“Hier ist überall Blut. Die Täter oder der Täter haben es zwar weggewischt, aber es ist überall feststellbar, auf dem Bett, auf dem Fußboden, an den Wänden.
Er muss regelrecht zerfetzt worden sein.” Die Kommissarin Frigga Bachmann atmete tief durch und wandte sich ihrem Chef zu. “Ich bin froh, dass Du für die Presse zuständig bist.”
Ihr Chef, Hauptkommissar Urs Miner, besah sich das Zimmer. “Ist überhaupt sicher, dass das Blut von George B. Maxell stammt?”
Frigga Bachmann nickte. “Wir haben einen seiner Fußzehen hinten in einer Ecke unter dem Bett gefunden. Der DNA-Vergleich lässt keinen Zweifel zu.
Und das Blut stammt, soweit das noch feststellbar ist, auch von ihm.
Er wurde zerstückelt.”
Frigga sah ihren Chef missmutig aus dem Fenster starren, das Wetter war trüb und regnerisch.
Dann wandte er sich ihr zu. “George B. Maxell, was wissen wir über ihn?”
Die Kommissarin sah ihre Notizen durch. “Führungsfigur der evangelisch freien Kirchen, einer calvinistisch christlichen Organisation mit über 12 Millionen Mitgliedern. Ein charismatischer Prediger mit einer erfolgreichen Fernsehshow auf einem der Privatsender.
Vermutlich Millionär.
Über sein Privatleben ist wenig bekannt.”
Ihr Chef sah sie an. “Feinde?”
Die Kommissarin zuckte die Schulter. “Wahrscheinlich.”
Sie dachte an den Einkauf, den sie noch erledigen musste.
Ihr Chef, der Hauptkommissar kratzte sich am Kopf. “Morgen steht das in allen Zeitungen. Ist alles gründlich durchsucht worden?”
“Natürlich, sein privates Laptop haben wir, aber es ist mit einem Passwort gesichert.
Und wir haben, aber schau selbst.”
Sie führte ihren Chef zu einer Art Wandschranktür.
Dahinter war ein kleiner Raum.
An der einen Wand hingen Peitschen, Nietengürtel, Fesseln, Handschellen und anderes Sexspielzeug, das der Hauptkommissar nicht identifizieren konnte, und, Frigga sah, wie ihr Chef zurückwich, an der Wand stand eine lebensgroße Androidin in Latex.
Die Kommissarin, die das Ausweichen ihres Chefs bemerkt hatte, informierte ihn schnell. “Sie ist deaktiviert.”
Der Hauptkommissar drehte sich zu ihr um.
“Das muss alles zur Spurensicherung.”
Die nächsten Tage vergingen mit Befragungen und brachten Frigga Bachmann keinen Schritt weiter.
Das meiste war Routine und sie dachte nebenbei an die Geburtstagsfeier ihrer Nichte.
Sie brauchte noch ein Geschenk.
Niemand schien etwas über das Sexualleben des Opfers gewusst zu haben und sie war sich nicht mal sicher, ob die sexuellen Vorlieben etwas mit seinem Tod zu tun hatten. Die Vermutung eines Zusammenhangs des Todes des Opfers mit einem ausgeartetem Sexspiel war nicht bewiesen.
Aber sie hatte keine andere Spur.
Es gab kaum private Bekannte.
Das Opfer schien allein gelebt zu haben. Der oder die Täter hatten nichts gestohlen und mussten einen Schlüssel gehabt haben.
Oder George B. Maxell hatte seine Mörder eingelassen.
Vielleicht auch das.
Ihr Chef, Hauptkommissar Urs Miner war mit einem weiteren Fall beschäftigt.
Dann endlich gelang es der Technik, in das Laptop zu kommen.
Die Kommissarin Frigga Bachmann durchforschte als erstes die Internetverbindungen des Opfers.
Das meiste war unauffällig.
Nur ein Link erweckte sofort ihre Aufmerksamkeit – ‘Der virtuelle calvinistische Sexshop’ -. Sie klickte auf die Verbindung und war sofort im Geschäft.
Das Passwort war offensichtlich im PC hinterlegt.
Auf dem Bildschirm erschien grinsend ein gnomartiger Avatar und pries Ihr diverse Sexspielzeuge, von Elektroschockgeräten für die Penisstimulation über ein Sortiment an Peitschen und Fesseln bis hin zu Penisschrauben, die sie eher als Folterwerkzeuge bezeichnet hätte, an.
Im Hintergrund war das Abbild einer überdimensionierten dunkelroten Vulva auf schwarzem Grund sichtbar.
Ihr sagten diese Dinge nichts. Für sie war dies eine fremde Welt, ebenso fremd wie die religiösen Zusammenhänge des Opfers.
Frigga Bachmann war schon lange in keiner Kirche mehr gewesen.
Pervers.
Sie sog die Luft ein und machte sich an die Arbeit.
Das Geschäft gehörte einer GmbH mit Sitz in Hamburg. Sie ließ sich mit der Geschäftsleitung verbinden und wies sich als Ermittlerin aus.
Am Bildtelefon erschien der stellvertretende Geschäftsführer, ein Mann Mitte Dreißig im Anzug. Bereitwillig gab er ihr Auskunft über alle Transaktionen ihres Kunden.
George B. Maxell hatte fast 200.000 Euro allein in den letzten 5 Jahren in diesem Geschäft ausgegeben. 140.000 Euro hatte allein die Androidin gekostet.
Frigga Bachmann sog die Luft ein, ein kostspieliges Vergnügen, vielleicht mehr eine Sucht.
Zum Schluss des Gesprächs mit dem gut gekleideten Anzugträger fiel Ihr noch eine Frage ein, die sie bereits am Anfang beschäftigt hatte. “Wieso bezeichnen Sie Ihr Geschäft eigentlich als calvinistischen Sexshop?”
Der Mann lachte. “Ach, haben Sie noch nie gehört, was Katholiken und Calvinisten unterscheidet?”
Frigga Bachmann schüttelte am Bildtelefon ohne zu lächeln den Kopf.
Der Mann grinste. “Katholiken genießen den Sex und bestrafen sich hinterher für den Genuss, Calvinisten haben aus Verpflichtung Sex und genießen hinterher die Bestrafung.”
Sie fand den Mann nicht witzig.
Sehr viel weiter hatte diese Recherche ihre Ermittlungen nicht gebracht.
Sie ging noch mal alle Unterlagen durch. Irgendwo musste es eine Spur geben.
Eine Notiz der Technik fiel ihr ins Auge. Das Opfer hatte illegale Programme zur Manipulation von Androiden besessen.
Ihr kam ein Gedanke. Sie dachte an die Angst ihres Chefs.
Vielleicht gab es einen Grund?
Sie würden die beschlagnahmte Androidin noch einmal gründlich untersuchen lassen.
Morgen, heute musste sie noch einkaufen. Ihr war endlich ein Geschenk für ihre Nichte eingefallen.
15jährige Mädchen waren wirklich schwierig.
Frigga Bachmann lebte allein.
In der Nacht lag das Polizeigebäude verlassen da.
Nur Thorsten Darie, Mitte Vierzig, ging verbittert seine Runde im Gebäude ab.
Irgendwo schlug eine Tür.
Das war weiter oben.
Ein Lichtschatten huschte vorbei.
Thorsten Darie zuckte zusammen.
Doch es war nur der Schatten, den der Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Fahrzeugs geworfen hatte.
Es war 02.11 Uhr nachts und der private Wachdienst, für den Thorsten Darie arbeitete, zahlte nicht einmal Nachtzuschläge.
In den dunklen Gängen roch es muffig und schimmlig. Unter seinem Schuh blieb etwas undefinierbares Matschiges kleben.
Er streifte es an einem Türholm ab.
Dann zuckte er nochmal zusammen. Dort im Dunkeln stand jemand.
Durch die Glasscheibe der Tür zur Asservatenkammer sah er einen Menschen.
Er zog sein Elektroschockgerät heraus und fluchte still darüber, dass ihm das Tragen einer Waffe untersagt war.
Langsam näherte er sich der Tür und riss sie mit einem Ruck auf. Seine Hände zitterten so sehr, dass ihm das Elektroschockgerät entglitt.
Einen Moment stand die Zeit still.
Dann sah er, dass es nur eine deaktivierte Androidin war.
Diese Teile hatte er bisher nur in einschlägigen Sendungen im Fernehen gesehen, es gab auch schon Filme mit ihnen im Nachtprogramm.
Für ihn würde so etwas immer unbezahlbar bleiben.
Sie sollten fast lebensecht sein.
Er schaute sie sich mit der Taschenlampe genauer an. Sie sah nicht nur echt aus, sie roch auch nicht künstlich.
Er hörte ein Geräusch und zuckte schon wieder zusammen.
Doch niemand außer ihm war hier.
Nur diese Frau.
Zur Vorsicht schaute er noch mal kurz in den Gang und kam sich selbst lächerlich vor, wohl nur der Wind.
Er probierte, wie sich die Haut der Androidin anfühlte, ihre Brüste, er griff ihr zwischen die Beine. Alles fühlte sich echt an. Er spreizte ihre Beine.
Etwas irritierte ihn.
Sie schien wärmer zu werden. Seine Einbildung.
Er zog ihr den BH aus.
Er musste daran denken, nachher alles wieder zurecht zu rücken.
Dann zog er der Puppe den Slip aus und streichelte sie. “Na, gefällt Dir das?”
“Ja.” Die Thermosensoren hatten das Initialisierungsprogramm der Androidin in Gang gesetzt.
Die Startsequenz war eingeleitet.
Das ‘Ja’ erschreckte den Wachmann, er wusste nicht, was er tun sollte und wollte zurückweichen.
Doch die Beine umschlangen ihn, Hände öffneten seine Hose.
Ihm war das zuerst unheimlich, doch was sollte passieren, hier war niemand außer ihm.
Und er konnte hinterher alle Spuren beseitigen.
Für die Androidin war Mann Mann, und der Mann war ihr Herr und sie ihm Untertan. Also ließ sie das einprogrammierte Programm ablaufen.
Thorsten Darie hatte so etwas noch nicht erlebt. Er glaubte zu träumen.
Erst hörte er noch ängstlich mit einem Ohr in den Flur, dann vergaß er alles.
Er kam, doch plötzlich war etwas falsch.
Die Androidin hatte ihn festgebunden. Nun streichelte sie eins seiner Beine und lutschte an seinem großen Zeh.
Er versuchte sich los zu machen, doch er kam nicht los.
Und je mehr er versuchte die Androidin abzuschütteln, desto fester hielt sie ihn und die Fesseln zogen sich zu.
Das war verrückt.
Wenn ihn morgen sein Kollege so finden würde. Er schrie die Puppe an. “Mach fertig, verdammt!”
Für die Androidin war der Mann ein Mann und der Mann war ihr Herr und sie ihm Untertan und er hatte befohlen, dass Programm zu beenden.
Das Ende hieß, dass sie ihn verschlingen sollte, dafür war sie programmiert von George B. Maxell.
Sie war sein Spiegel.
Und jetzt würde sie Thorsten Darie zu Diensten sein.
Der große Zeh war das erste, was sie ab biss. Er wurde in ihrem Inneren schadstofffrei in seine Moleküle zersetzt.
Das Blut spritzte.
Die Androidin würde hinterher aufwischen, auch das gehörte zu ihren Aufgaben.
Der Wachmann schrie und verlor das Bewusstsein, nur um wieder von ihr mit Liebkosungen geweckt zu werden.
Dann biss sie wieder zu.
FIN
Foto: pixel2013 (Pixabay.com; Creative Commons CC0).
Yuriko Yushimata wurde als Distanzsetzung zur Realität entworfen. Es handelt sich um eine fiktionale und bewusst entfremdete Autorinnenposition, die über die Realität schreibt. Die SoFies (Social Fiction) zeigen in der Zuspitzung zukünftiger fiktiver sozialer Welten die Fragwürdigkeiten der Religionen und Ersatzreligionen unserer Zeit. Teilweise sind die Texte aber auch einfach nur witzig. Sie befindet sich im Archiv der HerausgeberInnengemeinschaft Paula & Karla Irrliche (www.irrliche.org). Spiegelung und Verbreitung der Texte sind ausdrücklich gewünscht!