Die Kritik an dem Wachstumsmantra der kapitalistischen Produktionsweise ist alt. In Bezug auf den eigenen Erfahrungshorizont waren es die Grünen, die – historisch wieder einmal – den Finger auf die Wunde legten und die Frage stellten, ob die Vernichtungen, die ständiges Wachstum verursache, nicht weitaus schlimmer seien als die Überlegung nach einer anderen Form der Versorgung.
Und, einmal unabhängig von wirtschaftlichen Handlungszwängen, wäre es nicht vernünftiger, die Frage zu stellen, was die Gesellschaft und ihre Glieder an Gütern und Leistungen brauchen, um ein auskömmliches Dasein zu führen?
Alleine diese Überlegung und die Betrachtung dessen, was wirtschaftlich tatsächlich passiert, demonstriert den ganzen Irrsinn: hier Warenhalden, die auf einen Markt warten, dort potenzielle Konsumenten, die sich diese Waren nicht leisten können. Hier hoch artifizielle Produkte für einen ganz speziellen Konsum, dort keine Versorgung mit Basisgütern, die eine hohe Qualität besitzen und, in Bezug auf den Ressourcenverbrauch, lange halten.
Ohne in jene lange, nichts bringende Diskussion um eine wie auch immer geartete Gesellschaftsform einzutreten, zeigen sich einfache Überlegungen oft als zielführender.
Klar ist, dass das intrinsische Moment der Wachstumsforderung aus der originären Funktionsweise der kapitalistischen Produktion zu erklären ist. Wer als Unternehmer auf dem Markt ist, muss dort konkurrieren und möglichst viel verkaufen. Ist er oder sie erfolgreich, dann muss das gewonnene Geld in neue, verfeinerte Produktionsweisen gesteckt und noch billiger, schneller und besser produziert werden, um bei der nächsten Runde auf dem Markt erneut bestehen zu können.
Wer nach einem Erfolg das Gewonnene verzehrt, wird in der nächsten Runde nicht mehr dabei sein. Die Rolle des Kapitalisten ist klar umrissen. Und die wird eingenommen, unabhängig von Bildung, Kultur, Sprache und Charakter. Wer mitspielt, muss die Regeln anerkennen, sonst ist das Spiel schnell vorbei.
Sollte nun nach einer übergeordneten Vernunft der tatsächliche Bedarf einer Gesellschaft maßgeblich sein, dann muss sich etwas ändern.
Der Bedarf einer Gesellschaft wird zum einen individuell bestimmt, das heißt es ist – leicht – zu ermitteln, was die einzelnen Individuen, Familien und Lebensgemeinschaften benötigen, um selbstbestimmt und auskömmlich versorgt zu werden. Das ist Nahrung, Wohnung, Mobilität, Bildung und Kultur. Und es ist erforderlich, dass sich die Gesellschaft auf das einigt, was sie ihrerseits für ihre Existenz als lebensnotwendig erachtet. Und, es ist kein Mirakel, auch dort wird es um Versorgung ihrer selbst, um Bau, um Infrastruktur, um Schulen und Universitäten wie Konzerthallen und Theater gehen.
Die beiden Bilder stehen in starkem Kontrast zueinander. Hier die Produktion ungeheurer Mengen von Gütern, von denen niemand weiß, wie viele tatsächlich zur Konsumtion kommen, dort ein ungesättigter Bedarf, der seit Urzeiten formuliert, aber nie gesättigt wird.
Es scheint so zu sein, als ob die Besitzverhältnisse tatsächlich das sind, was die Welt des Wachstums, die die Verheerungen, unter denen der Globus zunehmend leidet, zusammenhält.
Wer die Rolle des Kapitalisten spielen will, muss die Frage nach Bedarf und Versorgung in einem gesellschaftlich rationalen Sinne fürchten wie den Teufel. Zu Recht. Denn wenn die viel verpönte Regulierung greift, dann kann er seine Rolle nicht mehr so spielen, wie er das vielleicht muss, um weiter als Kapitalist existieren zu können.
Das Szenario, das sich vor dem Betrachter ausbreitet, ist recht einfach beschrieben: Fortschreibung des kapitalistischen Rollenspiels oder Gemeinwohl? Sollte letzteres die Präferenz haben, dann muss sich einiges ändern.
Illustration: Pixabay.com (Creative Commons CC0).
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
Eine Antwort auf „Gemeinwohl oder Rollenspiel?“
Hierzu eine etwas ältere Glosse: Was ist Konjunktur? 1)Wenn wir Dinge kaufen, die wir nicht brauchen 2) mit dem Geld, das wir nicht haben 3) um damit dem Nachbarn zu imponieren;