“Ist Hollywood bereit für Boots Riley?”, titelte Ende Juni das Magazin Rolling Stone und berichtete über den in den US-Kinos angelaufenen Satirefilm ‘Sorry to Bother You’ (dt.: Entschuldige, dass ich störe) von Regiesseur Raymond Lawrence “Boots” Riley. [1]
Dessen politische Anliegen sind weniger satirisch, als es die ersten Zeilen des Artikels vermuten lassen. Boots Riley, geboren 1971 in Chicago und aufgewachsen im kalifornischen Oakland, ist ideologisch weit entfernt von Hollywood und noch viel weiter vom Kapitalismus: Er ist ein Kommunist, beflügelt von der Idee einer sozialen Revolution in den USA.
Seine radikalen Ansichten und antikapitalistischen Positionen vertritt Riley nicht nur als Sänger der Hip-Hop-Band The Coup oder der Rap-Rock-Formation Street Sweeper Social Club, sondern auch als politischer Aktivist. Klassenkampf ist das Thema und die Überwindung des Kapitalismus, der sich selbst nicht scheut, auch die härtesten Antikapitalisten zu verwerten.
Der wirkliche Schritt ist, den Leuten zu zeigen, dass sie einen Machthebel haben. Und dieser Machthebel ist ihre Ausbeutung.
Boots Riley (2013)
Mit 14 Jahren schloss sich Riley dem Internationalen Komitee gegen Rassismus an und wurde mit 15 Jahren Mitglied in der marxistisch-leninistisch ausgerichteten Progressive Labour Party (PLP), einer Abspaltung der Kommunistischen Partei der USA. In der Bewegung gegen den Vietnamkrieg spielte die PLP in den 1960ern und Anfang der 1970er Jahre eine entscheidende Rolle. Nach dem Abzug der US-Truppen aus Vietnam entwickelte sich die PLP zu einer der führenden kommunistischen Organisationen in den Vereinigten Staaten. [2]
1991 gründete Riley die politische Hip-Hop-Gruppe The Coup, der der Rapper E-Roc und Pam Warren, bekannt als DJ Pam the Funkstress, angehörten. Ein herausragender kommerzieller Erfolg stellte sich nicht ein. Die Mitglieder von The Coup trennten sich vorübergehend. Riley engagierte sich weiterhin politisch und hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser.
Im November 2001, wenige Wochen nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York City, die als 9/11 bekannt wurden, wollte The Coup mit “Party Music” das vierte Studioalbum herausbringen. Das geplante Cover, das Riley und Pam Warren vor den brennenden Zwillingstürmen des World Trade Center zeigt, sorgte für einen medialen Skandal, der Riley weltweit bekannt machte.
Er sagte später, dass das Cover-Design schon im Juni fertiggestellt wurde, also weit vor den Anschlägen, und “eine Metapher für den kapitalistischen Staat sein sollte, der durch die Musik zerstört wird”. Interpretationen, das Cover sei als Aufruf zur Gewalt zu verstehen, erteilte Riley eine Absage. [3]
Ken Erlich, der Manager von The Coup, sah die Aufregung um das Design mit kapitalistischer Rationalität. Von dem Album wurden etwa 50.000 Exemplare verkauft, aber mit der ganzen Presse hätten es viel mehr sein können. [4]
Es geht nicht um die Krise oder um Wallstreet, es geht um den Kapitalismus, der am Ende ist.
Ein Hafenarbeiter aus Oakland (2011)
Als sich mit Occupy Wall Street (dt.: Besetzt die Wall Street) im Oktober 2011 die größte antikapitalistische Protestbewegung in Nordamerika formierte, entwickelte sich in Oakland, dem viertgrößten Hafen der USA, der vielleicht kompromissloseste Arm der Bewegung.
Boots Riley gehörte zu den Sprechern von Occupy Oakland, die auf einer Pressekonferenz für den 2. November einen Generalstreik und die Blockade des Hafens ankündigten.
Einige Tage vorher, am 25. Oktober, war die Polizei mit Tränengas und Bean-Bag-Munition gegen Demonstranten vorgegangen. Einer der Demonstraten war der damals 24-jährige Scott Olsen. Der Irakveteran soll nach Angaben der Vereinigung Iraq Veterans Against the War von einem Polizeiprojektil am Kopf getroffen worden sein. Olsen erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma und wurde lange medizinisch behandelt. 2014 einigten sich seine Anwälte mit der Stadt Oakland auf einen Deal. Olsen bekam eine Entschädigung von 4,5 Millionen Dollar. [5]
Wie von den Protestlern angekündigt, wurde der Hafen besetzt. In der Nacht vom 2. auf den 3. November fluteten über 5000 Menschen das Gelände. Der Betrieb brach vollständig zusammen. Drohungen der Staatsgewalt, dass die Besetzung des industriell wichtigen Hafens ein Verbrechen darstellen würde, beeindruckten die “99 Prozent” nicht. [6]
Sie schmeißen uns aus unseren Wohnungen wie tote Mäuse, aber wir werden ihnen zeigen, dass wir nicht tot sind, dass wir aufstehen und uns wehren werden.
Eine Frau aus Oakland (2011)
Sieben Jahre nach den Protesten in Oakland hat der Revoluzzer Boots Riley mit ‘Sorry to Bother You’ die US-Kinos erreicht und wirft einen sozialen Farbbeutel auf die Leinwand. Was als bekömmliche Komödie aus der futuristischen Arbeiterklasse daherkommt, entpuppt sich als harte Kritik am herrschenden kapitalistischen System. Mark Binelli schreibt im Rolling Stone, ‘Sorry to Bother You’ sei “formal exzentrisch, politisch aufgeladen und sehr, sehr lustig”.
Riley trifft trotz aller Lacher, krachender Pointen und irrwitzigen Wendungen mit ‘Sorry to Bother You’ ins Nervenzentrum einer völlig übersteuerten kapitalistischen Konsumgesellschaft, die moralisch schon weit vor US-Präsident Donald Trump ertrunken ist in einer ungenießbaren Brühe aus Empathielosigkeit und Gier.
Rileys Film, dessen Handlung natürlich in Oakland angesiedelt ist, und der wahlweise eingeordnet wird als Science-Fiction-Fantasy-Komödie oder amüsanter Sozialthriller, transportiert eine weitere Anklage: Er zeigt mit allen Fingern auf den Rassismus in den USA. Als Beleg soll genügen, dass eine der Hauptfiguren in ‘Sorry to Bother You’, Cassius “Cash” Green, ein schwarzer Callcenter-Agent, entdeckt, dass er seine Stimme “weiß” klingen lassen kann, was ihm einen ungeahnten beruflichen Aufstieg ermöglicht. Einfacher lässt sich Rassismus nicht fassen.
An der grundlegenden Kritik des Wirtschaftssystems bleibt dabei kein Zweifel, weil der Kapitalismus selbst keine Geschlechter, Religionen oder Hautfarben kennt, sondern alles ausbeutet, was ihm in die Finger kommt. Und wie dem zu begegnen ist, sagte Raymond Lawrence “Boots” Riley schon 2013:
Ich glaube, dass unsere Macht an dem Ort ist, wo wir den Reichtum schaffen und dass wir eine radikale, massenhafte, militante Arbeiterbewegung brauchen.
Boots Riley (2013)
Mit ‘Sorry to Bother You’ verbreitet sich nun angetrieben durch den Kommerz quasi die “Light Version” einer Weltanschauung von unten. Vielleicht erreicht die Botschaft die Köpfe und Herzen der Kinogänger, wenn diese Coke und Popcorn für 105 Minuten zur Seite stellen können, um sich in den Film und seine Protagonisten hineinzuversetzen. Es wäre auf jeden Fall revolutionär, würde ausgerechnet die kapitalistische Traumfabrik einen spürbaren Impuls setzen, um den Kapitalismus abzuschaffen.
Informationen zu Occupy Oakland und Boots Riley
PRESSEKONFERENZ OCCUPY OAKLAND
USA: 2011
Länge: 11 Minuten
Realisierung: Niltiacenaj
WIR BRAUCHEN EINE MILITANTE AREITERBEWEGUNG
USA: 2013
Länge: 2 Minuten
Realisierung: labournet.tv
Die Videos sind Teil des Filmarchivs von labournet.tv, einem Projekt von Content – Verein zur Förderung alternativer Medien e.V.
Quellen und Hinweise
[1] Rolling Stone Magazin: Is Hollywood Ready for Boots Riley?Auf www.rollingstone.com/movies/movie-features/is-hollywood-ready-for-boots-riley-666942 (abgerufen am 10.08.2018). ↩
[2] Webseite der PLP: www.plp.org (abgerufen am 10.08.2018). ↩
[3] Wired.com: Eerie Image Pulled From CD. Auf www.wired.com/2001/09/eerie-image-pulled-from-cd (abgerufen am 10.08.2018). ↩
[4] East Bay Express: The Life of Riley. Auf www.eastbayexpress.com/oakland/the-life-of-riley/Content?oid=1080907 (abgerufen am 10.08.2018). ↩
[5] The Guardian: Oakland pays $4.5m to Scott Olsen, veteran injured in Occupy protest. Auf www.theguardian.com/world/2014/mar/21/city-of-oakland-pays-4-million-veteran-occupy (abgerufen am 10.08.2018). ↩
[6] Spiegel Online: US-Polizei feuert Tränengas auf “Occupy”-Demonstranten. Auf www.spiegel.de/politik/ausland/strassenschlacht-in-oakland-us-polizei-feuert-traenengas-auf-occupy-demonstranten-a-795578.html (abgerufen am 10.08.2018). ↩
Foto: labournet.tv
Gunther Sosna studierte Psychologie, Soziologie und Sportwissenschaften in Kiel und Hamburg. Er war als Handballtrainer tätig, arbeitete dann als Journalist für Tageszeitungen und Magazine und später im Bereich Kommunikation und Werbung. Er lebte hauptsächlich im europäischen Ausland und war international in der Pressearbeit und im Marketing tätig. Sosna ist Initiator von Neue Debatte und weiterer Projekte aus den Bereichen Medien, Bildung, Diplomatie und Zukunftsfragen. Regelmäßig schreibt er über soziologische Themen, Militarisierung und gesellschaftlichen Wandel. Außerdem führt er Interviews mit Aktivisten, Politikern, Querdenkern und kreativen Köpfen aus allen Milieus und sozialen Schichten zu aktuellen Fragestellungen. Gunther Sosna ist Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens und tritt für die freie Potenzialentfaltung ein, die die Talente, Fähigkeiten und die Persönlichkeit des Menschen in den Mittelpunkt stellt, ohne sie den Zwängen der Verwertungsgesellschaft unterzuordnen. Im Umbau der Unternehmen zu gemeinnützigen und ausschließlich dem Gemeinwohl verpflichteten sowie genossenschaftlich und basisdemokratisch organisierten Betrieben sieht er einen Ausweg aus dem gesellschaftlichen Niedergang, der vorangetrieben wird durch eine auf privaten Profit ausgerichtete Wirtschaft, Überproduktion, Kapitalanhäufung und Bullshit Jobs, die keinerlei Sinn mehr haben.
Eine Antwort auf „Entschuldige, dass ich störe …“
Danke für den interessanten Beitrag!