Es gehört zu den nie zu entschlüsselnden Dramaturgien, dass genau dann, wenn die Gezeiten der nördlichen Halbkugel dem Räsonnement und dem Verweilen ihren Platz zu geben bereit sind, wenn das Jahr den Menschen die längsten Tage beschert und die Sonne das Areal verwöhnt, wenn genau dann sich die Mächte der Dunkelheit verschwören und ihnen entscheidende Schachzüge gelingen.
Während sich die menschliche Seele nach Kontemplation und dem Genuss des Daseins an sich hingibt, genau dann schlagen sie zu, die Dunkelmänner. Für sie ist die Zeit gekommen, so glauben sie. Und vieles spricht dafür, dass dies so ist.
Während sich aus dem heterogenen Gebilde, das sich Europa nennt, die Kräfte durchzusetzen beginnen, die dem alten Nationalismus das Wort reden, wird in der Türkei ein Mann gewählt, der die Machtkonzentration auf seine Person vorher betrieben hat nach dem Regiebuch des deutschen Nationalsozialismus.
Schauen Sie genau hin: Die Entmachtung der freien Presse, die Gleichschaltung der Justiz, der Polizei und der Armee und die Eroberung des Bildungssystems entsprechen dem, was im 20. Jahrhundert den Plänen der NSDAP gleichkommt.
Und diejenigen, die dafür stehen sollten, die konstitutionelle Demokratie gegen derartige Tendenzen zu verteidigen, haben den Diktator groß gemacht, um sich der Flüchtlinge zu entledigen, die man selbst durch eine unverantwortliche Nahostpolitik auf die Straßen der Flucht gebracht hat.
Der vermeintlich freie Westen ist dabei mit seiner heuchlerischen Doppelmoral der konstitutionellen Demokratie die Grundlagen zu zerstören. Das ist das bittere Resümee, das in diesen Tagen gezogen werden muss. Nein, kein Verständnis darf diesen Wahnsinn begleiten.
Wer Flüchtlinge produziert und sie an den eigenen Grenzen abzuweisen bereit ist, und sich die Kompanie eines Diktators sucht, dem ist die Legitimation vor einer demokratischen Öffentlichkeit abhandengekommen. Da kommt es nur noch zynisch an, wenn das moralische Pathos bemüht wird.
Es ist deutlich geworden, dass die Protagonisten, die sich aufschwingen, im Namen eines freien Europas zu sprechen, die Demontage dieser Idee seit Langem betreiben.
Da werden Schiffe mit Flüchtlingen abgewiesen, da ersaufen die Opfer imperialer Einflusskonflikte wie die Katzen im Bach, da wird vom Schutz der Bevölkerung gesprochen, da wird von der Bekämpfung der Fluchtursachen gefaselt und gleichzeitig werden Drohnen gesteuerte Luftschläge gegen die Zivilbevölkerung als eine den Verhältnissen angemessene Methode gepriesen. Es ist derartig verkommen, dass sich die Frage stellt, wieso das alles hingenommen wird von denjenigen, denen von dieser Nomenklatura tatsächlich die Heimat zerstört wird.
Die Menschen in den modernen Zentren dieses so schlitternden Europas definieren ihr Wohlbefinden mit Freizügigkeit, Liberalität und Toleranz. Das ist kein Verdienst irgendwelcher Regierungen, das ist das Ergebnis einer global gewachsenen Mobilität. Der Wunsch nach Erfüllung dieser Lebensprinzipien existiert in Istanbul wie in Berlin, in Hamburg wie in Amsterdam, aber auch in Bilbao, Stuttgart oder Livorno.
Die Furcht derer, die fern der Zentren leben und sich Szenarien einer Koexistenz der Verschiedenen nicht vorstellen können, wird dazu genutzt, um das Prinzip schlechthin infrage zu stellen.
Das ist das Handwerk der Dunkelmänner, die gerade in Ankara wie in München, in Rom wie in Budapest und Warschau launig auf eine neue Ära anstoßen.
Der Mittsommer währt nicht ewig, und mit seinem Verschwinden verliert das sonnige Gemüt an Kraft. Es wird Zeit, aus diffusem Missmut eine die Lebenspraxis verändernde Kritik zu machen.
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Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
Eine Antwort auf „Europa: Dunkelmänner im Mittsommer“
Die Ursache all dieser Schwierigkeiten ist das heutige Geldsystem, das mit dem Andauern stetig zu mehr Entfremdung vom Miteinander führen wird.