Es ist ein zweischneidiges Schwert. Nicht wenige beklagen in diesen Tagen, dass wir es mit einem neuerlichen Verfall der Sitten zu tun hätten. Der Respekt voreinander, vor allem vor dem Andersdenkenden und Andersartigen sei, verloren gegangen.
Das, was immer wieder als Augenhöhe reklamiert werde, spiele immer weniger eine Rolle. Gerade deshalb habe das Wort eine derartige Konjunktur. Und die Bedürfnisse des Anderen spielten keine Rolle mehr.
Andererseits wiederum wird beklagt, ein richtiger Streit um die Sache sei gar nicht mehr möglich. Wir befänden uns in einer debattenfeindlichen Konsensdemokratie, wo alles so lange durch Medien und Foren gejagt werde, bis alle nur noch müde seien und ein Kompromiss am Ende stehe, der keine Kontur mehr habe.
Beides ist sicherlich richtig. Wer sich ständig in einem Prozess von Meinungsbildung und Entscheidung befindet, kennt beide Szenarien. Ersteres übrigens, der mangelnde Respekt und der Verfall der Sitten, wird zunehmend der Existenz der Neuen Rechten zugeschrieben. Dem kann nur zustimmen, wer sich mit dem Erinnern schwertut.
Viele derer, die den Verfall beklagen, sind durch Auftreten und Anmaßung längst ein Argument für den wachsenden Widerwillen. Letzteres, das Nicht-Mehr-Streiten können, wird zumeist den Repräsentanten und politisch Verantwortlichen in den mächtigen Ämtern vorgeworfen.
Auch dabei handelt es sich um eine Täuschung. Es liegt begründet in der von ihnen gewählten Strategie, wie Meinung gemacht wird. Diejenigen, die kritisieren und auf eine Veränderung der Verhältnisse drängen, sollen nur nicht in der Lage sein, die Auseinandersetzung zu suchen und zu führen.
Und an dieser Stelle greifen die beiden beklagten Zustände zusammen und ergeben einen Sinn.
Respektlosigkeit, Bevormundung, Verleumdung und Impertinenz sind das Besteck derer, die sich nicht im Kampf um die richtige Idee durchsetzen wollen.
Sie beherrschen ihr Handwerk, aber sie haben kein Programm, das durch seinen sozialen Charme überzeugen könnte. Ihnen geht es ausschließlich um sich, um ihre Person. Da kommt es gut, wenn auf der anderen Seite die stehen, die zwar widersprechen wollen und für eine andere Realität stehen, aber nicht geübt sind im Führen der Auseinandersetzung.
Die große Masse der Kritiker an den Verhältnissen, die nicht so sind, wie sie dargestellt werden, weil sie mehr Konflikte und Probleme beinhalten als in Jahrzehnten zuvor, diese Masse der Kritiker ist durch einen langen Prozess der Wohlfühlentmündigung nicht vorbereitet auf den Waffengang, der bevorsteht und der notwendig ist.
Es ist keine überraschende Erkenntnis, dass aus der beschriebenen Unfähigkeit eine Unzufriedenheit entsteht, die von Tag zu Tag größer wird. Da sowohl die eigenen rhetorischen Mittel wie die psychische Stabilität fehlen und da die Organisationen, die in derartigen Auseinandersetzungen helfen können, zu regierungsaffirmativen, immer weniger Resonanz findenden Wahlvereinen mutiert sind, wachsen Zorn und Hass.
Die Mehrheiten, die sich, obwohl sie sozial dort völlig deplatziert sind, plötzlich auf der rechten Seite auftun, sind tatsächlich auch eine Revolte gegen den Zynismus, den die Funktionäre in den bestehenden Institutionen und Apparaten generieren, weil sie sich zu sicher fühlen und glauben, ihre Person sei wichtiger als das Amt.
Letzteres ist eine kleine Unterscheidung mit großem Sinn, von der bereits Seneca zu berichten wusste. Auf die Frage, was der gerechte Lohn für die Belastung sei, die ein öffentliches Amt ohne Zweifel bedeute, gab er die logische wie verblüffende Antwort: Das Amt selbst.
Illustration: Amy (Pixabay.com, Creative Commons CC0).
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
Eine Antwort auf „Lohn und Amt“
Es zeigt doch, dass die Menschen das Denken verlernt haben. Wie ist es sonst möglich, dass man sich so von Zahlen, nichts Anderes ist Geld, so abhängig gemacht hat. Ganze Länder haben sich dadurch blockiert. Und wenn Italien sich ein Wenig davon lösen will, geht ein Aufschrei durch die Welt. Dieses heutige Denken hat sich so in die Gehirne eingefressen, dass wir wohl alle verhungern müssen, wenn nicht noch in einer Schublade etwas davon entdeckt wird.