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Mathematik ohne Zweck

Hört auf mit der Rechnerei und fangt an, euch über die Zukunft zu streiten!

Mathematik ohne Zweck ist reiner Sport. Wer rechnet, ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen zu haben, der kennt sich aus in Logik, Formeln und Gesetzen, aber Ernst macht er nicht. Das geschieht nur, wenn klar ist, was die Rechnung bewirken soll.

Warum braucht man sie? Für was ist sie Voraussetzung? Was soll sie bezwecken? Das klingt abstrakt, ist aber dennoch nicht unüblich.

Natürlich, man sagt nicht, lasst uns mal einen Dreisatz machen, lasst uns mal mit Vektoren rechnen, mal sehen, wie das klappt. Das klänge schräg. Aber wenn es um das Wichtigste im Leben geht, nämlich die Politik und ihre Zukunft, dann beginnt plötzlich eine große Öffentlichkeit mit einer Rechnerei, die in keiner Beziehung zu einem Zweck steht.

Die Rede ist von dem, was momentan so gerne die Merkel-Dämmerung genannt wird. Seit der letzten Bundestagswahl ist vielen deutlich geworden, dass auch wir in Deutschland mit einer Amtsbegrenzung auf zwei Wahlperioden gut bedient wären. Das wurde beim politischen Ziehvater von Frau Merkel, Helmut Kohl, deutlich, und nun trifft es auch „sein Mädchen“.

Irgendetwas muss im Laufe der Machtausübung geschehen, das unsensibel macht für das Denken und Fühlen derer, die einem das Mandat zur Ausübung der Macht erteilt haben.

Seit der von einem strategisch begrenzt ausgerichteten Bundespräsidenten forcierten erneuten Koalition, in der es ausschließlich um den Machterhalt Merkels ging, rumpelt und pumpelt es in einem Regierungsensemble, das sich mehr mit sich selbst als mit der Amtsführung beschäftigt. Und über allem schwebt eine scheinbar unpolitische Wolke, die den Namen Merkel trägt.

Zurück zur Mathematik. Dass es nicht mehr lange so weiter gehen kann, ist dem Großteil der Bevölkerung klar. Das spricht übrigens für ein restdemokratisches Befinden, welches viele aus den kritischen Kaffeekränzchen bereits leugneten.

Was jedoch befremdet, ist die rein technokratische Übung, die damit verbunden ist. Nun wird nämlich an jedem Stammtisch, bei jeder Initiative und in jeder Arbeitskolonne damit die Zeit verbracht, Bündnisse nach Prozenten auszurechnen. Mit wem reicht es noch weiter für die CDU? Wie sähe eine linke Alternative aus? Wie viel Prozent erhielte eine solche Koalition? Reichte es für die CDU mit den Grünen? Und in Bayern: CSU und AfD ginge doch, oder?

Nein, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, um mit Willy Brandt zu sprechen, Mathematik ohne Willen reicht leider nicht. So kommt niemand aus der Krise. Wenn alles so bleibt, wie es ist, ohne darüber zu reden, was werden soll, dann wird es nicht besser.

Die von politischer Essenz freie Rechnerei ist das Ergebnis dessen, was in den ganzen Jahren, die verschenkt waren und die hinter uns liegen, praktiziert wurde und was alle doch als eine gescheiterte Politik bezeichnen. Es wird nicht reichen, zu jammern, und dann unter einem anderen Label so weiter zu machen wie bisher. Der Zweck von Politik muss ins Zentrum rücken.

Und Letzteres ist das, was die Methode Merkel bewirkt hat: sie hat den Zweck von Politik tabuisiert, sie hat die Politik unpolitisch gemacht.

Es wird darauf ankommen, sich zu fragen, was wir erreichen wollen. Ohne intendierte Wirkung keine gute und vermittelbare Politik. Das klingt einfach, wird aber vieles an Umdenken abverlangen. Hört auf mit der Rechnerei und fangt an, euch über die Zukunft zu streiten!


Illustration: Geralt (Pixabay.com, Creative Commons CC0).

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

3 Antworten auf „Mathematik ohne Zweck“

Was wäre, wenn alle Parteien abgeschafft wären und die Abegeordneten bei jeder Entscheidung eigenverantwortlich abstimmen müsste. Dann zählt wieder wirklich jede Stimme. Wahrscheinlich entsprächen die Resultate wesentlich besser dem Willen des Volkes.

Aufruf an viele Wähler. Weg mit der Siegermentalität: Ich habe den Gewinner gewählt? Nicht die Wahlversprechen beachten, sondern das in den letzten Jahren gezeigte Verhalten.’Sonst geht es wie dem Jounalisten, der Adenauer kurz nach der Wahl wegen Gesinnungsänderung rügte: “Sie wollen mir doch nicht verbieten, jeden Tag klüger zu werden. (Ursprünglich in Kölsch)

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