Irgendjemand aus den immer verzweifelter werdenden Sozialverbänden brachte es bei einem TV-Interview auf den Punkt: Er wurde gefragt, ob die Verhältnisse, in denen hier in der Republik viele Menschen leben müssten, nicht vergleichbar seien mit denen der Menschen in Frankreich, die jetzt unter dem Namen Gelbe Westen den Präsidenten Emmanuel Macron in seiner Existenz bedrohten.
Er brachte ein einfaches Beispiel, das alle betrifft, und rechnete vor, wie es um arbeitende Menschen steht, die 45 Jahre lang bei einem Durchschnittseinkommen von circa 3250 Euro brutto ohne Unterbrechung in die Rentenkasse einzahlten, und dann mit einer Nettorente von circa 1150 Euro in der Altersarmut ankämen.
Dass sei drastisch und analog zu französischen Verhältnissen. Aber man dürfe nicht vergessen, was sich hier in den letzten Jahrzehnten getan hätte. Wenn vor dreißig oder vierzig Jahren ein Kumpel im Ruhrgebiet seinen Job verloren hätte, wäre niemand auf die Idee gekommen, ihn als Person dafür verantwortlich zu machen. Da sei noch allen klar gewesen, dass so etwas in Vorständen entschieden wurde, dass Standortfragen etwas mit Gewinn und dessen Maximierung zu tun hat und dass es eine Frage der Organisiertheit der Arbeitenden war, auszuhandeln, wie mit Werkschließungen umzugehen sei.
Heute hingegen schauten alle weg und schämten sich höchstenfalls für die Betroffenen. Man dürfe nicht vergessen, so der kluge Mann, welche systematische Gehirnwäsche in diesem Land in den letzten Jahrzehnten stattgefunden habe.
Und so, bleiben wir einmal bei den Gelben Westen und ihren Forderungen, ist es eine immer wichtigere Aufgabe, jedes ideologische Modul von Gehirnwäsche zu benennen und zu zerlegen.
Bleiben wir bei einer Meldung dieser Tage. Da wurde aus der Rede eben dieses Präsidenten Macron zitiert, der den Gelben Westen versprochen hatte, dass der Mindestlohn um 100 Euro im Monat angehoben würde und dass Überstunden in Zukunft nicht mehr besteuert würden. Mit den zurückgenommenen Benzinpreiserhöhungen, so rechneten die Journale schnell aus, kosteten die Zugeständnisse den französischen Staat mindestens 10 Milliarden Euro.
Das mag sein und ist eine Teilwahrheit, die als Teil eben eine falsche Wahrheit als Ganzes suggeriert. Denn, haben wir einmal gehört, was den Staat die Steuererleichterungen für die Reichen kostet? Haben wir einmal in der mahnenden Diktion gehört, was die jährlichen Steuerhinterziehungen der Gesättigten die Bevölkerung kosten? Bei letzterem ist für Deutschland von 100 Milliarden die Rede, circa 400 Milliarden liegen außerhalb des Landes auf Schwarzgeldkonten [1].
Die Moral, die hinter der Gehirnwäsche steckt, kam vor einigen Tagen zum Vorschein: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Journalisten, der gegen die Cum-Ex-Steuerhinterzieher recherchiert, letztere blieben bis heute unbehelligt.
Noch einmal Macron und die Gehirnwäsche. Der schnieke Hoffnungsträger des Wirtschaftsliberalismus hat die Gelegenheit genutzt und im Rahmen der Fahndung nach dem Attentäter vom Straßburger Weihnachtsmarkt den Ausnahmezustand im ganzen Land wieder aktiviert. Das beinhaltet 8000 Soldaten in Dauerbereitschaft, Versammlungs- und Demonstrationsverbot sowie nächtliche Ausgangssperren.
Auf die Idee, dass sich das nun aktuell gegen die Gelben Westen wenden könnte, ist im Korpus der Berichterstattung noch niemand gekommen.
Sollte es so sein, dann steht vieles auf dem Spiel. Denn dann riskiert Macron alles, was er hat. Und, das ist sicher, mit dieser plumpen Strategie, wird er bei dem jetzigen Bewusstseinsstand im eigenen Land alles verlieren.
Quellen und Anmerkungen
[1] Bereits im April 2013 gelangten unter dem Namen Offshore-Leaks (auch OffshoreLeaks) unternehmensinterne Datenbestände zweier Unternehmen, die unter anderem die Gründung und Verwaltung von sogenannten Trusts in Offshore-Finanzplätzen vornehmen, an die Öffentlichkeit. Es war der Auszug eines größeren Datenbestandes, der 2010 bereits an Steuerbehörden übermittelt wurde und 2013 anonym an das Internationale Konsortium für investigative Journalisten (ICIJ) gelangte. Die Dokumente enthalten Informationen über die Kundenbeziehungen zu etwa 130.000 Personen unter anderem auch aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie über die Beteiligung zahlreicher Großbanken an den Geschäftsvorgängen. Es wird geschätzt, dass über 400 Milliarden Euro Schwarzgeld aus Deutschland im Ausland angelegt sind. ↩
Illustration: OpenClipart-Vectors (Pixabay.com, Creative Commons CC0)
Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
Eine Antwort auf „Jahrzehnte der Gehirnwäsche“
Und immer ist es das “Geldsystem”, nicht Geld an sich, das verantwortlich zeichnet für alle Einschränkungen, die man dem gemeinen Volk auferlegt. Der Druck, den die Gewinner des Systems auf die öffentlichen Medien erzeugt, ist leider so groß, dass auch nicht ein Sterbenswörtchen davon an die Öffentlichkeit gelangt. Fast alle Normalbürger finden keine Zeit, sich um die Auswirkungen des Systems zu kümmern. So leiden ganze Völker darunter. Wir sollten man einmal davon ausgehen, dass wir nur dann überleben werden, wenn wir gemeinschaftlich und im Einklang mit der Natur das Leben gestalten. Diese Gier nach immer mehr Wohlstand und Umsatz führt direkt in den Abgrund und ist die Folge dieses unsäglichen Geldsystems.