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Meinung

Vom Frieden zum Anti-Krieg

Die Friedensbewegung schlummert seit Langem in diesem Land. Sie muss sich neu formieren, diesmal als Antikriegsbewegung.

Wäre im Jahr 1990 ein Vorfall wie jetzt im Asowschen Meer denkbar gewesen? Natürlich nicht. Da gab es noch eine Sowjetunion, die im Begriff war, einzustürzen, aber es gab sie noch. Sie machte große Konzessionen an den Westen, weil die damals verantwortlichen Akteure erkannten, dass sie strategisch überdehnt waren. Aber, entgegen der verbalen Erkenntnis Michail Gorbatschows[1], begriffen wurde das zu spät.

Im Rahmen eines halbwegs geordneten Rückzuges aus den Frontstellungen des Kalten Krieges wurde einer deutschen Wiedervereinigung bei Abzug der sowjetischen Truppen zugestimmt. Doch die Sowjetunion existierte noch, und zu ihr gehörte unter anderem die Ukraine und damit die Halbinsel Krim, die seit 1783 zum russischen Reich und dessen Rechtsnachfolger gehörte.

Nikita Chruschtschow, seinerseits Ukrainer und der sowjetische Staatschef nach Stalin, war es, der die Krim in einer Wodkalaune der Ukraine vermachte. Ohne Folgen, solange die Ukraine zur Sowjetunion gehörte.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Verselbständigung ehemaliger Teilrepubliken wie unter anderen die Ukraine, änderte sich dieses und wurde dadurch zum brisanten Politikum, weil der Westen unter Führung der USA sich nicht an die Zusicherungen hielt, die noch 1990 gemacht worden waren.

Die NATO[2], das ehemalige Militärbündnis, das als Pendant zum Warschauer Pakt gegründet worden war, blieb auch nach dem Ende des letzteren weiter bestehen. Und die NATO expandierte zielstrebig nach Osten.

Sieht man sich die Entwicklung auf der Landkarte an, so handelt es sich um eine Drohkulisse für das heutige Russland. Von den baltischen Staaten an der Ostsee über Polen, Tschechien bis hin zum Schwarzen Meer ist die NATO mit Militärkräften direkt an der russischen Grenze präsent. Die einzigen Ausnahmen bildeten Georgien und die Ukraine. Ansonsten: 1000 Kilometer NATO am russischen Zaun.

Der Regimewechsel in der Ukraine folgte altbekannten Mustern. Als der Einfluss Russlands sich doch gegen die Kräfte innerhalb der Ukraine durchzusetzen drohte, die für einen Beitritt in EU und NATO sprachen, intervenierten zunächst von den USA mit mehreren Milliarden Dollar gesponserte Fähnchen schwingende Stoßtrupps, allen voran der vor kurzem noch zum Heiligen gekürte US-Senator John McCain.

Als die Fähnchen nicht mehr reichten, wurde auch schon mal scharf geschossen. In diesem Kontext das Völkerrecht zu zitieren, auf diese Idee käme nun niemand auf Seiten derer, die sich bemühen, bei allem, was folgte, wieder mit dem Recht zu argumentieren.

Bei dem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, die im übrigen regiert wird von korrupten Oligarchen, die ihrerseits einmal wieder dokumentieren, wie es mit der westlichen Werte-Gemeinschaft steht, geht es um die Komplettierung der NATO-Phalanx gegen Russland.

Dass Russland an diesem Punkt der Geschichte nicht mehr untätig seinem eigenen Schicksal zusah, ist aus Sicht der überwältigenden Mehrheit der Russen folgerichtig. Was nicht heißt, dass die imperialen Heißsporne, die zumindest um den NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg[3]  das Sagen haben, und zu denen auch die bundesrepublikanische Kriegsministerin Ursula von der Leyen zu zählen ist, versuchen, selbst von der ukrainischen Regierung aus wahltaktischen Gründen inszenierte Zwischenfälle dazu zu nutzen, Öl ins Feuer zu gießen.

Was 1990 undenkbar gewesen wäre, gehört heute zur kriegslüsternen Realität eines immer noch von seiner vermeintlichen Überlegenheit berauschten Westens, der, ohne es zu wissen, mit seinem eigenen Ende spielt.

Die Friedensbewegung schlummert seit Langem in diesem Land. Sie muss sich neu formieren, diesmal als Anti-Kriegs-Bewegung.


Quellen und Anmerkungen

[1] Michail Sergejewitsch Gorbatschow war von März 1985 bis August 1991 Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und von März 1990 bis Dezember 1991 Staatspräsident der Sowjetunion. Seine Politik der Glasnost (Offenheit) und der Perestroika (Umbau) leitete das Ende des Kalten Krieges, aber auch das Ende der Sowjetunion und den Zerfall des Ostblocks insgesamt ein. 

[2] Die North Atlantic Treaty Organization (NATO) beziehungsweise Organisation des Nordatlantikvertrags (oder auch Nordatlantikpakt-Organisation, Atlantisches Bündnis oder Nordatlantikpakt genannt), ist ein internationales Militärbündnis. Die NATO wurde am 4. April 1949 gegründet und hat heute sein Hauptquartier in Brüssel (Belgien). Die Bundesrepublik Deutschland trat 1955 dem Bündnis bei.  Oberkommandierender auf strategischer Führungsebene ist Curtis Michael Scaparrotti, General der United States Army.

[3] Jens Stoltenberg ist ein norwegischer Politiker der sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Er war Ministerpräsident Norwegens und wurde im Oktober 2014 NATO-Generalsekretär.


Illustration: vct310 (Pixabay.com, Creative Commons CC0).

Politologe, Literaturwissenschaftler und Trainer | Webseite

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

Von Gerhard Mersmann

Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.

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