Wir befinden uns nicht nur in einer politischen Diffusion. Diese aber drückt sich in der Auflösung der alten Programme und Gewissheiten aus. Die CDU ist sozialdemokratischer geworden, die SPD im Laufe der Jahre wirtschaftsaffiner, die Grünen christdemokratischer, die Liberalen zuweilen zu liberal und zu wenig bürgerlich konstitutiv und die Linke ist bereits ein Ausdruck des Wandels der Sozialdemokratie.
So ändern sich die Zeiten, könnte gesagt werden, was natürlich auch stimmt. Was diese Veränderung jedoch bewirkt hat in Zeiten radikaler Veränderungen seitens der bestimmenden Lebensverhältnisse, ist noch nicht abzusehen. Jedenfalls haben viele Menschen den Eindruck, dass sie sich nicht mehr auf die bekannten politischen Größen verlassen können.
Mit der Europapolitik, die ihrerseits wie vieles andere als alternativlos bezeichnet wurde, kam mit der AfD eine politische Variante ins Spiel, die sich zunächst tatsächlich exklusiv auf die Rolle des Staates bei der Vor- und Nachbereitung der Märkte für die deutsche Industrie beschäftigte.
Kritisch gesehen wurde die offensive Kreditpolitik und die Absicherung von erneuten Krediten zur Tilgung der Schulden durch den Staat, das heißt durch den Steuerzahler. Das war seichte Kritik, weil nicht der Umstand an sich, sondern nur ein “zu teuer für uns” reklamiert wurde. Bekanntlich bekam die AfD dafür leidlich Zuspruch, aber sie nahm richtig an Fahrt auf, als sie zum Thema Europa noch die Flüchtlingspolitik hinzunahm und das politische Personal radikal austauschte.
Ja, wenn sich keiner mehr auskennt, dann ist es gut, wenn andere mit einfachen Wahrheiten kommen. Nein, das ist aber nicht die schlimmste Ursache für den gegenwärtigen Auftrieb einer zunehmend völkisch agierenden Partei.
Das Schlimme ist das Taktieren derer, die die Verantwortung in politischen Ämtern tragen und die nicht aufhören mit bestimmten Formulierungen wie dem Verständnis für besorgte Bürger, den Mob hoffähig zu machen und alle, die sich an die Regeln des politischen Diskurses halten, zu diskreditieren.
Für das politische Überleben in Zeiten wie diesen steht ein Wort, das unnahbar klingt, aber dennoch nicht vergessen werden darf. Es ist die Wahrhaftigkeit.
Wer zu dem steht, was er sagt und wer die Courage hat, die Dinge beim Namen zu nennen, der kann das reklamieren, was als das verloren gegangene Vertrauen bezeichnet werden muss. Und, bei der Betrachtung der zentralen politischen Fragen, die diese Gesellschaft erregen, da ist die Wahrhaftigkeit ein ungebetener Gast. Ob bei dem Thema Europa und der deutschen Rolle, ob beim Thema Ukraine, Syrien, Türkei, USA – Standpunkte und Haltungen, die den Namen verdienten, sind eher die Ausnahme und das, was als das wahrzunehmende Interesse charakterisiert werden müsste, wird wohlweislich verschwiegen.
Neben der politischen ist die institutionelle Diffusion die weitaus größere Gefahr. Sie beginnt mit der politischen, wird aber zu einem Fraß innerhalb der staatlichen Institutionen, die unabhängig von politischen Standpunkten funktionieren sollen und müssen.
Sachsen ist ein beredtes Beispiel dafür, dass vor allem Justiz und Polizei bereits befallen sind von Erregern des Völkischen.
Diejenigen, die dafür verantwortlich zeichnen, die politischen Mandatsträger und die durch sie installierten Beamten, sind der Korridor für die institutionelle Diffusion.
Ein Bundesinnenminister, der den König der V-Leute im neofaschistischen Lager im Amte belässt, der gegen die eigene Regierung bereits geputscht hat, aber bei der Diffusion des Sicherheitsapparates nur mit den Schultern zuckt, ein solcher Innenminister ist untragbar für alle, die nicht in ein historisches Horror-Szenario schlittern wollen.
Illustration: Yingnan Lu (Pixabay.com, Creative Commons CC0).
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
3 Antworten auf „Das Schlittern in ein historisches Horror-Szenario?“
Deutschland erlebt keinen Rechtsruck, sondern eine Linksflucht. Die Linken (primär SPD/Grüne) haben in allen Bereichen verbrannte Erde hinterlassen und die etablierten Parteien haben alle mitgemacht. Merkel regiert weniger demokratisch, sondern über die Köpfe hinweg, was viel über die politische Ausrichtung aussagt. Daß dabei rechtsstaatliche Grundsätze einfach übergangen werden, wird ignoriert.
Die Menschen mögen es nicht, wenn man sie für dumm und unmündig hält und sie auch genau so behandelt. Das ist ein typisches Merkmal von autoritären Tendenzen (egal aus welcher Richtung). Die Leute haben es einfach satt, daß man sie permanent gängelt, obwohl offensichtlich ist, daß unsere politische “Elite” größtenteils völlig unfähig ist.
Die Arroganz, Ignoranz und Inkompetenz unserer Politiker (quer durch alle Parteien) ist inzwischen nich nur in der Rückschau klar erkennbar. Die Parteien sind unfähig und unwillig ihre eigenen Fehler zu erkennen und konsequent zu korrigieren. Aktuell sehe ich nur ein “weiter so”. Daran wird auch eine AfD (die nichts anderes ist als eine CSU vor 20 Jahren) nichts ändern.
Zitat: “Die CDU ist sozialdemokratischer geworden, die SPD im Laufe der Jahre wirtschaftsaffiner, die Grünen christdemokratischer, die Liberalen zuweilen zu liberal und zu wenig bürgerlich konstitutiv und die Linke ist bereits ein Ausdruck des Wandels der Sozialdemokratie.” Zitatende!
Tut mir leid aber das kann ich nicht nachvolziehen! Denn viel eher werden die Parteien Sozialdarwinistischer und damit Faschistischer!
Schauen sie sich doch mal deren Werke an:
Hartz4 (eigentlich die gesamten Harzreformen)
Hier wird eine Gruppe von Menschen mutwillig vom Schutz durch das Grundgesetz/Verfassung ausgeschlossen und entwertet.
Erst als Minderleister bezeichnet und später dann zu unwertem Leben erklärt!
Einen der Väter dieser Reformen wurde dafür auch belohnt und ist jetzt der Bundespresident, ein Waschechter Sozialdarwinist! Davon gibt es sehr viele in der Politik die sich auch noch alle für gute Menschen halten.
Das soll hier nur ein kommentar sein, und kein eigener Artikel werden, daher begnüge ich mich mit dem obengesagten. Jeder kann mehr selbst rausarbeiten, man nehme nur mal das Grundgesetz/Verfassung und vergleiche die aktuellen Gesetze ect. und deren Umsetzung!
Wieso gibt es wieder nur Sozialmediabuttons für FB G+ und Twitter?
So kann man nichts bewegen oder verändern. Sie scheinen von den Manipulationen und Zensurmaßnahmen bei diesen Netzwerken noch nichts gehört zu haben. Diaspora Friendica Mastodon gnusozial usw. wären die besseren Zensurresisten Netzwerke für Meinungsfreiheit und Aktivismus im nahmen der Menschen.
Tipp: arte Im Schatten der Netzwelt The Cleaners
Eine Regierung, die sich nur noch mit sich selbst beschäftigt, ist es nicht mehr wert, dass man über einzelne Parteien nachdenkt. Man könnte sich doch der nächsten Wahl einmal entsagen. Mit einer direkten Demokratie, ohne Parteien, würde die Verantwortung jedem Einzelnen übertragen. Dann zeigt sich, ob der heutige Egoismus noch zu überwinden ist.