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#bisexuality – einfach nur flexibel

Anstatt das Konzept “Sexualität & Lust” zu verstehen und es vor allem zu begreifen, werden immer neue Begrifflichkeiten geschaffen. Warum eigentlich?

Dating Apps und Sexseiten bieten mittlerweile ein breites Spektrum zur Etikettierung der eigenen sexuellen Ausrichtung an: Sapiosexuell, Questioning, Pansexuell, Cisgender, Transgender, Queer, Intersex, hetero-, homo-, bi-, asexuell … Komischerweise bedeuten einige Begrifflichkeiten das gleiche: Heterosexuell und Cisgender beispielsweise.

Der einzige Unterschied liegt hierbei in der Anwendung, denn während die Allgemeinheit der Gesellschaft sich wohl als heterosexuell bezeichnen würde, so benutzt man in Akademikerkreisen und höheren Bildungsschichten zumeist den Begriff “Cisgender”. Dieser entstand im Kontext der Transgender-Bewegung [1]. Sapiosexuell bedeutet hingegen lediglich, einen schönen Intellekt einem schönen Körper zu bevorzugen. Es geht hierbei also lediglich um ein gewünschtes Persönlichkeitsprofil und nicht um eine sexuelle Ausrichtung [2].

Heteroflexibel. Nicht bisexuell – einfach nur flexibel.

An dieser Stelle wird’s besonders interessant. Für Menschen, die sich ihre Bisexualität noch nicht gänzlich eingestehen wollen, gibt es fortan einen Begriff, der ihre temporären Ausflüge zum eigenen Ufer zwar benennt, aber keine klare Etikettierung zulässt. Flexibel ist schließlich kein statischer Zustand – im Gegenteil.

Interessanterweise wird diese Bezeichnung vorzugsweise von Männern benutzt. Klar. Bisexuelle Frauen sind auf sexuellem Terrain natürlich gern gesehen: eine geile Männerfantasie; noch unersättlicher als eine Hetero-Frau. Bisexuelle Männer hingegen gelten schnell als “Schwuchteln” und schwach. Die herablassende Beschimpfung scheint nicht allein homosexuellen Männern vorbehalten zu sein.

Aber warum schaffen wir immer wieder neue Begrifflichkeiten, anstatt einfach das Konzept “Sexualität & Lust” zu verstehen und vor allem zu begreifen, dass es sich hierbei um etwas Schönes/Geiles handelt?

Warum kann sich in diesem Kontext scheinbar niemand genug diskriminiert fühlen? Zugegeben, die meisten der Begriffe musste ich erst einmal googlen, um wirklich sicher zu sein meine eigene sexuelle Ausrichtung und Intention bei der Suche korrekt darzustellen (Sapio bin ich also scheinbar nicht). Hört die Lust nicht hier schon auf?

Natürlich hat jede einzelne Ausrichtung, gerade in der LGBT+ Szene, mit Vorurteilen und Stereotypen zu kämpfen. Natürlich ist gerade hier der Diskriminierungsgrad besonders groß, denn allein die Benennung als “Szene” suggeriert schon ihre Abweichung von der Norm. Da ich in diesem Fall aus eigener Erfahrung sprechen möchte, beziehe ich mich lediglich auf das “Phänomen” der Bisexualität. Auf beide Geschlechter zu stehen scheint für viele, auch in der heutigen Zeit, immer noch unverständlich zu sein.

Die heterosexuellen Freunde sehen einen zumeist als Hetero, da man nicht “gay” genug ist. Die homosexuellen Freunde sehen einen jedoch ebenfalls als Hetero, da man auch für diese Gruppe nicht “gay” genug ist.

Aber woher kommt das? Zum einen hat es sicherlich etwas damit zu tun, auf welches Geschlecht man sich aktuell am meisten konzentriert. Als bisexuelle Frau in einer Beziehung mit einem Mann zu sein, raubt einem meistens direkt jegliche Integrität in der Gay-Community. Lesbische Frauen unterstellen einem hierbei gerne Unentschlossenheit und die Tatsache “mit dem Feind ins Bett zu gehen”.

Heterosexuelle Männer sehen in ihrer bisexuellen Freundin/Geliebten oftmals eher das Potenzial auf zukünftige, entspannte, zwanglose Dreier und somit eine reine Erweiterung des “Lust-Spektrums”. Warum sonst ist es für viele Männer okay, wenn ihre Freundin innerhalb der Beziehung andere Frauen trifft, andere Männer hingegen nicht?! Allein dieses Verhalten lässt ja schon die Vermutung aufkommen, dass eine weitere Frau keine Gefahr darstellt, zumindest nicht auf emotionaler Ebene – ein anderer Mann hingegen schon.

Zugegeben, an dieser Stelle spielt bestimmt auch noch das Konkurrenzdenken mit rein, welches gerade bei Männern oftmals schwerer zum Tragen kommt als beim weiblichen Geschlecht. Vielleicht kommt an dieser Stelle auch mal wieder das Patriarchat zum Vorschein, welches einen omnipräsenten männlichen Part voraussetzt. Daher wird lesbischen Frauen auch unterstellt, besonders männlich zu sein. Sie wagen es schließlich das patriarchalische System infrage zu stellen und ein (Beziehungs-)Leben unter ihres gleichen zu bewerkstelligen.

Vielleicht macht eben dieser Umstand den meisten Männern auch einfach nur Angst, denn wozu werden sie dann noch gebraucht? Eine Samenspende ist letztlich auch leichter zu erhalten, als eine Leihmutter. Stimmt schon.

Manchmal habe ich sogar das Gefühl, dass von männlicher Seite aus zumindest teilweise eine gewisse Form von Neid im Spiel ist. Neid auf die sexuelle Freiheit sich nicht auf ein Geschlecht spezialisieren zu müssen. Zugegeben, bisexuelle Männer haben es weitaus schwerer in unserer Gesellschaft, denn bei ihnen handelt es sich in den wenigsten Fällen um eine allgemein gern gesehene Sexfantasie. Aber warum eigentlich? Sind bisexuelle Männer nicht genau so spannend wie bisexuelle Frauen? Und vor allem mutig?

Der britische Journalist Mark Simpson sieht auch hier das Problem im Patriarchat, welches immer schon mehr darum besorgt war, wo Männer ihre Penisse reinstecken anstatt Frauen ihre Zungen. Schließlich lernen wir bereits in jungen Jahren, dank Porno, wie die Verhältnisse zu sein haben. Der dominante Mann, der sich nimmt, was er will und im Gegenzug die devote Frau, die allzeit bereit alles mit sich machen lässt. Dieses Bild ist dank Gratis-Pornobörsen wie Youporn und Pornhub überall abrufbar und infolgedessen schwer zu durchbrechen.

Gender Trouble lässt grüßen

“A Woman who sleeps with men and women cannot be read as either feminine or masculine without causing gender trouble. Either her gender is constantly changing (with her partner), or her gender does not match her sexuality. Further, by desiring men and women she has really removed herself from either gender category, as „men and women“ is not an opinion in either masculinity or femininity.” [3]

“Eine Frau, die mit Männern und Frauen schläft, kann nicht als weiblich oder männlich gelesen werden, ohne Geschlechterprobleme zu verursachen. Entweder ändert sich ihr Geschlecht ständig (mit ihrem Partner), oder ihr Geschlecht passt nicht zu ihrer Sexualität. Außerdem hat sie sich durch das Begehren von Männern und Frauen wirklich aus beiden Geschlechterkategorien herausgelöst, da “Männer und Frauen” weder in Bezug auf Männlichkeit noch Weiblichkeit eine Meinung sind.”

Judith Butler hat sich im Kontext des “gender trouble” wie folgt geäußert und unterstellt bisexuellen Frauen somit eine Zerstörung/Durcheinanderbringung der sozialen Ordnung. Frauen, die zwischen Kategorien switchen, gelten also als unberechenbar und passen nicht weiter ins geschlechtsspezifische System beziehungsweise lassen sich weiterhin keiner Kategorie zuordnen.

Laut Shiri Eisner sind es mächtige sowie einflussreiche Parameter, die die bisexuelle Frau zu einer gesellschaftlichen Bedrohung deklarieren.

“First, bisexuality poses a threat to patriarchy by constituting a subversion of gender and a disruption of the continuity of sex, gender, and sexuality; second it poses a threat through the idea of bisexual choice, which empowers bi women to engage with men only on their own terms; and third bisexuality generates accompanied meanings of multiplicity and plurality that stand in contrast to patriarchal values of unity and singularity.” [4]

“Erstens stellt die Bisexualität eine Bedrohung für das Patriarchat dar, indem sie eine Subversion des Geschlechts und eine Unterbrechung der Kontinuität von Sex, Geschlecht und Sexualität darstellt; zweitens stellt sie eine Bedrohung durch die Idee der bisexuellen Wahl dar, die es Bi-Frauen ermöglicht, sich nur zu ihren eigenen Bedingungen mit Männern zu beschäftigen; und drittens erzeugt die Bisexualität begleitete Bedeutungen von Vielfalt und Pluralität, die im Gegensatz zu patriarchalischen Werten der Einheit und Singularität stehen.”

Folglich ist es eine scheinbar logische Konsequenz, dass die bisexuelle Frau aus Sicht des Patriarchats zum Sexobjekt degradiert werden muss (“more adventurous, more modern, more interesting … just more”). Aber leider hat so viel Abenteuerlust und Vielschichtigkeit als auch Modernität seinen Preis, denn die Kehrseite der Medaille sind durchaus negative Eigenschaften, die einem im gleichen Atemzug unterstellt werden: Unentschlossenheit, Sprunghaftigkeit, Promiskuität und damit einhergehend die Nicht-Beschaffenheit für Monogamie [5].

Natürlich. Das ist ein rein bisexuelles Phänomen. Wie sonst lassen sich die hohen Scheidungsraten unter anderem aufgrund von Seitensprüngen zwischen heterosexuellen Pärchen erklären!? Kleiner Tipp: Es liegt eher selten daran, dass Mutti mal wieder ihre bisexuelle Seite nicht im Zaum halten konnte und die Nachbarin besprungen hat, nachdem Daddy das Haus verließ, um für den Unterhalt der Familie zu sorgen.

Und die Moral von der Geschicht’, auch hetero sein schützt dich vor Seitensprüngen nicht.

Na ja, abschließend hat Shirin Eisner den in unserer aufgeklärten Wissensgesellschaft zu weilen doch noch recht unaufgeklärten Umgang mit dem Phänomen Bisexualität folgendermaßen zusammengefasst.

“This is because as we’ve seen in the works of Writing and Rich, social rules of gender and sexuality are meant to secure male dominance over women. In this way, the bisexual woman who deviates from the rules of gender creates a form of resistence to patriarchy – once because of her disobedience to those rules, and again because men’s access to her is not secure.” [6]

“Denn wie wir in den Werken von Writing and Rich gesehen haben, sollen soziale Regeln von Geschlecht und Sexualität die männliche Dominanz über Frauen sichern. Auf diese Weise schafft die bisexuelle Frau, die von den Regeln des Geschlechts abweicht, eine Form des Widerstandes gegen das Patriarchat – einmal wegen ihres Ungehorsams gegenüber diesen Regeln und einmal mehr, weil der Zugang der Männer zu ihr nicht sicher ist.”

Das Motiv?

Unsicherheit,
Angst.


Redaktionelle Anmerkung: Der Beitrag von Nadine Primo erschien auch auf ihrer Webseite www.nadine-primo.com.


Quellen und Anmerkungen

[1] Geschlechtsidentitäten: Wer „trans“ sagt, muss auch „cis“ sagen. Auf https://www.deutschlandfunkkultur.de/geschlechtsidentitaeten-wer-trans-sagt-muss-auch-cis-sagen.976.de.html?dram:article_id=386242 (abgerufen: 29.10.2018).

[2] Warum wollen auf einmal alle “sapiosexuell” sein? Das ist doch Quatsch! Auf https://www.bento.de/gefuehle/sapiosexualitaet-warum-das-keine-sexuelle-orientierung-ist-a-00000000-0003-0001-0000-000001544369 (abgerufen: 29.10.2018).

[3] Eisner, Shiri: Bi. Notes for a bisexual revolution, Seal Press 2013, S. 148.

[4] Eisner, Shiri: Bi. Notes for a bisexual revolution, Seal Press 2013, S. 146.

[5] 7 Klischees die Bisexuelle nicht mehr hören können. Auf https://www.stern.de/neon/herz/vorurteile–7-klischees–die-bisexuelle-nicht-mehr-hoeren-koennen-7556922.html (abgerufen: 29.10.2018). 

[6] Eisner, Shiri: Bi. Notes for a bisexual revolution, Seal Press 2013, S. 150.


Fotos: Kilian Amrehn (www.kilianamrehn.com) und Rawpixel (Unsplash.com).

Promoterin, Barkeeperin und Modell bei Nadine Primo | Webseite

Nadine Primo studierte nach dem Abitur an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn Romanistik und Geschichte (Bachelor of Arts) und Internationale Geschichte der Neuzeit (Master of Arts). Sie studierte außerdem ein Semester in Barcelona und absolvierte verschiedene Praktika unter anderem in Brüssel (Europäisches Parlament) und in Budapest bei Pester LLoyd, einer deutschsprachigen Tageszeitung. Nadine Primo arbeitet aktuell als Hostess, Promoterin, Barkeeperin und Modell, um genug Zeit für ihre Recherchen und Gedanken zu haben und sich das Schreiben zu finanzieren. Das Reisen ist eine ihrer größten Leidenschaften, ebenso wie Literatur und Geschichte. Sie bloggt auf Facebook unter @restlessthoughtsaboutsociety (Restlessmind) und teilt auf Instagram (nadine.primo) und ihrer Webseite http://www.nadine-primo.com Eindrücke von ihren Reisen und ihrem Leben.

Von Nadine Primo

Nadine Primo studierte nach dem Abitur an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn Romanistik und Geschichte (Bachelor of Arts) und Internationale Geschichte der Neuzeit (Master of Arts). Sie studierte außerdem ein Semester in Barcelona und absolvierte verschiedene Praktika unter anderem in Brüssel (Europäisches Parlament) und in Budapest bei Pester LLoyd, einer deutschsprachigen Tageszeitung. Nadine Primo arbeitet aktuell als Hostess, Promoterin, Barkeeperin und Modell, um genug Zeit für ihre Recherchen und Gedanken zu haben und sich das Schreiben zu finanzieren. Das Reisen ist eine ihrer größten Leidenschaften, ebenso wie Literatur und Geschichte. Sie bloggt auf Facebook unter @restlessthoughtsaboutsociety (Restlessmind) und teilt auf Instagram (nadine.primo) und ihrer Webseite www.nadine-primo.com Eindrücke von ihren Reisen und ihrem Leben.

4 Antworten auf „#bisexuality – einfach nur flexibel“

Made my day! Bei der Auflistung Sapiosexuell, Questioning, Pansexuell, Cisgender, Transgender, Queer, Intersex, hetero-, homo-, bi-, asexuell musste ich an einen Beipackzettel für Koffeinpillen denken, inklusive Erläuterung der Nebenwirkungen. Die Darstellung des Kategorisierungswahns auf dem Gebiet von Lust und Liebe ist Frau Vetter mit Biss und Wortwitz gelungen. Ausgezeichnet!

Siegmund Freud stellte die These auf, das alle Menschen von Geburt an bisexuell sind. Erst durch Gesellschaft und Erziehung würde eine sexuelle Neigung dominieren.

@Morgentau Bewertet Freund auch die Asexualität? Es scheint mir – ein subjektiver Eindruck -, als würde ich immer öfter lesen, dass sich Menschen als asexuell verorteten.

Wichtig ist doch nur, dass die im Sex verbundenen sich gegenseitig achten und beschützen. Die Welt herum ist höchstens Zweitens.

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