Wie bei so vielen Weckrufen wird auch nun wieder die alles bewegende Frage gestellt, was sich denn ändern müsse, um die Verhältnisse zu verbessern. Nicht wenige suchen nach einem ausgeklügelten Konzept, das in die Lage versetzt, die vielen Sackgassen, in denen Politik und Gesellschaft stecken, zu überwinden.
Die Erwartung wird enttäuscht werden, weil sie bereits einen Teil des Problems mit eingebaut hat. Die Lösung führt in diesem Falle nicht über die Komplexität, sondern über die Vereinfachung. Und sie führt nicht über den Kopf, sondern über den Bauch. Und, das wird für alle aus dem Lager der politischen Couch-Potatoes, von denen es so viele gibt, das Bitterste, es wird Mut und Aktivität erfordern.
Jeder Mensch ist für das verantwortlich, was er macht und genauso für das, was er unterlässt. Eine Regel aus Moderationsprozessen, die, einmal erklärt und als Konsens für den Prozess akzeptiert, die Beteiligten in die Lage versetzt, Ungeheuerliches zu produzieren. Stellen Sie sich nun einmal vor:
Bei wie vielen Gelegenheiten, bei denen wir uns mit Unsinn, mit Ideologie, mit Propaganda oder mit Fallenstellerei konfrontiert sehen, bei wie vielen solcher Gelegenheiten nehmen wir uns den Mut und die Zeit, und stellen die Frage nach Wahrheit und Klarheit?
Sie werden es sehen, wir alle schweigen zu oft, aus Bequemlichkeit, aus Angst und aus Überdruss. Dem ist der Kampf anzusagen, der eigenen Unwilligkeit und Unzulänglichkeit zum zwingenden Diskurs. Alles ist erlernbar, und wer sich dem verweigert, der wird an keiner Lösung aktiv beteiligt sein.
Das zweite Feld, in dem es um die Wahrheit geht, ist das beliebtere, weil es vom eigenen Handeln weit weg zu sein scheint. Ist aber nicht so! Der Anspruch, bei den großen Themen mitsprechen zu dürfen, nährt sich aus der Erfahrung, das vor der Bäckerstheke oder im Sportverein auch tun zu können. Nur wer sich einmischt, ist dabei.
Die Erkenntnisse, die sich auf dem zweiten Feld erweisen, werden niederschmetternd sein, denn sie werden enthüllen, wie viel Unrat wir werden aus dem Weg räumen müssen, um zu dem zu kommen, was Wahrheit und Klarheit genannt werden muss. Nehmen wir ein griffiges, weil aktuelles Beispiel: Der in den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten wie in der politischen Klasse betrauerte Senator John McCain aus den USA. [1]
Einer der schlimmsten Kriegstreiber und Unterstützer des internationalen Terrorismus wird dargestellt als ein Beispiel für die demokratischen Werte des Westens schlechthin. [2] Nehmen wir das einfach so hin? Finden wir uns damit ab, dass der Chefredakteur des Heute-Journals so einen Unsinn zur Prime Time erzählt? Und nehmen wir es hin, dass der deutsche Außenminister den gleichen Quatsch von sich gibt? Wir wissen, wofür McCain stand, nämlich die Mobilmachung gegen Russland bei Einbeziehung Europas in kriegerische Handlungen. [3]
Wollen wir das? Stellen wir irgendjemanden zur Rede? Wenn nicht, wie glaubwürdig sind wir dann selbst? Und wie viele Beispiele fallen uns ein, bei denen wir seit Jahr und Tag schweigen, obwohl wir alle wissen, dass die, die diese Geschichten erzählen, zwar einen Zweck im Auge haben, es aber mit der Wahrheit gar nicht so haben.
Es wird niemanden geben, der diese Fragen stellt, wenn wir es nicht tun. Es wird niemanden geben, der der Spur nach dem Richtigen folgen kann, wenn nicht wir selbst. Wie gesagt, jeder Mensch ist verantwortlich für das, was er tut und für das, was er unterlässt. Klingt simpel. Ist aber gar nicht so einfach.
Quellen und Anmerkungen
[1] John Sidney McCain (1936-2018) war vor seiner politischen Laufbahn Berufssoldat bei der United States Navy. McCain nahm als Pilot am Vietnamkrieg teil. Er wurde 1967 abgeschossen und war über fünf Jahre Kriegsgefangener in Nordvietnam. 1979 schied er aus dem Militär aus und ging in die Politik. Von 1987 bis zu seinem Tod war er Senator im Bundesstaat Arizona. Im Jahr 2000 bewarb er sich um das Amt des US-Präsidenten, scheiterte aber in der Vorwahl an George W. Bush. McCain war Kandidat der Republikaner für die Präsidentschaftswahl 2008. Dort unterlag er Barack Obama. ↩
[2] KenFM: John McCain: Heiligsprechung eines Kriegsverbrechers. Auf https://kenfm.de/john-mccain-heiligsprechung-eines-kriegsverbrechers (abgerufen am 05.09.2019). ↩
[3] Mirror: Senator John McCain brands Russia’s US election ‘hack’ ‘an act of war’. Auf https://www.mirror.co.uk/news/world-news/senator-john-mccain-brands-suspected-9538566 (abgerufen am 05.09.2019). ↩
Illustration: Schmidsi (Pixabay.com, Creative Commons CC0).
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
2 Antworten auf „Nur wir selbst!“
Wo will man anfangen, wo soll man aufhören?
Obama konnte auf dem evangelischen Kirchetag, zusammen mit Angela Merkel, seine Drohnenpolitik verteidigen und bekam frenetischen Beifall.
Netanjahu verfolgt eine mörderische Siedlungspolitik und “der Westen” unterstützt ihn mit Geld und Waffen. Sieht so Vergangenheitsaufarbeitung aus?
Frankreich setzt seine Kolonialkriege in Mali, Libyen und Syrien fort, mit dem Resultat das U.v.D.Leyen und Florence Parly(franz. Kriegsministerin) eine EU-Armee gründen wollen. Wer hätte gedacht, dass Versöhnung neues Unrecht legitimiert?
Der Kalte Krieg wurde neu entfacht, Milliarden NATO-Euro sollen dafür locker gemacht werden, so locker, wie wir über 20 Millionen russischer Kriegstote hinwegsehen.
Ecuador, Venezuela stehen wieder mal kurz vor dem politischen Kollaps, den Amerika seit Jahrzehnten schürt unter den Augen aller westlichen Staaten.
Fukushima strahlt nach wie vor, kein Ende in Sicht und der Pazifik wir täglich aufs Neue kontaminiert mit radioaktivem Kühlwasser. Dennoch sind Kriege immer noch lukrativer als eine weltgemeinschaftliche Unterstützung Japans, die jetzt kontaminierte Fische in die Eu liefern darf.
Deutschland liefert weiter Waffen an Terroristen, wird aber nicht in Den Hag verurteilt, obwohl davon auszugehen ist, dass unsere Regierung selbst eine terroristische Vereinigung ist.
Die Liste liesse sich noch seitenlang weiterführen. Man kann es niederschreiben, rausschreien, diskutieren, demonstrieren. Nichts wird helfen, nichts hat geholfen. Siehe Manning, Snowden, Assange…
Wir wissen es doch alle!
Wir können nicht mehr auf andere Menschen warten, die eventuell mitmachen und hunderte von zerstrittenen Gruppen bilden. Jeder muss bei sich selbst anfangen, am besten heute noch.
Hier (https://neue-debatte.com/2018/09/03/die-macht-des-einzelnen/ ) findet sich vielleicht die Lösung, aber anfangen muss jeder bei sich selbst!
Wie kann es erreicht werden, dass alle Mitbürger sich mitverantwortlich fühlen, wenn es um den Erhalt der Natur und der Erde geht. Leider werden wohl die öffentlichen Medien gezwungen, nur Unterhaltsames zu produzieren. So kann man die Menschen davor bewahren, sich um wichtige Vorgänge für die Allgemeinheit zu kümmern. Ausserdem ist der Egoismus des Einzelnen so weit fortgeschritten, dass dafür keine Zeit erübricht werden kann.