In allen möglichen Kontexten häufen sich die Zitate, die eine Hilfe sein sollen in den Zeiten, in denen wir uns befinden. Das, was als Kalender-Zitat bereits als Anachronismus belächelt wurde, hat Einzug genommen in die vielen Portale, Foren und sozialen Medien.
Überall schlagen sie auf, die Weltweisheiten, ohne Quellenverweis, aber mit Verweis auf Buddha, Dalai Lama, Freud, Edgar Allan Poe, Tolstoi oder Nietzsche. Und, je nach Lage, erhalten die klugen Sprüche einen Like. Es mutet an wie die Götterdämmerung der alten Aufklärung.
Während die Fähigkeit des Menschen schwindet, die Welt und ihre Erscheinungsformen wahrzunehmen und die Phänomene einzuordnen, sucht er nach Orientierung. Wenn das im Rahmen von Zitaten, die situativen Sinn vermitteln geschieht, ist das noch harmlos. Wenn es durch vereinfachende Welterklärungen geschieht, die gleichzeitig noch den Bock der Sünde mitliefert, dann ist ein kritischer Zustand erreicht.
So, wie es aussieht, befinden wir uns seit einiger Zeit in dem Stadium monokausaler Schuldzuweisung. Es wird zu Zerstörung und Vernichtung führen, darüber sollte sich niemand Illusionen machen. Und die Menge derer, die sich dieser Weltinterpretation anschließen, nimmt dramatisch zu.
Im Umgang mit dieser Entwicklung nicht hilfreich ist der arrogante Verweis derer, die weder wirtschaftlich leiden noch davon überzeugt sind, dass die von ihnen selbst immer wieder als komplex bezeichnete Welt schlecht sein könnte, bei dem Phänomen handele es sich um das Werk unterbelichteter Schichten.
Eine solche Einlassung hat nur einen Zweck: Sie lenkt von den Zerstörungen ab, die bereits von den herrschenden Verhältnissen verursacht wurden und sie setzt damit auf das kollektive Vergessen.
Dass ein solches Verhalten die Zorndepots der Verlierer mächtig auffüllt, begreifen die selbst attestierten Schlauen nicht!
Es ist richtig, vor den Zerstörungen der Weltvereinfachung zu warnen, aber es ist fahrlässig und obszön, die Zerstörungen auszublenden, die zu der Konjunktur der Vereinfachung geführt haben. Soziale Spaltung, Verelendung, Kriege, Vertreibung, der Kollaps der Ökologie, Psychopathologien all around, ist das die Welt, in der wir alle leben wollen?
Es wäre ebenso vereinfachend, das alles auf die hemmungslos wirkende Periode des Wirtschaftsliberalismus schieben zu wollen, aber er war sicherlich das ideologische Mittel, das die großen Akte der Zerstörungen in den letzten Jahrzehnten untermauert hat. Vielleicht hülfe eine sehr einfache Interpretation, um die vermeintlich allwissenden Welterklärer von ihrem hohen Ross zu stoßen: Wie wäre es, wenn die krisenhaften Entwicklungen ganz einfach gesehen würden, als das, was sie sind? Nämlich als das Resultat dessen, was durchgeführt und veranlasst wurde? Dann gäbe es nur eine Konsequenz, nämlich Selbstkritik statt Belehrung.
Es versteht sich nahezu von selbst, dass eine auch nur an Demut erinnernde Einstellung derer, die die gesellschaftlichen Entwicklungen repräsentieren, so wie sie sind, nicht zu erwarten ist.
Bei aller Panik gegenüber dem eigenen Verlust an Macht hat sich noch niemand der herrschenden Nomenklatura mit der Haltung annähernder Selbstkritik präsentiert. Stattdessen dominiert eine nahezu kollektive Haltung, die die Welt in Gut und Böse teilt, wobei der eigene zerstörerische Anteil ganz überraschend in der Bilanz des Guten erscheint.
Da drängte sich das berühmte „Jenseits von Gut und Böse“ Friedrich Nietzsches auf, um die beschriebenen Verhältnisse zu kennzeichnen. Aber es wäre falsch. Der meinte das nämlich ganz anders, quasi als Revolte gegen die moralische Herrschaft der Zerstörer ersten Grades. Soviel zum Risiko von der dem Kontext entrissenen Anwendung von Zitaten.
Foto: Portät Friedrich Nietzsches, 1882; Das zugrunde liegende Original stammt aus einer Serie von 5 Profilfotographien des Naumburger Fotographen Gustav-Adolf Schultze, Anfang September 1882. Quelle: Gustav Adolf Schultze; Wikipedia (Gemeinfrei).
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
2 Antworten auf „Jenseits von Gut und Böse?“
Weshalb machen es sich die Menschen so schwer? Da steht an sich der gesamten Menschheit genügend zum Auskommen zur Verfügung. Aber was machen sie daraus? Da streiten sich die Menschen um die Vorherrschaft. Da wird unter dem Fortschrittsglauben immer mehr Unnützes produziert. Da werden Erde und Natur rücksichtslos ausgebeutet. Die Unterwerfung unter das heutige Geldsystem ist wohl die größte Dummheit, die sich die Menschheit leistet. Da gibt es wohl keinen “Weisen”,der über eine lautstarke Stimme verfügt, um die Menschen aufzuklären, was Gut und Böse ist.
Ein wichtiger Hinweis: Geldsystem ist einfacher als Tauschsystem. Gefährlich wird es erst, wenn die Geldmenge höher ist als der dahinter stehende Wert aller Güter. Dann wird Geld zu einem Spekulationsobjekt für Eliten.. Und führt zu einer Staatsverschuldung, die dann von späteren Generationen zu begleichen ist. Dies kann dann zu Kriegen führen oder Enteignungen von
ausgewählten Personen wie vor 80 Jahren in Deutschland.