In der modernen Arbeitswelt sind wir mit zunehmender Instabilität, Prekarisierung und Entbehrungen durch die sogenannte Gig Economy konfrontiert. Essenslieferanten-Onlineplattformen wie Deliveroo, Uber Eats und Foodora versprechen ihren Arbeitern Flexibilität, Entrepreneurship und, vermutlich für viele am attraktivsten, die Chance, an der frischen Luft und auf ihren eigenen Fahrrädern ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Was jedoch viele Fahrradfahrer dort vorgefunden haben, sind unregelmäßige und häufig geringe Bezahlung, fehlendes Recht auf Urlaubsgeld, Krankengeld oder Rente, nicht vorhandene Abdeckung von Radreparaturkosten oder Ausgleichszahlungen für Verletzungen und eine äußerst umkämpfte Arbeitskultur, wo Fahrern, die nicht zur richtigen Zeit zur Verfügung stehen, für Wochen keine weiteren Aufträge angeboten werden oder sie gleich entlassen werden – kurz, ein Giftcocktail.
Josh Bornstein, ein australischer Arbeitsanwalt im Auftrag von Maurice Blackburn, beschrieb die Arbeitsverträge von Deliveroo als „Mogelpackung“, die so gestaltet wurden, um Arbeiter „unterhalb der anerkannten Tarife“ (in Australien hat sich die Wirtschaft auf Lohntarife geeinigt) zu bezahlen und „ihnen ihre Grundleistungen abzusprechen“.
Die grandiose Strategie von Unternehmen wie Deliveroo bestand darin, darauf zu beharren, dass ihre Fahrer „selbständig arbeiten“ und deshalb keinen Anspruch auf den nationalen Mindestlohn oder Krankengeld haben. Ungeachtet dessen verlangte Deliveroo bis vor kurzem von ihren Fahrern, Arbeitskleidung und Taschen mit dem Firmenemblem zu tragen, wobei die Kosten dafür von ihrer ersten Gehaltsabrechnung abgezogen wurden.
Ein bahnbrechender Fall, der 2016 verhandelt wurde, erkannte zwei Uber-Fahrer gesetzlich als Arbeiter und nicht als Selbständige. Er hat in dieser Branche die Tore für Organisatoren geöffnet. Aber während sich die Gerichte, die Wirtschaftsverbände und die Regierung es mit möglichen Reformen nicht besonders eilig haben, fällt es Gewerkschaften wie der IWW und unserer Schwestergewerkschaft in London, den Independent Workers of Great Britain (IWGB) zu, den Fahrern dabei zu helfen, hier und jetzt für bessere Bedingungen zu kämpfen.
Kürzlich hat die IWGB Deliveroo wegen des Angestelltenstatus ihrer Fahrer vor Gericht gebracht und verloren, weil das Gericht bestimmt hat, dass die Fahrer einen Untervertrag abschließen und deshalb selbständig sind. Das ist ein weiterer Hinweis darauf, dass es an uns liegt, die Sache weiter voranzutreiben. Das Folgende basiert auf einem Workshop, der im März 2018 bei einem Deliveroo-Fahrer aus der Vertretung der IWW in Bristol stattfand.
Wer sind Deliveroo und wie lautet ihr Plan?
Das 2013 gegründete Deliveroo hat heute ein Reinvermögen von £1,5 Milliarden und die Firmeneinnahmen stiegen über drei Jahre monatlich um 20–25 %. Trotzdem war das Unternehmen in seiner bisherigen Geschichte verschwiegen sowohl was seinen Gesamtgewinn als auch die lokalen Profite angeht. Es hat 20 000+ Fahrer angestellt und im vergangenen Jahr Investitionen im Wert von mindestens £285 Millionen getätigt. Die Bezahlung für die Fahrer liegt pro Lieferung bei £2,50 von den Kunden und £1,25–1,75 von Deliveroo. Deliveroo verdient an jeder Lieferung 30 %, minus £1,25–1,75 machen sie also bei einer £33-Bestellung £8,05 Umsatz. Das ist ein ziemlich lukratives Geschäft.
Was sind die Probleme der Fahrer?
Die Fahrer sind mit vielfältigen Problemen konfrontiert. Aber eines, was sich direkt stellte als wir damit begannen uns in Bristol mit ihnen gemeinsam zu organisieren war, dass die niedrigen Vergütungen je Lieferung es häufig erforderlich machen, gefährlich schnell durch den Berufsverkehr fahren zu müssen, um den Mindestlohn zu verdienen. Wenn wir dies und die fehlende Kostenübernahme für Fahrradreparaturen und Verletzungen zusammennehmen, dann sind Fahrer, die über Deliveroo ihren Lebensunterhalt verdienen wollen, sowohl physisch als auch wirtschaftlich erheblichen Gefahren ausgesetzt. Selbst wenn die Fahrer sich für Aufträge bereithalten würden, wäre es oft unmöglich, an einem Tag außerhalb der üblichen Essenszeiten den Mindestlohn einzufahren.
Eine weitere Sorge gilt der Praxis, dass von etablierten Fahrern erwartet wurde, dass sie Probeschichten für das Unternehmen leiten und darüber entscheiden, ob ein neuer Bewerber für den Job geeignet ist, indem sie diesen auf den Fahrten begleiteten. Und das ungeachtet der Tatsache, dass sie nicht dafür ausgebildet wurden und wegen des starken Verkehrs für einen Großteil der Schicht nicht neben ihren Kandidaten herfahren konnten. Das ist für keinen der Beteiligten sicher und half nicht bei der Sicherstellung, dass der neue Fahrer dem Job gewachsen ist. Wenn das noch nicht genug war: Deliveroo bezahlt nur für die erste Stunde eines Probedurchlaufs, obwohl die Anzahl an Testkandidaten dermaßen erhöht wurde, dass die Fahrer drei oder vier auf einmal mitnahmen. Wir haben uns 2016 mit einer Gruppe von Fahrern unterhalten, die alle ähnliche Bedenken äußerten.
Was wurde bislang erreicht?
In Bristol fanden sich die Leiter der Probeschichten zusammen und einigten sich darauf, als Protestaktion einen Tag lang keine Probedurchläufe auszuführen. Dies fand Beachtung beim Management und die Fahrer realisierten, dass sie mit ihrem Gefühl, von der Firma ausgenutzt zu werden, nicht allein dastanden. Sie begannen miteinander zu reden und sich bei der Arbeit zu organisieren. Viele traten der IWW und unserer Schwestergewerkschaft, der IWGB in London, bei. Seitdem haben die Fahrer in Bristol einen Vertreter für Gesundheit und Arbeitssicherheit, eine angemessene Zulassung für das Testlauf-Programm und eine Reduktion der Anzahl von Fahrern erreicht, die bei jedem Probedurchlauf antreten.
Die Fahrer werden nun auch angemessen für die Kandidaten bezahlt, derer sie sich annehmen. Ein weiterer Erfolg war, dass Deliveroo zugab, was wir bereits wussten: Sie haben nicht die Verfügungsgewalt, ihre Fahrer zum Tragen einer Arbeitsuniform zu verpflichten, solange diese als Selbständige eingestuft werden.
Streiks in London, Brighton, Barcelona, Turin und in Teilen der Niederlande führten bereits zu Einstellungsstopps, dem Ende der Diskriminierung von Gewerkschaftsaktivisten und, in den Niederlanden, zu einer vollständigen Untersuchung der Gig Economy seitens der Regierung. Es gibt noch viel zu tun, aber am Wichtigsten ist der enorme Selbstbewusstseinsschub, den die Fahrer erfahren haben, und dass sie erkannt haben wie wertvoll es ist, sich bei der Arbeit zu organisieren.
Was tun wir konkret?
Das erste, was die Fahrer in Bristol getan haben war sich zusammenzuschließen und eine Liste mit Forderungen zusammenzustellen, um sie dem Management zu überreichen. Als Kollegen aufeinander zuzugehen und über die Probleme zu sprechen, mit denen ihr jeden Tag konfrontiert seid und wo ihr Veränderungen sehen wollt. Eine Methode, die die Fahrer als hilfreich erachteten, war das Gestalten und Anbringen von Speichen-Karten im Fahrradunterstand – das macht Spaß und, noch wichtiger, es ist ein anonymer Weg, um Aufmerksamkeit für die Gewerkschaft zu schaffen. Vielleicht denkt ihr darüber nach, einen Vertreter der IWW oder IWGB zu einem Treffen mit dem Management hinzuzuziehen, wenn ihr das Bedürfnis dieser zusätzlichen Unterstützung verspürt. Manchmal braucht es nur das, aber wenn das nicht genügt, dann ist es Zeit, in größeren Maßstäben zu denken.
Da Deliveroo-Fahrer als Selbständige ausgewiesen sind, können sie keinen offiziellen Streik ausrufen. Ein einfacher Umweg besteht aber in der gemeinsamen Absprache eines bestimmten Zeitraums, innerhalb dessen keiner den „Verfügbar-Status“ in der Deliveroo-App anklickt, die automatisiert Aufträge zuweist. Wenn keine Fahrer für die Abholung verfügbar sind, dann wird das Essen kalt, die Kunden und Restaurants beschweren sich. Um die Situation nicht eskalieren zu lassen, wird Deliveroo daraufhin die „Zone“ (hier also Bristol) schließen. So würde ein erfolgreicher Streik aussehen. Es ist tatsächlich sehr einfach, den Betriebsablauf eines Unternehmens wie Deliveroo zum Stillstand zu zwingen, wenn die Fahrer sich selbst organisieren.
Die Schließung von Zonen schadet Deliveroo erheblich, sowohl in Bezug auf die Gewinne als auch auf öffentliches Vertrauen. Wenn du Essen über ein Unternehmen bestellst und es entweder nicht oder aber kalt auftaucht, dann denkst du zweimal drüber nach, ob du den Service erneut nutzt. Deliveroo will das natürlich vermeiden und wird dafür alle Register ziehen, zunächst durch das Angebot von Bonuszahlungen für die Fahrer, die sie unter Vertrag nehmen (bekannt als „fee-boost“, üblicherweise £1 pro Lieferung). Wenn das nicht funktioniert, werden sie gezwungen sein, genau die Forderungen zu erfüllen, die ihr vor dem Streik aufgestellt habt.
Während ihr darauf wartet, dass sie euch entgegenkommen, könnt ihr diese Zeit immer sinnvoll dafür verwenden, um öffentlich auf die Gründe für euren Streik aufmerksam zu machen. Es wird Menschen geben, die sich fragen, warum ihr Essen nicht kommt, also veranstaltet online so viel Lärm wie möglich darum, unter welchen miserablen Bedingungen ihr arbeiten müsst. Das wird nur noch mehr zur Unzufriedenheit der Kunden und zur Verlegenheit von Deliveroo beitragen. In Leeds haben Fahrer eine große Demonstration veranstaltet, nachdem einige Fahrer gekündigt wurden, als Deliveroo herausfand, dass sie Gewerkschaftsaktivisten waren. Die Demonstration entwickelte sich zur Fahrradtour einer „kritischen Masse“ durch die Stadt, führte an einigen Restaurants vorbei, die Deliveroo benutzen und bekam aufgrund ihrer Sichtbarkeit deren Unterstützung und die der Bürger. Natürlich wurden daraufhin die Fahrer mit besseren Arbeitszeiten wieder eingestellt.
Irgendwelche Tipps für einen erfolgreichen Streik?
Ja! Als allererstes: bringt alle eure Verbindungen dazu, den Streik sichtbar unterstützen. Das können z. B. sein: andere Gewerkschaften (Unison, Unite, UCU, NUT, PCS, FBU, Acorn), lokale Sportmannschaften, Kirchen, Musikbands, kommunale Arbeiter- und Grüne Parteien, Restaurants, Bike-Cafés und natürlich Freunde und Familie. Überzeugt diese Gruppen davon, online Unterstützungs-Statements zu posten, Gelder für den Streik zu spenden und zu bewerben und auf einen Deliveroo-Boykott während des Streiks zu drängen.
Unterstützende Restaurants könnt ihr immer bitten, ihre App für die Dauer des Streiks auszuschalten. Es ist außerdem sinnvoll, jeden Fahrer, den ihr während des Streiks arbeiten seht, zu fragen, ob ihm bewusst ist, dass gerade gestreikt wird und ob er vielleicht mitmachen möchte. Es ist wichtig zu beobachten, welches Unternehmen nach dem Streik viele neue Fahrer einstellt. Es kann sich auszahlen, dem vorzubeugen, indem ein Einstellungsstopp zur zentralen Forderung erklärt wird.
Letztlich ist es hilfreich einen Ort im Internet zu haben, wo die Fahrer Nachrichten miteinander austauschen können. Niemand weiß, wie sich die Situation an einem Aktionstag entwickelt und es kann schwierig sein, alles in einem oder mehreren persönlichen Treffen abzuhandeln. Einige Fahrer haben WhatsApp und Telegram benutzt, aber es gab Fälle, wo das Management die Gruppen unterwandert hat. In Bristol verwenden wir Loomio, was zum Mitmachen eine Einladung durch den Gruppenadmin erfordert und den zusätzlichen Vorteil bietet, dass über Entscheidungen abgestimmt werden kann.
Zu guter Letzt: setzt euch in Verbindung mit eurer lokalen IWW/IWGB-Vertretung. Dort gibt es Menschen, die eine Menge Erfahrung darin haben, anderen dabei zu helfen, sich bei der Arbeit zu organisieren, und die außerdem eine kleine Armee aus Aktivisten mitbringen, die euer Onlineprofil aufpolieren können und mit euch in der Streiklinie stehen.
Wie auch immer ihr mit euren Konflikten am Arbeitsplatz umgeht, wir wünschen euch dabei viel Glück!
Redaktioneller Hinweis: Der Beitrag erschien erstmals in englischer Sprache unter dem Titel “How to win against Deliveroo” auf New Syndicalist. Wir danken New Syndicalist für die Zustimmung zur Übersetzung und Übernahme auf Neue Debatte.
Auch in Deutschland tut sich was. Am Freitag, den 13. April 2018 beteiligten sich in mehrere Städten Fahrer, Aktivisten, Bündnisse und Gewerkschaften an einem internationalen Aktionstag unter dem Motto “Shame on you, Deliveroo!”. Die Fahrer von Deliveroo und Foodora haben in Berlin mit der FAU (Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union) zusammen die Deliver Union organisiert.
Foto: Roman Koester (Unsplash.com)
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2 Antworten auf „Wie man gegen Deliveroo gewinnt“
Hallo,
das ist nicht euer erster Text zu diesem Thema. Ihr solltet unter dem Text eine Linksammlung zu den älteren Texten aufbauen und pflegen. Das fördert die Information zum Thema und bietet immer auch einen zeitlichen Überblick über die Entwicklung. (zB Kurzfilm: “Ride with us”) Nicht nur die automatische Linksammlung unten.
Vielen Dank für den Hinweis. Wir werden ihn umsetzen.