Wir haben in den vorangehenden Beiträgen den tiefgreifenden Strukturwandel des imperialen Kapitalismus aufgezeigt. Auf diesen Strukturwandel kann die Politik nicht angemessen reagieren, weil sie selbst ein Produkt der Strukturen ist, die den Kapitalismus prägen. Deshalb gibt es mit dieser Politik weder einen wirtschaftlichen Neubeginn, wie ihn die Digitalisierung erforderlich macht, noch einen Systemwechsel hin zu einer ökologisch und sozial verträglichen Wirtschaftsweise.
Es kann darauf nur eine Antwort geben: Wir, die kritische Masse der Zivilgesellschaft, müssen uns zu einer handlungsfähigen Bewegung formieren, die frei ist von Bindungen an Parteien, Organisationen, Kirchen, Lobbygruppen und Finanzwirtschaft. Wenn wir die Kriegsindustrie stoppen, die Umweltzerstörung und die Ausbeutung der Menschen in der Welt beenden und unsere Lebensräume zukunftssicher machen wollen, ist es unsere Aufgabe, dies zu tun – selbstständig, selbstverantwortlich und selbstbestimmt.
Bürgerdemokratie braucht offene Kommunikation, Dezentralität und Gemeinschaft
Als Schwäche der Zivilgesellschaft wird ihre Zersplitterung in viele gegensätzliche Meinungen und Grundhaltungen angesehen, die durch Netzwerk- und Gemeinschaftsappelle nicht aufzulösen ist. Sie muss auch nicht aufgelöst werden. Unterschiedlichkeit wird zur Stärke, wenn sich eigenständiges Handeln durch ein gemeinsames übergeordnetes Anliegen in einer ganzheitlichen Stoßrichtung vereint. Unterschiede generieren Wissensvorsprünge, die in strategische Stärke und taktische Überlegenheit umgeformt werden können.
Innerhalb einer Bewegung bedarf es dazu der Koordinierung und Bündelung auf strategische und taktische Ziele. Der Rahmen für Ziele und Handlungsformen ist die gemeinsame große Idee. Sie verfolgt nicht den trivialen Wunsch, die Parteienherrschaft durch eine andere Elitenherrschaft abzulösen. Sie ist konstruktiv:
Sie will den Parteienstaat durch eine Bürgerdemokratie ersetzen, um mit den modernen digitalen Mitteln und Technologien eine ökologisch-soziale Zukunft für alle Menschen zu ermöglichen.
Eine Bewegung der Zivilgesellschaft muss offen sein für den digitalen Wandel. Mit den Mitteln der Digitalisierung baut die Politik der Zukunft nicht auf Parteien und bürokratischen Organisationen auf, sondern auf Plattformen, in denen sich unterschiedliche Meinungen und gesellschaftliche Strömungen abbilden und vereinen. Sie lassen Unterschiede und damit kreative Lösungen zu und basieren auf dem Prinzip der Selbstbestimmung – der personalen Souveränität. Sie ermöglicht eine politische Bewegung neuen Typs, die als politische Kampagne zu verstehen ist.
Die Bewegung neuen Typs und das Ende der Bevormundung
Eine Bewegung neuen Typs verzichtet auf zentralistische und bürokratisch starre organisatorische Formen. Sie ist in ihrer Struktur flüssig und bringt das differenzierte Wissen der Menschen zu sachlichen Fragen in eine politische Kampagne ein, die in der Öffentlichkeit sichtbar wird. Sie transformiert den Wissensschatz aller Beteiligten in demokratische Wege, die in eine neue Welt führen. Die Vielfalt der Initiativen und die Unterschiedlichkeit zivilgesellschaftlicher Gruppen ist die Basis, um Alltagswissen in politische Stärke zu transformieren.
Ein Zusammenspiel von Vielfalt und Schlagkraft zeichnet die im Ansatz befindlichen neuen digitalen Wirtschaftsformen (zum Beispiel die 3-D-Drucktechnologie) ebenso aus wie die ökologischen Anforderungen einer spezifisch umweltgerechten Wirtschaftsweise. Die Diktatur der bürokratischen Vorgaben und die Bevormundung muss beendet und durch die Vielfalt unterschiedlicher Nutzungen ersetzt werden. Insofern soll eine Kampagne der Zivilgesellschaft auch ein nötiges Gleichmaß von Form und Inhalt spiegeln.
Der angestrebte politische Wandel erfordert neue Ansätze in Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft. Diese können sich nur entfalten, wenn parallel neue Strukturen in der Politik geschaffen werden. Beide Anliegen sind Teil der politischen Kampagne, die die Dauerhaftigkeit von Institutionen mit der Schnelllebigkeit des Internets und dem Wissen der Vielen verknüpft.
Wie dies gelingen kann, hat die Fünf-Sterne-Bewegung (MoVimento 5 Stelle) in Italien gezeigt. Sie begann mit einer unscheinbaren Internetkampagne. Auf einem banalen Blog wurden Mitglieder des italienischen Parlamentes als “Kriminelle” bezeichnet. Dies führte zu einer kontroversen Debatte. Die einen sagten, es handele sich um übelsten Populismus, die anderen meinten, es sei die nackte Wahrheit. Die erzeugte öffentliche Aufmerksamkeit wurde genutzt, um die Ideen von MoVimento 5 Stelle zu verbreiten, Mitstreiter zu gewinnen und dezentrale Strukturen aufzubauen, die langfristig den Kern der Bewegung ausmachten. Heute, rund zehn Jahre später, ist MoVimento 5 Stelle die stärkste Einzelpartei in Italien.
Der Bewegung kann angekreidet werden, dass sie sich populistischer Instrumente bediente und als Partei in den alten politischen Strukturen aufgegangen ist und, was schwerer wiegt, sich weit nach rechts geöffnet hat. Ändern wird diese ehemalige Bewegung an den Verhältnissen nichts. Dennoch zeigt das Beispiel, dass beide Aspekte, langfristiges, strategisches Vorgehen und schnelle Reaktionen im Netz, erfüllt wurden und zum Ziel führten.
Ein Jahrzehnt können wir allerdings nicht warten, deshalb muss die Theorie zügig in die Praxis überführt werden. Wie kann dies geschehen? Eine Bewegung entsteht nicht am Reißbrett, sondern durch einen Impuls und durch Einsicht, dass das Heft des Handels in die Hände genommen werden muss.
Die Verbreitung einer Idee
Am Anfang steht die politische Kampagne zur Verbreitung der Idee einer Verfassung vom Volk. Jeder kann Teil des Impulses sein, der die Demokratie auf eine neue Stufe hebt:
Flagge zeigen!
Jede große Veränderung beginnt mit dem ersten mutigen Schritt. Wage ihn! Unterstütze die Kampagne “Verfassung vom Volk”, um echte Demokratie einzufordern.
Verbreite die Idee!
Sie gehört allen, die personale Souveränität und eine Demokratie notwendig und richtig finden, die nicht von oben im Interesse der Wenigen gesteuert wird. Teile das Konzept in den sozialen Netzwerken. Verwende den Hashtag #VvV. Die Kampagne und das Konzept können dadurch leichter gefunden werden. Die Idee soll sich verbreiten und andere Menschen inspirieren.
Redet miteinander!
Lade Freunde, Bekannte und politisch interessierte Menschen ein. Diskutiert gemeinsam über die Notwendigkeit personeller Souveränität und wie ihr Demokratie gestalten wollt.
Behaltet eure Vielfalt!
Erteilt Ideologien, die die Menschen trennen wollen, eine Absage. Konzentriert euch auf eure Souveränität und die Stärke, die durch gemeinschaftliches Handeln aller Menschen entsteht, die eine lebenswerte Gesellschaft für alle gestalten wollen. So erteilt ihr Ideologien, die die Menschen trennen wollen, eine Absage.
Mobilisiert Menschen in eurer Stadt!
Gründet eine informelle Gruppe. Benennt sie nach dem Muster VvV meine Stadt (VvV_Berlin, VvV_Kiel, VvV_Regensburg usw.) und verbreitet den Namen insbesondere auch über das Internet. Dadurch können sich die Gruppen gegenseitig schneller finden und miteinander vernetzen.
Organisiert eine erste Regionalkonferenz!
Setzt euch mit den Menschen in eurer Region zusammen und sprecht über die Themen, die euch alle betreffen. Findet den gemeinsamen Nenner, der euch verbindet!
Trefft eine gemeinsame Entscheidung!
Formuliert klare Forderungen, die in eurer Region von Lokal- und Regionalpolitik und der Verwaltung umgesetzt werden sollen. Die zukünftige politische und gesellschaftliche Entwicklung Europas (und der Welt) ist nur dann friedlich, sozial und ökologisch, wenn sie durch demokratische Regionen selbst bestimmt wird.
Werdet sichtbar!
Tragt eure Forderungen und Positionen in die Öffentlichkeit. Verbreitet sie per E-Mail, auf Blogs, in Newslettern und in den sozialen Netzen. Schickt sie an die Presse und an alternative Medien in eurer Region – schickt sie an jeden, den ihr kennt! Informiert Internetmedien und andere Regionalkonferenzen über eure Aktivitäten. Ihr seid nicht allein und findet noch mehr Gleichgesinnte. Gemeinsam stellen wir die politische Machtfrage und fordern: Verfassung vom Volk!
Die Regionalkonferenz an einem Beispiel durchdekliniert
Regionalkonferenzen sind die Institution, in denen Bürgerinnen und Bürger – damit sind alle Menschen gemeint, die einer Region ihren Lebensmittelpunkt haben – ihren unverfälschten Willen gegenüber Politik, Bürokratie und Finanzkapital dokumentieren können. Sie sind eine Manifestation von personaler Souveränität, die sich weder kapitalistischen Sachgesetzen wie Wachstum und Profit noch bürokratischer Reglementierung unterordnen. Deshalb fallen Arbeits- und Abstimmungsformen sowie die Themenwahl ausschließlich in die Kompetenz der regionalen Kräfte.
Exemplarisch wird nachfolgend ein Beispiel zur praktischen Umsetzung einer Regionalkonferenz bis ins Detail durchgespielt. Das Thema:
Gemeinschaftliche Lösungen für die öffentliche Infrastruktur!
Die Einzelheiten des Projektes werden in Arbeitsgruppen vorbereitet und intensiv öffentlich diskutiert. Unterstellt wird, dass als Ergebnis der Debatte die Vergemeinschaftung der öffentlichen Infrastruktur festgelegt wird. Die Klarheit der Position zu finden und somit die Grundlage einer politischen Willenserklärung zu schaffen, ist Aufgabe jeder Regionalkonferenz.
Bis in die kleinste Zelle …
Rohstoff- und Landraub stoßen in vielen Regionen der Welt auf objektive Grenzen. Das Ausbeutungsinteresse des Finanzkapitalismus wendet sich deshalb mehr und mehr gegen die eigene Bevölkerung. In den kommenden Monaten und Jahren werden die Parteien deshalb angewiesen werden, die öffentliche (von den Bürgerinnen und Bürgern bereits bezahlte) Infrastruktur zu verkaufen oder private Finanzierungsformen anzuwenden. Autobahnen, Wasser- und E-Werke, aber auch Einrichtungen im Sozial- und Bildungsbereich werden davon betroffen sein. Der Druck wird zunehmen, weil die öffentliche Infrastruktur in der heraufziehenden neuen Epoche von besonderer Bedeutung für die Lebensqualität und die wirtschaftliche Prosperität ist.
Die geplante Regionalkonferenz soll die Bedeutung der Infrastruktur thematisieren und zeigen, dass es selbstverantwortlich gestaltete Alternativen in jeder Region Deutschlands und Europas gibt. Denn ein konstruktives Modell für eine zivilgesellschaftliche Trägerinstitution – einschließlich eines regionalen Finanzierungsmodells – ist nicht nur ein Schutzwall vor politischer Verkaufs- und Privatisierungswillkür, sondern auch eine Chance, zum Beispiel eine Altersvorsorge aufzubauen, die der Gier der Finanzmärkte entzogen ist.
Der Vorschlag: Es wird das Modell einer Bürgerstiftung in die Diskussion gebracht und die Regionalkonferenz stellt die Aufgaben,
- das Modell regional bekannt zu machen und dazu eine Kommunikationsstrategie zu erarbeiten,
- Arbeitsgruppen zu Komplettierung, rechtlicher Prüfung und zur Gestaltung der Finanzierung einzusetzen und
- Arbeitsgruppen zur Verbreitung des Themas in anderen Regionen der Republik aufzubauen.
Mögliche Interessenten für Arbeitsgruppen sollten sich untereinander abstimmen, damit die Realisierung der Aufgaben durch Eigendynamik beflügelt wird. Überlappende Arbeiten sind sinnvoll, weil durch Redundanzen Lerneffekte entstehen und daraus (mit hoher Wahrscheinlich) differenzierte Modelle mit spezifischen regionalen Schwerpunkten.
Die Skizze für eine Lösung
Der Betrieb und die Einrichtungen der Infrastruktur (zum Beispiel Wasser- und Elektrizitätswerke, GmbHs, AGs) werden aus den öffentlichen Haushalten herausgelöst und auf die Bürgerstiftung öffentlichen Rechts übertragen. Damit werden sie Stiftungskapital und die Bürgerstiftung zu 100 % Eigentümerin der Infrastrukturunternehmen.
In der Stiftungsatzung wird unwiderruflich festgelegt, dass das Stiftungsvermögen nicht veräußert werden darf.
Die Gremien der Stiftung werden durch die Bürgerinnen und Bürger der Region besetzt. Es wird durch die Regionalkonferenz festgelegt, dass nicht nur ein regelmäßiger Wechsel der für die Aufsichtsfunktion berufenen Bürgerinnen und Bürger stattfinden muss, sondern diese auch abgerufen werden können, wenn sie ihre Aufgabe nicht erfüllen oder dieser nicht nachkommen.
Die Gewinne der Unternehmen fließen der Stiftung zu und können für die Refinanzierung der Unternehmen, für soziale, kulturelle oder infrastrukturelle Zwecke eingesetzt werden. Führungsfunktionen werden öffentlich ausgeschrieben und von einem von den Stiftungsgremien berufenen Personalausschuss, der regelmäßig neu zusammengestellt wird, besetzt. Den Bürgerinnen und Bürgern wird ein Vetorecht eingeräumt, um Vetternwirtschaft und eine auf “guten Beziehungen” beruhende Postenvergabe zu verhindern.
Besondere Investitionsprojekte können bei Bedarf fremdfinanziert werden. Die Finanzierung erfolgt dabei ausschließlich durch regionale Kreditinstitute und durch Gemeinschaftsfinanzierung regional ansässiger Bürgerinnen und Bürger.
Wünschenswert ist die Einrichtung eines Finanzierungsfonds auf genossenschaftlicher Basis, bei dem Bürgerinnen und Bürger Anteile zur Finanzierung der Infrastruktur erwerben können. Die Stimmen sind an Personen gebunden und richten sich nicht nach Kapitaleinlagen: Ein Mensch, eine Stimme.
Die Anteile sind nicht handelbar und in der maximal pro Person zu erwerbenden Zahl begrenzt. Sie sind zudem an natürliche Personen als Käufer gebunden, die, wie bereits erwähnt, in der Region ihren Lebensmittelpunkt haben müssen. Eine “feindliche Übernahme” wird damit ausgeschlossen.
Unter den genannten Bedingungen könnte eine Regionalkonferenz folgende Inhalte behandeln:
- Die Bedeutung der öffentlichen Infrastruktur für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung – Einführung durch eine Sachverständigengruppe.
- Warum haben wir eine Privatisierungsdebatte (Abhängigkeit der Parteien vom Finanzkapital, Rendite, Machtposition in der Welt nach dem Finanzkapitalismus)?
- Die besondere Bedeutung einer gemeinwirtschaftlichen Infrastruktur in einer nachkapitalistischen Welt.
- Was kann getan werden, um eine willkürliche Privatisierung oder Finanzierung künftig zu verhindern – Lösungsvorschlag: Regionale Stiftungen der Zivilgesellschaft als gemeinwirtschaftliche, zukunftsweisende Form für die Führung und Schaffung von Infrastruktur.
- Bildung von Arbeitsgruppen zur Ausarbeitung des Modells und Weitergabe der Erfahrungen an alle interessierten Regionen.
Eine Lösung im Rahmen von Selbstbestimmung wäre: die Einrichtung einer gemeinnützigen regionalen Bürgerstiftung, in der die Betriebe der Infrastruktur (Energie, Wasser und andere) gebündelt werden und an denen ausschließlich Bürgerinnen und Bürger der Region (ihrem Lebensmittelpunkt) beteiligt sein können.
Die Nachbereitung von Regionalkonferenzen ist für die politische Umsetzungsstrategie von besonderer Bedeutung:
- transparente Veröffentlichung der Beschlüsse und Verteilung per Briefwurfsendung an alle Haushalte,
- Aufforderung, gemeinsam eine Urabstimmung in der Region zu organisieren,
- Vereine, Verbände usw. auffordern, sich an der Organisation einer Urabstimmung zu beteiligen.
- die doppelte Moral der Politik durch das Ergebnis der Regionalkonferenz aufzeigen,
- Regionale und bundesweite Umfragen initiieren (zum Beispiel umgesetzt durch Democracy Deutschland),
- überregionale Koordinierung der Regionalkonferenzen ins Gespräch bringen,
- Wissenschaftler auffordern, Stellung zu nehmen,
- Arbeitsgruppen initiieren, die die politische Bedeutung klarstellen und verbreiten,
- zwischen den Arbeitsgruppen, die wie Waben miteinander verbunden sind, Argumente und Facharbeiten austauschen, um Regionalkonferenzen auszuwerten, deren politische Bedeutung herauszuarbeiten und Zusammenhänge zwischen regionaler Lage und Politik herzustellen, die Ergebnisse transparent veröffentlichen.
Methodische Kriterien und Grundsätze für die Vorgehensweise sind
- Kompetenz einbringen und darstellen, indem möglichst die jeweils beste fachliche Vertretung für die Fachvorträge gesucht und eingebunden wird,
- nicht personen- oder organisationsbezogen denken und handeln,
- offene, ergebnisorientierte Diskussionen führen, alternative Meinungen und Beiträge (zum Beispiel zur konventionellen Landwirtschaft) zulassen und nicht aus diesen Diskussionen ausschließen,
- Impulse für alternative Medien setzen, wo die Informations- und Berichtshoheit nicht von fremden Interessen bestimmt wird und auf keinen Fall als Bittsteller bei den Systemmedien auftreten,
- Systemkräften wie Parteien, NGOs, Gewerkschaften, Kirchen keinen Raum geben; gefragt sind Menschen und keine Organisationen.
Regionalkonferenzen sind ein politisches Instrument. Sie müssen also genutzt werden, um Folgemaßnahmen zu initiieren, und um als Beispiel zur Anwendung von Dezentralisierung (Subsidiarität) Druck auf die Orts- und Kreisverbände der Parteien auszulösen.
Regionalkonferenzen als Kern von Kampagnen
Das Konzept setzt nicht auf elitäre Leitfiguren, sondern auf das echte Wir-Gefühl der Mehrheit in unserer Gesellschaft. Es ist von elementarer Bedeutung, die Menschen anzusprechen, die zwar den politisch-gesellschaftlichen Zuständen ablehnend gegenüber stehen, die die Gründe ihrer Kritik aber nicht artikulieren und zuordnen können.
Ferner müssen die Beziehungen zwischen Politik, Wirtschaft und den aktuellen Problemen (zum Beispiel die Privatisierung der Infrastruktur oder spekulative Finanzierungen) aufgezeigt werden. Dadurch können sich beliebig viele Gruppen aus allen Regionen in die Debatte einbringen. Am praktischen Fall lassen sich allgemeine politische Folgerungen ableiten, um die Verstrickung von Parteien in finanzielle Netzwerke der Spekulanten aufzudecken und diese zu thematisieren. Der Vorteil liegt darin, dass es nicht bei der blanken Kritik bleibt, sondern dass positive Beispiele für selbstbestimmtes Handeln aufgezeigt werden können.
Noch bedeutsamer für jede Regionalkonferenz ist das Aufzeigen von Lösungen aus und durch die Zivilgesellschaft. Der behaupteten Alternativlosigkeit des Finanzkapitalismus wird das praktische Wissen der Menschen entgegengestellt. Im Ergebnis muss klar sein: Die herrschenden Zustände sind gemacht. Sie sind nicht Ausfluss geheimer Mächte, sondern sie stehen in der politisch-bürokratischen Verantwortung. Der Vielzahl von Kritikern in den Medien kann mit konstruktivem Material begegnet werden. Auch ohne organisatorische Vorgaben wird so eine wirkungsvolle Orientierung der Kritik auf die Kernpunkte der politischen Auseinandersetzung geleistet.
Mit einem praktischen Ansatz ist die Erkenntnis über politische Verantwortung möglich. Es werden Lösungen aufgezeigt, die belegen, dass diese Zustände in einer durch personale Souveränität gekennzeichneten Demokratie abgestellt werden können.
Für die Bürgerkonferenzen sind deshalb folgende Aspekte zu beachten:
- die Anbindung von Kritik und Maßnahmen an die Alltagserfahrungen,
- das Aufzeigen der Unfähigkeit und wirtschaftlichen Abhängigkeit von Politik, Bürokratie und Medien,
- die Befreiung von der Bevormundung durch besserwisserische Medien und Politikeliten,
- Aufdeckung scheinwissenschaftlicher Behauptungen von (Finanz-)Experten wie zum Beispiel in der Frage zur Sinnhaftigkeit privater Finanzierungen,
- die Bedeutung des eigenen, selbstverantwortlichen und selbstorganisatorischen Engagements für eine grundlegende demokratische Erneuerung herausstellen: Wenn wir das können, können wir auch die sogenannte große Politik in die Hand nehmen.
- Aufzeigen, dass eine Bürgerdemokratie praktisch umsetzbar und sinnvoll ist.
Wichtig ist und bleibt die parallel zur Regionalkonferenz beginnende Kampagne über die globale Verantwortungslosigkeit der Politik. Diese Verknüpfung gilt auch für die Diskursebene.
Konkrete Beispiele zeigen, dass die Verflechtung zwischen Finanzkapital und Politik nicht nur – und nicht einmal primär – die Ebene der unmittelbaren Korruption hat. Es ist vielmehr am konkreten Fall zu belegen, wie die Finanzmacht in die Bürokratie einsickert, dort “gewünschtes Fachwissen” etabliert, Regierungs- und Gesetzesvorlagen vorbereitet und so die eigenen Interessen im Geflecht der politischen Administration als Kuckucksei unterbringt.
Wenn diese Verflechtung an mehreren Beispielen (gesunde Ernährung, Privatisierung der öffentlichen Infrastruktur, Liberalisierung der Finanzmärkte et cetera) nachvollzogen wurde, können sehr viel leichter die allgemeinen Thesen der finanzkapitalistischen Durchdringung unseres Staats- und Verwaltungsapparats diskutiert, glaubwürdig vertreten und zum Gegenstand öffentlicher Kritik gemacht werden.
Thematisch geht es darum, politischen Unmut und Veränderungswillen miteinander zu verbinden, um daraus die Notwendigkeit des eigenen Handelns zu begründen. Nur wer überzeugt ist, mit eigenem Handeln etwas bewirken zu können, wird auch handeln!
Regionalkonferenzen als praktische Zukunftswerkstatt
Regionalisierungen bieten ein breites Spektrum für politische, wirtschaftlich-soziale und ökologische Innovationen. Dazu einige Beispiele:
(A) Digitale Demokratie
Die Unterentwicklung digitaler Formen von direkter Demokratie ist als politisches Ränkespiel zu verstehen, weil jede Form von Selbstbestimmung im krassen Widerspruch zum Parteienfeudalismus steht. Die Entwicklung der unmittelbaren Demokratie hängt letztlich daran, dass digitale Formen der Abstimmung und Meinungsbekundung entwickelt werden, die sowohl die Anonymität der Abstimmenden wahrt als auch Manipulationen verhindert. Darum ist die Trennung von Meinungsbildung und Stimmabgabe auf Papier noch immer notwendig.
Die Weiterentwicklung, hin zu echter, voller Beteiligung und Einbeziehung aller Menschen sowie die Transparenz von Lösungsansätzen und freier Information, ist substanziell.
Es gibt viele Gruppen und Personen, die sich mit digitalen Abstimmungs- und Meinungsbefragungsmethoden beschäftigen. Ihre Verfahren leiden unter mangelnder Anwendung, die die Voraussetzung ist, sichere Formen digitaler Abstimmung zu entwickeln. Sie sind eingeladen, Arbeitsgruppen zu bilden und das Projekt Regionalkonferenz zu begleiten. Die Entwicklung ihrer Ansätze und Methoden zur Anbahnung und Intensivierung demokratischer Diskurse wird mittelfristig im Zentrum von direkter Bürgerdemokratie stehen. Mit den Regionalkonferenzen finden sie ein praktisches Anwendungsfeld.
(B) Europa der Regionen
Europa hat sich zur bürokratischen Fremdherrschaft einer von Lobby-Interessen durchsetzten politischen Administration entwickelt. Nicht zuletzt deshalb sind die Europa-Hoffnungen zerstört worden. Gleichwohl erfordern Frieden und Umweltschutz eine intensive Form der Zusammenarbeit. Diese kann in einem Europa der Regionen eine Zukunft finden.
Wie dieses Europa der Regionen aufgebaut sein könnte, wie Wahlen, Entscheidungs- und Abwicklungsverfahren organisiert und institutionalisiert sein sollten, um demokratischen und ganzheitlich wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Ansprüchen zu entsprechen, wird aus der Perspektive praktischer Regionalisierung neu durchdacht und konstruiert werden. Eine Regionalkonferenz bietet ein breites Anwendungsfeld für innovative junge Menschen, die bereit sind, diese neuen Wege zu gehen.
(C) Ganzheitliches Denken in der Politik
Wenn wir ökologisch überleben wollen, muss das bisherige Prinzip des Zerstörens der Natur für wirtschaftliche Interessen und das spätere notdürftige Reparieren der Schäden durchbrochen werden. Dazu müssen wir zum Beispiel in der Agrarwirtschaft zu ganzheitlichen Betrachtungen kommen und die Folgekosten und -lasten von bestimmten Bearbeitungsformen berücksichtigen.
Die Natur als Schatz und Lebensgrundlage zu bewahren, wird auf vielen Wegen möglich sein. Entlohnungssysteme anzupassen und die notwendige Infrastruktur zu schaffen ist ein Bereich, auf den sich viele Gruppen bereits konzentriert haben. Regionalisierung bietet ein weites Feld, die begonnenen Arbeiten systematisch fortzusetzen und sie im Hinblick auf die Gestaltung nationaler und europäischer Politik weiterzudenken.
(D) Belastbare Netzwerke bilden
Vernetzungsappelle sind ungeeignet. Netzwerke entstehen über die Verknüpfung von Themen. Dazu müssen sich Gruppen mit unterschiedlicher fachlicher Ausrichtung miteinander verbinden und erkennen, dass aus dieser Kooperation gemeinsamer Nutzen entsteht. Sie arbeiten gemeinsam für das Ziel der politischen Erneuerung und gleichzeitig für ihre jeweiligen fachlichen Ziele.
Dieser Ansatz erlaubt den Einsatz komplexer, vielfältiger Methoden und garantiert trotzdem die gemeinsame Zielorientierung. Wer in Süddeutschland für sauberes Wasser arbeitet, kann sich in der gemeinsamen Idee ebenso wiederfinden wie Projekte für gesunde Ernährung, solidarische Landwirtschaft oder für gemeinwirtschaftliche Lösungen zur Nutzung öffentlicher Güter und von Infrastruktureinrichtungen des allgemeinen Wohls. Das verbindende gemeinsame Ziel, kombiniert mit dem Wissen um die Machbarkeit von alternativer Politik knüpft eine Gemeinschaft, die durch gemeinsame Interessen, wechselseitigen Nutzen und kooperatives Zusammenspiel geformt wird.
Zu jedem der genannten Themenkomplexe können sich Arbeitsgruppen bilden. Ebenso ist es wünschenswert, wenn die Themen eine tiefe Differenzierung erfahren, um eine möglichst große Bandbreite an Lösungen für Trägerschafts- und Organisationsmodelle zu erhalten. Die Koordinierung sollte durch die Gruppen selbst erfolgen. Nützlich ist, wenn sich eine Koordinierungsgruppe herausbildet, die die Arbeitsergebnisse zusammenfasst, publiziert und in Tagungskonzepte, Veranstaltungen und vor allem auch in eine politische Strategie einfließen lässt.
Regionalkonferenzen als Basis für die politische Strategie
Regionalkonferenzen erfüllen eine strategische Funktion, indem sie die Basis der ehemaligen Volksparteien argumentativ angreifen. Denn dort in den Orts- und Kreisverbänden sind die Alltagskonflikte zwischen dem allgemeinen Wohl und der politischen Interessenpolitik primär sichtbar. An praktischen Beispielen aus den Regionen lässt sich darstellen, dass jede von der Lobby gesteuerte Politik an den Interessen der Allgemeinheit vorbeigeht.
Die Arbeit in den Untergliederungen der Parteien ist durch vielfältige soziale, sportliche und kulturelle Aktivitäten, Vereine und Netzwerke geprägt. Die Behandlung regionaler Themen bringt die Konflikte der abgehobenen Interessenpolitik der Parteispitzen wieder an die Basis zurück. Dort geht es um Ansehen, Unterstützung von Personen und um nachbarschaftliche Verhältnisse. Wenn die Basisgruppen der Parteien zur Stellungnahme gezwungen werden, ist eine Verstärkung der ohnehin vorhandenen Erosionsprozesse der Parteien zu erwarten. Wenn regionale Probleme thematisiert werden, können sich die Untergliederungen der Parteien nicht mehr hinter fernen Regierungs- und Parteitagsbeschlüssen verstecken. Sie stehen selbst auf dem Prüfstand, denn die Widersprüche zwischen demokratischen Lösungen und bürokratisch verkleisterter Interessenpolitik werden offenbar.
Zudem lassen sich Debatten in die Politik rückverlagern. Beispielsweise werden regelmäßig die Wasserpreise erhöht. Aber Wasser als wertvolles Gut steht zum freien Raubbau in der industrialisierten Massenproduktion von Tieren. Für Wasserpreise und ungesunde Nahrungsmittel gibt es also eine unmittelbare politische Verantwortung – auch in jeder Region. Es findet im Ergebnis eine Verlagerung der Debatte auf einen Schauplatz statt, wo die Parteien ihre Schwachpunkte haben und wo die Unterstützung durch gesteuerte Meinungsmache wirkungslos bleibt.
Diskurshoheit erreichen
Jedes Unrechtsregime muss versuchen, die wahren Verhältnisse so lange wie möglich zu verschleiern. Beispiele finden sich sowohl in der Geschichte von Systemen wie auch in unserer aktuellen Gegenwart. Nur plumpe Propaganda ist auf reiner Lüge aufgebaut. Die gut gemachte Meinungssteuerung unserer Zeit setzt auf Unübersichtlichkeit, Vereinzelung und die schlichte Leugnung von Sachverhalten.
Beispiele
Die Durchsetzung neuer Finanzmarktregeln geschah unter anderem mit Hinweisen auf Sachgesetze des Marktes oder auf ein allgemeines Wachstums- und Wohlstandsversprechen. Die Privatisierung der Infrastruktur wird bis heute als geniale Lösung für die Beseitigung von Haushaltsproblemen verkauft. Auch Hartz IV wurde als erfolgreiche Form des Bürokratieabbaus dargestellt und nicht als Maßnahme des Abbaus unseres Sozial- und Rechtsstaates.
Dieser flächendeckend wirkenden Propaganda ist mit einzelnen Sachbeiträgen kaum zu begegnen. Umso wichtiger ist es deshalb, die praktischen Fragen regionaler Selbstbestimmung als Ansatzpunkt für eine ganzheitliche Kommunikationsstrategie zu begreifen und zu nutzen. Bei der Infrastruktur ließen sich zum Beispiel die Spekulationsinteressen des Finanzkapitals in Zusammenhang mit der Privatisierung thematisieren, um die Verbindung von Politik und Lobby wirkungsvoll zu belegen. Gleichzeitig lässt sich die Alternative einer möglichen Selbstverwaltung dagegensetzen.
Insgesamt ist es wichtig, anhand konkreter Beispiele zu zeigen, wie das Zusammenspiel zwischen Politik, Bürokratie und Finanzkapitalismus inszeniert wird. Am Beispiel von Bürgerstiftungen für die öffentliche Infrastruktur kann die angebliche Alternativlosigkeit der Privatisierung infrage gestellt/enttarnt/entlarvt werden, indem ihr bessere Lösungen der Zivilgesellschaft entgegengestellt werden. Die strategische Antwort ist nicht nur die Richtigstellung, sondern auch, dass diese Richtigstellung mit den Alltagserfahrungen verbunden ist. Durch die konkreten Ergebnisse der Regionalkonferenzen kann sich die Kommunikation auf die praktischen Erfahrungen der Menschen stützen.
Durch die Regionalkonferenzen werden die Themen gesetzt. Alternative Medien, Reformgruppen und kritische Menschen haben die Möglichkeit, anhand konkreter Beispiele zu berichten. Sie haben Inhalte anzubieten und die Möglichkeit, praktische Erfahrungen mit theoretischen Ableitungen zu verbinden. Forderungen nach alternativen Lösungen stehen somit nicht beziehungslos und vereinzelt im Raum.
Die mediale Zersetzung von Reformthemen und -projekten durch Propaganda wird schwierig bis unmöglich.
Die Systemmedien sind plötzlich gezwungen, den vorgegebenen Themen zu folgen. Die öffentliche Diskussion kann durch die Öffentlichkeit selbst gelenkt werden, weg von der Kommentierung politischer Banalitäten und hin zu einer konstruktiven Debatte um Existenz- und Zukunftsfragen.
Die Erlangung der Diskurshoheit ist also kein theoretisch kluger Akt potenter Analysten, sondern ein Akt praktischer Politik, die an konkreten Beispielen ansetzt. Sie geht vom Einzelfall aus, um über Fallgruppen zur allgemeinen Aussage zu kommen. Gleiches gilt für das Konzept einer Verfassung vom Volk.
So grundlegend eine Verfassung vom Volk für eine politische Erneuerung ist, so schwer ist es, diesen nur scheinbar einfachen und plausiblen Zusammenhang zu vermitteln. Aber im Zusammenhang mit praktischen Themen wird es erheblich leichter zu argumentieren, dass die Klärung der Machtfrage über eine Verfassung vom Volk die Voraussetzung für die Klärung von Verfahren ist, die für gesunde Lebensmittel, für eine solidarische Landwirtschaft und auch für eine gemeinwohlorientierte Infrastruktur gleichermaßen wichtig ist.
Die Zukunftsperspektive: Regionalkonferenzen als Fundament gesamtstaatlicher Bürgerdemokratie
Es fällt der Politik und ihren Systemmedien immer schwerer, die eigene Position zu vertreten. Eine Bewegung, bei der Selbstbestimmung und ein sozial- und umweltverträgliches Wirtschaften in machbare Reichweite kommt, bietet eine Perspektive. Deshalb ist zu erwarten, dass – trotz vieler Widerstände aus Politik und Medien – ein Veränderungsprozess entsteht, der eine Struktur für ein Verfassungsreferendum möglich werden lässt.
Ein Zwischenschritt kann die Einrichtung einer bundesweiten Bürgerversammlung sein, die als Koordinierungsstelle für die Regionalkonferenzen dient und in der die organisatorischen Schritte für die Durchführung eines Verfassungsreferendums vorbereitet werden.
Epilog
Die Epoche der Nationalstaaten und der Parteienherrschaft sieht ihrem Ende entgegen. Die Herausforderung für die Zivilgesellschaft besteht in der Vorbereitung eines grundlegenden politischen Systemwechsels.
Die Ablösung der politischen Administration aus Parteien und Bürokratie – unübersehbar beeinflusst und zunehmend gesteuert vom Finanzkapitalismus – ist erforderlich, um die Entwicklung einer offenen Bürgerinnen- und Bürgerdemokratie zu ermöglichen. Sie kann die weitere Zerstörung der Umwelt verhindern, Waffenhandel und Kriegstreiberei beenden, die ausufernde ökonomische Ungleichheit beseitigen und die Wirtschaft in den ganzheitlichen Ansatz gesellschaftlich-sozialer Verantwortung einbinden. Dafür benötigt sie politische Macht, deren Grundlage die soziale Macht der Massebewegung und die Forderung nach einer Verfassung vom Volk sein kann.
Die Parteiendemokratie bietet keinen Ausweg. Sie steckt in einer Denk- und Handlungskrise fest und reagiert lediglich auf die Wünsche und Anweisungen finanzkapitalistischer Kräfte. Das Kapital spielt in diesem Drama die Rolle der vergifteten Feige – nur noch für korrumpierte Karrieristen lieblich im Geschmack, ist sie gesellschaftlich tödlich.
Das Kapital kennt keine Staatsangehörigkeit, keine Nation, keine Heimat, keine Menschlichkeit und wertet jedes Subjekt zum Objekt ab. Es unterscheidet nicht zwischen Schwarz oder Weiß, Mann oder Frau, Moslem oder Christ, Hetero oder Homo, Arbeiter oder Akademiker, sondern nur danach, ob das Objekt verwertbar ist oder nicht.
Es ist immer weniger an staatliche Strukturen, nationales Recht und Unternehmen gebunden, entzieht sich mit Hilfe der Politik der Besteuerung und jeder sozialen Verantwortung und vagabundiert – begünstigt durch die Globalisierung der Finanzmärkte – als plündernde Soldateska um die Welt. Blindwütig wird in alles investiert, was nicht niet- und nagelfest ist. Verharmlosend bezeichnet die Politik den Raub öffentlicher Güter als Privatisierung und feiert wie im Fieberwahn die längst zerstörerisch wirkende Finanzwirtschaft.
Ob diese unheilige Allianz überhaupt noch auf demokratischen Druck anspricht, oder ob Politik und Kapital Hand in Hand in Richtung Krieg und Zerstörung taumeln, ist offen.
Beide Optionen sind denkbar und beide bedürfen einer friedlichen Lösung durch die Zivilgesellschaft. Dabei muss klar sein, dass trotz aller Beteuerungen und politischer Kosmetik weder der Kapitalismus als Wirtschaftsform noch die Parteienherrschaft als politische Ausprägung reformierbar sind.
Die Zivilgesellschaft muss daher selbst die postkapitalistische Zeit einläuten, aus der Erkenntnis und der Notwendigkeit heraus, dass das bestehende System seinen Lebenszyklus weitgehend abgeschlossen hat. Schon jetzt geht es um nicht weniger als die Zukunft der Menschheit.
Rückblick
Teil 1 – Der Verfall und die politische Krise des Westens
Teil 2 – Die Verfassung vom Volk als politischer Befreiungsschlag
Teil 3 – Die gewaltlose Massenbewegung und die politische Machtfrage
Foto: Mabel Amber (Pixabay.com, Creative Commons CC0).
14 Antworten auf „Die Entscheidung – Kapitaldiktatur oder Souveränität der Menschen (Teil 4)“
Hallo liebe Autoren,
Respekt vor diesem Aufruf!
Ich wünschte uns allen wirklich von Herzen, dass dieser Apell die entscheidende Masse erreichen und mitreissen könnte. Doch schon allein in der gesamten Infrastruktur werden sich die lieben Menschen zum Kuddelmuddel regionaler Prioritäten und Alleinstellungsmerkmale bis zum Erbrechen in Grabenkämpfen austoben. Eine Gesamtstrategie in den Bereichen Verkehr, Energieerzeugung- und Verteilung, Medizinische Versorgung- und Forschung, e.tc. scheint mir ( leider ) nur in hierarchischen Strukturen machbar. Wir kennen doch die Debatten zum Strom-Netzausbau. Es müssen wirkliche Expertenkommissionen dazu gebildet werden. Doch wie erkennt man die echten Strategen? Die Verfassung vom Volke erscheint mir dagegen tatsächlich in Sichtweite. Hier geht es um allgemeine Werte, um die Dinge, die die positive Menschlichkeit zum Ziel hat, ja darum, wie wir in der Masse das größte gemeinsame Vielfache erreichen können und zum friedlichen Miteinander der Völker und Kulturen beitragen können.
Nur eines ist mir in den obigen Ausführungen seltsam aufgestoßen. Die Ähnlichkeit zu den Bemühungen unserer Staatsbürgerkundelehrer, uns zu erklären, wie viel besser der Sozialismus/ Kommunismus gegenüber dem Kapitalismus/ Imperialismus sei. Nun, das kann jetzt sehr subjektiv daherkommen, doch wir Ossis haben da so unsere Erfahrungen in Sachen Mensch und Menschlichkeit. Die Sehnsucht nach einer gerechteren Welt bleibt natürlich. Vielleicht ist der Mensch nur ziemlich fehlerhaft und braucht noch darwinsche Entwicklungssprünge.
Wie auch immer – Respekt vor Eurem Optimismus!
Sollte der Funken Hoffnung mich entzünden, brenne ich lichterloh…..
L.G.
Uwe L.
Vielen Dank für den Kommentar, den ich als Ermutigung verstehe. Als Belehrung ist die Serie nicht gedacht, auch nicht als in Stein gemeißelte Wahrheit, sondern als konstruktive Kritik an den bestehenden Verhältnissen und als Vorschlag, wie ein demokratischer Zustand erreicht werden kann, ohne dabei irgendein Wirtschaftssystem anzubieten. Fraglos bringt das jetzige kapitalistische System keine Verbesserungen hervor, sondern führt auf allen Ebenen zum Niedergang. Ich zum Beispiel sehe keine andere Option, außer, den Kapitalismus abzuschaffen und durch eine Gemeinwohlökonomie zu ersetzen, was in der Serie bewusst nicht thematisiert wurde. Denn es ist eben nur eine Sicht, und es gibt bestimmt viele andere Sichtweisen und Vorschläge. Um diese aber ernsthaft zu diskutieren, eine Lösung und einen Ausweg aus der sich sozial, politisch und ökologisch verschärfenden Lage zu finden und diese in die Tat umzusetzen, muss die politische Macht zur Bevölkerung. Die hat in der Repräsentativen Demokratie nichts zu sagen und ist in der Rolle des ewigen Bittstellers. Aus meiner Sicht ein unhaltbarer Zustand.
Hallo Herr Leonhardt und Grüße an die weiteren Kommentatoren,
Ich bitte um Verständnis, wenn ich auf die Kommentare in einer Stellungnahme eingehe.
In der Tat ist eine Verfassung vom Volk unumgänglich, um die Macht- und Legitimationsfrage zu stellen und zu beantworten. Meine Erfahrung aus vielen Fragen, Veranstaltungen und Diskussionen hat deutlich gemacht, dass wir zur Umsetzung des Weges dahin offensichtlich zeigen müssen, warum dies so wichtig ist. Das setzt voraus, auch praktische Fragen der Politik mit zu behandeln. Zudem brauchen wir den Aufbau von Strukturen, die ein Verfassungsreferendum tragen und eine Durchsetzung einer Verfassung damit realistisch machen. Meine anfängliche Haltung, sich allein auf diesen Weg (der Macht- und Legitimationsfrage) zu konzentrieren, hat sich als schwierig erwiesen, weil das Denken in politischen Machtkategorien offensichtlich nicht hinreichend ausgeformt ist. (Sie sind nach meiner Einschätzung löbliche Ausnahmen.)
Mit dem jetzt vorgelegtem Weg, verbinden wir die Machtfrage der Verfassung vom Volk mit
inhaltlichen politischen Positionen. Wir zeigen, dass die gegenwärtigen Verhältnisse nicht naturgesetzlich entstanden sind, sondern politische gewollt und gemacht sind. (Die in einem Kommentar angesprochen Vollgeldforderung ist dazu ein Beispiel. Der Finanzkapitalismus hat sich in seiner Unmenschlichkeit entwickeln können, weil er politische Wegbereiter hatte.)
Die von Ihnen und anderen Kommentatoren angemerkten Schwierigkeiten (Vielfältigkeit und auch Widersprüchlichkeit politischer Einstellungen und Prioritäten) sehe ich wie Sie. Derzeit nehmen viele Menschen den politisch-wirtschaftliche Ordnungsverfall nur oberflächlich wahr. Deshalb der krampfhafte Versuch, nach Verantwortlichen zu suchen – Personen und Parteien. Sie nehmen nicht wahr, dass Krisen und Zerfall die logische Folge eines entarteten Finanzkapitalismus und einer politischen Feudalherrschaft ist. Mit dem dezentralisierten Ansatz erhoffen wir uns, dass wir Zusammenhänge und Ursächlichkeiten transparent machen können. Aber ich bin sicher, mit dem Fortschreiten des Zerfalls wächst auch die kritische Sensibilität gegenüber dem Parteienfeudalismus.
Es geht derzeit auch nicht um einheitliche Ideen und Konzepte, weil es die alles erschlagende Konzeption nicht gibt. (Deshalb haben die Sozialisten ihre Schwierigkeiten mit der gegenwärtigen Lage.) Die Welt ist differenziert und komplex. Sie entzieht sich eindimensionalen Mustern. Entsprechend ist die Aufgabe, trotz der Vielfältigkeit politische Schlagkraft zu erzeugen. Deshalb die Idee der Regionalkonferenzen, die für mich eine vergleichbare Funktion wie Plattformen für die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung haben (Stichwort Plattformkapitalismus). Als solche bieten sie die Chance, Prioritäten für gemeinsames Handeln trotz Unterschiedlichkeit zu entwickeln. Denn für die Machtfrage gilt es den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden.
Die Sensibilität gegenüber sozialistischen Einheitsüberzeugungen verstehe ich. Ich teile dies. Ich denke, es wird künftig darum gehen der Vielfalt in modernen Gesellschaften auch politisch Rechnung zu tragen. Denken Sie nur an Möglichkeiten dezentrale wirtschaftliche Lösungen zu verwirklichen, die die modernen Gesellschaften prägen werden. (3-D-Drucken ist dabei nur eine der denkbaren Formen) Wenn wir demokratische Lösungen für die politischen Aufgaben wollen, bieten weder sozialistischer Zentralismus noch Parteienherrschaft und Einheitswahn einer überholten Administration eine Lösung, denn die Systeme der Zukunft sind offen, flexibel und lernfähig. Unsere politisch-administrativen Systeme sind das genaue Gegenteil. Trotz der riesigen Aufgabe, die vor uns liegt, bin ich nicht skeptisch. Wer hätte schon vor 10 Jahren geglaubt, dass wir über die Notwendigkeit einer Politik ohne Parteienbürokratie inzwischen sprechen – und dies trotz einer begradigten und wie durch Zauberhand gelenkten offiziösen Medienlandschaft.
H. Kruse
Die Serie ist hervorrragend. Schonungslose Analyse der Lage und (eine Wohltat in der Kartoffelsuppe der politischen Berichterstattung und des Bonzengelabers) konkrete Vorschläge zur Lösung. Ob sich Leute vom Sofa aufraffen und anpacken, lass ich als Hoffnung im Raum stehen. Die Autoren sollten bei der Aktion ‘Blogparade zum Tag der Demokratie’ auf https://klickhin.de/blogparade-tag-der-demokratie-tdd18/ mitmachen.
Wenn wir Zeit finden, machen wir bei der Parade vielleicht mit, aber nicht, um einen “Tag der Demokratie” zu feiern, sondern für echte Demokratie einzutreten.
Super, das würde mich sehr freuen. Wobei: Der Tag der Demokratie ist hier – wie eigentlich alle diese Jahrestage – nur der Aufhänger, nicht der Grund. Wie im anderen Kommentar erwähnt, hat sich bei uns ein Forum zusammengefunden, das Demokratie grundsätzlich aber konkret an der Kommunalpolitik vor Ort diskutieren will. Euer Papier wird uns bestimmt einen wichtigen Impuls geben.
Hallo New Jörg
Ergänzend zu Ihrem Beitrag: Mich würde interessieren, welchen Stand sie haben und welcher Weg Ihnen vorschwebt. Insofern kann ich für mich und G. Sosna zusagen, dass auch wir Interesse haben, die Verbindung fortzusetzen. Ansonsten verweise ich auf meine o.g. Antwort auf die Kommentare. Anmerken will ich, dass ich mich über Ihre Einschätzung natürlich freue. Aber auf einem Lob soll man nicht ausruhen. Ich denke, gemeinsam werden wir den Weg verbessern können.
Heinz Kruse
Ausgehend davon, dass sich die direkte oder auch digitale Demokratie sich durchsetzt, muss das heutige Kreditgeldsystem abgeschafft und durch das Vollgeldsystem ersetzt werden. Sonst ist das Kapital immer wieder in der Lage, die Macht an sich zu reißen. Eine weitere Forderung sollte das bedingungslose Grundeinkommen sein, damit der Machtkampf zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beendet wird. Ein Nationalstaat scheint doch wichtig, um die öffentliche Ordnung aufrecht zu halten.
Gute Serie, ausgezeichnete Analyse. Dennoch glaube ich, dass Ihr Euch da ein bisschen verzettelt habt. Bis zu Regionalkonferenzen ist es noch ein langer steiniger Weg, der durchaus länger als 10 Jahre dauern kann. Denn es geht ja nicht nur darum, überhaupt genügend Leute für Euer Vorhaben zu gewinnen, sondern auch, dass sich die Konferenzen nicht in Endlosdebatten verlieren.
Deshalb wäre es vielleicht ratsam, sich zuerst auf eine Verfassung fürs Volk zu fokussieren, damit überhaupt erstmal eine wahrnehmbare, ernstzunehmende Masse entsteht. Denn diese Seite „dümpelt „ neben anderen, ähnlichen Seiten auch nur seit Jahren vor sich hin. Und auch dort kann man die Zerstrittenheit in den teils „unterirdischen“ Kommentaren erleben.
Es tut sich eine ganze Menge, nicht nur im Netz, das Volk wird mehr und mehr sensibilisiert. Es wäre schön, wenn man einen Konsens finden könnte, der die Energien bündelt. Eure Verfassung ist dafür eine gute Plattform.
Dank für die kritische Anmerkung zur “Timeline” und der Zerstrittenheit. Wir können nicht warten, da stimme ich zu, deshalb muss die Zivilgesellschaft das Heft des Handelns so schnell es geht in die Hand nehmen. Die Zerstrittenheit zwischen Initiativen, Vereinigungen usw. ist eine der größten Hürden überhaupt, was aus meiner Sicht durch die Verfolgung von wichtigen, aber in der politischen Bedeutung eben banalen Einzelinteressen liegt. Insofern ist die Verfassung vom Volk ein übergeordnetes Anliegen, durch das jedes beliebige andere Anliegen geregelt werden kann. Die politische Machtfrage ist dabei untrennbar mit der soziale Macht verbunden, die nur aus einem gemeinschaftlichen Zielen entstehen kann. Dieses Angebot gibt es bei keiner Partei, bei keinem Verein oder sonstigen Organisation. Insofern ist die Verfassung vom Volk ein Nenner, auf den sich verständigt werden könnte
.
Ich habe gerade atemlos alle vier Beiträge gelesen. Großartig. Ich muss das erst noch verarbeiten. Ich habe den Eindruck, hier steht das Manifest für die Wiederbelebung der Demokratie.
Interessanterweise hat sich bei uns vor kurzen ein Demokratieforum zusammengefunden. Vielleicht sind wir – unbewusst – schon auf dem hier vorgezeichneten Weg. Ich werde das Thema bei uns einbringen.
Weiter oben wurde schon dankenswerterweise auf die Blogparade zum Tag der Demokratie hingewiesen. Unter #TdD18 ist mehr dazu auf Twitter zu finden. Ich freue mich auf viele MitschreiberInnen :-) Wir sollten in Verbindung bleiben.
Vielen Dank für den Kommentar und den Vergleich mit einem Manifest. Einen solchen Zweck kann die Serie leider nicht erfüllen, aber zum Nachdenken soll sie anregen und ein klares Handlungskonzept vorstellen. Wie Goethe schrieb: “Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich Taten sehn!” Dabei kann von einer Wiederbelebung der Demokratie aber nicht die Rede sein, sondern es geht darum, eine Demokratie aufzubauen, die als Volksherrschaft zu verstehen und zu begreifen ist und in letzter Konsequent als solche gelebt wird. Was sich heute Demokratie schimpft, ist in meinen Augen nicht mehr als politisches Theater und dadurch gefährlich für die Gesellschaften.
Auch ich finde die Artikelserie interessant. Ich habe aber auch Probleme damit.
Oft geht es wieder ums Aufzeigen. Und auch noch der sogenannten Öffentlichkeit. Entgegen der Sicht der Autoren denke ich nicht, dass die Systemmedien gezwungen werden können, die Themen der Regionalkonferenzen aufzugreifen. Kurz tun sie es sicher, aber das verschwindet rasch wieder. Eine “Diskurshoheit” kann gegen die herrschenden Medien nicht so einfach durchgesetzt werden
Womit ich natürlich konform gehe, ist die Perspektive über Nationalstaaten hinaus. Richtung Dezentralisierung. Doch wo ist dafür die Basis? Konferenzen sind keine Basis.
Ich will in Kürze versuchen, den Ansatz der Graswurzelräte noch besser zu vermitteln.
G.K.
Wenn auch verspätet:Die Diskussion im AK Europa-Welt von Mehr Demokratie geht genau in diese Richtung. Ein föderativer Zentralstaat Europa mit voller Gesetzgebungsbefugnis des EU.Parlamentes,, korrigiert durch ein Gremium der Nationalstaaten, wobei hier auch an ein Europa der Regionen gedacht ist. Dies müsste von einer verfassunggebenden Versammlung vorbereitet werden und dann in einer Volksabstimmung entschieden werden. Also : ein klares Ziel , viele mögliche Wege.