Paul Schreyer drückt im Vorwort von Die Angst der Eliten – Wer fürchtet die Demokratie den richtigen Knopf. In wenigen Sätzen formuliert er, um was es im Kern geht:
“Immer wieder aufs Neue stellt sich die Frage nach der Macht im Staate und die nach der Gerechtigkeit. Sollen die Reichen, die »Experten«, die »Klugen« entscheiden – oder soll die Politik tatsächlich von allen bestimmt werden?”
Das unscheinbare Wörtchen tatsächlich überrascht, stört es doch die medial und politisch verordnete Harmonie zwischen Staat und Volk. Demokratie ist im allgemeinen Verständnis schließlich die Herrschaft des Volkes – in der Theorie zumindest und auf dem Papier ohnehin. Doch der Mensch kann irren. Im konkreten Fall irrt sich gewaltig, wer an die Herrschaft des Volkes glaubt.
“Ihr seid verzichtbar …”
Die Vermögens- und Eigentumsverteilung in einer Gesellschaft zu hinterfragen, so wie es der Autor versucht, schadet bei der Betrachtung der Macht- und Herrschaftsverhältnisse nie. Es ist wie im echten Leben: Wer die Münzen in die Musikbox wirft, der entscheidet, ob Mambo, Tango oder Boogie getanzt wird. Da bleibt wenig Raum für demokratische Steps.
Der Populismus, keine Neuerscheinung auf dem politischen Parkett, sondern Dauergast, wird ausführlich thematisiert und die “Vermengung” von Begrifflichkeiten als “manipulativ” kritisiert. Schreyer wählt einige nicht unbekannte Abzweigungen, um die Problematik darzustellen: Reichtum regiert – Milliardäre machen Politik – Das Eigentum. Seine Spurensuche beginnt im Sommer 2015.
Kritik richtet Schreyer mäßig gegen jene, die ob ihrer Feindseeligkeit gegenüber Flüchtlingen als “Pack” bezeichnet wurden, und konzentriert sich hauptsächlich auf jene politischen Schwergewichte, die diese gesellschaftliche Schicht lange abgeschrieben haben und sich – getrieben von Kalkül – herausnehmen, selbige moralisch (und medienwirksam) zu verurteilen; das Fallbeil wird persönlich ausgelöst. Die Vollstreckung wird ab Seite 23 beschrieben.
“Die zunehmende Radikalität, Agressivität und Suche nach Sündenböcken […] gedeihen dort, wo das System nicht funktioniert.”
Schreyer verkündet die harte Wahrheit über das politische Gewicht der ökonomisch abgegrasten Schichten in Deutschland:
“Ein Mensch, der keine öffentliche Anerkennung erfährt, nicht als Bürger, da seine Stimme konsequent politisch ignoriert wird, und nicht als tätiger Mensch, da seine Arbeitskraft als unnütz zurückgewiesen wird, der ist ähnlich fremd im Land und kaum besser integriert als ein frisch eingereister Flüchtling.”
Wen diese Aussage noch nicht aufrüttelt, der bekommt im Folgesatz die volle Breitseite:
“Auch den Millionen in Niedriglohnjobs wird vor allem eines sehr klar vermittelt: Ihr seid verzichtbar, […].”
Die Ansage ist deutlich: Wer ökonomische Bedeutung hat, im System also verwertbar ist, oder durch reinen Besitz in diesem tief verankert, der hat oder erlangt politische Wichtigkeit und wird beachtet. Der Rest verschwindet im Unterdeck, ähnlich wie Sperrmüll, der sich im Keller sammelt.
Der Debatte über Hate Speech und Meinungsfreitheit widmet sich Schreyer und findet einige Ungereimtheiten, die u.a. mit der DDR zu tun haben. Bewerte SED-Kräfte der Vergangenheit versuchen sich in der Gegenwart als “Vorkämpfer für Demokratie […]”.
“Man kann dem Volk nicht trauen”
Sind Volksabstimmungen gefährlich, fragt der Autor. Ein Ja kommt sofort in den Sinn, wenn er an eine Schlagzeile des Nachrichtenmagazins SPIEGEL erinnert, die im Zusammenhang mit der Brexit-Abstimmung ersonnen wurde: “Man kann dem Volk nicht trauen”. Die Briten, demokratisch zur Abstimmung gerufen, erteilten der EU eine Absage. Die Medien in Deutschland erkannten den Weltuntergang. Ausgestanden ist die Angelegenehit bis heute nicht, aber Europa steht noch und das Vereinigte Königreich ist nicht versunken. Wo liegt also das Problem, wenn das Volk Entscheidungen trifft? Weil die Eliten besser wissen wollen, was gut und schlecht ist – vor allem für sich selbst. Schreyer stellt dies anhand historischer Ereignisse schlüssig dar.
Ein kurzer Abstecher zu den Volksentscheiden verdeutlich bereits das Drama des unterschiedlichen Denkens über Demokratie:
[…] Als sich nach der Bundestagswahl 2013 bei den Koalitionsverhandlungen eine überraschende Allianz aus SPD und CSU bildete, um Volksabstimmungen gesetzlich zu ermöglichen, bremste Kanzlerin Merkel entschieden, was selbst die konservative Welt zu der Überschrift veranlasste: „Die Angst der CDU vor dem Willen der Deutschen“. Der Konflikt mit der bayerischen Schwesterpartei spitzte sich während der Koalitionsverhandlungen auf die Frage zu, ob die CDU die Maut akzeptieren würde oder eben Volksentscheide im Bund. „Um direkte Demokratie zu verhindern“, so der Focus, habe sich Merkel dann auf die umstrittene Maut eingelassen. Dass sie damit ganz offen und für jeden sichtbar ein Wahlversprechen brach („Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben“), deutet an, wie wichtig ihr und ihrer Partei die Ablehnung war.Zuletzt beantragte die Linke im Juni 2016 im Bundestag die Einführung einer Volksgesetzgebung. Vor weitgehend leerem Haus – nur etwa drei Dutzend Abgeordnete nahmen an der Abstimmung teil – wies damals nicht nur die CDU den Vorschlag ab, sondern auch ihre Koalitionspartner CSU und SPD, die laut ihren Programmen ja eigentlich dafür sind. Sie beriefen sich auf ihren mit der CDU geschlossenen Koalitionsvertrag, der sie verpflichtete, einheitlich zu votieren.
Die Grünen enthielten sich der Stimme, da ihnen die Beteiligungsschwelle der Linken (eine Million Unterschriften für ein Volksbegehren) zu niedrig war. Ihrer Ansicht nach bräuchte es drei Millionen Unterschriften (5 Prozent der Wahlberechtigten). Auch einige weitere Einschränkungen wären nötig, wie der grüne Abgeordnete Özcan Mutlu in der Debatte vor der Abstimmung anmerkte:
„Ein weiterer Punkt in Ihrem Gesetzentwurf, dem wir nicht zustimmen können, ist, dass Sie verbindliche Volksabstimmungen zu sämtlichen Änderungen der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union vorsehen. Als proeuropäische Partei lehnen wir diese Regelung ab, da wir die im Grundgesetz verankerte tiefere Integration von Europa wollen. Dass das auch wichtig ist, zeigt sich, wenn man bedenkt, was für eine antieuropäische Stimmung derzeit in vielen Ländern und teilweise auch in unserem Land herrscht.“
Das heißt, man möchte das Volk zwar schon abstimmen lassen, nur eben nicht bei einem Thema, wo man vermutlich anderer Ansicht als die Mehrheit ist. […]
Fazit
Paul Schreyers Die Angst der Eliten – Wer fürchtet die Demokratie gehört ohne Wenn und Aber auf die private “List of must read books”, wenn es um die Ausleuchtung von Teilaspekten der gegenwärtigen Demokratiekrise geht. Über 30 Seiten Anhang, auf denen sich Anmerkungen, Quellenangaben und das Personenregistert verteilen, zeugen von dem Streben nach Genauigkeit. Das Ergebnis ist ausgesprochen hilfreich, zum Verständnis einer aus dem Leim geratenen Demokratie, in der Konsequenz aber nicht richtungsweisend – und das ist völlig okay. Schreyer krampft sich eben keine Lösung aus dem Kreuz, will er auch nicht, wie er schon im Vorwort ankündigt, sondern übergibt den Staffelstab des Nachdenkens an die Leserinnen und Leser. Klar ist eins: Die Mächtigen fürchten das Volk und bekämpfen deshalb die Demokratie.
Weiterführende Informationen
Paul Schreyer (Jahrgang 1977) ist freier Journalist und Autor politischer Sachbücher. In seinem Buch „Faktencheck 9/11“ (erschienen 2013) zeigte er Ungereimtheiten in der offiziellen Version der US-Regierung auf. Schreyer konnte schlüssig darlegen, dass die parlamentarische Untersuchung zu den Anschlägen am 11. September 2001 keine Antworten auf naheliegende Fragen gegeben hat. Zusammen mit Mathias Bröckers verfasste Schreyer 2014 „Wir sind die Guten. Ansichten eines Putinverstehers oder wie uns die Medien manipulieren“. Sein Buch „Wer regiert das Geld?“ wurde 2016 für den getAbstract International Book Award nominiert. 2018 erschien “Die Angst der Eliten. Wer fürchtet die Demokratie?”
Paul Schreyer
“Die Angst der Eliten. Wer fürchtet die Demokratie?”
Verlag Westend (Frankfurt/Main, 2018)
ISBN 978-3-86489-209-7
Fotos: Juan Álvarez Ajamil (Unsplash.com) und Westend Verlag.
Gunther Sosna studierte Psychologie, Soziologie und Sportwissenschaften in Kiel und Hamburg. Er war als Handballtrainer tätig, arbeitete dann als Journalist für Tageszeitungen und Magazine und später im Bereich Kommunikation und Werbung. Er lebte hauptsächlich im europäischen Ausland und war international in der Pressearbeit und im Marketing tätig. Sosna ist Initiator von Neue Debatte und weiterer Projekte aus den Bereichen Medien, Bildung, Diplomatie und Zukunftsfragen. Regelmäßig schreibt er über soziologische Themen, Militarisierung und gesellschaftlichen Wandel. Außerdem führt er Interviews mit Aktivisten, Politikern, Querdenkern und kreativen Köpfen aus allen Milieus und sozialen Schichten zu aktuellen Fragestellungen. Gunther Sosna ist Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens und tritt für die freie Potenzialentfaltung ein, die die Talente, Fähigkeiten und die Persönlichkeit des Menschen in den Mittelpunkt stellt, ohne sie den Zwängen der Verwertungsgesellschaft unterzuordnen. Im Umbau der Unternehmen zu gemeinnützigen und ausschließlich dem Gemeinwohl verpflichteten sowie genossenschaftlich und basisdemokratisch organisierten Betrieben sieht er einen Ausweg aus dem gesellschaftlichen Niedergang, der vorangetrieben wird durch eine auf privaten Profit ausgerichtete Wirtschaft, Überproduktion, Kapitalanhäufung und Bullshit Jobs, die keinerlei Sinn mehr haben.
Eine Antwort auf „Kurze Besprechung: Die Angst der Eliten – Wer fürchtet die Demokratie?“
Wahrscheinlich ist die Unterwürfigkeit der Bürger schon so groß, dass nicht einmal mehr ein Versuch gemacht wird, sich dazu zu äußern. Ausserdem sind Alle so mit sich selbst beschäftigt, dass man dafür auch keine Zeit mehr hat. Die Möglichkeit, zu billiger Unterhaltung zu gelangen, ist zu groß, was von den Medien ja auch noch gewünscht wird. So wird suggeriert, dass doch alles in bester Ordnung sei.