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Im einleitenden Teil der Beitragsserie wurden am Beispiel von Cotton Gin, Spinning Jenny und der Zunahme der Sklaverei in den USA erste Zusammenhänge zwischen der Automatisierung und gesellschaftlicher Veränderungen skizziert. Im Zeitalter von Computerchip und künstlicher Intelligenz bleibt Automatisierung aber nicht beschränkt auf das Ersetzen von Muskelkraft, sondern erfasst immer stärker auch die menschliche Denkleistung. Es ist Zeit für eine Bestandsaufnahme: Der Stand der Dinge in der Landwirtschaft.
Die Automatisierung bestimmt schon heute das Leben von Millionen von Menschen und in vielen Bereichen der Wirtschaft. Sie scheint dennoch nur einen unterproportionalen bzw. oberflächlichen Teil der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit zu erhalten.
Um herauszufinden, welche Folgen die Automatisierung in naher Zukunft haben kann, muss zuerst analysiert werden, wie weit sie bereits heute fortgeschritten ist. Dazu werden im Folgenden mehrere Bereiche der Wirtschaft in Bezug auf den Stand der Automatisierung genauer betrachtet.
Die Landwirtschaft in Vergangenheit und Gegenwart
Die Landwirtschaft hat für mehrere Jahrtausende das Leben der Menschen rund um den Globus bestimmt. Die Hochphase der Landwirtschaft als Betätigung der breiten Masse ist aber seit vielen Jahren vorbei, auch wenn sich bis heute in den Köpfen vieler Menschen noch das romantische Bild vom Landwirt hält, der auf einem Schemel sitzend mit der Hand seine Kühe melkt. Die Realität sieht in Deutschland seit Langem anders aus.
In den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts beschäftigte ein mittelgroßer landwirtschaftlicher Betrieb das gesamte Jahr über etwa 50 Personen.[1] Nicht alle diese Menschen waren dabei mit der Landwirtschaft selbst beschäftigt. Ein Teil dieser Arbeiter versorgte die Feldarbeiter mit Nahrung, wusch für die Angestellten die Kleidung oder nähte und reparierte sie.
Alleine zwei Knechte waren nur damit beschäftigt, das Vieh zu tränken, indem sie Wasser aus einem nahegelegenen Brunnen pumpten und zu den Ställen trugen. Diese Tätigkeit war die erste auf einem durchschnittlichen deutschen Bauernhof, die einem Automatisierungsprozess zum Opfer fiel, als sich motorisierte Pumpen durchsetzten, die Wasser auf Knopfdruck aus der Erde beförderten.[2]
Für Jahrhunderte war das Hauptwerkzeug eines jeden deutschen Landwirts das Ochsen- oder Pferdegespann, welches den Pflug zog. Nach dem Zweiten Weltkrieg verschwand auch diese Gerätschaft rasch aus dem Bild der deutschen Landwirtschaft. Zwar existierten bereits vor dem Ende des Krieges einige Automaten, die den Landwirten die Arbeit erleichterten, doch erst nach dem Krieg begünstigten zwei essentielle Faktoren die Automatisierung auf den Feldern der jungen Republik.
Die Schrumpfung des Mikrokosmos

Die erste war die Tatsache, dass viele Landarbeiter im Krieg gefallen waren und es der Mechanisierung bedurfte, um den Nahrungsmittelbedarf Deutschlands weiterhin decken zu können. Zum anderen waren viele der Fabriken, die im Krieg geländegängige Fahrzeuge für die Wehrmacht produziert hatten, schnell wieder einsatzbereit und konnten unter den neuen Bedingungen der Nachkriegszeit Fahrzeuge und Maschinen für die zivile Nutzung produzieren.[3]
Niedrige Preise für die mechanischen Erzeugnisse dieser Fabriken und der Bedarf an Produktionszuwachs beschleunigten daher die Mechanisierung drastisch.
Die Anzahl der notwendigen Landarbeiter bei gleichbleibender Produktivität sank binnen weniger Jahre rapide. Derselbe mittelgroße Hof, der 1930 noch 50 Arbeiter über das gesamte Jahr hinweg beschäftigt hatte, konnte Mitte der 50er Jahre mit nur noch zehn Arbeitern auskommen.
Die soziale Struktur der Gehöfte änderte sich ebenfalls. War ein mittelgroßer Hof zwei Jahrzehnte zuvor noch ein weitestgehend selbstversorgender Mikrokosmos, so rentierte sich die Anstellung von Näherinnen, Wäscherinnen und Köchen auf den drastisch geschrumpften Gehöften nicht mehr.
Während zuvor Wohnraum und Versorgung mit Nahrungsmitteln und Kleidung der Lohn vieler Landarbeiter war, wurden diese nun fehlenden Leistungen in Geld ausgezahlt, mit dem die Landarbeiter für Kost und Logis selbst aufkommen mussten.[4]
Optimierte Arbeitsprozesse
Heute, ein halbes Jahrhundert später, ist die Anzahl der Menschen, denen der mittelgroße[5] deutsche Landwirtschaftsbetrieb Arbeit bietet, weiter gesunken. Ein solcher Hof beschäftigt in der Gegenwart einen Vollzeitlandarbeiter und in Teilzeit einen Landwirt aus der Umgebung für das Erledigen von Routineaufgaben. Möglich ist dies, weil der heutige Bauernhof ein beinahe in sich geschlossenes Landwirtschaftssystem ist, in dem Technologie zur Automatisierung der allermeisten Arbeitsprozesse geführt hat.[6]
Auf einem Drittel der Nutzfläche, die ein durchschnittlicher Hof[7] bestellt, wird Futterweizen angebaut, mit dem ca. 45.000 Hühner in den Bodenställen eines Betriebs gefüttert werden. Auf einem weiteren Drittel wird Mais angebaut, welcher gemeinsam mit dem Kot der Hühner und dem Mist der Rinder des Hofes in einer Biogasanlage für Strom und Wärme sorgt. Die erzeugte Wärme wird zur Beheizung der Ställe verwendet, während der Strom ins Netz gespeist und verkauft wird.
Nachdem das Gemisch aus Mais und Kot fermentiert ist und nicht mehr weiter zur Produktion von Energie genutzt werden kann, wird es schließlich zu Dünger umgewandelt und auf den Feldern ausgebracht.[8] Auf dem restlichen Drittel der Nutzfläche wird angebaut, was auch immer momentan auf dem Markt lukrativ verkauft werden kann.
Technologische Meisterwerke

Auch der Anbau von Pflanzen hat sich seit dem Anfang des letzten Jahrhunderts stark verändert. Während das Säen, Pflügen und Ernten zu dieser Zeit noch Handarbeit war, die viel Muskelkraft und vor allem Zeit benötigte, so benötigt ein durchschnittlicher Landwirt heute für den Anbau auf einem Drittel seiner Felder nur noch rund drei Tage.[9]
Die Traktoren von heute sind nicht nur schneller und effizienter als Pferdepflüge oder die Traktoren der 50er Jahre, sie können heute auch Kombinationsmaschinen ziehen, die mehrere Arbeitsschritte in einem Durchgang erledigen.
Darüber hinaus sind die Traktoren und Erntemaschinen der Gegenwart beinahe vollautomatisierte technologische Meisterwerke. Sie verfügen über satellitengestützte Positionsbestimmung und sind per Computer an eine sogenannte Schlagkartei des jeweiligen Feldes angeschlossen, in dem jede Besonderheit eines jeweiligen Stücks Land gespeichert ist. Dadurch bestimmen die Geräte automatisch, wie viel Dünger, Saatgut oder Pestizid ausgebracht werden muss. Das sorgt nicht nur dafür, dass die Maschinen die Arbeit und die Menge an ausgebrachtem Material automatisch bestimmen, sondern auch dafür, dass die Geräte quasi vollautomatisch fahren. Die Aufgabe des Fahrers beschränkt sich darauf zu überprüfen, ob die Technik richtig funktioniert oder im Fall eines Fehlers selbst das Steuer zu übernehmen.[10]
Durchgestylte Mikrokosmen

Auch die Ställe sind automatisierte Mikrokosmen. Tierfutter, das zuvor automatisch in seiner Zusammensetzung auf die Tiere im Stall angepasst und gemischt wird, wird mittels automatischer Förderbänder vom Silo in den Stall verbracht.
Jeder Stall verfügt über einen Computer, der Temperatur und Luftfeuchtigkeit konstant misst und gleichzeitig alle anderen Elemente der Mast wie beispielsweise Impfung und Beifügen von Vitaminen automatisch steuert. Außerdem wiegt er die Hühner und errechnet so ein konstant angepasstes Durchschnittsgewicht aller Tiere im Stall.[11]
Das ganze System ist aber überaus fragil. Fällt zum Beispiel die Heizung oder die Wasserpumpe aus, so muss der Landwirt schnell reagieren und Reparaturen vornehmen, andernfalls sterben seine Hühner. Das ist auch die Hauptaufgabe eines heutigen Landwirtes: Überwachung der Technik.
Der Beruf des Landwirts hat sich in den letzten Jahrzehnten drastisch gewandelt und ist heute ein Technikberuf, der enormes Know-how erfordert, welches auch stetig aktualisiert werden muss, da sich die Technik permanent weiterentwickelt.[12] Mit dem romantischen Bild des Bauern hat der Beruf in der Realität tatsächlich schon lange nichts mehr gemein. Auch in der Anzahl der Erwerbstätigen, die der Agrarsektor heute in Deutschland beschäftigt, spiegelt sich der technologische Fortschritt wider: Im Jahr 2013 lag der Anteil der Erwerbstätigen im Agrarsektor bei 1,6 %.[13] 1950 waren es noch 24,6 %.[14]
Von der Landwirtschaft zur Automobilindustrie
Mit dem Aufkommen des Kapitalismus und der Arbeitsteilung in der Industrie, wurde Arbeit nicht nur immer monotoner, sondern ermöglichte erst die Automatisierung einzelner Arbeitsschritte.
Diese Entwicklung, die ähnliche Züge aufweist wie die in der Landwirtschaft, lässt sich am Beispiel der Automobilindustrie am anschaulichsten darstellen und ist Thema des dritten Teils der Beitragsserie über die Automatisierung und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft.
Weitere Beiträge der Serie
Link zu Teil 1: Die Automatisierung und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft – Über Cotton Gin, Spinning Jenny und Sklaverei
Link zu Teil 3: Die Automatisierung und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft – Eine Bestandsaufnahme in der Automobilindustrie
Link zu Teil 4: Die Automatisierung und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft – Eine Bestandstandaufnahme im Management
Link zu Teil 5: Die Automatisierung und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft – Wo die Automatisierung Fuß fasst
Link zu Teil 6: Die Automatisierung und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft – Autonome Fahrzeuge und Roboter in der Medizin und beim Militär
Link zu Teil 7: Die Automatisierung und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft – Der Blick in die Vergangenheit
Link zu Teil 8: Die Automatisierung und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft – Glänzende Zukunft oder Mad Max Land
Link zu Teil 9: Die Automatisierung und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft – Der Weg ins Paradies
Link zu Teil 10: Die Automatisierung und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft – Die Utopie
Redaktioneller Hinweis: Das Werk, das Neue Debatte mit Zustimmung des Autors veröffentlicht, wurde journalistisch angepasst und erscheint als Beitragsserie.
Quellen und Anmerkungen
[1] Kurz, Constanze/Rieger, Frank: Arbeitsfrei. Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen, München 2015, S. 22. ↩
[2] Ebd. ↩
[3] Kurz/Rieger: Arbeitsfrei, S. 23. ↩
[4] Ebd., S. 23/24. ↩
[5] Die durchschnittliche Größe eines deutschen landwirtschaftlichen Betriebs steigt über die Jahre zunehmend, weil kleine Bauernhöfe verschwinden und dafür landwirtschaftliche Großbetriebe mehr und mehr zum Standard werden. Die durchschnittliche Anbaufläche eines solchen Hofes liegt trotz allem bei ca. 56 Hektar. Siehe dazu Statistisches Bundesamt: Landwirtschaft auf einen Blick, 2011, S. 6, verfügbar unter: www.destatis.de ↩
[6] Kurz/Rieger: Arbeitsfrei, S. 24/25. ↩
[7] Hierbei geht es um einen typischen, durchschnittlichen deutschen Bauernhof von mittlerer Größe. Die spezifischen angebauten Nutzpflanzen und gehaltenen Nutztiere können natürlich bei einzelnen Betrieben abweichen. ↩
[8] Kurz/Rieger: Arbeitsfrei, S. 24. ↩
[9] Kurz /Rieger: Arbeitsfrei, S. 25. ↩
[10] Ebd., S. 27. ↩
[11] Ebd., S. 25. ↩
[12] Ebd., S. 28. ↩
[13] Deutscher Bauernverband: Situationsbericht Landwirtschaft und Gesamtwirtschaft 2012/13, verfügbar unter: www.bauernverband.de ↩
[14] Statistisches Bundesamt: Erwerbstätige im Inland nach Wirtschaftssektoren, 23.02. 2016, verfügbar unter: www.destatis.de ↩
Fotos: Vladimir Kudinov (Unsplash.com) und Wikipedia (Pflügender Bauer und Dampftraktor in Kanada; beide gemeinfrei) sowie ein selbstfahrender Mähdrescher bei der Arbeit von Hinrich (Lizenz: CC BY-SA 2.0 DE bzw. CC BY-SA 3.0).
Thilo Rösch verfasste unter dem Titel „Die Automatisierung und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft“ an der Universität Erfurt im Fachbereich Staats- und Sozialwissenschaften seine Bachelorarbeit. Gegenwärtig studiert er im Master Politikwissenschaft an der Universität Osnabrück.