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Philosophie

Mensch, werde wesentlich und wage Menschlichkeit

Da kommt der Tod. “Setz dich und sei mein Gast!” Eine Betrachtung des Menschseins.

Menschen können sich entscheiden, ob sie bewahrend oder beendend wirken und entsprechend dieser grundlegenden moralischen Orientierung ihr Leben sinnvoll oder sinnlos gestalten wollen.

“Und weil der Mensch ein Mensch ist, drum hat er Stiefel im Gesicht nicht gern, er will unter sich keinen Sklaven seh’n und über sich keinen Herrn”, sagt uns Bertolt Brecht in seinem Lied von der Einheitsfront.

Menschen werden, ohne darüber selbst entscheiden zu können, in ein für sie tödlich endendes Dasein geboren. Menschlich lebendig und mit wachsendem Selbstbewusstsein begabt, können sie entsprechend ihrer persönlichen Entwicklung und der Gegebenheiten ihrer konkreten Daseinsbedingungen über sie betreffende Berechtigungen und Verpflichtungen befinden und entscheiden – und, ob sie diesen entsprechen wollen oder nicht.

Xokonoschtletl Gomora, ein lateinamerikanischer Native, erzählte folgende indianische Weisheit:

Ein Mann hatte einen Truthahn geschlachtet und zubereitet; den wollte er ganz für sich allein im Wald verspeisen. Als er sein Mahl begann, erschien der Teufel und sagte: “Ich bin der Teufel. Gib mir von Deinem Truthahn.”

Da antwortete der Mann: “Nein, keinen Bissen.”

“Warum nicht”, schimpfte der Teufel, “ich bin der Teufel, der Allmächtige!”

“Das bist du nicht”, entgegnete der Mann, “Gott lässt nicht zu, dass du alles tun kannst, was du willst; von mir bekommst du nichts.”

Da entfernte sich der Teufel und der Mann setzte sein Mahl fort. An der Stelle des Teufels erschien Gott. “Ich bin Gott der Allmächtige, gib mir von Deinem Truthahn.”

Der Mann entgegnete mit einem Nein: “Obwohl du Gott bist, handelst du nicht gerecht. Es gibt zu viele Kriege, Kranke und Arme auf dieser Welt. Von mir bekommst du nichts.”

Da ging Gott davon, der Mann aß weiter, und es kam ein anderer, der Tod.

Der Tod stellte sich vor, bat um ein Stück Truthahn, und der Mann sagte: “Setz dich und nimm, denn ich gebe dir. Du bist der einzige Gerechte, du nimmst Junge und Alte, Arme und Reiche, Bauer und Herr zu dir. Nimm Platz und sei mein Gast!”

Wahrhaft selbstbewusst ist sich ein Mensch, wenn er die Begrenztheit seines irdischen Daseins erkannt hat und es als letztendlich einzige, alle gleichbehandelnde Gerechtigkeit empfindet, dass ihm das Leben, auch ohne es selbst zu wollen, gegeben ist und er mit jedem Atemzug seinem unausweichlichen Lebensende näher rückt. Aus dieser erkannten Wahrheit erwächst Stärke.

Im Wissen darum, dass keiner seinem sicheren Tod entgehen kann, ist erst wahrer Lebensgenuss möglich. Scheinbare Allmächtigkeiten können weder mit teuflisch angedrohtem, zerstörerischem Beenden die Teilhabe an dem durch menschliche Kreativität ermöglichten Genuss erzwingen, noch mit scheinheilig angebotener Glückseligkeit erschleichen.

Zuckerbrot und Peitsche

Ein geflügeltes Wort der Römer besagt, was Jupiter erlaubt sei, sei dem Rindvieh nicht erlaubt. Zwischen dem höchsten römischen Gott und dem Tier spart es den Menschen aus, als ließe es offen, welchem er näher stehe. Es folgt einer Rangordnung der Wesen nach Fähigkeiten und Begabungen und leitet davon ab, was sich wer herausnehmen dürfe:Jupiter darf alles, das Rindvieh darf nichts, die Menschen dürfen einiges.

Aber von jeher waren es Menschen, die anderen Menschen vorschrieben, was diese durften und was nicht. Gesellschaften, in denen die Menschen nicht gleich sind, erkennen sich in solchen Worten wieder.

Die kapitalistische Produktionsweise, die die Herstellung von Produkten und Waren beziehungsweise die Erbringung von Dienstleistungen auf das Erzeugen immer höheren Profit orientiert, zerstört die lebensnotwendigen zwischenmenschlichen Beziehungen. Zum Nützlichen verwendetes Eigentum auch von Unternehmern, die damit nützliche Gebrauchsgüter produzieren oder notwendige Dienstleistungen erbringen, geht mehr und mehr in den Besitz anonymer, immer höheren Profit anstrebende Privatinvestoren und Kapitalgesellschaften über.

Zum Erzeugen von Nützlichem befähigte, so eingesetzte und Freude am Geschaffenen bringende Arbeitskraft, muss als reine, mehr und mehr lustlos ausgeführte und erzwungene Gelderwerbstätigkeit verkauft beziehungsweise eingekauft werden. Die Arbeitskraft wird also im Sinne der Nützlichkeit letztlich verschlissen zum Zweck geldwerter, profitabler, aber unproduktiver Leistungserbringung.

Bildung, die den Menschen zur Vervollkommnung des Nützlichen und zum Bewahren des Schönen befähigen soll und kann, wird zur Manipulation, Desinformation und Machtausübung missbraucht beziehungsweise hauptsächlich auf die Regeneration der Arbeitskraft ausgerichtet, die zur Kapitalverwertung und Akkumulation der Betriebswirtschaften gebraucht wird – und möglichst nur auf diese Bereiche begrenzt ist.

Mensch und Mensch

Menschen, die unter sich keine Sklaven und über sich keine Herren sehen wollen, bauen sich vielleicht ihr eigenes Heim, wirken in ihrer Heimatstadt oder für das Land ihrer Eltern und Kinder. Sie bemühen sich, die von ihnen als objektive Realität erkannte Wirklichkeit zu begreifen, sie zu bewahren und dabei Befriedigung zu finden.

Menschen und nur Menschen schreiben sich bewusst gegenseitig vor, was sie zu tun und zu lassen haben, ob und wie sie sich ihren Wohnsitz bauen können, dürfen oder sollen. Menschen und nur Menschen können politisch handeln und entsprechend ihrer Bedürfnisse, Interessen, Anliegen und Bestimmungen wirtschaften. Menschenwürdige Lebensverhältnisse für alle und Chancen zum Überleben überhaupt, gibt es für die Menschheit nur, wenn es ihr gelingt, die “antreibende Peitsche” des geldgierigen Profitstrebens zu ersetzen durch das “motivierende Zuckerbrot” des Gewinns am Nützlichen. Es gilt, nicht vom Kapitalbesitz zu profitieren, sondern vom Nutzen des bearbeiteten Eigentums.

Die Welt in uns Menschen ist eine Spiegelung des Geschehens um uns. Unsere sich daraus erhebende Kreativität ermöglicht es, unsere Entscheidungen und unser Handeln auf ein wirklich werdendes Utopia zu orientieren.

“Erhebe dein Gesicht und beginne zu streben, suche das Licht und gewinne das Leben”, heißt es in einem alten Lied. Schon längst ist uns Menschen also bekannt, dass unser Hirn über unsere Sinnesorgane informiert wird und wir dadurch befähigt werden, zielstrebig nach dem Licht der Erkenntnis suchen und einen Sinn für unser Dasein finden zu können.

In dem wir uns als einen Teil eines großen Ganzen begreifen, das es zu nutzen und zu bewahren gilt, gewinnen wir unser wunderbares, konkret einmaliges Leben. So gesehen ist das Wesentliche unseres Daseins, dass wir Menschen Unternehmer und Übergeber sind. Unser aus dem Spannungsfeld zwischen Sein und Nichtsein, Plus und Minus, Gut und Böse, Ja und Nein hervorgegangenes Bewusstsein ermöglicht es uns, die Einzigartigkeit unserer Wirklichkeit gestalten, erheben und bewahren zu können.

Kreativität als Antrieb

Alle reden von Kreativität. Originelle Denker sind gefragt wie nie zuvor. Und wo sie auftauchen, machen sie von sich reden: in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, in der Politik, in der Erziehung und in der Bildung.

Nackt, hilflos, unwissend wird ein Mensch in eine zugleich wunderbar schöne, aber ebenso lebensbedrohliche Welt hineingeboren. Sich dessen und seiner Fähigkeiten bewusst werdend entdeckt er mehr und mehr, dass er, in liebevollem Umgang mit seinesgleichen und der Welt als Ganzem, vollendet Schönes bewirken kann. Menschen können und müssen kreativ sein, lieben und arbeiten, um den Zumutungen des Lebens standhalten und entgegenwirken zu können. Kreativität ist notwendig, um die Zufälligkeit objektiv realer Erscheinungen des natürlichen Seins in bewusst gestaltete, menschliche Kultur zu erheben.

Was ist unter Kreativität zu verstehen? Viele können sich Folgendes vorstellen und nachvollziehen: Beim Wandern, man ist vollkommen gelöst und will hier und heute so gar nichts vom Lärm der Welt wahrnehmen, und so sein, wie ein unbeschriebenes Blatt. Plötzlich taucht im Kopf die Lösung eines Problems auf, über das man schon seit Tagen oder Wochen grübelte. Verblüfft fragt man sich, warum bin ich nicht schon früher darauf gekommen!

Immer wieder hat es im Laufe der Geschichte Zeiten und Orte gegeben, die die Menschen zu besonderer Erfindungskraft und Kreativität angeregt haben.

Historikern zufolge sind die Ursachen für solche Entwicklungen vor allem:

  • eine besondere Vielfalt unterschiedlicher Standpunkte,
  • gesellschaftliche Verhältnisse, die Veränderungen begünstigen
  • und das Erkennen der dringenden Notwendigkeit, bestimmte Probleme lösen zu müssen.

Das Erkennen ist bedeutsam, ähnlich dem Pinguin-Prinzip. Wird nicht erkannt, dass der Eisberg schmilzt, auf dem alle sitzen, wird die Notwendigkeit des Handels von der Masse nicht nur nicht gesehen, sondern sogar dessen Anerkennung verweigert. Da kann der erkennende Pinguin noch so viel reden, wie er will, seine Argumente und Warnungen werden nicht gehört. Stichwort: Klimawandel.

Der anhaltende Konkurrenzkampf – nicht nur zwischen den Nationen – macht blind für die großen Probleme der Welt, die alle Menschen betreffen, und lässt die schönen Seiten des Daseins verblassen. Das ist nicht neu.

Das antike Griechenland zum Beispiel, das einige der größten Denker der Welt hervorgebracht hat, bestand aus zahlreichen rivalisierenden Stadtstaaten wie Korinth, Athen, Sparta und anderen. Für gewöhnlich bekämpften man sich.

Ganz ähnlich herrschte in Italien zur Zeit der Renaissance tödlicher politischer Zwist zwischen rivalisierenden Stadtstaaten, obgleich sich beispielsweise Michelangelo, Raffael da Urbino, Dante Alighieri, Niccolò Machiavelli und Leonardo da Vinci durch ungeahnte Kreativität hervortaten.

Die Schaffenskraft von Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven, Johann Wolfgang von Goethe, Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Friedrich Schiller entfaltete sich unter dem Eindruck von Kriegen, Gewalt und Ungerechtigkeiten.

Der Aufstand im Menschen

Für Karl Marx sind die materiellen Bedingungen des Lebens, vor allem aber die Arbeits- und Produktionsbedingungen, nicht nur die Grundlage sämtlicher Kulturentwicklung, sondern auch der Schlüssel zum Verständnis des Menschen.

Marx ist der erste Philosoph, der die materielle Arbeit in den Mittelpunkt seiner Philosophie stellte. Für ihn liegt in der schöpferischen Arbeit der Keim zur Selbstverwirklichung des Menschen, also zur selbstbestimmten individuellen Ausschöpfung aller in ihm steckenden Möglichkeiten. Jedoch ist sie Lohnarbeit der kapitalistischen Wirtschaft für Marx dagegen die „entfremdete“ Form der Arbeit.

Warum sich die Menschen Geborgenheit kreativ erarbeiten wollen und wozu sie diese brauchen, erzählt unter anderem Johannes R. Becher in seinem Buch Der Aufstand im Menschen:

„Die Arbeit ist dazu da, dass der Mensch sein Bild herausarbeite und er Gestalt annehme und das Menschenleben Wirklichkeit werde. Ungeheuerlicher Arbeit des Menschengeschlechts bedarf es, damit das Menschenleben zur Wirklichkeit wird.“

Becher meint weiterhin, dass „die Arbeit … den festen Boden“ lege, „worauf der Mensch sich erheben kann, um sich seines Wesens bewusst zu werden.“

Der Mensch unterscheide sich dadurch „von allen anderen Lebewesen, dass er imstande“ sei, „Werkzeuge zu erfinden und sich ihrer zu bedienen“, so werde „der Mensch eigentlich erst zum Menschen durch die Arbeit, indem er die Natur an sich in eine Natur für sich verwandelt und die Naturkräfte, denen er vormals wehrlos unterworfen war, in seinen Dienst stellt.“

Die Meinung Bechers, der Mensch mache sich die Erde Untertan, führt allerdings in eine Richtung, die eben den Menschen ungerechtfertigt überhöht, weil dieser (aktuell) als Umweltzerstörer zu sehen ist, also als Problem, als eine unberechenbare Störgröße, deren Verschwinden für die Umwelt ein Segen sein würde.

Doch Johannes R. Becher stellt auch fest, dass die menschliche Arbeitstätigkeit auch grundlegende Veränderungen der „gesellschaftlichen Verhältnisse ergeben, welche die Beziehungen der Menschen untereinander und zu sich selber und zu ihrer Arbeit grundsätzlich verwandelt hätten“.

So sei „der Herr der Natur zu einem Sklaven der gesellschaftlichen Verhältnisse geworden. An die Stelle der Naturkatastrophen sind gesellschaftliche Krisen und Katastrophen getreten“, und „das Wesen der Arbeit“ verkehre „sich in seinem Sinn. Sie diente nun nicht mehr dazu, dass der Mensch seine menschliche Gestalt herausarbeite“, der Mensch entfremde sich seiner selbst und wurde, „einem zwangsläufigen Mechanisierungsprozess unterworfen, zum Ding.“

Und schließlich kommt Becher zu der Feststellung, dass es „auch eine Flucht in die Arbeit“ gäbe, „um die sinnlos gewordene Arbeit zu vergessen. Die Arbeitspausen … werden dazu benutzt, um sich von der Arbeit zu erholen, das heißt, sich mit Unterhaltung, einem dösigen Nichtstun aller Art die Zeit zu vertreiben und sich zu betäuben.“

Und ganz am Ende seiner Betrachtungen über die Arbeit kommt Johannes R. Becher zu dem Schluss:

„So ist aus dem Segen der Arbeit ein Fluch geworden. Und wenn wir fragen: Was ist unser Leben, so antworten wir: ‚Wenn wir Toten erwachen, dann sehen wir, dass wir nicht gelebt haben.‘ (Ibsen)“

Begreifen, befriedigen, bewahren, Kreativität im Nehmen und Geben ist die Schöpfungswonne, der Genuss, das Liebe geben und geliebt werden wollen, ist das als sinnvoll verinnerlichte Lebensgefühl bewussten Menschseins. Arbeitend, sprechend und denkend nimmt ein Mensch sich zwischen Last und Lust bewegend Gestalt an, kann er die Wirklichkeit begreifen und wahrhaftig Mögliches bewirken.

Karl Marx sagte einmal treffend: „Der Mensch macht seine Lebenstätigkeit zum Gegenstand seines Wollens und seines Bewusstseins.“ Und an anderer Stelle: „Mit Hilfe der Technik verändert der Mensch nicht nur die Natur, sondern ebenso sehr sein eigenes Wissen, seine Fertigkeiten und seine Fähigkeiten. Er entwickelt sich selbst als werktätiger Mensch, als Produktivkraft.“

Behausung, Beköstigung und Bekleidung sind Grundbedürfnisse von allen Menschen. Deren Befriedigung – wie auch die aller anderen Notwendigkeiten des Daseins -, müssen die Menschen für sich selbst erwirken. So dienen zum Beispiel alle Bauten vor allem der Erfüllung menschlicher Bedürfnisse. Sie dienen vor allem dem Schutz vor Kälte, vor Hitze und der Speicherung von Vorräten und Produkten. Bauen schafft den Raum für das Zusammenleben mit anderen und für Zusammenkünfte in den unterschiedlichsten Formen. So ist es bis heute geblieben, wenn auch über Jahrtausende hinweg die Menschen sich immer mehr entwickelten und mit ihnen ihre Bedürfnisse.

Kluge Planung

Worin unterscheidet sich das Bauen der Menschen von dem der Tiere? Der Vogel baut Nester, der Fuchs Höhlen, die Bienen und die Ameisen schaffen sich Waben und Hügel, in denen ganze Völker wohnen. Sind diese Bauten nicht klug geplant? Wir wissen heute, dass diese Tiere nicht wissend und auch nicht klug sind. Die Biene „weiß“ nicht, dass sie eine sechseckige Wabe bauen soll. Kein aus ihr selbst entspringender oder mit ihr vereinbarter Plan treibt sie an, sondern der ihr angeborene Instinkt bringt sie dazu. Und sie kann nichts anderes bauen, als gerade das – also kein Viereck und keinen Kreis.

Die Menschen dagegen planen, was sie bauen wollen. Sie wissen vorher, wie das Bauwerk aussehen soll. Ein Mensch hat außerdem ein weiterreichendes Gedächtnis als alle Tiere und benutzt seine Erfahrungen, um immer besser und anders zu bauen. Er lernt von dem, was er richtig und was er falsch gemacht hat. Ja, er lernt auch von der Natur und von den Tieren.

Er studiert ihre Bauwerke – vom schwankenden Halm der Gräser, der dem Wind standhält, obwohl er doch so dünn und elegant konstruiert ist, bis zum Netz der Spinne. Er hat daraus sogar eine Wissenschaft gemacht – die Bionik.

Dass Menschen vorausschauen und sich zugleich über lange Zeit erinnern können, verdanken sie ihrer die Natur beherrschenden und verändernden Tätigkeit, die sie in Gemeinschaft ausüben. Aus der Wechselwirkung zwischen der Handarbeit und dem Denken hat sich das Gehirn der Menschen so entwickelt, dass es ihnen das Berechnen und die Voraussicht ermöglicht, mit Einschluss der Fantasie.

Wir wissen, dass sich die Menschen von den Tieren auch durch die Fähigkeit unterscheiden, die Stoffe, die sie in der Natur vorfinden, umgestalten zu können. Aus Steinen fertigen sie Faustkeile, aus Holz Speere, aus Ton Töpfe.

Die Geschichte des Eisens ist gleichfalls ein aufregendes, aber zu Unrecht wenig bekanntes Kapitel der Weltgeschichte. Um dieses Metall ranken sich von der Vorzeit bis heute faszinierende Geschichten.

Denken wir nur an Tubal-Kain (Tubal der Schmied), von dem die Bibel berichtet, dass er der erste Meister gewesen sei, der reines Metall aus dem Erz gewann. Und erinnert sei an die geheimnisumwitterte Eiserne Säule in Delhi, die nicht rostet.

Die über drei Jahrtausende andauernde Entwicklung der Eisen- und Stahl-Metallurgie ist reich an bemerkenswerten, manchmal auch unglaublich erscheinenden Geschehnissen. Es war ein weiter Weg vom primitiven Rennfeuer der frühen Eisenzeit zum modernen Plasmaschmelzofen und vom durch Schlacke verunreinigten Schweißeisen zum nicht rostenden Edelstahl.

Schönheit und künstlerischer Ausdruck

Schon sehr bald nach dem Auftreten der frühen Menschen kann ein weiteres Unterscheidungsmerkmal zu den Tieren festgestellt werden. Es ist das Bedürfnis nach Schönheit.

Die Menschen formen nicht nur die Gegenstände, sondern sie schmücken sie auch. Sie verzieren die Töpfe und Waffen und bemalen sich selbst oder behängen sich mit Federn und Ketten aus Knochen und Metall. Offensichtlich soll damit der eigene Wert und auch der der Gegenstände erhöht werden.

Was heute als Mode bezeichnet wird, entwickelte sich wie das Bauen ebenfalls aus notwendiger Bedürfnisbefriedigung bis hin zur Haute Couture. Tracht meint das, was getragen wird. Während in der Vergangenheit alle Kleidung mit Tracht bezeichnet wurde, fasst man heute unter diesem Begriff vor allem die von Völkern über einen längeren Zeiträume getragene Kleidung zusammen, die selbst hergestellt und teilweise von Generation zu Generation weitergegeben wurde.

Trachten sind traditionsgebunden und Ausdruck volkstümlichen Gemeinschaftsgeistes. Sie wurden Kennzeichen einer bestimmten geografisch oder sozial miteinander verbundenen Gruppe von Menschen. So gibt es bäuerliche, handwerkliche und bürgerliche Trachten, Werktags- und Festtagstracht, Frauen-, Witwen- und Brauttrachten und Berufstrachten, die oftmals noch heute getragen werden, nicht wegen ihrer Zweckmäßigkeit, sondern, um sich zu gegebenen Anlässen besonders schön auszustaffieren.

Überall begnügen sich die Menschen nicht allein mit der Gestaltung von Gegenständen und Geräten. Es drängt sie, ihren Empfindungen und Erkenntnissen von der Welt künstlerischen Ausdruck zu verleihen.

Erhebt die Menschheit nicht ihr Gesicht aus dem Chaos, um die Wirklichkeit bewusst zu gestalten, sie in Schönheit zu vervollkommnen?

Gleichgültig, ob sich die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft evolutionär behäbig oder sprunghaft revolutionär vollzieht, sie ist immer dann fortschrittlich, wenn sich jeder Einzelne im Rahmen der gegebenen Lebensverhältnisse als selbstbewusst konkrete Persönlichkeit emanzipieren kann, und wenn sich eben diese Verhältnisse in Richtung einer Gesellschaft bewegen, in der durch eigenwilliges Wirken der Einzelnen das dauerhafte Bewahren des Menschseins ermöglicht wird.

Durch unser menschliches Selbstbewusstsein sind wir in der Lage unser eigenes Ich einer umfassenderen Bestimmung zuzuordnen und daraus sinnvolles Handeln für uns selbst herzuleiten.

Menschen bauen aber auch Mauern, um sich oder andere ein- oder auszusperren. Sie stellen nicht nur Waffen her, um damit Beute zu erjagen, sondern um sich gegenseitig zu vernichten. Sie verschwenden das zur nützlichen Verwendung mühsam der Natur Abgerungene und bringen sich und ihre Wirklichkeit dadurch in katastrophale, dem Untergang nahekommende Zustände. Sie verhalten sich destruktiv und glauben, das Richtige zu tun.

Woher wissen wir aber, ob das, was wir getan wird, das Richtige, das Gerechte, das Sinnvolle und das unserer Bestimmung Entsprechende ist oder nicht?

Grau ist alle Theorie

Bildung ist eine der tragenden Säulen des Menschseins. Von urwüchsigen Erfahrungen alltäglichen Erlebens ausgehend, sind die Menschen heute in der Lage, Bildung wissenschaftlich zu betreiben, Pädagogik ist die Sammelbezeichnung für die wissenschaftlichen, philosophischen und handlungsorientierten Disziplinen, deren gemeinsamer Gegenstand das pädagogische Handeln in seinen verschiedenen Formen ist.

Doch „grau ist alle Theorie und grün des Lebens goldner Baum“, meint Johann Wolfgang von Goethe.

Bildung und Erziehung geschehen im lebendigen Alltag. Das Leben im natürlichen Umfeld, in der Familie, im Kollektiv ist es, das dem fragenden Menschen Antworten geben kann. Auch Kunst, Wissenschaft, Rituale oder Zeremonien machen dem empfindlichen und fragenden Menschen vieles deutlich und erfahrbar.

Da der moderne Mensch heute mehr oder weniger selbstbewusst seine inneren und äußeren Universen verändert, da er sogar aus unendlich vielen mikroelektronisch verschlüsselten Kombinationsmöglichkeiten der Größen 0 und 1 unvorstellbar mannigfaltige, künstlich geschaffene virtuelle Welten entstehen lassen kann, obliegt es allein seinem Wollen, entsprechend menschenwürdiger Moralität zu leben oder es nicht zu tun; also zu entscheiden, ob unsere Wirklichkeit Bestand hat, und ob sie als unsere Wirklichkeit bewahrt oder beendet wird.

Wagen Sie Menschlichkeit.


Foto: Bacila Vlad (Unsplash.com).

Lehrer, Philosoph und Autor

Frank Nöthlich (Jahrgang 1951) wurde in Neustadt/Orla (Thüringen) geboren. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und sechs Enkelkinder. Er studierte Biologie, Chemie, Pädagogik, Psychologie und Philosophie von 1970 bis 1974 in Mühlhausen. Nach dem Studium war er an verschiedenen Bildungseinrichtungen als Lehrer tätig. Von 1985 bis 1990 war er Sekretär der URANIA-Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse. Später arbeitete er als Pharmaberater und ist heute Rentner und Buchautor (www.briefe-zum-mensch-sein.de). Er sagt von sich selbst, dass er als Suchender 1991 in der Weltbruderkette der Freimaurer einen Hort gemeinsamen Suchens nach Menschenliebe und brüderlicher Harmonie gefunden hat.

Von Frank Nöthlich

Frank Nöthlich (Jahrgang 1951) wurde in Neustadt/Orla (Thüringen) geboren. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und sechs Enkelkinder. Er studierte Biologie, Chemie, Pädagogik, Psychologie und Philosophie von 1970 bis 1974 in Mühlhausen. Nach dem Studium war er an verschiedenen Bildungseinrichtungen als Lehrer tätig. Von 1985 bis 1990 war er Sekretär der URANIA-Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse. Später arbeitete er als Pharmaberater und ist heute Rentner und Buchautor (www.briefe-zum-mensch-sein.de). Er sagt von sich selbst, dass er als Suchender 1991 in der Weltbruderkette der Freimaurer einen Hort gemeinsamen Suchens nach Menschenliebe und brüderlicher Harmonie gefunden hat.

3 Antworten auf „Mensch, werde wesentlich und wage Menschlichkeit“

Textauszug:
Wahrhaft selbstbewusst ist sich ein Mensch, wenn er die Begrenztheit seines irdischen Daseins erkannt hat und es als letztendlich einzige, alle gleichbehandelnde Gerechtigkeit empfindet, dass ihm das Leben, auch ohne es selbst zu wollen, gegeben ist und er mit jedem Atemzug seinem unausweichlichen Lebensende näher rückt. Aus dieser erkannten Wahrheit erwächst Stärke.

Einige Worte zur “Begrenztheit des irdischen Daseins”:
Lieber Herr Frank Nöthlich, löbliche, aber sehr theoretische Worte des vernünftigen Miteinanders sind in Ihrem Beitrag enthalten. Meine Frage und die Frage aller Fragen wäre: Was ist der Sinn des ganzen? Meines irdischen begrenzten Daseins bewusst – warum nicht leben, konsumieren, produzieren – auf Teufel-komm-raus? Was scheren mich die Generationen nach mir? Was die Umwelt? ICH habe ja nur eines, eben dieses Leben – wie Sie schreiben – und das soll ich nicht – soweit wie möglich egoistisch ergreifen und ausleben?

Sei wesentlich – für was? Genau das ist es doch, was aus dieser Weltperspektiver herauswächst – sich Ausleben, just have fun, nach mir die Sintflut.

Wage Menschlichkeit! Warum, wieso? Ich – und wohl 99% unserer Mitmenschen sehen das genau so – wurden erzogen und in unseren “Lernanstalten” damit konfrontiert, dass nach dem Zerfall unserer Zellen das große Nichts besteht..,

Eine ganz andere Denke kann natürlich greifen, wenn die m.E. sehr reduzierten Gedankengänge der Begrenztheit des Lebens anders definiert würden.

Sterben kann nur der Körper. Bedeutet dies dann gleichsam, dass auch meine Persönlichkeit, mein Ich – den gleichen Weg zu gehen hat?

Es tut mir leid, lieber Herr Nöthlich, aber diese reduzierte Weltperspektive kann nicht befriedigen. Langsam sollten wir doch klarsehen, dass es außer dem Mess- und Wiegbaren noch andere Qualitäten in uns gibt, die dem Zerfall entgegen stehen!
Mit ein wenig “über den materiellen Tellerrand – hinausschauen sollten Fragen kommen wie: Gibt es ein Leben nach dem Tod, was bedeutet es – eine Biographie zu haben, was heißt Karma?

Alleine die tausende von Nahtodeserlebnisse sollten doch aufhorchen lassen!
Ich denke, ohne die klaren Erkenntnisse einer Geisteswissenschaft, die eben das Wissen über die Naturwissenschaft heraus erweitert, und das Wissen über biographische Gesetzmäßigkeiten (was ich heute tue, kommt morgen auf mich zurück), die Logik der Reinkarnationen etc. – werden Ihre oben notierten Gedanken bei den meisten unserer Zeitgenossen nur ein müdes Lächeln produzieren – und das zu recht.

Herzliche Grüße M.Amthor

Der Mensch mag Wollen und Tun, aber er vermag nicht in weiser Voraussicht die Konsequenzen seines Handelns zu überblicken. Deshalb ist sein Dasein und die von ihm konstruierte, illusionäre, begrenzte Welt so unvollkommen und problembelastet. Gar nicht handeln und in sich ruhen mag da vollkommener sein, als nur agieren, um vor der Leere des Daseins und der eigenen Sterblichkeit zu flüchten.

Die Menschen merken nicht einmal, welche Zwangsjacke sie sich selbst auferlegt haben. Wie viel Unvernunft gehört dazu, dass ganze Völker unter Hunger leiden, nur weil das erforderliche Geld bei einem Superreichen iiegt. Sicher ist der Großteil dieser Hungernden bereit, sich für die Versorgung mit Lebensmitteln einzusetzen. Aber das Geld läßt sie nicht. Das muss doch allmählich auffallen, dass Geld nichts weiter ist als Zahlen.

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