Die hohe Diplomatie German style ist in vollem Gange. Da juckeln deutsche Panzer und insgesamt 8000 deutsche Soldaten bei dem größten NATO-Manöver seit dem Kalten Krieg direkt an der russischen Grenze herum und die Kanzlerin empfängt den russischen Präsidenten auf einem norddeutschen Schlösschen.
Was interessiert, ist die Frage, inwieweit auch die von anderen Kabinettsmitgliedern immer wieder geforderte Position der Stärke die Gemütslage des russischen Verhandlungspartners beeinflussen wird. Wird er tatsächlich eingeschüchtert sein und sich selbst zuflüstern: Pass mal schön auf, mein Freund, mit den Deutschen ist nicht gut Kirschen essen? Oder wird er sich fragen, was das Gegenüber eigentlich reitet, bei der vorliegenden Interessenlage so aufzutreten?
Die Themen, die das Kanzleramt als die zentralen bei dem Treffen mitteilte, sind international komplex und von der deutschen Politik alleine kaum beeinflussbar. Das am besten steuerbare Thema ist das Nord Stream-Projekt, bei dem es sich um die Versorgung der Bundesrepublik mit russischem Gas handelt. [1] Das Problem liegt dabei allerdings nicht bei Russland, sondern bei den USA, die sehr aggressiv durch ihren Präsidenten formuliert haben, dass Deutschland gefälligst amerikanisches Flüssiggas kaufen solle.
Ein klares Wort der deutschen Seite an die Adresse der USA fehlt, da wird die Kanzlerin wohl anfangen zu flüstern und dem lieben Wladimir bedeuten, alles bliebe so, wie verabredet.
Im Falle der Ukraine sind die Fronten verhärtet. Russland hat sich den Satelliten nicht wegputschen lassen. Auch wenn Präsident Barack Obama seinerzeit von der Regionalmacht Russland sprach, so hat diese implodierte Weltmacht in den letzten fünf Jahren imperialer gehandelt als die USA. Dass diese nun nachlegen, sollte das russisch-deutsche Verhältnis nicht belasten, gäbe es da nicht gekaufte Enhancer oder Enforcer (engl.: Verstärker und Vollstrecker), die der deutschen Öffentlichkeit permanent suggerieren, die Freundschaft zu Amerika sei dasselbe wie die Befolgung von Befehlen aus deren Kriegsabteilung.
Allein die Entledigung dieser dunklen Mächte und Seilschaften aus dem, was am besten als gesellschaftlicher Klärungsprozess beschrieben werden könnte, hätte eine dramatische Verbesserung des Verhältnisses zu Russland wie der amerikanischen Gesellschaft zur Folge.
Und im Falle Syriens sind alle Kapitel bereits geschrieben. Was will die Kanzlerin einem Präsidenten erzählen, der seinerseits von einem Präsidenten zur Hilfe gegen ausländische Interventionen gerufen wurde, den man selbst so lange unterstützt hatte, wenn er sich nicht gegen den Bau einer Pipeline gestellt hat?
Was dann folgte, war das Traurigste, was die deutsche Außenpolitik seit der Ära Brandt hat bieten können. Auf welche Giganten blicken wir zurück, mit welchen Zwergen schlagen wir uns herum?
Egon Bahr, das operative Alter Ego des einzigen Kanzlers, der erhobenen Hauptes aus dem Exil in die verfluchte Heimat zurückkehrte, sprach einmal davon, dass es geraten sei, sofort den Raum zu verlassen, wenn statt von den Interessen von den Werten gesprochen würde. [2] Dann ginge es ins Spekulative, und dann sei das Vertrauen dahin.
Letzteres durchzieht die deutsche Politik in erschreckender Kontinuität. Die Werte sind durch permanente Kolportage kompromittiert, die Interessen weit von denen des gesellschaftlichen Wohls definiert und die Akteure ohne eigenen Kompass. Das ist gefährlich, brandgefährlich. Für das Land, das sich so etwas leistet.
Der russische Präsident trifft auf einen schwer angeschlagenen Verhandlungspartner. Und das ohne eigenes Zutun. Wladimir Putin hat außenpolitisch in den letzten Jahren aus Sicht der russischen Stärke vieles richtig gemacht. Die Kanzlerin, gemessen mit dem gleichen Maß, nahezu alles falsch.
Da bleibt nur noch interessant, wie das Treffen und seine Resultate im eigenen Land kommuniziert werden. Und das, auf seinen Gehalt analysiert, hört sich dann an wie ein Krankenbericht.
Quellen und Anmerkungen
[1] Die Nord-Stream-Pipeline (früher North European Gas Pipeline, auch Ostseepipeline genannt) ist eine Unterwasser-Gasleitung, die Anfang November 2011 eingeweiht wurde. Über zwei jeweils rund 1200 Kilometer lange Pipeline-Stränge wird russisches Erdgas durch die Ostsee nach Deutschland transportiert. Die Nord Stream AG (Firmenhauptsitz im schweizerischen Zug) ist Eigentümer und Betreiber der Gasleitung. Die fünf Anteilseigner der Nord Stream AG sind PAO Gazprom, die Wintershall Holding GmbH (eine Tochtergesellschaft von BASF), die PEG Infrastruktur AG (eine Tochtergesellschaft von PEGI/E.ON), N.V. Nederlandse Gasunie und ENGIE. Die russische OAO Gazprom ist mit einer Beteiligung von 51 Prozent Hauptaktionär des Pipeline-Projekts. ↩
[2] Nachdenkseiten: „Ich empöre mich, also sind wir“. Auf https://www.nachdenkseiten.de/wp-print.php?p=37914 (abgerufen am 19.08.2018). ↩
Foto: Pexels.com (Quelle: Pixabay.com, Creative Commons CC0).
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
Eine Antwort auf „Von Giganten und Zwergen“
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