Das Thema wird immer lästiger, weil die Zeitpunkte, an denen eine Korrektur hätte stattfinden können, regelmäßig nicht genutzt wurden. Die Berichterstattung über das, was auf der Welt geschieht, findet in den öffentlich-rechtlichen Medien schlecht oder gar nicht statt. Mit schlecht ist gemeint, dass behauptet werden könnte, hinter der schlechten Qualität liege Absicht, um Trugschlüsse auf eindeutiges Geschehen zu inszenieren.
Und wenn etwas gar nicht erwähnt wird, obwohl es für das hiesige Schicksal wichtiger ist als ein verunglückter Bus in Guatemala, dann kann auch das eine absichtsvolle Handlung genannt werden.
So ist beim Konflikt zwischen Russland und der Ukraine der jüngste Vorfall im Meer von Asow keine neue Eskalation, sondern die Folge von Handlungen, die bereits zurück liegen.
Da wurden russische Seeleute von ukrainischen Kräften aufgebracht, die Schiffe beschlagnahmt und die Besatzung inhaftiert. Da gab es das auch schon auf der anderen Seite und es gab Verhandlungen über den Austausch des jeweiligen Personals. Die russische Seite ließ ukrainische Seeleute frei, die russischen dagegen sitzen noch in ukrainischer Haft. Wer das weiß, spricht nicht von einer dramatischen Eskalation seitens Russlands und rekonstruiert ein anderes Bild im Kopf.
Dass das geschieht, scheint nicht gewollt zu sein. Herauszufinden war die Vorgeschichte, sie hätte Erwähnung finden müssen, um das Publikum nicht eindeutig zu positionieren.
Die gelben Westen, die wie Mensch gewordene Kleidungsstücke im benachbarten Frankreich auf die Barrikaden gehen und allerlei Unruhe stiften, sind in der öffentlich-rechtlich aufbereiteten Berichtsform eine heikle Angelegenheit.
Was wir aus dieser Quelle wissen, ist, dass sie sich aus Anlass von einer neuen Form der Benzinpreiserhöhung organisierten und dann, so die Darstellung, allgemein gegen Emmanuel Macron sind und nun das Land in Brand setzen.
Wer sich aus anderen Quellen informiert, erfährt jedoch, dass es von Anfang an um die Kritik an der neoliberalen Agenda des dortigen Präsidenten ging, dass hinter den gelben Westen eine Massenbewegung steht, in der Menschen aus allen Parteien und auch aus Macrons eigener En-Märchen-Bewegung sind.
Da erhebt sich ein Land gegen eine neoliberale Agenda, es ereignet sich etwas, das durchaus Analogien zu hiesigen politischen Verhältnissen zeigt, und da wird von ominösen, entmenschlichten gelben Westen berichtet, die in Paris Autos in Brand setzen und gegen die sich die Polizei mit Tränengas wehrt.
Die journalistische Agenda ist nicht verborgen, sie ist offen und setzt auf Desinformation. Und dass der Lack der Ikone Macron längst ab ist und die negativen Folgen, die durchaus absehbar waren, nun zutage treten, dass ist, wie so vieles, kein Thema.
Ein weiteres Beispiel wäre der Migrationspakt der Vereinten Nationen, von dem berichtet wird, er wäre lange und breit diskutiert worden, den jedoch die wenigsten kennen.[1]
Wäre es nicht, so stellt sich die vielen durchaus zugängliche Frage, im internationalen Kontext zu erörtern, durch was Migrationsströme entstehen und was vor allem geschehen muss, um Menschen vor der Flucht zu bewahren? Wäre es nicht konsequent logisch, das Strategem[2] des Regime Change, welchem die USA und die ihr im Westen folgende Korona seit nahezu einem Vierteljahrhundert folgen, den aus ökonomischen Motiven stattfindenden Raub von Ressourcen und die Zerstörung der Natur als Ursache für Massenmigration auszumachen?
Wäre das nicht ein Sujet für die Berichterstattung? Wie viele verpasste Chancen braucht es, um den Ruf für final zu ruinieren?
Quellen und Anmerkungen
[1] Vereinte Nationen Generalversammlung: Zwischenstaatliche Konferenz zur Annahme des Globalen Paktes für eine sichere, geordnete und reguläre Migration. Entwurf des Ergebnisdokuments der Konferenz (in deutscher Übersetzung). Auf http://www.un.org/depts/german/migration/A.CONF.231.3.pdf (abgerufen am 02.12.208). ↩
[2] Strategema steht als Begriff für einen Trick, eine List oder eine manipulative Aktion in Politik, Militär oder auch im Privatleben. ↩
Illustration: Agoss (Pixabay.com, Creative Commons CC0).
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
2 Antworten auf „Wie viele verpasste Chancen braucht es?“
Ich habe ähnliches erlebt. Im Zuge des Widerstandes gegen das unsoziale Freihandelsabkommen mit Japan (JEFTA) fragte mich Frau Grimmenstein nach einer EU-Entscheidung hierzu. Nach verschiedenen Versuchen über Google fand ich die Lösung. Ein Notiz von Spiegel online zu einer Entscheidung des EuGH vom 16.Mai 2017 – Parlamente von EU-Staaten dürfen Veto bei Handelsabkommen einlegen. Nach dem kritischen Bericht über unsre Medien suchte ich weiter und
fand die Pressemitteilung des EuGH vom 16.05.2017. JEFTA ist gemischtes Abkommen. Wo sind Presseberichte darüber kurz vor der Abstimmung im EU-Parlament? Angst vor Großkapital?.
Die Bürger Deutschlands sind schon immer gute Untertanen gewesen, sodass hier solche Proteste nicht stattfinden werden. Wie wäre es, wenn sich die Bürger, die auch hier mit der Regierung nicht einverstanden sind, zumindest Ansteckplaketten mit dem Symbol der Gelbwesten tragen würden. So wäre der Austausch von Informationen untereinander einfacher und gegen diese Art von Protest wirken nicht einmal Wasserwerfer. Vielleicht findet sich ja eine Organisation, die das aufgreift.