Gottvater Zeus ließ Prometheus an einen Felsen des Kaukasus schmieden. Als Strafe dafür, dass er das Feuer des Himmels stahl und den Menschen brachte. Schmerzvoll ertrug Prometheus sein Schicksal in der Hoffnung, mit Zeus zu einer Verständigung zu gelangen, ob seine Tat Unrecht sei. So beschrieb Aischylos ein Drama aus der griechischen Mythologie. [1]
Feuer hat bekanntlich gegensätzliche Eigenschaften. Seine Beherrschung kann den Menschen in vielfacher Weise nützlich sein. Es macht Erze schmiedbar, kann Maschinen antreiben, macht Nahrung genießbarer, schützt vor Kälte. Anderseits kann Feuer verheerende Katastrophen und Schäden verursachen.
Wirtschaftswachstum ist gleichfalls ambivalent. Mittels Arbeit kann es Segen für die Menschen bringen. Etwa ausreichend Nahrung, Wohnstätten, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen und vieles mehr, wenn Mensch und Gesellschaft es wollen. Im Sog des Wachstums entstehen Arbeitsplätze. Gewerbetriebe können sich entwickeln. Die Künste und die Wissenschaft erhalten mit dem Wachstum Wirkungsfelder, die gute Lebensmöglichkeiten für die Kunstschaffenden und Akademiker eröffnen.
Materielles und finanzielles Wachstum wird benötigt, um den vorhandenen Bestand der Gesellschaft an Verkehrseinrichtungen, an Immobilien für die staatliche Verwaltung, das Bildungswesen, der Theater und Museen zu erhalten und zu erweitern. Es stärkt die Wissenschaft und Forschung und es ist erforderlich für eine geordnete Finanzausstattung der Gesellschaft und für den Fortschritt, aus dem Steueraufkommen. Auch für Aufgaben des Recyclings wird Wachstum benötigt.
Die natürlichen Lebensumstände bedingen aus heutiger Sicht, dass das Wachstum kein Ende haben wird. Es ist mit der Evolution eng verbunden.
Wachstum erzeugt auch negative Effekte, besonders dort, wo es unkontrolliert verläuft und eng mit der Profitlogik oder der reinen Geldanhäufung in wenigen Händen verbunden ist. Bernard Charbonneau [2], ein Vordenker der Decroissance-Bewegung [3], attestiert der Wirtschaft einen Widersinn. Beispielhaft feststellbar in drei gesellschaftlichen Großbereichen.
Eine grobe Bilanz des Jahres 2017 zeugt erstens von einer gefährlichen Missachtung der physikalischen und biologischen Gesetze der Natur durch überhöhtes materielles Wachstum und Energieverbrauch in Wirtschaft und Gesellschaft, gepaart mit ungenügender Kontrolle durch die Politik. Die Erderwärmung ist wohl nicht zu stoppen und das Artensterben in der Tierwelt setzt sich fort. Die Vermüllung der Meere und der Städte lässt Alarmsirenen schrillen. Hinweis: Die Natur braucht für ihren Fortbestand keine Menschen. Sie reagiert nur. Aber der Mensch ist ohne die Natur nicht lebensfähig.
In den Konsumgüterbereichen wird zu viel Unsinniges hergestellt, was nicht zum Grundbedarf gehört und schnell im Abfall landet. Die Werbung stuft die Menschen zu reinen Konsumenten ab. In den Militärbereich werden 2 Prozent des BIP-Wachstums gesteckt und damit Energie und Rohstoffe sinnlos verbraucht.
Die zweite bedenkliche Folge führt zu weltweiten Disproportionen und sie teilt die Welt in Rohstofflieferanten und Absatzmärkte ein, wo es Gewinner und Verlierer gibt (siehe: World Inequality Report). [4] Die Gleichheit wird verletzt. Präsident Donald Trump sieht die USA auf der Verliererseite und er reagiert als Vertreter der Profitlogik mit beunruhigenden Dekreten. Die ungleiche Möglichkeit das Leben zu gestalten, verursacht in Afrika, Lateinamerika und Asien neben Bürgerkriegen Fluchtwellen.
Der dritte Bereich betrifft die soziale Lage der Bevölkerung. Das unkontrollierte Wachstum bedingt, verbunden mit neoliberalen Konzepten, eine Umverteilung von unten nach oben. Politische Spannungen entwickeln sich in den Ländern und in der Welt. Zu oft entladen sie sich mit Wirtschaftskrisen und in Kriegen.
Die Zeiger der Weltuntergangsuhr von Martyl Langsdorf stehen seit 1947 beharrlich auf kurz vor 12 Uhr. [5] Das kann nur als Mahnung vor einer Selbstvernichtung verstanden werden.
Das zu lösende Problem besteht offensichtlich darin, das notwendige Wirtschaftswachstum für den Fortschritt, zum Ausgleich zurückgebliebener Bereiche, dem Ersatz des verbrauchten materiellen, gesellschaftlichen Reichtums, der Umsetzung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, zur Versorgung einer wachsenden Erdbevölkerung von den schädlichen Effekten des Wachstums zu trennen.
Im Zeitalter der Menschenrechte müssen die Antreiber schädlicher Effekte des Wachstums nicht an Felsen gekettet werden. Die menschliche Geschichte hat praktische Erfahrungen gesammelt und bereits Gegenstrategien entwickelt.
Ein ganzes Bündel von Maßnahmen muss in Angriff genommen werden. Von den Politikern, von der Wirtschaft und mit der Unterstützung aller. Es sollte möglich sein, dass der Mensch einen vernünftigen Konsens zur Lösung findet. Die Vernunft unterscheidet den Menschen vom Tier, meinte schon Voltaire (Lobrede auf die Vernunft, Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, gesammelte Werke Bd. II).
Was tun?
Die Menschheit steht vor großen Problemen und sie stellt sich hohe Ziele; gegenwärtig u. a. den Mars zu besuchen. Finanzielle Mittel stehen bereits zur Verfügung. Wissenschaftler arbeiten an Varianten der technologisch hoch komplizierten Aufgabe. Um wie viel einfacher wäre es, ein Vorhaben der Vernunft und des guten Willens, zum 75. Jahrestag der Erklärung der Menschenrechte im Jahr 2023 eine weltweite Verpflichtung der Länder im Rahmen der Vereinten Nationen, einzugehen, die Militärhaushalte jährlich um 5 Prozent zugunsten ziviler Fortschrittsprojekte umzuwidmen. Laut SIPRI beliefen sich die weltweiten Rüstungsausgaben 2016 auf 1,686 Billionen US-Dollar. [6]
Die Idee, militärische Kapazitäten bei Katastrophen zu nutzen, ist nicht neu. Das belegten Atomunfälle in Fukushima und Tschernobyl, Brandkatastrophen in Kalifornien, Schweden, Griechenland, Hochwasser in Deutschland, Polen, Pakistan. Das Rote Kreuz, Blauhelm-Einsätze für Friedensmissionen der UNO haben zivile Hintergründe.
Die UNO hat sich Millenniumsziele bis 2030 gestellt. Ziel Nr. 7 sieht vor, eine ökologische Nachhaltigkeit zu erreichen und den kommenden Generationen Gerechtigkeit zukommen zu lassen. [7] Das Pariser Umweltabkommen beschreibt dazu einen Teil der Wege.
Der Vorschlag zur Umwidmung eines kleinen Teils der Militärhaushalte versteht sich als Anregung. Eine zweite Anregung ist die Kontrolle des schädlichen Teils des Wachstums über die Planung des Verbrauchs in Bereichen der Daseinsvorsorge.
Redaktioneller Hinweis: Der Beitrag von Günter Buhlke erschien erstmals bei unserem Kooperationspartner Pressenza.
Quellen und Anmerkungen
[1] “Der gefesselte Prometheus” (Insel-Verlag Leipzig, 1975) ist der Titel einer griechischen Tragödie, die bereits in der Antike dem Dichter Aischylos zugeschrieben wurde. Aischylos (525-456 v. Chr.) ist der älteste der drei großen Dichter der griechischen Tragödie, zu der Sophokles und Euripides zählen. ↩
[2] Bernard Charbonneau: Die Große Wandlung. Auf www.postwachstum.de/bernard-charbonneau-die-grosse-wandlung-20180423 (abgerufen am 09.08.2018). ↩
[3] Mit dem Begriff Wachstumsrücknahme (englisch Degrowth), Postwachstum, Wachstumswende oder Entwachstum wird die Reduktion eines Konsum- und Produktionswachstums verbunden. Damit soll einem Wirtschaftswachstum begegnet werden, wenn es als sozial, ökologisch, ökonomisch oder politisch schädlich wahrgenommen wird. Vertreter dieses Konzepts sehen darin eine Strategie gegen ein Umwelt und Ressourcen überbelastendes Wachstum. Die französische Décroissance-Bewegung lehnt nicht nur den „Wachstumszwang“ ab, sondern auch einen Green New Deal. Mehr Informationen auf https://de.wikipedia.org/wiki/Wachstumsr%C3%BCcknahme (abgerufen am 09.08.2018). ↩
[4] Facundo Alvaredo, Lucas Chancel, Thomas Piketty, Emmanuel Saez und Gabriel Zucman: World Inequality Report 2018. Auf https://wir2018.wid.world (abgerufen am 09.08.2018). ↩
[5] Die US-amerikanische Künstlerin Martyl Suzanne Schweig Langsdorf (1917-2013) gestaltete im Juni 1947 die Doomsday Clock (dt.: Weltuntergangsuhr). Diese soll der Öffentlichkeit verdeutlichen, wie groß das aktuelle Risiko einer globalen Katastrophe ist, insbesondere eines Atomkrieges. Die Weltuntergangsuhr steht auf zwei Minuten vor Zwölf. Mehr auf: http://weltuntergangsuhr.com (abgerufen am 09.08.2018). ↩
[6] Das 1966 von der schwedischen Regierung gegründete Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI, deutsch: Stockholmer internationales Friedensforschungsinstitut) ist eine Einrichtung zur wissenschaftlichen Arbeit an Fragen von Konflikten und Kooperationen im Kontext globaler Entwicklungen bei Frieden und Sicherheit. Bekannt ist SIPRI für seine jährlichen Berichte zu den internationalen Rüstungsausgaben. Daten zum Jahr 2016 wurden im SIPRI Jahrbuch 2017 veröffentlicht: https://www.sipri.org/sites/default/files/2017-11/yb_17_summary_de.pdf (abgerufen am 09.08.2018). ↩
[7] Die UN-Millenniumsentwicklungsziele auf www.un-kampagne.de/index-11305.php (abgerufen am 09.08.2018). ↩
Illustration: Dorothe (Pixabay.com; Creative Commons CC0).
Günter Buhlke ist Jahrgang 1934 und Dipl. Volkswirtschaftler. Er studierte an der Humboldt Universität und der Hochschule für Ökonomie Berlin. In den 1960er und 70er-Jahren war Buhlke international als Handelsrat in Mexiko und Venezuela tätig und Koordinator für die Wirtschaftsbeziehungen der DDR zu Lateinamerika. Später Vorstand einer Wohnungsgenossenschaft, Referent im Haushaltsausschuss der Volkskammer und des Bundestages und von 1990 bis 1999 Leiter der Berliner Niederlassung des Schweizerischen Instituts für Betriebsökonomie. Günter Buhlke ist verheiratet, lebt in Berlin und engagiert sich ehrenamtlich.
3 Antworten auf „Wachstum und (k)ein Ende?“
Die Frage “Was tun?”, Herr Buhlke, – und das dürfte Ihnen als ehemaliger DDR-Student nicht entgangen sein – , hat Lenin schon 1902 gestellt (und sogar vor ihm 1863 Tschernyschewski) und ausführlich beantwortet. Und so viel Vermessenheit werden Sie doch wohl nicht aufbringen wollen, um Lenin hier ganz und gar zu ignorieren!
Was also bezwecken Sie mit Ihren Erklärungen über das Wachstum? Ist Ihnen nicht mehr bewußt, daß die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft “die Geschichte von Klassenkämpfen” ist? Oder meinen Sie, die Zeit der Klassen sei vorbei, nur weil es heute ganz danach aussieht, als gäbe es keine Arbeiterklasse mehr, und wenn schon – wollte niemand mehr kämpfen in diesem Land? Dann lesen Sie doch bei Lenin noch mal nach, und sie werden zahlreiche Parallelen zur Gegenwart bei ihm finden.
“Es sollte möglich sein, daß der Mensch einen vernünftigen Konsens zur Lösung findet.” Wen sprechen Sie denn damit an? Meinen Sie, die Herren in den Vorstandsetagen der Großkonzerne oder meinen Sie die Näherinnen in Bangladesh? Zwischen denen wird es keinen “vernünftigen Konsens” geben! Wer derart über die Klassengegensätze hinweggeht, der muß sich nicht wundern, wenn er nicht ernst genommen wird!
Die Klimakatastrophe muss wohl erst nöch größere Ausmaße annehmen, bevor darüber nachgedacht wird, dass schnellstens die westliche Welt sich Einschränkungen auferlegt. Wann werden Urlaubsreisen in die nähere Umgebung unternommen, diese heutige Energieverschwendung muss ein Ende haben. Jegliches Wirtschaftswachstum sollte als Angriff auf das Fortbestehen der Menschheit gesehen werden.
Diese Ansicht ist irrig, Herr Meyer. Die “westliche Welt”, also der Kapitalismus, wird und kann sich keine “Einschränkungen auferlegen”, das widerspricht den Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Gesellschaft, die auf der Erzielung von Profit beruht, und nicht von den Interessen der Mehrheit der Menschen bestimmt ist. Erst im Sozialismus wird wieder eine gerechte und planmäßige Volkswirtschaft möglich sein, in der die Bedürfnisse der Menschen, und nicht die einzelner Kapitalisten, befriedigt werden.