Automatisierung ist längst nicht mehr der Stoff von Romanen und Filmen. Sie ist Realität in weiten Bereichen der Wirtschaft und des Alltags. Wir stehen heute am Beginn eines neuen Zeitalters. Wie dieses Zeitalter aussieht, steht aber noch nicht fest, und es liegt an uns, die Form, die die Zukunft annimmt, aktiv zu gestalten.
In Zeiten von Krisen, in denen gesellschaftliche Strukturen zerfallen, bietet sich die Möglichkeit und auch die Pflicht, eine neue Ordnung zu errichten, die nicht mehr in den Kategorien der alten Ordnung gedacht werden kann. Reformen sind keine Möglichkeit zur Behebung der Probleme, mit denen die alte Ordnung zu kämpfen hat, weil die alte Ordnung selbst diese Probleme hervorbringt und sich damit selbst in der eigenen Entwicklung behindert.
Eine Welt abseits von Marktwirtschaft und Nationalstaat
Wie die neue Ordnung aussieht ist nicht vorherbestimmt, es stehen mehrere Optionen zur Verfügung. Wohin der Weg führt, wird aber von politischen, technologischen und kulturellen Entscheidungen mitbestimmt, die im Hier und Jetzt getroffen werden. [1]
Die Automatisierung wird auf jeden Fall mehr freie Zeit bringen. Die Frage bleibt nur, ob diese Zeit die Form von Freizeit oder von Arbeitslosigkeit annehmen wird. In den beiden vergangenen Industriellen Revolutionen vollzog sich der Wandel in Richtung von mehr freier Zeit. In der ersten Industriellen Revolution verkürzte sich die Wochenarbeitszeit durch die Nutzung von Kohle und Dampfkraft von 80 auf 60, in der zweiten durch die Nutzung von Öl und Elektrizität von 60 auf 40 Stunden. [2]
Der Verlust des Wertes menschlicher Arbeit macht einen völlig neuen Gesellschaftsvertrag nötig, in dem die Rolle eines Menschen nicht mehr nur nach seinem Marktwert bemessen wird. Dieser hat nämlich im Zuge der Industrialisierung über alles andere, inklusive sozialer Beziehungen, die Oberhand gewonnen.
Nun, wo es nur noch wenig einbringt, seine Arbeit zu verkaufen, droht das gesamte, auf dieser Tatsache beruhende ökonomische Gerüst in sich zusammenzustürzen.
Schöpferische Tätigkeiten, Kooperation und Selbstverwaltung
Die Suche nach neuen Möglichkeiten der Orientierung wird zur dringlichsten Aufgabe dieses Jahrhunderts werden, aber sie wird vielen Menschen schwerfallen. Sich eine Welt abseits von Marktwirtschaft und Nationalstaat vorzustellen, ist keine einfache Angelegenheit, haben beide doch für die letzten 150 Jahre unser aller Leben massiv bestimmt. Aber sie muss jetzt, zu einer Zeit, wo die Weichen noch gestellt werden können, gedacht werden, damit wir einer besseren Zukunft entgegensehen können. [3]
Der Blick in die Vergangenheit macht eines (ganz) klar deutlich: Die herrschenden Machtverhältnisse und Konventionen einer Gesellschaft bestimmen, welche Auswirkungen die Veränderungen, die technologische Revolutionen nach sich ziehen, auf eine Gesellschaft haben und wie diese sie bewältigt. [4]
Zu hoffen, dass die Gesellschaft von selbst ihre Balance findet, wenn wir den Dingen einfach ihren Lauf lassen, und darauf hoffen, dass der Markt das Problem von selbst lösen wird, ist ein fataler Irrtum, der uns die Zukunft unserer Gesellschaft kosten kann.
Verhindern lässt sich diese Entwicklung, indem man die Produktivitätsgewinne der Automatisierung dazu nutzt, die Arbeitszeit zu verkürzen und die Menschen dazu bringt, die so frei gewordene Zeit nicht für Konsum, sondern für schöpferische Tätigkeiten zu nutzen.
Dafür muss die Technologie aber horizontal genutzt werden: Individuen müssen ihre Kooperation selbst verwalten. Sollte es dazu kommen, dass die zentralen Apparate die Kooperation unter den Individuen verwalten, dann ist die Zukunft verloren. [5]
Ein letztes Wort
Abschließen möchte ich die Beitragsserie mit den Worten des Aristoteles, der sich schon in der griechischen Antike eine Welt auszumalen wusste, in der die Arbeit nicht mehr das Schicksal der Menschen bestimmt:
„Wenn jedes Werkzeug auf Geheiß, oder auch vorausahnend, das ihm zukommende Werk verrichten könnte, wie des Dädalus Kunstwerke sich von selbst bewegten oder die Dreifüße des Hephästos aus eignem Antrieb an die heilige Arbeit gingen, wenn so die Weberschiffe von selbst webten, so bedarf es weder für den Werkmeister der Gehilfen noch für die Herren der Sklaven.“ [6]
Diese Welt zu errichten sollte heute unsere vorrangige Aufgabe sein. Ob sich die optimistische Zukunftsversion von André Gorz bewahrheiten sollte, bleibt zwar fraglich, aber sicherlich nicht unmöglich. Denn die Bedeutung der Arbeit hat in der Menschheitsgeschichte bereits mehrfach einen gravierenden Wandel durchlaufen. Und als Inspiration kann seine Idee definitiv dienen.
Im Mittelalter diente die Klosterwirtschaft zum Beispiel der eigenen Versorgung mit Lebensmitteln und Kleidung und der Verkauf überschüssiger Waren zur finanziellen Abdeckung. Eine so zentrale Bedeutung von Geld und Reichtum, wie sie heute vorrangig ist, hat zu dieser Zeit nicht existiert. Erst der Erfolgszug des Kapitalismus über den gesamten Globus hat das Streben nach Erfolg und Reichtum in jeden Winkel der Erde getragen und hat viele andere, ältere Antriebsfaktoren ersetzt. [7]
Trotz chronischer Wirtschaftskrise, Jahrzehnten der Kapitalismuskritik und Rückschlägen hat in der Gegenwart bisher aber kein Umdenken stattgefunden, was den kapitalistischen Wirtschaftsmodus anbelangt. Die Automatisierung könnte ein solches Umdenken jedoch erzwingen.
Denn wenn die Automatisierung menschliche Arbeit in vielen Bereichen überflüssig macht, wird sie zwangsweise anders einzuordnen sein. Die Frage bleibt nur, welche Form dieses Umdenken annehmen wird. Die optimistische Einstellung der heute jungen Generation, ihr steigendes politisches Interesse und der wachsende Wunsch nach mehr Freizeit lassen mit etwas Optimismus in die automatisierte Zukunft blicken. [8] Sie kann von uns allen gestaltet werden, durch den ersten mutigen Schritt.
Weitere Beiträge der Serie
Link zu Teil 1: Die Automatisierung und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft – Über Cotton Gin, Spinning Jenny und Sklaverei
Link zu Teil 2: Die Automatisierung und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft – Eine Bestandsaufnahme in der Landwirtschaft
Link zu Teil 3: Die Automatisierung und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft – Eine Bestandsaufnahme in der Industrie
Link zu Teil 4: Die Automatisierung und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft – Eine Bestandsaufnahme im Management
Link zu Teil 5: Die Automatisierung und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft – Roboter und Software im Dienstleistungssektor
Link zu Teil 6: Die Automatisierung und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft – Telepräsenz, Kampfdrohnen und die ruhige Hand von DaVinci
Link zu Teil 7: Die Automatisierung und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft – Der Blick in die Vergangenheit
Link zu Teil 8: Die Automatisierung und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft – Glänzende Zukunft oder Mad Max Land
Link zu Teil 9: Die Automatisierung und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft – Der Weg ins Paradies
Redaktioneller Hinweis: Das Werk, das Neue Debatte mit Zustimmung des Autors veröffentlicht, wurde journalistisch angepasst und erscheint als Beitragsserie.
Quellen und Anmerkungen
[1] Bittman, Felix: Soziologie der Zukunft – Intelligente Maschinen und ihr Einfluss auf die Gesellschaft, Berlin 2014, S. 11. ↩
[2] Rifkin, Jeremy: Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft, Frankfurt/New York 1995, S. 166f. ↩
[3] Ebd., S. 179. ↩
[4] Kurz, Constanze/Rieger, Frank: Arbeitsfrei. Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen, München 2015, S. 12. ↩
[5] Gorz, André: Wege ins Paradies, Paris/Berlin, S. 48. ↩
[6] Aristoteles: Politeia, 1253b. ↩
[7] Bittman: Soziologie der Zukunft, S. 155. ↩
[8] Albert, Mathias et al: 17. Shell Jugendstudie, Bielefeld 2015, verfügbar unter: http://www.tip-innovation.de/fileadmin/inhalte/News/shell-jugendstudie-2015-zusammenfassung-de.pdf [abgerufen: 05.04.2018]. ↩
Foto: Neal Fagan (Unsplash.com).
Thilo Rösch verfasste unter dem Titel „Die Automatisierung und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft“ an der Universität Erfurt im Fachbereich Staats- und Sozialwissenschaften seine Bachelorarbeit. Gegenwärtig studiert er im Master Politikwissenschaft an der Universität Osnabrück.