Ich sehe Berührung, ich sehe Lust? Nein. Entspannung? Nein. Ich sehe Hingabe? Ja! Eine Hingabe, dem anderen sich zu schenken. Ich sehe Hingabe, den anderen in sich spüren zu wollen. Unter der Haut. Den anderen Menschen über die Berührungen auf der Haut in sich einzulassen. Ihm/Ihr alles zu geben und jede Tür ins eigene Innere zu öffnen, über diesen Weg.
Und ich spüre … meine Verzweiflung, weil wir … Ich spüre Verzweiflung, weil ich den anderen nicht unter meine Haut … Ich kann es nur beobachten. Ich kann euch nur fasziniert dabei zusehen. Ich kann nur eure Ausdrücke, wie ein Kunstliebhaber die Ausdrücke eines Lieblingskünstlers betrachtet, studieren. Ich selbst kann es nicht.
Ich selbst kann es einfach nicht … Irgendetwas sagt mir, ich kann es nicht; ich werde es nie können, so sehr ich es mir auch wünsche. Ich werde es nie können. Nicht weil ich krank bin, nicht weil ich soziopathische Sentenzen habe, sondern weil ich so bin, wie ich braune Haare habe. Ich werde dazu nie fähig sein können.
Meine Liebe wird nie in dieser Art ausgedrückt werden können. Ich liebe, ja ich liebe sehr stark. Ich liebe diesen Menschen, aber … ich werde das nie können. Nicht das „Nicht-zulassen-können“ aus meiner Vergangenheit; das hat damit nichts zu tun, sondern ich werde es als Fertigkeit, als Fähigkeit nicht können. Wie, dass ich nie Einrad fahren werde können. Viele Menschen können das, auf sehr beeindruckende Weise sogar. Obwohl hier der Unterschied ist, dass jeder das Einradfahren mit einigen Stunden Training erlernen könnte, wenn man den wollte und ich diesen Ausdruck der Liebe eben nicht erlernen kann. Auch mit vielen Stunden des Übens nicht. Oder verbiete ich es mir?
Nein, das tue ich nicht. Ich kann es einfach nicht … und das ist okay. So bin ich nun mal. Ich kann mir zwar die Haare färben und so tun als wäre ich eine Naturblondinenschönheit, aber spätestens nach einer Woche wird der nachwachsende Ansatz meine Maske dementieren. Ich könnte den anderen täuschen, aber mich damit nur selbst belügen. Nein leugnen, vertuschen, krank sprechen, das funktioniert nicht. Nicht für ein gesundes Sein mit mir selbst. Ich muss mich sehen. Ich muss mich ansehen als … So sehr ich es mir wünsche, ich werde es nie haben können; vor allem nicht mit diesem Menschen. Meine Liebe wird sich nicht in dieser Form zeigen lassen. Meine Liebe lebt nicht auf diese Art, das ist nicht ihre Kultur. Ich habe Liebe, aber nicht in eure Kultur dessen. Ich esse, mein Organismus muss essen, aber es sind eben nicht Nudeln, sondern lieber Kartoffeln. Wir essen alle. Das macht uns gleich, nur was wir essen; das ist verschieden. Wir essen, weil wir es müssen, weil wir ohne nicht existieren können, aber was wir essen, ist unterschiedlich. Und wie wir es zubereiten.
Eine schwere Erkenntnis … es gibt viel zu viele Unwegsamkeiten zu dieser Idee, nein zu diesem Wunsch, zu diesem Wunsch, diesen Menschen unter meiner Haut zu spüren und ihn zu lieben, ihm zu geben, diesem Menschen. Unwegsamkeiten, die diese große Tatsache bisher nur kaschierten. Die mich schützen wollten, vor dieser Erkenntnis, ehe ich nicht bereit dazu war, mich zu sehen. Mich in ihr und sie ihn mir; diese Erkenntnis.
Eine schwere Erkenntnis … nicht, dass diese Unwegsamkeiten keine Relevanz haben, doch sehr berechtigte! Aber sie relativieren doch die eine nur, die noch viel größere Berechtigung für sich einnimmt, als die anderen alle zusammen. Zeit wäre irrelevant. “Du hast nur noch nicht den Richtigen gefunden.” – hieß es bei meiner Homosexualität. “Das hängt doch alles mit deiner Vergangenheit zusammen. Du musst es nur bearbeiten …” – hieß es bei meiner Asexualität. Irrelevant!
Meine Vergangenheit ist völlig nebensächlich. Ich habe mich verliebt in einen Menschen. In einer Art und Weise, die alles sprengt, was ich nur an mich denke. Er steht im Fokus, nicht ich. Er steht in der Sonne, nicht ich. Ich kreise nur um ihn. Meine Gedanken sind an ihm. Ich kann nur eine Spur legen. Eine Idee einer Richtung, in die meine Liebe geht, aber diese Liebe selbst, was sie ist, kann ich nicht beschreiben.
Es ist … ich hoffe nicht unmöglich, aber sie scheint zu groß zu sein, um sie in Worte zu gießen. In schwarzes Blei zu formen, oder in Stein zu meißeln. Zu groß das … nicht Verlangen. Es ist kein barbarisches Verlangen. Es ist ein Aufbrechen, ein Zerlegen, ein Sezieren und gleichzeitig ein Verschmelzen-wollen. Eins-werden-wollen. Alles-sein. Ich würde alles sein, wenn das nur möglich wäre, ich hätte „es“ dann verstanden. Ich hätte „es“ dann gesehen und könnte doch nie davon erzählen. Stünde wie der Ochs vor dem Berg und wüsste nicht, wie ich meinen Traum euch beschreiben müsste, dass ihr „es“ auch seht. Ihr müsst es selbst erleben, auf eure Weise. Ihr müsst euer Essen selbst finden.
Auch wenn es mich treibt, mich zu vereinigen, diese Art und Weise, diesen Ausdruck der Liebe zu wählen; ich kann es nicht. Ich wünsche es mir, wenn ich es mir jetzt eingestehe; ich muss es mir eingestehen. Trotzdessen, wir werden es nie tun. Aus vielen Gründen nicht, aber das ist der Bedeutendste, weil ich es nicht kann.
Berührung ja, aber so viel tiefer, als ein einfaches Küssen. Ein Streichen, ein Würdigen der Schönheit, ein Berühren deiner Seele in dir. Dieses Unmögliche erstreite ich mir. Erstreite ich in mir, mit mir, dass DAS möglich sein soll. Dass ich in diesem Buch, was du als Hüter nur in dir trägst und du nicht einmal weißt, was für einen Schatz du zu tragen, würdig gesprochen bist, lesen werde.
„[…] ich will das Gefühl selbst liebkosen.“ [1] Ich stehe vor einer Leinwand. Sie zeigt eine Gestalt, nicht klar umrissen, die in der Luft schwebt, die Beine leicht angewinkelt. Dieser Mensch wird von einem, dem Feuer gleichen, Energiestrang umwickelnd umschmeichelt. Es hat keine wirkliche Gestalt, nur mutet es dem Feuer sehr ähnlich an, hat aber die verbrennende Wirkung der Gestalt gegenüber nicht.
Auch die Umgebung, ein konturloses vielleicht wolkenähnliches Reich, ist in wärmende Feuerfarbtöne getaucht. Das Energieband hat zwar keine wirkliche Form, aber die Gestalt hält das obere Ende wie das Gesicht einer Liebe in beiden Händen. Ihre beiden Stirnen berühren sich sanft und die Augen des Menschen sind schwelgend geschlossen. Nichts kann dieses reine Gefühlsband der beiden stören. Es ist die absolute Körperlosigkeit der Gefühle.
Die Person liebkost die Liebe selbst; in sich. Es ist die Begegnung mit der Essenz der Liebe. Ich wünsche diese Begegnung jedem Menschen, um die Liebe nicht unbedingt zu verstehen, aber ihrer Reinheit, ihrer möglichen Wirklichkeit begegnen zu können und dann zu verstehen, wie schlimm Gewalt ist. Was Gewalt zerstört, wenn wir sie einem anderen Menschen antun. Dann nehmen wir dem Angetanen die naturgeborene Brücke zwischen ihm/ihr, in diese Realität geborenen und dieser, aus reiner Energie bestehenden Welt, aus der er/sie entstammt.
[1] Alex Ross – Der innere Raum Teil 8: Wahn und Wirklichkeit ↩
Foto: Wesley Quinn (Unsplash.com)
Alex Ross emigrierte aus den schwäbisch-bayrischen Bergen in die Lüneburger Heide. Nach dem Abitur zog sie nach Hamburg, um ein Handwerk zu erlernen. Alex gibt sich als Autorin dem Schreiben hin und als Künstlerin der kreativen Malerei. Ihre Essays unterzieht sie dem Urteil der eifrigen Leserkultur. Sie schreibt über die kleinen Schönheiten und die großen Gemeinheiten des Alltags. Alex lebt im Norden Deutschlands.
2 Antworten auf „Der innere Raum – Teil 9“
Du sprichst die babylonische Muttersprache, mit der du dich immer nur träumend im Kreise drehst, genau deswegen kannst du das nicht, was du möchtest, also wirf sie, für die logische Wahrheit im Wort, über Bord, denn wenn die anderen dich dann, nach einiger Geduld deinerseits, begreifen, so formst du dir den zu dir passenden Menschen, und kannst alle deine Unfähigkeiten abstreifen.
Studiere den nachfolgenden Blog, denn nur dort kann deine diesbezügliche Zuversicht reifen: [HINWEIS ADMIN: Link gelöscht. Verlinken Sie nur zu Seiten, deren Urheberschaft erkennbar ist. Lesen sie die Netiquette für weitere Informationen.]
Ich muss es nicht können wollen. Mehr wirds im 10. Teil geben. Aber interessanter Gedanke. Danke für die Anregung.