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Yuriko Yushimata – Lasst die Kinder zu mir kommen, …

In der Science-Fiction-Gesellschaft von übermorgen vertrauen die einen auf Papstandroiden und die anderen auf Hackerkünste. Es geht um Kontrolle!

“Ich bin drin!” Linas Schrei war quer durch den Computerraum zu hören.
Blitzschnell waren Uwe, Jana, Moni, Lauha und Taito hinter ihr und sahen ihr über die Schulter. Die Kinder vom Computerclub der 7ten Jahrgangsstufe waren zur Zeit zum Glück die einzigen Nutzer des PC-Raumes der Schule.

Uwe stand mit offenem Mund da. “Das ist nicht wahr, nicht? Wie hast Du denn das geschafft?”
Lina ließ sich ein bisschen bewundern. “Unser neuer Religionslehrer hat doch mal erzählt, dass ein Studienkollege von ihm in der Vatikanbibliothek arbeitet.
Also hab ich ihn gebeten, mir die E-Mail-Adresse zu geben, um für unsere Ausarbeitung etwas nachfragen zu können.”
Jana sah sie an. “Was macht ihr denn?”
“Suri und ich schreiben einen Text über die alten Bücher in der Vatikanbibliothek. Da gibt es Bände, die sind über 1000 Jahre alt.”
Jana zuckte mit den Schultern. “Und?”
“Auf meine Anfrage hat der Untersekretär der Vatikanbibliothek mir beschränkten Zugriff auf die Datenbanken gewährt.
Er war völlig begeistert, dass so junge Mädchen sich für ‘derartig komplexe religiöse Fragen’ interessieren.
Und von da ab war alles ganz einfach.
Ich habe ihn einfach so lange gelöchert, bis er mir an einer bestimmten Stelle kurzzeitig einen weitergehenden Zugriff ermöglicht hat.
Das war vorgestern.”

Taito sah gebannt auf die Zeichenreihen auf dem Bildschirm. “Die vertrauen halt auf Gott.”
Moni lachte. “Die Erwachsenen sind einfach naiv.”
Jana war immer noch skeptisch. “Und Du bist tatsächlich in die Papststeuerung rein gekommen?”
Lina lehnte sich zurück und sah mit hoch erhobener Nasenspitze in die Runde. “Ja, ich bin halt brilliant. Außerdem kann ich ein bisschen Hebräisch. Einmal im System, musste ich nur noch alte Bibelzitate durchlaufen lassen um die Passwörter zu finden.”

Taito blickte immer noch auf die durchlaufenden Zeichenreihen auf dem Bildschirm. “Und was passiert jetzt?”
Lina grinste. “Ich habe die Steuerkonsole für die Papstandroiden hierher umgelenkt.”
“Wahnsinn!” Uwe drehte sich einmal im Kreis.

Lauha, die die anderen noch nicht so lange kannte und der Lina vorher nichts erzählt hatte, begriff nicht ganz, was das hieß. Sie sah die anderen fragend an.
Taito erklärte ihr, worum es ging. “Seit den Attentaten auf den Papst im Jahr 2054 in Rio und 2057 in Moskau hat der Vatikan 5 Papstandroiden bauen lassen, die in der Gestalt des jeweils amtierenden Papstes um die Welt reisen und den Papst bei allen öffentlichen Auftritten vertreten.
Dadurch ist der Papst vor Attentaten geschützt. Außerdem kann der Papst dadurch an fünf Veranstaltungen gleichzeitig teilnehmen.
Die Androiden steuert eine Zentrale im Vatikan, natürlich unter Aufsicht des realen Papstes, der in Ruhe und Sicherheit im Vatikan sitzt.”
“Und”, Uwe stupste Lauha leicht in die Seite, “wir übernehmen jetzt die Steuerung.”

Moni streckte die Faust in die Luft.
“Wir sind Papst!”

Auf Linas Bildschirm erschien jetzt eine Konsole mit vielen Zeichen und vielen kleinen Bildschirmausschnitten.
Sie vergrößerte einen der Bildausschnitte. “Das ist der Papstandroid Nr. 3, der zur Zeit England besucht. Will den jemand von Euch haben?
Ich wollte an sich Nr. 5.
Ich lege Euch die anderen vier auf die vier Computer hinten an der Wand.”
Lina tippte einige Befehlszeilen ein und rief dann den Papstandroiden Nr. 5 auf. Die anderen Kinder verteilten sich auf die Computer hinten im Raum.
Lina drehte sich noch mal zu ihnen um. “Ihr müsst die Joysticks anschließen.”

Dann wandte sie sich wieder ihrem Computer zu und beschloss, einen ersten Versuch zu wagen.

Sie tickte den Joystick nur ganz leicht an.

Der Papstandroid Nr. 5 befand sich auf einer Tagung der UNO zu Kinderrechten und schlug mit einer linken Geraden den Vertreter Chinas KO.
Lina fluchte.
Die Steuerung war wirklich schwierig, an sich hatte sie dem Chinesen nur die Hand reichen wollen. Erschreckt riss sie am Joystick. Der Papstandroid schoss rückwärts mit Purzelbäumen in eine Stuhlreihe.

Lina versuchte zuerst einmal die Kontrolle zu erlernen und ließ den Papst ein paar Kniebeugen machen.
Danach machte sie ein paar einfache Bewegungsübungen.

Dann marschierte sie auf den US-amerikanischen Präsidenten zu, der aber erschreckt vor dem Papst die Flucht ergriff.
Als sie merkte, dass sich die Kleidung des Papstes in seine Beine verwickelte, riss sie sich kurzerhand die störenden Teile vom Leib. Papst sein war ganz schön kompliziert.
Der Papstandroid Nr. 5 marschierte jetzt zielstrebig zum Mikrofon auf dem Podium.
Die Vertreterin Deutschlands, die gerade sprach, schaute mit geweiteten Augen auf den Papstandroid und sprang zur Seite.
Der Papstandroid Nr. 5 erklomm etwas steifbeinig das Podium und brüllte ins Mikrofon. “Nehmt die Kinder endlich ernst. Kinder sind keine kleinen Kuscheltiere, Kinder sind …!”

Sie hatte gerade diesen ersten Teil eingetippt, als ihr Bildschirm dunkel wurde. Offensichtlich war die Leitung zusammengebrochen.
Lina hatte sich den Text vorher überlegt. Sie zuckte bedauernd die Schultern, aber besser als nichts war es allemal.

Uwe hatte mit der Steuerung des Papstandroiden Nr. 3 in England noch größere Probleme.
Er hatte erst den Premierminister aus Versehen auf den Fuß getreten und ihn ihm vermutlich gebrochen und dann die Queen in das kalte Buffet geschubst, um dann in einem Kampf mit mehreren MI5-Agenten vollständig den Überblick zu verlieren.
Und dann brach auch noch der überalterte Joystick ab.
In England lief ein Papstandroid unkontrolliert Amok, Panik stand in den Augen der Besucher des Festaktes.
Uwe hörte aus den Lautsprechern seines Computers Schreie. “Vorsicht, der Papst hat eine Funktionsstörung!” “Aus dem Weg!” “Geben sie Schießbefehl!” “Bringt die Königin in Sicherheit.”
Uwe unterbrach das Programm und fuhr den PC herunter. Er hoffte inständig, dass niemand, die Spuren bis zur Schule zurückverfolgen würde.

Papstandroid Nr. 2 tanzte inzwischen auf dem Platz vor dem Kölner Dom mit einem schwulen Touristen Tango.
Jana, die ihn steuerte, besuchte gerade mit ihrem Avatar einen virtuellen Tangolehrgang und probierte nun alles, was sie gelernt hatte, aus.
Ein Blitzlichtgewitter umgab sie.
Als ihr Tanzpartner keine Lust mehr hatte, griff sich Jana kurzerhand den Kardinal. Dies führte allerdings kurz darauf zum Absturz von der Kölner Domplatte und zum Totalverlust.
Auch ihr Bildschirm wurde schwarz.

Papstandroid Nr. 4 erzählte bei einer öffentlichen Messe in Tokio Häschenwitze auf deutsch.
Die Gläubigen folgten ihm mit andächtigem Schweigen ohne ein Wort zu verstehen und bekreuzigten sich nach jedem Witz.

Lauha traute sich nicht, den Joystick zu benutzen.

Zum Abschluss sang der Papst das Lied von Pippi Langstrumpf. Das Publikum war begeistert und sang, ohne ein Wort zu verstehen, ab der zweiten Strophe den Refrain mit japanischen Akzent mit.
Nur der deutschsprachige Sekretär, der am Rand der Tribüne stand, wurde immer bleicher.

Taito und Moni lenkten Papstandroid 1 aus der Kirche in Rio, in der er gerade die Mitternachtsmesse hielt, in eine Stripteasebar. Dort brach er sich aber beim Versuch, auf einen Barhocker zu klettern, das Genick.

Die Steuerung der Androiden war wirklich schwierig. Sie schalteten den Computer ab.

Auch Lauha hatte ihre Computer inzwischen abgeschaltet.

Taito lachte Lina an. “Das war Wahnsinn. Das müssen wir bei Gelegenheit mal wiederholen.”

Die anderen nickten.

FIN


Foto: charly3d (Pixabay.com; Creative Commons CC0).

Yuriko Yushimata wurde als Distanzsetzung zur Realität entworfen. Es handelt sich um eine fiktionale und bewusst entfremdete Autorinnenposition, die über die Realität schreibt. Die SoFies (Social Fiction) zeigen in der Zuspitzung zukünftiger fiktiver sozialer Welten die Fragwürdigkeiten der Religionen und Ersatzreligionen unserer Zeit. Teilweise sind die Texte aber auch einfach nur witzig. Sie befindet sich im Archiv der HerausgeberInnengemeinschaft Paula & Karla Irrliche (www.irrliche.org). Spiegelung und Verbreitung der Texte sind ausdrücklich gewünscht!

Von Yuriko Yushimata

Yuriko Yushimata wurde als Distanzsetzung zur Realität entworfen. Es handelt sich um eine fiktionale und bewusst entfremdete Autorinnenposition, die über die Realität schreibt. Die SoFies (Social Fiction) zeigen in der Zuspitzung zukünftiger fiktiver sozialer Welten die Fragwürdigkeiten der Religionen und Ersatzreligionen unserer Zeit. Teilweise sind die Texte aber auch einfach nur witzig. Sie befindet sich im Archiv der HerausgeberInnengemeinschaft Paula & Karla Irrliche (www.irrliche.org). Spiegelung und Verbreitung der Texte sind ausdrücklich gewünscht!

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