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Nichts ist umsonst und alles hat seinen Preis

Wer nicht kämpft, hat keine Rechte.

Ein kulturelles Massenphänomen scheint sich, zumindest in bestimmten Kreisen, stabil etabliert zu haben. Es ist das Gefühl, dass Institutionen, die das eigene Leben unterstützen und regeln, und Leistungen, auf denen vieles andere aufbaut, selbstverständlich sind. Die Nutznießer all dessen fragen nicht mehr, woher das kommt, weil es sie nicht interessiert.

Das könnte als das stereotype Lamento derer gewertet werden, die nur noch auf das Leben zurückschauen, wenn das Phänomen nicht eine gravierende politische Dimension hätte. Es handelt sich nicht um eine altersspezifische Erscheinung, sondern um ein kollektives Versagen. Ein Versagen des Gedächtnisses und schlimmer noch, ein Versagen praktischer Kompetenz. Sehen wir es gleich politisch, dann wird es deutlich.

Alles, wovon Menschen bestimmte Gehälter bekommen, Sozialstandards, die in Anspruch genommen werden und gesetzliche Bestimmungen, die Menschen vor den Kannibalen des Eigennutz schützen, alles ist das Ergebnis von Koalition und Kampf.

Nichts, aber auch gar nichts wird geschenkt im Leben. Und alles, was etwas nützt, hat seinen Preis. So war es mit Löhnen, so war es mit Versicherungen, so war es mit Rechten, so war es mit Gesetzen. Wer denkt, das alles seien die philanthropischen Gaben eines politischen Systems, der hat die Geschichte der Gattung nicht begriffen. Und diese Bemerkung gilt systemübergreifend: Wer nicht kämpft, hat keine Rechte.

Grundlage einer jeden sozialen und politischen Auseinandersetzung ist die Koalition. Und das wohl wichtigste Recht dieser Gesellschaft ist das Koalitionsrecht. Wer sich nicht zusammenschließen darf, startet jede Art von Emanzipationsbestreben aus der Illegalität heraus. Daher ist es das Wichtigste, was wir haben.

Das Problem, dass sich aus unserer Gesellschaft immer mehr herausschält, ist die Aufweichung der Koalitionsrechte. Und zwar von innen heraus. Nicht rechtliche Einschränkungen gefährden die Koalitionsrechte, sondern die Passivität derer, die das Recht haben, sie wahrzunehmen.

Die große Organisation und Koalition für die ökonomischen Kämpfe und alles, was damit zusammenhängt, sind die Gewerkschaften. Sie waren in Deutschland die größeren ihrer Art weltweit und ihr Arm reichte bis in jede Chefetage. Durch chronische Arbeitslosigkeit und viele Faktoren, die Entmündigung und Fremdbestimmung von innen wie von außen, wurde ihr Einfluss beträchtlich unterminiert. Aus einem Kampforgan ist eine in Regierungskreisen verkehrende Bürokratie geworden, die zwar nach wie vor vieles garantiert, auf der anderen Seite jedoch die schmerzhaften Auseinandersetzungen scheut. Ihre Position im “systemrelevanten” Volkswagenkonzern illustriert das ganze Dilemma.

Die einst große politische Partei, die aus den ökonomischen Bedürfnissen das politisch Folgerichtige formulierte, hat durch die Geschäftsführung der Regierung seit dem “Ende der Geschichte” im Jahr 1990 kontinuierlich ihre Essenz verloren. Heute gehört sie zu einem bürgerlich gemäßigten Konglomerat, in dem sich auch andere, historisch weniger bedeutende Parteien wiederfinden.

Gibt es einen Weg zurück? Existiert die Möglichkeit, dass sich die historisch einst erfolgreichen Organisationen der Koalition wieder zu dem entwickeln, was ihre Stärke ausmachte? Die Beantwortung dieser Fragen hängt sehr stark mit dem zusammen, was sich in den Köpfen derer abspielt, die in dem ganzen Spiel eine Rolle wahrzunehmen haben.

Fragen sie sich, was sie gerne hätten, was ihr Bedürfnis mit ihnen macht und was sie brauchen, um ihr Leben möglichst ruhig weiterführen zu können? Dann ist die Antwort negativ. Oder fragen sie sich, was klug und notwendig ist, um dem systematischen Feldzug der Bereicherung und Zerstörung entgegenzutreten? Dann könnte etwas entstehen.


Illustration: tsukiko-kiyomidzu (Pixabay.com, Creative Commons CC0).

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Eine Antwort auf „Nichts ist umsonst und alles hat seinen Preis“

Da stehen Menschen herum und warten auf Arbeit, stehen reparaturbedürftige Brücken herum und warten auf Reparatur. Und jetzt stellt man fest, es ist kein Geld da. Dabei sind es doch nur Zahlen in einem Computer. Und davon haben wir uns abhängig gemacht. Das sind doch wirklich tolle Erfindungen.

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