und die Kids erst gar nicht in die Verlegenheit geraten, sich gegenseitig zu übertrumpfen.

Mangelndes Selbstwertgefühl beginnt schon im Elternhaus, wird verstärkt durch die dauernde Werbeberieselung (grösser, schöner, besser) und resultiert in barbarische Klassenkämpfe, in Kindergärten, Schulen, Universiäten, in denen das Verhalten durchaus gefördert wird.

Futterneid würde gar nicht erst aufkommen, wenn alle Menschen gleich viel hätten und nicht darum kämpfen müssten. Eine Gesellschaft, in der man sich ein Recht auf Überleben verdienen muss, nicht nur durch Arbeit, zerstört auch ihren eigenen Lebensraum, der, wie sollte es auch anders sein, in profitable Parzellen aufgeteilt ist, in denen man sich natürlich profitabel einbringen muss.

Der Stacheldraht in unseren Köpfen, beschützt ein krankhaftes, gieriges Ego, mit dem wir den Stacheldraht weiter über den Erdball ziehen. Und wenn das nicht ausreicht, dann verteidigen wir einen illusionären Besitz sogar mit Waffen. Aber was will man schon erwarten von einer Spezies die sogar den Bruder mordet, um des Bruders Land zu besitzen?
Wie ist eigentlich der erste Mensch in Besitz von Land gekommen? Von wem hat er es erworben?

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