Prosper-Haniel ist der Name der Zeche, die als letzte im Ruhrgebiet schließt. Es ist das Ende einer Ära, die in 150 Jahren alles durchlaufen hat, was eine Ära nur durchlaufen kann: Aufstieg und Fall, Blüte und Ruin.
Diejenigen, die das alles erlebt haben, die liegen schon längst in den Beinhäusern zwischen Emscher und Ruhr.
Wer sich historisch nicht auskennt, der könnte beim Besuch dieser Grabstätten auf die Idee kommen, es hätte dort ein westfälisch-polnischer Krieg getobt. Da liegen sie zu Tausenden, die Zilinskis und Pollmeiers, die Raskowiaks und Kalverkamps, die Tylkowskis und Siebenkötters, die Supenioks und Untieds. Sie alle fielen aber nicht in einem Krieg ihrer Völker gegeneinander, sondern in dem gemeinsamen Feldzug gegen den Berg. Letztendlich gewannen immer nur zwei: diejenigen, denen der Berg gehörte und der Berg selbst. Die westfälisch-polnische Arbeitsarmee blieb auf dem Schlachtfeld liegen.
Heute, wo alle wissen, was es heißt, gegen die Natur zu ziehen, haben sich die Methoden verfeinert und sind die Schlachtfelder verlagert. Der Kampf ist jedoch geblieben. Es geht um Energie, es geht um Industrie und es geht um Wertschöpfung.
Menschen und Orte sind längst austauschbar geworden. Die Kohle kommt nicht mehr aus Bottrop, Gelsenkirchen oder Wanne-Eickel, sie kommt aus Korea oder China. Und der Stahl, dessen Herstellung die viele Energie benötigt, wird ebendort produziert, vielleicht, wie in dem prominentesten Beispiel des ganzen Reviers, an einer Straße aus Dortmund, aber weit hinter der Chinesischen Mauer.
Die Helden von damals liegen hinter Friedhofsmauern; deren Kinder haben das Drama noch mit eigenen Augen gesehen, und die Enkel haben allenfalls noch davon gehört.
All jenen, die in diesen Tagen die Nachrufe auf die Ära des Steinkohlebergbaus im Ruhrgebiet lesen, sei gesagt, dass diese Ära mehr Schatten als Licht hatte, dass dort mehr Arbeitskräfte bei lebendigem Leibe aufgefressen wurden als sonst wo, dass die großen Zeiten des Fußballs das einzige waren, woran sich die Menschen ergötzen konnten und dass da herrschte ansonsten die nackte Armut, der Streik, der Putsch und der tödliche Unfall. Und dennoch schmiss diese Maschine ein ganzes Land an und erweckte es mehrmals zum Leben.
Angesichts einer Geschichte, die alles andere als schön ist, lässt sich kaum erklären, warum auch jetzt, wo das endgültige Aus in einem dürftigen, bürokratischen Akt endet, die Emotionen wieder einmal so hochkochen. Da stehen Riesen auf den Straßen und weinen bittere Tränen, da fassen sich Passanten ans Herz, wenn sie ein letztes Mal das Emblem mit den gekreuzten Hämmern sehen.
Heinrich Böll, der Rheinländer, wurde einmal gefragt, wie er das Ruhrgebiet beschreiben würde, und zwar zu einer Zeit, als die Ära noch in Blüte stand. Im Ruhrgebiet, so antwortete der Feinfühlige, im Ruhrgebiet, da riecht es nach Menschen. Das war eine treffende Charakterisierung, denn das Unmittelbare, das Sinnliche und das Unprätentiöse waren vielleicht wirklich das, was diese Zeit und diese Menschen am meisten ausmachte.
Und fragte man die, die längst in den Beinhäusern liegen, was denn ihr Fazit sei, von all dem Ganzen, dann wäre die Antwort eindeutig:
Alleine bist du ein kleines Licht. Und ohne deinen Kumpel, da hast du keine Chance.
Es könnte auf jedem dieser Grabsteine stehen. Und es ist die teuerste Erkenntnis dieser Epoche. Tief im Westen. Glückauf!
Quellen und Anmerkungen
[1] Der Balkankonflikt, auch Jugoslawienkrieg genannt, war eine Serie von Kriegen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Die Auseinandersetzungen endeten mit dem Zerfall des Staates. Als bedeutende kriegerische Handlungen werden der 10-Tage-Krieg in Slowenien (1991), der Kroatienkrieg (1991–1995), der Bosnienkrieg (1992–1995), der kroatisch-bosniakische Krieg, der Kosovokrieg (1999) und der albanische Aufstand in Mazedonien (2001) angesehen. Zu bemerken ist, dass sich der Krieg 1992 auch auf Bosnien und Herzegowina ausweitete. ↩
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Dr. Gerhard Mersmann ist studierter Politologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitete in leitender Funktion über Jahrzehnte in der Personal- und Organisationsentwicklung. In Indonesien beriet er die Regierung nach dem Sturz Soehartos bei ihrem Projekt der Dezentralisierung. In Deutschland versuchte er nach dem PISA-Schock die Schulen autonomer und administrativ selbständiger zu machen. Er leitete ein umfangreiches Change-Projekt in einer großstädtischen Kommunalverwaltung und lernte dabei das gesamte Spektrum politischer Widerstände bei Veränderungsprozessen kennen. Die jahrzehntelange Wahrnehmung von Direktionsrechten hielt ihn nicht davon ab, die geübte Perspektive von unten beizubehalten. Seine Erkenntnisse gibt er in Form von universitären Lehraufträgen weiter. Sein Blick auf aktuelle gesellschaftliche, kulturelle wie politische Ereignisse ist auf seinem Blog M7 sowie bei Neue Debatte regelmäßig nachzulesen.
2 Antworten auf „Tief im Westen: Die Nacht und das Licht“
nicht zu vergessen, das Erbe, das uns die Bergwerke für ewige Zeiten hinterlassen: Ohne Pumpen wäre ein Großteil des Ruhrgebiets “Land unter”. Abgesehen vom solidarischen Kumpelsein besteht kein Grund diese Zeit im Nachhinein zu beschönigen, was leider momentan viel zu oft passiert, weil sich mit Bergwerkerinnerungsstücken offenbar leicht Geld verdienen lässt
Glück auf, oder Glück zu, wie die oberirdischen Kohle-und Salzkumpel zu sagen pflegen. Mein Vater war selbst im Schacht in der Steinkohle im Erzgebirge, und all das, was der Westen jetzt erlebt, hat der Osten unterirdisch schon Jahrzehnte zuvor erlebt. Nur hatten die Ossis damals nicht die Klagemauern von heute. Da hieß es – such dir ‘ne neue Arbeit und die war damals zum Glück in Fülle vorhanden. Herr Mersmann, vielen Dank für diesen Beitrag ( und all die anderen von Ihnen ). Heinrich Böll, der liebe widerborstige Freund des Widerstandes gegen das Alt- und Neunationale sozialdemokratische Gedankengut der nachwachsenden Hydra der Adenauer Republik, würde sich nur wundern, über die vielen überhitzten Kommentare in diesem Blog.
Wir sind hier an einer Stelle angelangt, wo man ganz gut testen kann, indem man einmal total gegen seine weithin sichtbare Überzeugung jemanden einen provokativen Köder hinwirft, und diejenige Person sofort zubeist.
Betrifft Thema Lebenssinn. Von daher halte ich die weitere Debatte, die hier stattfindet für relativ ungeeignet, um irgend ein Umsteuern im Lande voranzubringen, weil einfach das echte Gegenüber, der Blick in die menschlichen
Augen fehlt. Wir sind in Deutschland meilenweit von den Gelbwesten entfernt. Es gibt zwar kleine Kristalisationskeime, jedoch sind die Bedingungen für einen echten kraftvollen Umbruch der Verhältnisse zu Gunsten der vernünftigen Mehrheit der Bevölkerung noch nicht gegeben.
Ihnen allen recht friedvolle Weihnachten und bis vielleicht im nächsten Jahr….
LG
Uwe Leonhardt