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Kiss me like you want me

Wer schreibt schon im Hier und Jetzt, wer ist schon im Hier und Jetzt … Eine traurige Tatsache, dass wir dies wieder lernen müssen.

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Wer schreibt schon im Hier und Jetzt, wer ist schon im Hier und Jetzt … Eine traurige Tatsache, dass wir dies wieder lernen müssen.

Im Hier und Jetzt – Ohne das kettende der Zeiten

Mein Atem geht ruhig. Meine Brust hebt und senkt sich mit jedem Atemzug. Ich kann jede Ecke in mir spüren. Mein ganzer Körper wird bei jeder Bewegung meiner Brust von einer Welle von Gefühlen aus dem Meer an Emotionen, das wir zusammen geschaffen haben, durchspült. Es ist wie in einem großen Musiksaal, in dem der große Maestro das Meisterwerk erst vor wenigen Sekunden beendet hat, das Orchester verstummt ist und das Publikum es noch nicht wagt sich zu rühren. Alles ist starr, erschüttert der Schönheit dieser unmenschlichen Schaffenskraft wegen. Wie die verklungene Musik unsichtbar und unhörbar noch in diesem Raum in jedem Körper nachhallt, so hallen die letzten Stunden in den Katakomben meiner Seele wieder. Mein Kopf ist leer, ich bin nur noch ein Meer aus Gefühlen. Spüre alles und denke nichts.

Mein Blick ist auf den weißen Baldachin des Himmelbetts gerichtet, aber ich sehe ihn doch nicht richtig. Meine Augen, erschöpft von meiner Faszination an dir, ruhen nun in ihrer Wahrnehmung. Können kaum noch etwas Materielles in sich aufnehmen. Umso mehr empfinden meine Hände auf deiner Haut. Ich fahre in langsamen Bewegungen über deinen Rücken. Zeichne mit meinen Fingerspitzen die feinen, kaum spürbaren Linien deiner Tätowierung nach bis der Drang zu groß wird, wieder mit der ganzen Hand zu fassen. Die andere Hand streicht vorsichtig über die Partien deines Gesichts. Sie hält es wie einen gläsernen Flacon. Ängstlich angespannt dessen Zerbrechlichkeit wegen, gleichzeitig ehrfürchtig deiner Beständigkeit ergeben. Es fühlt sich sehr gut an, deinen Kopf auf meiner Brust gebettet zu spüren. Wie du dich mit mir hebst und senkst, so nah bei mir bist in unerschütterlicher Zweisamkeit. Verbunden nur durch die flüchtige, so unglaublich flüchtige Schaffenskraft der so seltenen, wohltuenden Zwischenmenschlichkeit. Jene Zwischenmenschlichkeit, die in uns ein für uns merkwürdig erscheinendes aber zu menschliches Verlangen weckt. Sie lässt uns nach dem Anderen Ausschau halten. Bluten, wenn unsere Seele den anderen nicht plötzlich sehen kann, aber wundersamerer Weise sekundenschnell heilen, wenn wir nur einen Augenschlag vom anderen erhaschen.

Eine leichte Prise der morgendlichen Frische schleicht sich durch die offenstehende Terrassentür. Sie hatte über die gläserne Brüstung der Veranda des Strandhauses klettern müssen, um ein paar Sekunden spielerisch an den Vorhängen zu verweilen und nun über unsere Körper streichen zu können. Die Kühle ist sehr angenehm auf meiner noch heißen Haut. Mit dieser Prise kommt auch kurz Bewegung in dich. Du schiebst dich ein kleines Stück weiter nach oben und reibst dein Bein, was zwischen meinen liegt, dabei sanft an meiner Haut. Durch das Zusammenspiel aus Kühle und Bewegung zieht eine erregende Gänsehaut über meinen ganzen Körper. Ich hebe leicht meine Hände und du legst dein Gesicht wieder passgenau auf meiner Brust zurecht.

Erinnerungsspiel

Diese kleine Unterbrechung meines formlosen Empfindens durch den kleinen Wind versetzt mich einige Stunden zurück: Es war spät abends gewesen, als wir hier eintrafen. Die kleine Strandstadt hatte sich schon lange Schlafen gelegt, was nur zu gut passte und wir zu genießen wussten. Das Meer war einer schnurrenden Katze gleich. Es rollten kleine Wellen an den weißen Strand und der Mond spiegelte sich gekräuselt im Wasser. Da es an diesem Strandabschnitt nur sehr wenige Häuser gab, hatten wir unser Gepäck nur kurz auf der Veranda abgestellt und waren erst einmal durch den weichen Sand gewandert.

Die Prise hatte wie ein kleiner Hund um unsere Beine gespielt und das Rauschen des Meeres hatte uns angenehm eingehüllt. Es waren keine Worte nötig oder gar notwendig. Die Schlichtheit in unserer Zweisamkeit formte die Stunden. Einige Schritte lang gruben wir uns jeder für sich mit nackten Füßen in den Boden ein. Spürten die oberflächliche Restwärme des verstrichenen Tages und die darunterliegende nässende Kälte des Meeres. Deine folgende Berührung war wie das sanfte Eintauchen in einen glasklaren See. Die spiegelglatte Oberfläche meiner Wahrnehmung wurde von kleinen Wellen wohliger Wärme und einem angenehmen Kribbeln durchzogen. Mit deiner klaren, aber nicht überbordenden Bestimmtheit nahmst du meine Hand in deinen Besitz. Wir verschränkten unsere Finger miteinander und schlenderten im Mondschein den Strand hinunter.

Die Kunst der menschlichen Künste

Mit jedem Schritt den wir in meiner Erinnerung tun, verblasst sie immer weiter und ich lande wieder im Hier und Jetzt. Du bewegst dich zeitgleich. Schiebst deinen Körper höher hinauf, dein Gesicht nah vor das Meine und siehst mir in die Augen. Wunderschöne braune Augen. Du hast so schöne Augen. Es bedarf keiner Flucht vor der Größe oder gar der Dunkelheit deiner Pupillen. Sie verjagen mich nicht! Greifen mich nicht an geschweigenden in mich. Ganz im Gegenteil: Sie sind beruhigend und ich gebe mich hin. Öffne mich und will darin baden. Sie sind wie ein sanfter Umhang, der sich schützend um uns schmiegt.

Wir reden nicht. Worte wären hier nutzlos. Sie könnten es nicht beschreiben. Könnten dem Leser im Nachhinein nur einen müden Abklatsch darbieten von dem, was in deinen Augen, zwischen unseren Seelen tanzend, sich ergibt. Musik! Wenn überhaupt könnte die Sprache der Musik es noch am ehesten schaffen, diese Erlebnisse wiederzubeleben. Das erzählen, was mit menschenmöglichen Worten kaum wahrheitstreu und wiedererstehbar nachzubilden wäre. Musische Klänge könnten im Geiste des Zuhörers ein flüchtiges Rauchgeschwader des Geschehenen erstehen lassen, was aber so flüchtig wie die musikalischen Töne selbst wäre.

Augen zeichnen wie Pinsel

Mit deinen Augen nimmst du mich in dich auf. Betrachtest mein Gesicht mit akribischer Genauigkeit, als ob du Angst hast auch nur das kleinste Bisschen zu übersehen. Ich spüre deine Augen über meiner Haut ihre Bahnen ziehen wie einen Stift auf Pergament. Du zeichnest die Konturen dunkel und deutlich, stark und stolz, prägnant und permanent. Länger verweilst du bei den Feinheiten. Arbeitest dich durch die kleinen und großen Vertiefungen, Erhöhungen und Unebenheiten meiner Formen. Vollendest dein Werk mit leichten Schattierungen, die die ersten Strahlen der aufgehenden Morgensonne in meinem Gesicht hinterlassen. Beendest dein Werk bei meinen Lippen. Arbeitest diese nochmal genauer nach. Willst dich nicht von ihnen lösen. Du wanderst sie immer wieder auf und ab. Prüfend, dass du nicht doch noch etwas vergessen hast, was wichtig ist, um deren Wesen deinem inneren Betrachter wirklich verstehbar deutlich zu machen. Verinnerlichst dein inneres Bild von ihnen in deinem Geist, um den trüben Stunden der gespannten Trennung zukünftig etwas entgegensetzten zu können. Willst deinem Kunstkritiker die Chance nehmen etwas minderes zu tun als in Tränen ausbrechend vor diesem Werk in die Knie zu gehen. Und schließlich kehren deine Augen nach zufriedenem Lächeln wieder in meine zurück. Kehrst zu mir zurück aus deiner eigenen Vertiefung in mich und fügst unserer Zweisamkeit ein neues Kapitel hinzu.


Foto: Carlos Quintero (Unsplash.com)

Autorin und Künstlerin bei Neue Debatte | Webseite

Alex Ross emi­g­rie­rte aus den schwäbisch-bayrischen Bergen in die Lüneburger Heide. Nach dem Abitur zog sie nach Hamburg, um ein Handwerk zu erlernen. Alex gibt sich als Autorin dem Schreiben hin und als Künstlerin der kreativen Malerei. Ihre Essays unterzieht sie dem Urteil der eifrigen Leserkultur. Sie schreibt über die kleinen Schönheiten und die großen Gemeinheiten des Alltags. Alex lebt im Norden Deutschlands.

Von Alex Ross

Alex Ross emi­g­rie­rte aus den schwäbisch-bayrischen Bergen in die Lüneburger Heide. Nach dem Abitur zog sie nach Hamburg, um ein Handwerk zu erlernen. Alex gibt sich als Autorin dem Schreiben hin und als Künstlerin der kreativen Malerei. Ihre Essays unterzieht sie dem Urteil der eifrigen Leserkultur. Sie schreibt über die kleinen Schönheiten und die großen Gemeinheiten des Alltags. Alex lebt im Norden Deutschlands.

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